Veranstaltungen & Kritiken Musiktheater |
|
|
Memento Mori, zuckerfrei
Von Stefan Schmöe
/
Fotos von Thilo Beu
So ganz viel falsch macht man als Regisseur nicht, wenn man den Rosenkavalier eng am Libretto entlang inszeniert. Das ist schließlich, wie auch die Musik, ziemlich detailverliebt ausformuliert und erklärt sich im Grunde selbst, zudem "funktioniert" das Stück bestens - viel Deutungsarbeit braucht die Regie da nicht. Man kann, wie Josef Ernst Köpplinger für diese Neuinszenierung, die Zeitebene wechseln und die Geschichte an den Beginn des 20. Jahrhunderts verlegen, denn Hugo von Hofmannsthal hat die Handlung zwar in der Regentschaft Maria Theresias angesiedelt, aber die Musik, die man im Gasthaus hört, ist mit ihren trunkenen Walzern eher die der Richard-Strauss-Zeit. In Köpplingers Regie bleibt der Zeitenwechsel allerdings über weite Strecken eine ziemlich beliebige Entscheidung, die nicht weiter motiviert ist und auch keinen erkennbaren Mehrwert bringt. Erst im dritten Akt wird der Ansatz leidlich plausibel, wenn das "Beisl", die Vorstadtgastwirtschaft, eine einfache Kneipe mit großem Tresen und Zapfhahn ist und glaubhaft macht, dass die Protagonisten aufgrund ihres sozialen Standes hier partout nicht freiwillig verkehren würden - das erklärt den inszenierten Skandal, wenn der Baron Ochs von Lerchenau in diesem Umfeld aufgegriffen wird. Aber dieser Skandal wird gleichzeitig durch das Kostüm der Marschallin, hier eine mondäne Diva eher der 1920er-Jahre, abgemildert (Kostüme: Dagmar Morell): Solche Frauen kann man sich spätestens in der Zwischenkriegszeit durchaus in zwielichtigen Etablissements vorstellen. Also doch keine so große Fallhöhe.
Nicht nur hier gibt sich die Regie merkwürdig ungenau, als käme es nicht so darauf an. Warum diesem Octavian im biederen Anzug gleich beide zentralen Frauengestalten verfallen, ist nicht besonders glaubwürdig - eine eher langweilige Figur. Aber es gibt auch etliche handwerkliche Schwächen, als sei nicht ordentlich geprobt worden - wenn am Ende des ersten Aktes die Lakaien bereits auf der Bühne stehen, noch bevor die Marschallin diese ruft, mag noch eine Nebensächlichkeit sein (die beim Rosenkavalier allerdings prompt störend auffällt). Aber bei der Überreichung der silbernen Rose sollte Octavian doch bitte sofort am "richtigen" Platz stehen und nicht während der Musik, die die Szene gleichsam "einfriert", noch die Position wechseln. Und dass in diesem Moment eine Zofe mit Staubwedel herumsteht, widerspricht der inhaltlichen Logik - im Hause des Aufsteigers Faninal wird dieser Moment ganz sicher perfekt vorbereitet und jedes noch so kleine Stäubchen längst verschwunden sein. Und wenn der Bub' in der Mitte steht, wie die Marschallin im Finale anmerkt, dann sollte er auch ziemlich genau da stehen. Kleinigkeiten? Ja, aber entscheidende.
Die Überreichung der silbernen Rose
Ein paar schöne Momente hat die Personenregie auch, dass soll nicht unterschlagen werden. Aber letztendlich trägt vor allem das eindrucksvolle Bühnenbild (Johannes Leiacker) zum Erfolg der Produktion bei. Leiacker hat keinen realistischen Raum gebaut, sondern die Bühne durch hohe, drehbare Wände begrenzt: Trüb gewordene Spiegel zeigen die Vergänglichkeit an, und wenn die Wände sich drehen, ergeben sich großformatige Stilleben, von Akt zu Akt deutlicher die Sterblichkeit symbolisierend. Das sieht eindrucksvoll aus; die Auf- und Abtritte gestalten sich allerdings auch hier ziemlich beliebig; da kann Sophie mal eben "um die Ecke" verschwinden, als handele es sich um eine konzertante Aufführung. Im Finale öffnet sich der Raum, und im Hintergrund sieht man (Vorsicht, Kitsch) Schneetreiben - vielleicht ist da schon mitgedacht, dass die Produktion auch an der Volksoper Wien gezeigt wird: Ein touristentaugliches Schlussbild mit einem Schuss Romantik?
