Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur
                  OMM-Homepage Zur Musiktheater-Startseite E-mail Impressum



Eugen Onegin 

Lyrische Szenen in drei Aufzügen von Peter I. Tschaikowsky
Libretto von Konstantin S. Schilowsky und Peter I. Tschaikowsky
nach Alexander S. Puschkins Versroman »Eugen Onegin«

in russischer Sprache mit deutschen Über- und Seitentiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden (eine Pause)

Premiere am 17. Januar 2020 im Großen Haus des Staatstheaters Braunschweig




Staatstheater Braunschweig
(Homepage)



Vom gutaussehenden Unsympathen zum fast seriösen Herrn


Von Bernd Stopka / Fotos von Björn Hickmann / Stage Picture


Fasziniert von Alexander Puschkins Versroman Eugen Onegin entwarf Tschaikowsky 1877 selbst ein Libretto, das er später zusammen mit seinem Bruder und seinem Freund Konstantin Schilowsky ausführte. „Ich pfeife auf Effekte“, sagte er und nannte das Werk dann schließlich auch Lyrische Szenen, nicht Oper, verzichtete größtenteils auf das Operntypische und konzentrierte sich auf das Seelenleben der Figuren und deren Beziehungen zueinander. „Mir scheint, dass ich tatsächlich die Gabe besitze, Gefühle, Stimmungen und Bilder, zu denen mich der Text heranführt, wahr, aufrichtig und einfach durch die Musik zum Ausdruck zu bringen“. Diese mehr als zutreffende Selbsteinschätzung ließ mit Eugen Onegin ein ausgesprochen gefühlsintensives, aber kein gefühliges oder gar kitschiges Werk entstehen, dessen Enthüllungen intensiver, versteckter Gefühle und Entwicklungen tief unter die Haut gehen, wenn man sich darauf einlässt. Vieles was diese leibhaftigen Menschen erleben, ist heute genauso aktuell wie damals und auch Tschaikowsky selbst kannte sich auf dem weiten Feld der Fragen nach Liebesbeziehung oder Vernunftsehe, einsam sein oder zweisam einsam sein viel zu gut aus. Das Schicksal Onegins, der am Ende merkt, dass er an seinem Leben vorbeigelebt hat, ist grausamer als der Tod.

foto folgt
Milda Tubelytė, Edna Prochnik, Chor

Operndirektorin Isabel Ostermann nimmt Tschaikowskys Pfeifen wörtlich und verzichtet bei ihrer Inszenierung für das Staatstheater Braunschweig auf jegliche Bühneneffekte. Stephan von Wedel hat adäquat dazu ein auf das Wesentliche reduziertes Bühnenbild geschaffen, das aus einem unterschiedlich beleuchteten Rundhorizont besteht, vor dem zu Tatjanas Geburtstag pastellfarbene Lampions hängen. Im Hause Gremin sind es dann verschiedene Kronleuchter, deren zwei größte auf dem Rundhorizont Schatten werfen, die sich fast zärtlich berühren. Dazu kommen noch ein paar Stühle, ein Podest, ein Grabstein und ein kleines Kinderspielzelt. Julia K. Berndt hat den Chor in schwarze Kostüme aus vielerlei Zeitaltern und Gesellschaftsschichten gekleidet. Die Kostüme der Hauptfiguren sind dagegen farbig, aber nicht grell, und verorten das Geschehen ziemlich eindeutig in Russland.

