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b.41

Forgotten Land

Ballett von Jiří Kylián
Musik von Benjamin Britten (Sinfonia da Requiem op. 20)

Lamentation

Ballett von Martha Graham
Musik von Zoltán Kodály (Klavierstück op.2 Nr.30)

Steps in the Street

Ballett von Martha Graham
Musik von Wallingford Riegger (New Dance op.18b)

Cellokonzert (Uraufführung)

Ballett von Martin Schläpfer
Musik von Dmitri Schostakowitsch (Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 2 g-Moll op.126)

Aufführungsdauer: ca. 2h 15' (zwei Pausen)

Premiere am 23. November 2019 im Opernhaus Düsseldorf


Homepage

Ballett am Rhein / Rheinoper
(Homepage)
Hach!

Von Stefan Schmöe / Fotos von Gert Weigelt

Es ist ein Werk des Abschieds, das Martin Schläpfer mit dem Cellokonzert (dem zweiten von Schostakowitsch) geschaffen hat: Seine letzte Uraufführung für das Ballett am Rhein, bevor er am Ende dieser Spielzeit Düsseldorf und Duisburg verlassen und nach Wien ziehen wird. Noch einmal choreographiert er für die gesamte Kompagnie und das jeweils hauseigene Orchester, bei dieser Düsseldorfer Premiere also die Düsseldorfer Symphoniker mit GMD Axel Kober am Pult (und dem ausgezeichneten Solocellisten Nikolaus Trieb als Solist). Fehlt nur noch der Opernchor, mit dem Schläpfer u.a. das Deutsche Requiem von Brahms, im Rückblick eines der wichtigsten Werke dieser Ära, aufgeführt hat. Aber der Düsseldorfer Noch-Chef dürfte ganz gut beschäftigt sein mit der Planung seiner ersten Wiener Saison, da ist ein mittelgroßes Stück wie das halbstündige Cellokonzert, klangvoll mit warmen Farben und ohne die ganz großen Schärfen begleitet (wie auch in den anderen Choreographien des Abends), eben auch die machbare Lösung gewesen sein. Viel Umbruch zwischen Rhein und Donau - und das ist auch tänzerisch zum Thema geworden.

Vergrößerung Cellokonzert: Ensemble

Es ist, was auch sonst, ein typischer Schläpfer geworden. Immer wieder glaubt man liebevolle Selbstzitate zu erkennen, mit feiner Ironie eingestreut. An Ideen mangelt es nicht (und Ökonomie der Mittel war nie Schläpfers Thema). Eine unerwartete Armbewegung, die den Ablauf unterbricht; ein plötzliches rhythmisches Muster mit den Füßen geklopft. Und natürlich der Spitzenschuh, dem Schläpfer stets in einer Art Hassliebe verbunden war, der malträtiert noch einmal nach Kräften den Tanzboden wie eine Waffe. Schläpfer erzählt einmal mehr keine große, aber tausend ganz kleine Geschichten. Kein Handlungsballett, aber kaum ein Takt, der nicht seine eigene Anekdote zu berichten weiß. Beginnend im schläpferschen Halbdunkel, Beleuchtung (wie, der Erinnerung nach, so oft) von der Seite, die Gassen betonend, im leider diesmal eher banalen Bühnenbild (Marcus Spyros Bertermann) mit einem arg beliebigen rechtwinklig-spiralförmigem Muster im Hintergrund, vor dem irgendwelche nicht weiter erkennbaren Dinge liegen - vielleicht ein Verweis auf die anstehenden Aufräumarbeiten.

Vergrößerung

Cellokonzert Calogero Failla, Yuko Kato

Wehmut und Witz sind die Pole, zwischen denen sich die Grundstimmung dieses Balletts bewegt. Schon die erste Szene zeigt diese Ambivalenz, da lehnt Yuko Kato, vornüber gebeugt, mit dem Kopf an der Brust von Calogero Failla. Vielleicht das Ende eines Kampfes, vielleicht die Suche nach Schutz, vielleicht auch ein Moment der Erschöpfung, aber in jedem Fall von so eigentümlicher Spannung jenseits von Pathos (und von Eindeutigkeit), dass dem Moment eine leise Selbstironie innewohnt. Es gibt tolle Ensembles, immer wieder aus Paaren aufgebaut, dann wieder nach Geschlechtern getrennt. Am Ende des ersten Satzes gehen alle in ein unbestimmtes Dunkel nach hinten ab, auch so eine Abschiedsgeste. Zuvor, irgendwann im ersten Satz, seufzt die ganze Kompagnie geschlossen auf: Hach! Irgendwie trifft es die Stimmung.

