Vom
gutaussehenden Unsympathen zum fast seriösen Herrn
Von Bernd
Stopka / Fotos von Björn Hickmann / Stage
Picture
Fasziniert von Alexander
Puschkins Versroman Eugen
Onegin entwarf Tschaikowsky
1877 selbst ein Libretto, das er
später zusammen mit seinem Bruder
und seinem Freund Konstantin
Schilowsky ausführte. „Ich pfeife
auf Effekte“, sagte er und nannte
das Werk dann schließlich auch
Lyrische Szenen, nicht Oper,
verzichtete größtenteils auf das
Operntypische und konzentrierte
sich auf das Seelenleben der
Figuren und deren Beziehungen
zueinander. „Mir scheint, dass ich
tatsächlich die Gabe besitze,
Gefühle, Stimmungen und Bilder, zu
denen mich der Text heranführt,
wahr, aufrichtig und einfach durch
die Musik zum Ausdruck zu
bringen“. Diese mehr als
zutreffende Selbsteinschätzung
ließ mit Eugen Onegin ein
ausgesprochen gefühlsintensives,
aber kein gefühliges oder gar
kitschiges Werk entstehen, dessen
Enthüllungen intensiver,
versteckter Gefühle und
Entwicklungen tief unter die Haut
gehen, wenn man sich darauf
einlässt. Vieles was diese
leibhaftigen Menschen erleben, ist
heute genauso aktuell wie damals
und auch Tschaikowsky selbst
kannte sich auf dem weiten Feld
der Fragen nach Liebesbeziehung
oder Vernunftsehe, einsam sein
oder zweisam einsam sein viel zu
gut aus. Das Schicksal Onegins,
der am Ende merkt, dass er an
seinem Leben vorbeigelebt hat, ist
grausamer als der Tod.
Milda
Tubelytė, Edna Prochnik, Chor
Operndirektorin
Isabel Ostermann nimmt
Tschaikowskys Pfeifen wörtlich
und verzichtet bei ihrer
Inszenierung für das
Staatstheater Braunschweig auf
jegliche Bühneneffekte. Stephan
von Wedel hat adäquat dazu ein
auf das Wesentliche reduziertes
Bühnenbild geschaffen, das aus
einem unterschiedlich
beleuchteten Rundhorizont
besteht, vor dem zu Tatjanas
Geburtstag pastellfarbene
Lampions hängen. Im Hause Gremin
sind es dann verschiedene
Kronleuchter, deren zwei größte
auf dem Rundhorizont Schatten
werfen, die sich fast zärtlich
berühren. Dazu kommen noch ein
paar Stühle, ein Podest, ein
Grabstein und ein kleines
Kinderspielzelt. Julia K. Berndt
hat den Chor in schwarze Kostüme
aus vielerlei Zeitaltern und
Gesellschaftsschichten
gekleidet. Die Kostüme der
Hauptfiguren sind dagegen
farbig, aber nicht grell, und
verorten das Geschehen ziemlich
eindeutig in Russland.
Onegin, als Fremder, erscheint
zunächst schick-leger im bunten
Hemd mit kniekurzer Hose und
offenen Latschen,
herunterhängenden Hosenträgern
und einem bunten Handtuch über
der Schulter, als käme er gerade
vom Strand. Ein gutaussehender
Unsympath. Im Laufe des Abends
komplettiert er seine Garderobe
und entwickelt sich so auch
optisch von einem
unkonventionellen Schönling zu
einem seriösen Herrn. Diese
Darstellung der Titelfigur ist
ungewöhnlich, zumal Tschaikowsky
ihn, auch musikalisch, doch eher
als korrekten, steifen,
unnahbaren Mann charakterisiert,
aber sie ist durchaus spannend
und passt zu seinem Verhalten an
Tatjanas Geburtstag. Nebenbei
verweist sie auf die ganz
aktuelle gesellschaftliche
Entwicklung, in der
unverbindlicher Spaß („fun“) und
spätere Einsamkeit eine größer
werdende Rolle spielen. Onegin
spielt mit dem Feuer – raucht
mit Tatjana nebeneinander auf
dem Rücken liegend. Für sie ist
es offensichtlich die erste
Zigarette – was zu weitgehenden
Interpretationsspekulationen
führen kann…
Im Duell erweist sich der eitle
Geck dann als Feigling, der es
nicht einmal schafft sich
umzudrehen, dann aber doch
rückwärts schießt, Lenski trifft
und selbst zu Boden sinkt.
