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Il primo omicidio

Oratorium in zwei Teilen
Text von Antonio Ottoboni
Musik von Alessandro Scarlatti


In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Veranstaltungsdauer: ca. 2h 30' (eine Pause)

Koproduktion mit der Opéra National de Paris und dem Teatro Massimo Palermo

Premiere an der Staatsoper Unter den Linden am 1. November 2019
(rezensierte Aufführung: 07.11.2019)


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Staatsoper Berlin
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Theologische Reflexionen auf der Bühne

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Monika Rittershaus

Der erste Mord der Weltgeschichte (jedenfalls in der abendländischen Mythologie) - die Kain- und Abel- Geschichte also auf der Bühne: Das hört sich spektakulärer an, als es ist. Denn bei Alessandro Scarlattis Il primo omicidio handelt sich um ein Oratorium, das nicht eine Handlung dramatisch darstellen, sondern kontemplativ eine religiöse Botschaft vermitteln will. Im Untertitel wird das Werk als "trattenimento", also "Freizeitbeschäftigung" bezeichnet, aber mit dem Attribut "sacro" versehen - gleichsam eine geistliche Erbauung mit Unterhaltungswert. Außerhalb von Kirchen aufgeführt, in Beträumen ("Oratorien") oder auch sog. Akademien in Adelspalästen, erfreuten sich zur Barockzeit derartige Werke in den Musikzentren Italiens großer Beliebtheit und erlebten, besonders als unter der Regierung Papst Clemens XI. 1703 in Rom jegliche Opernaufführungen verboten wurden, vor allem dort ihre Hochblüte. Nach der Uraufführung in Venedig 1707 wurde Il primo omicidio auch hier aufgeführt.

Die Darstellung von Leidenschaften wie in der Oper sollte das Publikum nicht von religiöser Andacht ablenken, vor allem natürlich nicht die amourösen Abenteuer oder wie hier ein hinterhältiger Mord. So fasste Scarlattis Librettist Antonio Ottoboni dieses unerhörte Ereignis eben nicht in eine Oper, sondern handelte die eigentliche Tat in eher dürren Worten im Kontext eines Oratoriums ab. Umrahmt wird die Mordgeschichte von theologischen Reflexionen über Schuld, Reue und Erlösung. Im Vergleich zu den beiden Oratorien, mit denen der 22-jährige Feuerkopf Händel zur selben Zeit in Rom Furore machte (Il trionfo und La resurrezione), die eigentlich verkappte Opern sind,  bleibt das Werk des 25 Jahre älteren Scarlatti  in der traditionellen Abfolge von Rezitativ und da-capo-Arie formal wesentlich konventioneller und gesetzter, wenn auch in der Musik, besonders in den kurzen Sinfonia-Sätzen durchaus dramatische Momente aufblitzen. Auch in den Arien gelingt Scarlatti eine eindrückliche musikalische Illustration von Affekten, die sich im Zusammenhang der biblischen Geschichte um die Vertreibung aus dem Paradies und der nachfolgenden Gewalttat des Brudermordes mit allen Folgen ergeben.

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Stilisierte Gesten im 1. Teil: Adam (Thomas Walker) und Eva (Brigitte Christensen), im Hintergrund Kain und Abel (Kristina Hammarström und Olivia Vermeulen)

René Jacobs schätzt diese Musik so sehr, dass auf seine Anregung hin dieses Werk von Romeo Castelucci in Szene gesetzt und nach Aufführungen an der Pariser Oper nun auch an der Berliner Staatsoper im Rahmen der Barocktage gezeigt wurde. Man folgt damit einem mit der szenischen Aufführung vor allem von Oratorien Händels erfolgreichen Trend, der sich aber bei diesem sehr undramatischen Textbuch als nicht unproblematisch erweist, gibt gerade dieses doch für die Bühne nicht allzu viel her.

In teils symbolischen, teils realistischen Bildern illustriert Castelucci den Text, interpretiert ihn aber auch an entscheidenden Stellen hinsichtlich seines theologischen Gehalts. Dabei zerfällt die Inszenierung in zwei disparate Teile. Im ersten Teil agieren die Darsteller auf dem engen Raum der Vorderbühne in streng abstrahierten, stilisierten Bewegungen, die an demonstrative Gesten von Heiligen auf mittelalterlichen Altarbildern erinnern. Im Hintergrund werden Lichtprojektionen im Stile der farbigen Streifenbilder Mark Rothkos auf einen Gazevorhang geworfen. Hier beklagen Adam und Eva in mehreren Arien ihren Sündenfall und die Vertreibung aus dem Paradies. Wohl als Hinweis auf ein noch zu erfüllendes Erlösungsversprechen hängt  vom Bühnenhimmel herab verkehrt herum ein Altarbild mit der Verkündigung Mariens.

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Eva fühlt Reue über den Sündenfall, der durch die Geburt Jesu geheilt werden wird: Brigitte Christensen mit Thomas Walker als Adam und Kristina Hammarström als Kain und Olivia Vermeulen als Abel.

Das folgende Versöhnungsopfer der beiden Brüder, von denen Gott ja nur dasjenige Abels annimmt, wird dann in recht technischer Weise mittels zweier kleiner vor sich hindampfenden Maschinen verdeutlicht. Castelucci stellt neben die biblischen Personen Adam, Eva, Kain und Abel auch Gott und Luzifer leibhaftig auf die Bühne, die im Libretto nur als Stimmen bezeichnet sind. Aber Gott und Teufel als Bühnengestalten, das geht außer in der Satire (oder bei Goethe) meistens nicht gut. Auch hier nicht, was die Figur Gottes betrifft, der mit seiner Jacke das Feuer auf einem der Altäre ersticken muss, um zu zeigen, dass er Kains Opfer nicht anerkennt. Ein etwas linkischer Effekt, der nicht unbedingt überzeugt. Wirkungsvoller dagegen ist, wenn zu Kains Arie, in der er sich zum Mord an seinem Bruder entschließt, Luzifer ihm mit stillen Mundbewegungen die bösen Gedanken ins Ohr flüstert.

Den zweiten Teil nach der Pause gestaltet der Regisseur auf einer archaischen Steppenlandschaft bis in die Tiefe der Bühne hinein ganz realistisch als pantomimisches Spiel, in welchem alle Rollen auf der Bühne von Kinderdarstellern ausgeführt werden, während die Gesangssolisten sich im Orchestergraben befinden. Die Kinder müssen den Mord simulieren, anschließend die Verdammung Kains zum lebenslang umherirrenden Ausgestoßenen und schließlich die Freude, nachdem Gott Adam verkündet hat, er werde noch weitere Nachkommen haben, unter denen ein Erlöser hervorgehen werde. Unter einer die ganze Bühne abdeckenden profanen Plastikfolie kommt dann dieses neue Leben zum Vorschein. Im Vergleich zu ihrem geistig-theologischen Gehalt wirkt diese  szenische Lösung aber recht banal.

An religiösen Kitsch sogar grenzt die Gleichsetzung des ermordeten Abel mit dem Gekreuzigten, wenn er mit ausgebreiteten Armen wie Jesus in ein Leinentuch gebettet während  die Figur der Eva mit Maria als  Mater dolorosa identifiziert wird. Die Kinderdarsteller stellen dies auf der Bühne als lebendes Bild nach, auch klassischen Gemälden nachempfunden. Dabei gestalten alle Kinderdarsteller mit synchronen Mundbewegungen jeweils den Text der von den Solisten gesungenen Arien quasi im Playback-Stil mit. All dies wirkt ein wenig sehr bemüht.

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Der mit Kinderdarstellern simulierte Brudermord: Kain (Ben Weinberger) und Abel (Theodor Croce)

Was René Jacobs aber mit dem B'Rock Orchestra im Graben musikalisch zaubert, machte den Abend wenigstens uneingeschränkt hörenswert. Die in der Druckfassung wohl nur unvollständig ausgeführte Partitur hat Jacobs außer der üblichen Streicherbesetzung mit einem großen Continuo-Ensemble, Bläsern in allen Registern samt Alt- und Bassposaune sowie Harfe, Orgel und Schlagwerk zu einem klangfarbenreichen Apparat ausgebaut. Der Auftritt Gottes wird mit leichtem Donner angekündigt, während Luzifer von zischendem Windböen begleitet wird. In den kurzen instrumentalen Zwischenspielen lässt Jacobs der Dramatik der Musik freien Raum. Zudem spielen die Instumentalisten dem Oratorium angemessen sehr dezent, aber mit dynamischer Geschmeidigkeit und überaus klangschön.

Sehr homogen ist das exzellente Solistenensemble der Gesangsrollen. Die etwas dunklere Mezzostimme von Kristina Hammerström (Caino) und der lichthelle Sopran von Olivia Vermeulen (Abele) geben den beiden Brüdern charakteristische Färbung. Brigitte Christensen (Sopran) als Eva und Thomas Walker (Tenor) singen anrührend das reumütige Elternpaar. Auch das Gegensatzpaar Voce di Dio, besetzt mit dem Counter Benno Schachtner und Voce di Lucifero (Arttu Kataja, Bariton) gibt den Rollen vokales Gewicht. Alle sechs Solistinnen und Solisten bringen den emotionalen Gehalt der jeweiligen Arien auf Schönste zum Ausdruck, tragen aber zugleich mit der notwendigen Zurückhaltung dem oratorischen Charakter der Musik voll Rechnung.

 

FAZIT

In szenischer Hinsicht entfaltet die Produktion wenig Zauber, auf musikalischer Seite aber erweist sich die Aufführung dieses selten zu hörenden Werks als großer Gewinn.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
René Jacobs

Inszenierung, Bühnenbild, Kostüme, Licht
Romeo Castelucci

Mitarbeit Regie
Silvia Costa

Mitarbeit Licht
Benedikt Zehm

Dramaturgie
Piersandra Di Matteo
Christian Longchamp
Jana Beckmann

 

B'Rock Orchestra


Solisten

Caino
Kristina Hammarström
Ben Weinberger*

Abele
Olivia Vermeulen
Theodor Croce*

Eva
Brigitte Christensen
Laeticia Krüger*

Adamo
Thomas Walker
Levi Biebuyck*

Voce di Dio
Benno Schachtner
Leòn Kirichenko*

Voce di Lucifero
Arttu Kataja
Hugo Gsell*

*Kinderdarsteller




Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



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