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Bauhaus 100

Tanzarchitekturen von Oskar Schlemmer, Wubkje Kuindersma und Nicole Aebersold

Das Triadische Ballett
von Oskar Schlemmer (1922)
Rekonstruktion und Choreographie von Gerhard Bohner (1977), Musik von Hans-Joachim Hespos
Gastspiel des Bayerischen Junior-Ballett München (Neuproduktion 2014)

Fluid Housing (Uraufführung 2019)
Choreographie von Wubkje Kuindersma, Musik von Valgeir Siguršsson

Aufführungsdauer: ca. 2h 20' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 24. November 2019



Theater Dortmund
(Homepage)

Bauhaus gestern und heute

Von Thomas Molke / Fotos: © Wilfried Hoesl und Bettina Stöß

2019 feiert die von Walter Gropius gegründete Kunst-, Design- und Architekturschule "Bauhaus" ihr 100-jähriges Jubiläum. Auch in Dortmund soll der runde Geburtstag dieser Richtung, die die Kunst wieder näher an das Handwerk gerückt und auch den Tanz von seiner durch das klassische Spitzenballett entstandenen Künstlichkeit entfernt hat, festlich begangen werden. Aus diesem Grund hat man Das Triadische Ballett, das bei seiner Uraufführung 1922 am Württembergischen Landestheater wie kein anderes Stück diese Kunstrichtung in Reinkultur zelebriert hat, mit einem Auftragswerk für das Ballett Dortmund kombiniert, bei dem die niederländische Choreographin Wubkje Kuindersma gemeinsam mit der Schweizer Animationsfilmerin Nicole Aebersold eine "Tanzarchitektur" unter dem Titel Fluid Housing entworfen hat, das die Grundidee der Bauhaus-Bewegung auf die intermediale Gegenwart überträgt und somit in gewisser Weise fortführt.

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Das Triadische Ballett: Großer Rock (Gelbe Reihe) (© Wilfried Hoesl)

Den Anfang macht Das Triadische Ballett, zu dem das Tänzerehepaar Elsa Höltzel und Albert Burger gemeinsam mit dem Maler, Bildhauer und Bühnenbildner Oskar Schlemmer bereits einige Jahre vor der Geburt des Bauhauses die Idee entwickelten. Einzelne Teile wurden auch bereits 1916 präsentiert. Mit dem Erstarken der Nationalsozialisten 1933 geriet dieses Werk zunächst auf den Index und nach dem Ende des Krieges in Vergessenheit. Erst der Choreograph Gerhard Bohner erweckte diese Kreation anhand von alten Bildern und Augenzeugenberichten 1977 zu neuem Leben, wobei Ulrike Dietrich die Kostüme rekonstruierte. Zwölf Jahre tourte diese Produktion erfolgreich um die ganze Welt, bevor sie mit den Kostümen archiviert wurde. 2014 studierten Ivan Liška und Colleen Scott mit dem Bayerischen Junior Ballett dieses Stück erneut ein und präsentieren es nun fünf Jahre später als Gastspiel in Dortmund.

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Das Triadische Ballett: Drahtrock und Goldkugeln (Schwarze Reihe) (© Wilfried Hoesl)

Ursprünglich war das Stück für eine Tänzerin und zwei Tänzer gedacht, die in abstrakten Kunstfiguren einen Reigen farbiger Kostümgebilde präsentieren. Eine Handlung im eigentlichen Sinn hat das Stück nicht, sondern bedient ein Kernthema des Bauhaus: das Verhältnis von Mensch und Raum. "Triadisch" steht für jeweils drei Konzepte, die in unterschiedlicher Hinsicht von jeweils drei Tänzerinnen und Tänzern durchleuchtet werden. Da sind zunächst mit Raum, Form und Geste drei Bewegungsformen zu nennen, die in drei unterschiedlichen Lichtgestaltungen, erst gelbe, dann rote und schließlich schwarze Reihe, die Tänzerinnen und Tänzer in ganz anderem Licht erscheinen lassen. Großartig gestaltet sind die Kostüme, die sich aus drei unterschiedlichen geometrische Figuren, Kreis, Rechteck und Dreieck, zusammensetzen und optisch einiges zu bieten haben. Auch das Bewegungsvokabular wechselt zwischen filigranem Spitzentanz als reiner Gymnastikübung und abstraktem Bewegungsvokabular. Die einzelnen Szenen werden durch einen jeweiligen Black verbunden. Insgesamt treten sechs Tänzerinnen und sieben Tänzer in den aneinander gereihten Szenen auf.

Die Musik von Hans-Joachim Hespos, die erst bei der Rekonstruktion 1977 hinzugefügt wurde, erweist sich in ihren Klangcollagen als stellenweise sehr anstrengend und führt zu einigen Längen, von denen allerdings die großartigen Kostüme ablenken. Zu nennen sind beispielsweise in der ersten Szene eine Tänzerin in einem steifen bunten Rock, der die Frau mit ihrer Kopfbedeckung wie einen Kreisel erscheinen lässt, ein Hampelmann, der einzelne Holzteile vor sich herträgt, und eine Tänzerin im schwarzen Kostüm, deren Körper und Kopf mit zahlreichen ineinander verschränkten dünnen Drahtringen verziert ist. Eine kleine Geschichte wird von zwei Harlekinen erzählt, die beide um eine schöne Ballerina buhlen. Während der erste Harlekin schon glaubt, die Herzensdame für sich gewonnen zu haben, taucht plötzlich der zweite Harlekin auf und kann ihm die schöne Frau ausspannen. Am Ende tritt eine Gestalt auf, die völlig mit geometrischen Formen bedeckt ist und dadurch in ihrer Bewegung sehr eingeschränkt ist. Das Publikum feiert diesen ersten Teil mit großem Beifall.