Während der anschließenden
Polonaise, die eigentlich das
rauschende Fest Gremins
beschreibt, zeigt die
Regisseurin eine Mischung aus
Realität und Vision: Onegin
glaubt in seiner oberflächlichen
Art, das Duell sei nur ein Spiel
gewesen, raucht und bietet auch
Lenski eine Zigarette an,
erschrickt, als er merkt, dass
der wirklich tot ist, und
verfällt in eine Art Wahn, der
ihn wieder aufstehen lässt. Sie
wirbeln tanzend über die Bühne,
was tolle Schattenspiele auf dem
Rundhorizont bewirkt, Lenski
küsst Onegin auf den Mund und
verschwindet dann. Onegin bleibt
mit dem Trauma seinen besten
Freund erschossen zu haben
zurück. Die festliche Polonaise
unterstreicht kontrastierend die
Grausamkeit dieser starken
Szene.
Im letzten Bild sieht man die
goldene Bühnenumrandung der
Braunschweiger Bühne noch einmal
verkleinert als Bühne auf der
Bühne. Tatjana ist zu einer
reifen Frau und einer Dame der
Gesellschaft geworden. Ihre
Abweisung Onegins, der in ihr
den ungeschliffenen Diamanten
nicht erkannt hatte, hört Gremin
mit Beruhigung. Onegin, nun ganz
korrekt gekleidet, verzweifelt
und versucht Tatjana, in alte
Gewohnheiten verfallend, mit
Waffengewalt zu sich zu zwingen,
kann aber nicht verhindern, dass
sich Tatjana und Gremin zu ihrer
Familie an eine reichgedeckte
Tafel im Hintergrund setzen. Zu
spät, er hatte seine Chance.
Maximilian
Krummen, Joska Lehtinen, Milda Tubelytė, Ivi
Karnezi, Edna Prochnik
Es
ist durchaus
reizvoll, den
Fürsten Gremin
als jungen
Mann zu
zeigen, der
sich in den
ersten Szenen
bei Larina
einschmeichelt
und dann ihre
Tochter
heiratet. Da
ist er noch
auf den
Beinen. Seine
schwarze
Schärpe am
Schluss könnte
auf eine
ehrenvolle
Verletzung
hinweisen, die
ihn in den
Rollstuhl
gebracht hat.
Tatjana ist
als seine
Ehefrau ganz
Dame, nachdem
sie am Anfang
als
weltfremdes,
verträumtes
Mädchen mit
langen Zöpfen
und großer
Brille wenig
verführerisch
gezeichnet
ist. Etwas
befremdlich
wirkt, dass
Tatjana den
Brief an
Onegin nicht
in ihrem
Schlafzimmer
schreibt,
sondern mit
seinem Tuch
kuschelnd vor
dem kleinen,
spielzeugartig
wirkenden
Zelt. Das ist
möglicherweise
der Absicht
geschuldet,
sie verspielt
kindlich zu
zeigen, zumal
das Thema
Kinderverheiratung
nicht nur in
Filipjewnas
Erzählung
ihrer eigenen
Geschichte
genannt,
sondern auch
szenisch
gezeigt wird.
Sie schreibt
ihren Brief
vom Abend bis
zum Morgen, da
hätte man, den
Rundhorizont
beleuchtend,
sehr
effektvoll die
Abend- und
Morgendämmerung
zeigen können
– aber auf
Operneffekte
wollten wir ja
verzichten.
Die
intensivsten
Bilder
entstehen,
wenn nur eine
Person auf der
leeren Bühne
vor dem
Rundhorizont
in ihre Seele
blicken lässt
(Neu-Bayreuth
lässt grüßen),
so wie bei
Lenskis Arie,
zu der Tatjana
unnötigerweise
an der linken
Proszeniumsseite
erscheint.
Dass Monsieur
Triquet mit
Joker-Mund im
weiß
geschminkten
Gesicht und
einer Wein-
oder doch eher
Wodka-Flasche
auftritt,
macht wenig
Freude und
erschließt
sich nicht.
Eher peinlich
wirken auch
die goldenen
Spitzhütchen
der
Gremin-Gesellschaft,
die sich für
die Musik viel
zu wild und
ausgelassen
gebärdet und
dazu noch eine
Polonäse
marschiert,
die mit dem
polnischen
Nationaltanz
Polonaise so
gar nichts zu
tun hat.
