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Musiktheater
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Orphée et Eurydice

Tragédy opéra in drei Akten
Libretto von Rainieri de' Calzabigi (1762), französische Fassung von Pierre-Louis Moline (1774)
Musik von Christoph Willibald Gluck

In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Dauer: ca 2 1/2 Stunden – eine Pause

Gastspielaufführungen in Baden-Baden am 27. (rezensiert), 28. und 29. September 2019
(Premiere am 3. Februar 2019 an der Staatsoper Hamburg)

 
 

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Festspielhaus Baden-Baden
(Homepage)


Weiterleben als Kunstprodukt

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Kiran West

Als "Ballettoper" firmiert die Inszenierung John Neumeiers von Glucks Orpheus und Eurydike, die der neue Festspielhaus-Intendant Benedikt Stampa zur Eröffnung seiner ersten Spielzeit nach Baden-Baden geholt hat.

Nach eigenen Angaben des Hamburger Ballettintendanten Neumeier reicht seine Beschäftigung mit diesem Stoff bereits weit zurück, sei es als Choreograf oder Regisseur. Nun arbeitete er nicht mehr allein als Choreograf einer Inszenierung zu, sondern zeichnet für das szenische Gesamtkonzept verantwortlich. Die ganze Bühne ist diesmal Neumeiers Kreation: Choreografie und Inszenierung, Bühnenbild und Lichtgestaltung. Folgerichtig hat er nicht die italienische Urfassung, sondern Glucks zwölf Jahre später für Paris geschaffene Bearbeitung Orphée et Eurydice gewählt, die entsprechend französischer Tradition sechs zusätzliche Ballettmusiken enthält, immerhin ein Surplus von 30 Minuten Musik. Was aber auch eine Zerdehnung der ohnehin handlungsarmen Dramaturgie bedeutet. Die aber gleicht Neumeiers Corps de ballet mit technischer Perfektion und ästhetischer Vollkommenheit eindrucksvoll aus.

Um Tanz und Oper zu vereinen, bedient sich Neumeier beherzt in der Wirklichkeit. Hätte er diesen Orpheus, den Sohn des Apoll und der Muse Euterpe, den mythologischen Prototypen eines Sängers, vielleicht sogar eines Musikers schlechthin, in einen Tänzer verwandelt, gäbe es ein Problem - dieser müsste ebenso gut singen wie tanzen können. Neumeier macht aus Orpheus also einen Choreografen und Eurydike zu dessen Primaballerina in einem geplanten Ballett mit dem Titel "Toteninsel", nach dem Gemälde Arnold Böcklins. Und nicht, wie im Mythos erzählt, durch den Biss einer Schlange kommt Orpheus' Gattin (bei Gluck noch vor Einsetzen der Handlung) ums Leben, sondern bei einem Autounfall, den Neumeier ziemlich realistisch während der Ouvertüre auf der Bühne inszeniert. Nach einem Streit während der Probe zu jenem geplanten Ballett stützt Eurydike kopflos aus dem Saal und verunglückt mit ihrem Kleinwagen tödlich: Martinshorn, Sanitäter, Bahre - einen Charon braucht es nicht, um Eurydike ins Totenreich zu geleiten. Und es bedeutet einen harten Schnitt, wenn dann der erste Akt mit dem Trauergesang des Chores und Orpheus' Klagen einsetzt. Das Folgende, also Orpheus' Überwindung der Schranken des Hades und sein Eindringen in das Reich seliger Schatten, wo er Eurydike wiedertrifft, sie jedoch nicht zurückzuholen vermag, mag Traum, Erinnerung oder Symbolik sein. Den versöhnlichen Schluss, das barocke lieto fine jedenfalls muss Neumeier in diesem Verständnis verweigern. Amor darf mit göttlicher Macht die Liebenden nicht wieder glücklich vereinen, sondern der Choreograf Orpheus erhält seine Eurydike nur als Figur in seiner Ballettkreation zurück, gleichsam als Geschöpf seiner Phantasie und seiner Kunst und Reminiszenz an ein früheres gemeinsames Leben.

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Die Geburt der Kunstfigur Eurydike aus dem Geist des Balletts: Arianna Vendittelli und Dmitry Korchak (Orpheus)

So realistisch und heutig das Setting der Rahmenhandlung verstanden wird, so klassizistisch hat Neumeier das Dekor der eigentlichen Geschichte gestaltet. Die Kostüme des Corps und der Tanz-Doubles der Protagonisten weisen auf die Antike hin, mit klarem Schwarz - Weiß - Kontrast für die Welt des Hades und des Elysiums. Futuristisch muten Furien und Schatten an. Die Bühne hat Neumeier spartanisch ausgestattet. Drei bewegliche Wandelemente sorgen für die Illusion von Raum und Zeit. Auch hier herrscht kühler, sachlicher Realismus vor.

Orpheus' Ballett-Assistent fungiert in der Rolle des Amor, der ihn heftig dazu animiert, Eurydike als Ballettfigur gleichsam lebendig werden zu lassen. Mit jugendlich frischem, hell timbriertem und glänzend geführtem Sopran konnte Marie-Sophie Pollak diese Rolle wesentlich aufwerten. Entgegen der Wiener Urfassung hat Gluck in der französischen Version für die Rolle des Orpheus einen Tenor vorgesehen. Dmitry Korchak bewältigte seinen umfangreichen Part mit technischer Bravour, neigte allerdings in der Höhe leicht zur Schärfe. Aber spätestens in der Arie "J'ai perdu mon Eurydice", der wohl berühmtesten Nummer der Oper, fand er zu lyrischer Wärme. Als Eurydike beeindruckte Arianna Vendittelli mit farbenreichem und dramatisch vitalem Sopran; wie überhaupt erst im Duett Eurydike / Orpheus im 3. Akt Musik und Handlung an Dramatik gewannen, wenn es um die Vertrauens- und Liebesprobe des Paares geht, in der Orpheus seine Gattin nicht anschauen darf, diese aber eben darauf heftig insistiert.

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Der Sänger als Choreograf: Dmitry Korchak  als Orpheus

In seiner Inszenierung hat Neumeier neben den Doubles der beiden Titelfiguren selbstredend seiner Ballettkompagnie die Rollen der Furien, Schatten und Seeligen Geister auf der Bühne vorbehalten. Der Chor der Sängerinnen und Sänger ist in den Orchestergraben verbannt, trägt aber keineswegs mit verminderten Präsenz zur Aufführung bei. Zum wiederholten Male bewährte sich das Rastatter Vokalensemble unter der Leitung von Holger Speck dabei als Opernchor in einer Baden-Badener Aufführung.

Als Orchester stand in der Baden-Badener Aufführungsserie das Freiburger Barockorchester zur Verfügung. Unter der Leitung von Alessandro De Marchi spielte es aber  zumindest vor der Pause merkwürdig verhalten und wenig transparent. Kaum war die Harfe bei Orpheus' Eintritt in den Hades zu hören. Erst nach der Pause kam es zur gewohnten Farbigkeit und Agilität, die dieses Orchester zu einem der besten in der Welt der Barockmusik macht. Bezaubernd klangen dann die Flöten im Reigen der seeligen Geister des 3. Akts und voll dramatischer Verve die Blitz- und Donnermusik am Ende des 1. Akts. Mit eindrucksvollen Lichteffekten verstärkt Neumeiers Konzeption derart szenische Höhepunkte. Dennoch: An Personenregie oder psychologischer Durchleuchtung der Figuren hat er weniger gearbeitet als an  der höchst geschmackvollen und ästhetisch perfektionierten Begleitung der Handlung durch das Ballett.

FAZIT

Ballettliebhaber*innen werden daher voll auf ihre Kosten gekommen sein. Ob das auch für jede/n Freund*in des Musiktheaters zutrifft, muss dahin gestellt bleiben.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Alessandro De Marchi

Inszenierung, Choreografie,
Bühnenbild und Licht

John Neumeier

Einstudierung Chor

Holger Speck



Vokalensemble Rastatt

Hamburger Ballett John Neumeier

Freiburger Barockorchester




Solisten

*rezensierte Aufführung

Orphée
*Dmitry Korchak /
Maxim Mironov

Double Orphée (Tänzer)
Edvin Revazov

Eurydice
Arianna Vendittelli

Double
Eurydice (Tänzerin)
Anna Laudere

L'Amour

Ann-Sophie Pollak





Weitere Informationen
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Festspielhaus Baden-Baden
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