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Fluid Housing: Shai Ottolenghi in einer beeindruckenden Video-Projektion (© Bettina Stöß)

Nach der Pause folgt dann die Choreographie Fluid Housing von Wubkje Kuindersma, die den Dortmundern noch durch das berührende Pas de deux Two and Only, das 2017 in einer Ballettgala vorgestellt wurde und kurz darauf für den Prix Benois nominiert wurde, und durch die Choreographie Kintsukuroi in Erinnerung sein dürfte, die in der letzten Spielzeit im Rahmen des Ballettabends Visionen zu erleben war (siehe auch unsere Rezension). Fluid Housing lässt sich im Deutschen ungefähr mit "flexibler Wohnungsmarkt" wiedergeben und handelt von einer Utopie, in der knapper Wohnraum digital erschaffen und damit für alle nutzbar gemacht werden kann. Dafür kreiert Nicole Aebersold ein intermediales Bühnenbild, das die digitale Welt in einer abstrakten Animation mit den analogen Menschen auf der Bühne in Verbindung setzt. Die Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich hinter einem durchsichtigen Gaze-Vorhang, so dass Bilder sowohl vor als auch hinter sie projiziert werden können. Am Anfang steht ein einsamer Tänzer (Shai Ottolenghi) auf einer leeren Bühne und schafft sich durch den Tanz einen Raum. Einzelne Bewegungen gehen in Linien und Striche über, die auf den Hintergrund und vor Ottolenghi projiziert werden. So entsteht allmählich ein Gebilde, das ihn einrahmt.

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Fluid Housing: Auf der Suche nach Wohnraum (Ensemble) (© Bettina Stöß)

Allmählich verselbständigt sich dieser Raum und beginnt, mit einer faszinierenden Tricktechnik Ottolenghi zu umkreisen. Dabei wechselt Ottolenghi scheinbar von einem Raum in den nächsten, bis er wieder im völligen Dunkel verschwindet. Jetzt erscheint eine Art weißes Fenster, und man sieht auf der linken Seite im fahlen Licht weitere Tänzerinnen und Tänzer, die hier Einlass zu begehren scheinen. Dann regnet es in der Projektion plötzlich in Strömen, und man meint, die kalte Nässe im Zuschauerraum regelrecht spüren zu können. Die Suche nach neuen Räumen geht weiter, in immer wieder neuen Konstellationen. In einem Moment hat man sogar das Gefühl, dass ein Tänzer von den Projektionen zu Boden gedrückt wird. Die Projektion wälzt sich auf den Tänzer herab und er verschwindet scheinbar im Nichts. Fließend gehen im Folgenden die einzelnen entstandenen Räume in Strukturen über, die an den Moloch der Großstadt erinnern, bevor sich die Projektion schließlich zu einer globalen Dimension ausweitet. Am Ende kehrt alles wieder in den Ursprung, den menschlichen Körper, zurück.

Die Musik zu diesem Teil stammt von dem isländischen Komponisten Valgeir Sigurðsson, der sich auf elektronische Klänge spezialisiert hat, und erinnert in ihrem Aufbau und den häufigen Wiederholungen stellenweise an die Minimal Music von Philip Glass. Bisweilen meint man auch Reminiszenzen an die Klangcollagen aus dem ersten Teil des Abends zu erkennen, nur dass diese mit der Choreographie und den Bildern eine engere Einheit eingehen als die Musik im Triadischen Ballett. Die drei Tänzerinnen und Tänzer des Ballett Dortmund werden genauso wie Kuindersma und Aebersold frenetisch gefeiert.

FAZIT

Der Abend setzt vor allem optische Akzente und schafft eine gelungene Verbindung zwischen Bauhaus der Vergangenheit und einer intermedialen Weiterentwicklung in der Gegenwart.


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Produktionsteam

Das Triadische Ballett

Rekonstruktion und Choreographie
Gerhard Bohner

Kostümrekonstruktion und Neufassung
Ulrike Dietrich

Einstudierung
Ivan Liška
Colleen Scott

 

Tänzerinnen und Tänzer

Anna Greenberg
Lotte James
Hannae Miquel
Benedetta Musso
Olivia Swintek
Isabella Wagar
Joaquin Angelucci
Tobias de Gromoboy
Eduardo La Vecchia
Pablo Martinez
Hélian Potié
Lucas Praetorius
Daniel Robertson-Styles

 

Fluid Housing

Inszenierung und Choreographie
Wubkje Kuindersma

Animation, Videodesign,
intermediales Bühnenbild
Nicole Aebersold

Lichtdesign
Ralph Jürgens

Dramaturgie
Christian Baier

 

Tänzerinnen und Tänzer

Charlotte Amalie Kragh
Caroline Vandenberg
Alisa Uzunova
Simon Jones
Lúcio Kalbusch
Shai Ottolenghi

 


Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
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