Einen zuckersüßen Rosenkavalier hat GMD Dirk Kaftan überhaupt nicht im Sinn, und so dirigiert er mit straffen Zügeln: Die Musik geht forsch voran, was vor allem im ersten Aufzug auf Kosten des Konversationstons geht - viel Spielraum zur Ausgestaltung bleibt den Sängern nicht. Manches wirkt dadurch im Tonfall moderner als gewohnt. Die Hofmannsthal'sche Kunstsprache bleibt dabei allerdings mitunter auf der Strecke, vielleicht sogar gewollt. Das gilt auch für Spezifika der Musik. Die Celesta beispielsweise, die in anderen Interpretationen bestimmend ist für den ganz eigenen Rosenkavalier-Klang, bleibt ein Farbton unter vielen, fast nebensächlich. Ob man diese entschlackte, von vielen Klischees befreite Sicht- (oder besser: Hör-)weise als Gewinn oder als Verlust betrachtet, ist ein Stück weit Geschmackssache; jedenfalls ist Kaftans Interpretation stringent, treibt den Walzern des dritten Aktes die Gemütlichkeit aus (aber auch das Doppelbödige) und zielt auf das Schlussterzett hin: Da beginnt Kaftan sehr langsam, zieht das Tempo aber dann mehr und mehr an. Das ist schon klar durchdacht disponiert. Das gute Beethoven-Orchester setzt das alles sehr ordentlich um.
Das Schlussterzett: (von links) Marschallin, Sophie und Octavian
Martina Welschenbach ist eine recht junge (und sehr attraktive) Marschallin mit nicht allzu schwerer, hell timbrierter Stimme, durchaus keine alternde Frau. Ein wenig fehlt in der Klangfarbe der Abstand zum Octavian von Emma Sventelius, ähnlich timbriert und souverän gestaltet. Louise Keményi singt die Spitzentöne der Sophie im intensiven Pianissimo (ein wenig hört man ihr noch an, dass das nicht einfach ist), die schöne, junge Stimme passt ausgezeichnet zu der Rolle. Franz Hawlata lebt als Ochs auf Lerchenau von seiner riesigen Bühnenerfahrung. Die Stimme hat den Zenit sicher überschritten und an Farbe eingebüßt. Hawlata manövriert sich ganz eindrucksvoll durch die Partie, die er sich gut einteilt, manche Phrase im Sprechgesang überspielt und für ein paar entscheidende Stellen gut präpariert ist. Giorgios Kanaris als strahlkräftiger Faninal hat klar die besseren vokalen Reserven. In den kleineren Partien glänzt Johannes Mertes als brillanter, pointiert singender Valzacchi neben einer soliden Anjara I. Bartz als Annina. Yannick-Muriel Noah hat schon bessere Abende gesungen als diesen in der Partie der angestrengt klingenden Leitmetzerin, George Oniani gibt einen großformatigen italienischen Sänger.
Eine szenische Interpretation ohne große Aufreger, die aber mehr Sorgfalt benötigt hätte; musikalisch in Dirk Kaftans zuckerfreier Version auf hohem Niveau.
|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
KInder- und Jugendchor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg
Der Baron Ochs auf Lerchenau
Octavian
Herr von Faninal
Sophie, seine Tochter
Jungfer Marianne Leitmetzerin
Valzacchi
Annina
Ein Polizeikommissar
Der Haushofmeister bei der Feldmarschallin
Der Haushofmeister bei Faninal
Eine Modistin
Ein Notar
Ein Wirt
Ein Sänger
Drei adelige Waisen
Ein Tierhändler
Vier Lakaien der Marschallin
Vier Kellner
Hausknecht
|
© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de