Vergrößerung Cellokonzert: Marcos Menha

Am prägnantesten ist der zweite Satz geraten, mit einer Folge von Soli und Pas de Deux. Zwei so unterschiedliche (und die Schläpfer-Zeit prägende) Stars wie Marcos Menha und Chidozie Nzerem bekommen (neben manchen anderen) noch einmal große Auftritte, und dann natürlich auch, viel zu kurz, Marlúcia do Amaral, gerade mit dem Theaterpreis "Der Faust" ausgezeichnet. Wie eine außer Kontrolle geratene Puppe bewegt sie sich und erzeugt mit ihrer irrsinnigen Intensität einen dieser magischen Theatermomente, in denen man alles herum vergisst. In diesen zwei, drei Minuten wird Cellokonzert von einer starken, virtuosen und reflektierten Choreographie zum Meisterwerk. Das Finale greift dann wieder den anstehenden Umbruch auf: Ein Teil des Ensembles bleibt zusammen, ein anderer geht nach und nah nach hinten ab, einzelne durchwandern den gleißenden Lichtkegel eines Spots, werfen aus dem Halbdunkel einen Blick zurück. Abschied und Aufbruch eben.

Vergrößerung

Lamentation: Camille Andriot

Zuvor huldigt Schläpfer der großen Martha Graham, und wenn das Cellokonzert einen resümierenden Endpunkt markiert, dann sind Lamentation und Steps in the City Ausgangspunkte, auf die Schläpfer sich in seiner Tanzsprache bezieht - signature works mit Signalwirkung für die Tanzgeschichte. In der nur wenige Minuten kurzen Lamentation zu enem Klavierstück von Kodály sitzt eine Tänzerin (eindrucksvoll: Camille Andriot) auf einer Bank, in ein Tuch gehüllt wie in einen Kokon oder ein Leichentuch. Die Beine sind gespreizt, aber nicht als frivole Geste, sondern in einer skulpturalen Form, die an eine Pietá erinnert, eine mater dolorosa (und der Titel bezieht sich auf die alttestamentarischen Klagelieder Jeremias - Wie ist die Stadt so wüst, die einst so voller Menschen war). Es folgt ein Versuch der Selbstbefreiung. Natürlich hat das heute ein museales Moment und nicht mehr die Radikalität von 1930, als ein im Sitzen "getanztes" Stück ein Affront gewesen sein muss, aber beeindruckend ist es allemal.

Vergrößerung Steps in the City: Ensemble

Steps in the Street ist ein Werk mit klaren politischen Bezügen aus dem Jahr 1936 (Martha Graham verweigerte seinerzeit eine Choreographie für die olympischen Spiele im Nazi-Berlin) für zehn Tänzerinnen. Auch das rund zehnminütige Ballett mit Musik des amerikanischen Komponisten Wallingford Riegger beginnt mit einer an sich untänzerischen Figur: Die linke Hand fasst an die rechte Schulter, der rechte Arm liegt vor dem Bauch. Auch hier ein skulpturales Element, und die Tänzerinnen bilden immer wieder eine geschlossene Armada. Manche Sprünge mit gespreizten Beinen und angewinkelten Füßen wirken ein wenig niedlich, aber insgesamt verfehlt die strenge Choreographie nicht ihre Wirkung. Zuletzt kämpft sich Wun Sze Chan allein in Gegenbewegung durch die starre Formation der anderen hindurch - ein eindrucksvolles Symbol des Widerstands.

Vergrößerung

Forgotten Land: Ensemble

Am Anfang dieses Abends hätte George Balanchine stehen können, auch Hans van Manen (zwei feste Bezugspunkte für das Oeuvre Schläpfers), aber der Ballettchef hat sich für Jiří Kylián entschieden (der in Düsseldorf zuletzt mit der Psalmensymphonie im Ballettabend b.10 zu erleben war). Forgotten Land knüpft insofern an Martha Graham an, als dass die Musik - Benjamin Brittens Sinfonia da Requiem von 1940 - in zeitlicher (und mit Blick auf die pazifistische Grundhaltung) auch gedanklicher Nähe zu ihr steht, Kylián sich wiederum sehr eng auf die Komposition und den Komponisten einlässt. Brittens Herkunft von der englischen Ostküste spiegelt sich im erlesen schönen Bühnenbild (Ausstattung: John Macfarlane), das ein Meerespanorama andeutet, in wechselnden Stimmungen fast realistisch ausgeleuchtet (Licht: Kees Tjebbes nach Hans-Joachim Haas). Einen weiteren Ausgangspunkt bildet ein Gemälde von Edvard Munch, Der Tanz des Lebens von 1899/1900. Munch zeigt tanzende Paare am Strand, eine Frau in drei Lebensstadien, und in Kyliáns Choreographie sind die Kleider aus dem Gemälde aufgegriffen. Vergänglichkeit und Ewigkeit, dazu die in Brittens Musik mehr als unterschwellige Kriegsangst stecken den Rahmen ab. Kylián setzt oft sehr genau die Musik in Bewegung um; ein musikalischer Aufschwung korrespondiert mit einer großen Hebefigur oder weiten Sprüngen. Das gibt tolle Bildwirkungen und führt zu einer sehr effektvollen, dabei klar strukturierten Choreographie, die sich vor lauter Schönheit am Ende aber doch ein wenig in ihren Bildwelten erschöpft.


FAZIT

Von diesem nicht ganz großen, aber doch eindrucksvollen Tanzabend gehen keine neuen Impulse aus, er zieht vielmehr ein wehmütiges Resümee der Ära Schläpfer in Düsseldorf und Duisburg.


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Produktionsteam

Forgotten Land

Choreographie
Jiří Kylián

Bühne und Kostüme
John F. Macfarlane

Licht
Kees Tjebbes
nach Hans-Joachim Haas

Einstudierung
Cora Bos-Kroese
Elke Schepers

Musikalische Leitung
Axel Kober

Düsseldorfer Symphoniker

Tänzerinnen und Tänzer

Paar in Schwarz
Feline van Dijken
Rashaen Arts

Paar in Rot
Aleksandra Liashenko
Orazio di Bella

Paar in Grau
Alexandra Inculet
Philip Handschin

Paar in Weiß
Wun Sze Chan
Marcos Menha

Paar in Pink
Sonia Dvořák
Brice Asnar

Paar in Beige
Tessa Vanheusden
Alexandre Simões

Uraufführung: 12. April 1981,
Stuttgarter Ballett




Lamentation

Choreographie und Kostüm
Martha Graham

Licht
Beverly Emmons

Einstudierung
Elizabeth Auclair

Klavier
Eduardo Boechat


Tänzerinnen und Tänzer

*Besetzung der rezensierten Aufführung

* Camille Andriot /
Virginia Segarra Vidal

Uraufführung: 8. Januar 1930,
Martha Graham, New York




Steps in the Street

Choreographie
Martha Graham

Licht
Beverly Emmons

Einstudierung
Elizabeth Auclair

Musikalische Leitung
Axel Kober

Düsseldorfer Symphoniker


Tänzerinnen und Tänzer

*Besetzung der rezensierten Aufführung

Vivian de Britto Schiller
Wun Sze Chan
Feline van Dijken
Sonia Dvořák
Alexandra Inculet
Helen Clare Kinney
Aleksandra Liashenko
Marié Shimada
Gloria Todeschini
Masha Tolstunova

Uraufführung: 20. Dezember 1936,
Martha Graham Dance Company,
New York




Cellokonzert

Choreographie
Martin Schläpfer

Bühne
Marcus Spyros Bertermann

Kostüme
Hélène Vergnes

Licht
Thomas Diek

Dirigent
Axel Kober

Violoncello
Nikolaus Trieb


Tänzerinnen und Tänzer

Marlúcia do Amaral
Camille Andriot
Rashaen Arts
Brice Asnar
Doris Becker
Orazio di Bella
Yoav Bosidan
Vivian de Britto Schiller
Rubén Cabaleiro Campo
Wun Sze Chan
Edward Cooper
Feline van Dijken
Sonia Dvořák
Calogero Failla
Michael Foster
Eleanor Freeman
Philip Handschin
Vincent Hoffman
Alexandra Inculet
Yuko Kato
So-Yeon Kim
Helen Clare Kinney
Marjolaine Laurendeau
Aleksandra Liashenko
Sinthia Liz
Sonny Locsin
Norma Magalhães
Pedro Maricato
Marcos Menha
Asuka Morgenstern
Tomoaki Nakanome
Chidozie Nzerem
Kristián Pokorný
Boris Randzio
Virginia Segarra Vidal
Marié Shimada
Alexandre Simões
Daniel Smith
Arthur Stashak
Gloria Todeschini
Masha Tolstunova
Tessa Vanheusden
Daniel Vizcayo
Eric White



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Ballett am Rhein
(Homepage)



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