Onegin, als Fremder, erscheint zunächst schick-leger im bunten Hemd mit kniekurzer Hose und offenen Latschen, herunterhängenden Hosenträgern und einem bunten Handtuch über der Schulter, als käme er gerade vom Strand. Ein gutaussehender Unsympath. Im Laufe des Abends komplettiert er seine Garderobe und entwickelt sich so auch optisch von einem unkonventionellen Schönling zu einem seriösen Herrn. Diese Darstellung der Titelfigur ist ungewöhnlich, zumal Tschaikowsky ihn, auch musikalisch, doch eher als korrekten, steifen, unnahbaren Mann charakterisiert, aber sie ist durchaus spannend und passt zu seinem Verhalten an Tatjanas Geburtstag. Nebenbei verweist sie auf die ganz aktuelle gesellschaftliche Entwicklung, in der unverbindlicher Spaß („fun“) und spätere Einsamkeit eine größer werdende Rolle spielen. Onegin spielt mit dem Feuer – raucht mit Tatjana nebeneinander auf dem Rücken liegend. Für sie ist es offensichtlich die erste Zigarette – was zu weitgehenden Interpretationsspekulationen führen kann…
Im Duell erweist sich der eitle Geck dann als Feigling, der es nicht einmal schafft sich umzudrehen, dann aber doch rückwärts schießt, Lenski trifft und selbst zu Boden sinkt. Während der anschließenden Polonaise, die eigentlich das rauschende Fest Gremins beschreibt, zeigt die Regisseurin eine Mischung aus Realität und Vision: Onegin glaubt in seiner oberflächlichen Art, das Duell sei nur ein Spiel gewesen, raucht und bietet auch Lenski eine Zigarette an, erschrickt, als er merkt, dass der wirklich tot ist, und verfällt in eine Art Wahn, der ihn wieder aufstehen lässt. Sie wirbeln tanzend über die Bühne, was tolle Schattenspiele auf dem Rundhorizont bewirkt, Lenski küsst Onegin auf den Mund und verschwindet dann. Onegin bleibt mit dem Trauma seinen besten Freund erschossen zu haben zurück. Die festliche Polonaise unterstreicht kontrastierend die Grausamkeit dieser starken Szene.
Im letzten Bild sieht man die goldene Bühnenumrandung der Braunschweiger Bühne noch einmal verkleinert als Bühne auf der Bühne. Tatjana ist zu einer reifen Frau und einer Dame der Gesellschaft geworden. Ihre Abweisung Onegins, der in ihr den ungeschliffenen Diamanten nicht erkannt hatte, hört Gremin mit Beruhigung. Onegin, nun ganz korrekt gekleidet, verzweifelt und versucht Tatjana, in alte Gewohnheiten verfallend, mit Waffengewalt zu sich zu zwingen, kann aber nicht verhindern, dass sich Tatjana und Gremin zu ihrer Familie an eine reichgedeckte Tafel im Hintergrund setzen. Zu spät, er hatte seine Chance.

Vergrößerung in neuem FensterMaximilian Krummen, Joska Lehtinen, Milda Tubelytė, Ivi Karnezi, Edna Prochnik

Es ist durchaus reizvoll, den Fürsten Gremin als jungen Mann zu zeigen, der sich in den ersten Szenen bei Larina einschmeichelt und dann ihre Tochter heiratet. Da ist er noch auf den Beinen. Seine schwarze Schärpe am Schluss könnte auf eine ehrenvolle Verletzung hinweisen, die ihn in den Rollstuhl gebracht hat. Tatjana ist als seine Ehefrau ganz Dame, nachdem sie am Anfang als weltfremdes, verträumtes Mädchen mit langen Zöpfen und großer Brille wenig verführerisch gezeichnet ist. Etwas befremdlich wirkt, dass Tatjana den Brief an Onegin nicht in ihrem Schlafzimmer schreibt, sondern mit seinem Tuch kuschelnd vor dem kleinen, spielzeugartig wirkenden Zelt. Das ist möglicherweise der Absicht geschuldet, sie verspielt kindlich zu zeigen, zumal das Thema Kinderverheiratung nicht nur in Filipjewnas Erzählung ihrer eigenen Geschichte genannt, sondern auch szenisch gezeigt wird. Sie schreibt ihren Brief vom Abend bis zum Morgen, da hätte man, den Rundhorizont beleuchtend, sehr effektvoll die Abend- und Morgendämmerung zeigen können – aber auf Operneffekte wollten wir ja verzichten. Die intensivsten Bilder entstehen, wenn nur eine Person auf der leeren Bühne vor dem Rundhorizont in ihre Seele blicken lässt (Neu-Bayreuth lässt grüßen), so wie bei Lenskis Arie, zu der Tatjana unnötigerweise an der linken Proszeniumsseite erscheint. Dass Monsieur Triquet mit Joker-Mund im weiß geschminkten Gesicht und einer Wein- oder doch eher Wodka-Flasche auftritt, macht wenig Freude und erschließt sich nicht. Eher peinlich wirken auch die goldenen Spitzhütchen der Gremin-Gesellschaft, die sich für die Musik viel zu wild und ausgelassen gebärdet und dazu noch eine Polonäse marschiert, die mit dem polnischen Nationaltanz Polonaise so gar nichts zu tun hat.
Nicht immer geht die Absicht auf, das Seelenleben der Personen bewegend auf der fast leeren Bühne zu fokussieren, es entstehen auch Längen und manchmal ist es einfach fad. Die Gags, dass sich Lenski und Onegin mit einer Autohupe ankündigen, und den, irgendwen vernehmlich mit den Kranichen ziehen zu lassen, konnte sich die Regie dann doch nicht verkneifen.