Nicht immer
geht die
Absicht auf,
das
Seelenleben
der Personen
bewegend auf
der fast
leeren Bühne
zu
fokussieren,
es entstehen
auch Längen
und manchmal
ist es einfach
fad. Die Gags,
dass sich
Lenski und
Onegin mit
einer Autohupe
ankündigen,
und den,
irgendwen
vernehmlich
mit den
Kranichen
ziehen zu
lassen, konnte
sich die Regie
dann doch
nicht
verkneifen.
Maximilian
Krummen, Ivi Karnezi
Wie
jedes Mal seit
ihrem Einbau
habe ich mit
der
elektronischen
Akustikverbesserungsanlage
des
Braunschweiger
Hauses meine
Probleme. Sie
bewirkt einen
zu präsenten,
unnatürlich
wirkenden,
einfach auch
zu lauten
Klang, sowohl
des Orchesters
als auch der
Stimmen, so
dass eine
Einschätzung
der einzelnen
Stimmvolumen
nicht wirklich
möglich ist.
Mit schlankem,
höchst
angenehm
timbriertem,
gleichmäßig
durchgeformtem
Bariton
überzeugt
Maximilian
Krummen als
Onegin. Joska
Lehtinen
spielt den
Lenski sehr
intensiv.
Seinem etwas
schmal
klingenden
Tenor wäre für
diese Partie
mehr lyrisches
Stimmmaterial
zu wünschen,
vielleicht
kommt der
Lenski für ihn
auch einfach
noch zu früh.
Mit warmem
Timbre und
hoher
Stimmkultur
ist Ivi
Karnezi eine
jugendliche
Tatjana, die
die Briefszene
vorbildlich
singt. Die
Überzeugungskraft
ist aber noch
ausbaufähig.
Valentin
Anikin
begeistert als
Gremin mit
sattem,
wohlklingendem,
technisch
präzisem Bass
und
eindringlicher
Gestaltung
seiner
Liebeserklärung
an die Liebe.
Zhenyi Hou
spielt eine
resolute
Filipjewna,
die mit
stimmvollem
Mezzo ihre
Lebensgeschichte
zum
Steinerweichen
gestaltet. Als
Triquet
berührt
Sungmin Kang
mit einem
geradezu
zärtlich
gesungenen
Couplet. Mit
Milda Tubelytė
als Olga und
Edna Prochnik
als Larina
sind diese
Partien ebenso
adäquat
besetzt wie
die des
Saretzki mit
Rainer Mesecke
und die des
Hauptmanns mit
Peter Hamon.
Mit einigen
sich gewaltig
aufbäumenden
Momenten, aber
doch
überwiegend
unauffällig
leitet GMD
Srba Dinić den
Abend mit
kapellmeisterlicher
Präzision. Der
kultivierte
Chorklang
bildet einen
stabilen
Eckpfeiler und
das
konzentriert
spielende
Orchester eine
sichere
musikalische
Basis.
FAZIT
Eine szenische Interpretation
mit bewegenden und spannenden
Gedanken, eindrucksvollen
Bildern, aber nicht durchweg
fesselnder Umsetzung.
Maximilian Krummen ist ein
wunderbarer Onegin.
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Meinung ?
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Srba Dinić
Inszenierung
Isabel Ostermann
Bühne
Stephan von
Wedel
Kostüme
Julia K. Berndt
Choreograpfie
Markus Schneider
Chor
Georg
Menskes
Johanna Motter
Dramaturgie
Theresa Steinacker
Chor
des Staatstheaters Braunschweig
Statisterie
des Staatstheaters Braunschweig
Staatsorchester
Braunschweig
Solisten
*Besetzung der hier
besprochenen
Premiere
Eugen Onegin
Zachariah N. Kariithi
*Maximilian Krummen
Tatjana
*Ivi Karnezi
Ekaterina Kudryavtseva
Olga
Milda Tubelytė
Lenski
Kwonsoo Jeon
*Joska Lehtinen
Larina
Edna Prochnik
Fürst Gremin
*Valentin Anikin
Jisang Ryu
Filipjewna
Zhenyi Hou
Saretzki
Rainer Mesecke
Triquet
Sungmin Kang
Hauptmann
Peter Hamon
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Staatstheater
Braunschweig
(Homepage)
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