foto
                      folgt
Maximilian Krummen, Ivi Karnezi

Wie jedes Mal seit ihrem Einbau habe ich mit der elektronischen Akustikverbesserungsanlage des Braunschweiger Hauses meine Probleme. Sie bewirkt einen zu präsenten, unnatürlich wirkenden, einfach auch zu lauten Klang, sowohl des Orchesters als auch der Stimmen, so dass eine Einschätzung der einzelnen Stimmvolumen nicht wirklich möglich ist.

Mit schlankem, höchst angenehm timbriertem, gleichmäßig durchgeformtem Bariton überzeugt Maximilian Krummen als Onegin. Joska Lehtinen spielt den Lenski sehr intensiv. Seinem etwas schmal klingenden Tenor wäre für diese Partie mehr lyrisches Stimmmaterial zu wünschen, vielleicht kommt der Lenski für ihn auch einfach noch zu früh. Mit warmem Timbre und hoher Stimmkultur ist Ivi Karnezi eine jugendliche Tatjana, die die Briefszene vorbildlich singt. Die Überzeugungskraft ist aber noch ausbaufähig. Valentin Anikin begeistert als Gremin mit sattem, wohlklingendem, technisch präzisem Bass und eindringlicher Gestaltung seiner Liebeserklärung an die Liebe. Zhenyi Hou spielt eine resolute Filipjewna, die mit stimmvollem Mezzo ihre Lebensgeschichte zum Steinerweichen gestaltet. Als Triquet berührt Sungmin Kang mit einem geradezu zärtlich gesungenen Couplet. Mit Milda Tubelytė als Olga und Edna Prochnik als Larina sind diese Partien ebenso adäquat besetzt wie die des Saretzki mit Rainer Mesecke und die des Hauptmanns mit Peter Hamon.
Mit einigen sich gewaltig aufbäumenden Momenten, aber doch überwiegend unauffällig leitet GMD Srba Dinić den Abend mit kapellmeisterlicher Präzision. Der kultivierte Chorklang bildet einen stabilen Eckpfeiler und das konzentriert spielende Orchester eine sichere musikalische Basis.


FAZIT

Eine szenische Interpretation mit bewegenden und spannenden Gedanken, eindrucksvollen Bildern, aber nicht durchweg fesselnder Umsetzung. Maximilian Krummen ist ein wunderbarer Onegin.



Ihre Meinung ?
Schreiben Sie uns einen Leserbrief

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Srba Dinić

Inszenierung
Isabel Ostermann

Bühne
Stephan von Wedel

Kostüme
Julia K. Berndt

Choreograpfie
Markus Schneider

Chor
Georg Menskes
Johanna Motter

Dramaturgie
Theresa Steinacker


Chor
des Staatstheaters Braunschweig

Statisterie
des Staatstheaters Braunschweig

Staatsorchester Braunschweig


Solisten

*Besetzung der hier besprochenen
Premiere

Eugen Onegin
Zachariah N. Kariithi
*Maximilian Krummen

Tatjana
*Ivi Karnezi
Ekaterina Kudryavtseva

Olga
Milda Tubelytė

Lenski
Kwonsoo Jeon
*Joska Lehtinen

Larina
Edna Prochnik

Fürst Gremin
*Valentin Anikin
Jisang Ryu

Filipjewna
Zhenyi Hou

Saretzki
Rainer Mesecke

Triquet
Sungmin Kang

Hauptmann
Peter Hamon


Weitere Informationen
erhalten Sie vom

Staatstheater Braunschweig
 (Homepage)





Da capo al Fine

Zur OMM-HomepageZur Musiktheater-StartseiteE-mailImpressum

© 2020 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -