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Läuterung durch die Elemente Von Thomas Molke / Fotos: © Maria-Helena Buckley
Für einen Zeitraum von drei Jahren hat der Dortmunder Ballettdirektor Xin Peng Wang gemeinsam mit seinem Chefdramaturgen Christian Baier ein Projekt geplant, das wohl als einzigartig in der Tanzwelt beschrieben werden kann. Nachdem die beiden in den vergangenen Spielzeiten zahlreiche Klassiker der Weltliteratur für den Tanz erschlossen haben - zu erwähnen sind hier unter anderem Leo Tolstois Roman Krieg und Frieden, der auf dem chinesischen Nationalroman basierende Traum der roten Kammer, Thomas Manns Zauberberg und zuletzt beide Teile von Goethes Faust - widmen sie sich nun der Divina Commedia von Dante Alighieri, einem Versepos, das als die bedeutendste Dichtung der italienischen Literatur gilt und gleichzeitig die italienische Sprache als Schriftsprache begründet hat. In drei Büchern beschreibt Dante in insgesamt 100 Gesängen all das, was die westliche Vorstellung des Jenseits nachhaltig geprägt hat. Nachdem Wang und Baier in der vergangenen Spielzeit in die Feuerschlünde des Inferno hinabgestiegen sind (siehe auch unsere Rezension), erklimmen sie nun die Anhöhe des zweiten Teils, Purgatorio. 2021, im 700. Todesjahr Dantes, soll dann schließlich ein Blick ins Paradiso geworfen werden. Dann sollen auch alle drei Teile zu einem großen Abend mit zwei Pausen vereint werden. Dante (Javier Cacheiro Alemán) und die Seele (Daria Suzi) Dantes Purgatorio besteht aus 33 Gesängen, die den Weg der Läuterung auf einen Berg beschreiben, der in sieben Windungen zum Himmel führt. Allerdings erschweren hier nicht nur steile Anhöhen den Aufstieg, sondern am Ende steht auch die hohe Flammenwand des Fegefeuers, die es zu durchschreiten gilt. Wang orientiert sich für die Läuterung an den vier Elementen Blut (stellvertretend für die Erde), Luft, Wasser und Feuer, die der menschlichen Seele helfen sollen, sich von allem "Unreinen" zu befreien und in die nächste Sphäre übergehen zu können. Zu Beginn wählt er ein Bild, das eine Performance der Belgrader Künstlerin Marina Abramovic aufgreift. 1995, als der Bürgerkrieg die Bevölkerung von Ex-Jugoslawien tief gespaltet hat, zeigte sie eine weißgekleidete Frau, die vor einem großen Haufen blutiger Rinderknochen sitzt und versucht, diese zu reinigen. Die blutigen Knochen auf der Bühne mögen für die zahlreichen sündhaften Seelen stehen, die in der Hölle ihr Dasein fristen und auf eine Läuterung hoffen, um rein in das Paradies zu gelangen. Bei Wang heißt die Frau Anima (Seele), sitzt auf den Knochen und singt leise vor sich hin, während sie ohne Erfolg die Knochen vom Blut zu befreien versucht. Clara Pertuy bewegt mit ihrer intensiven Darstellung, die von großer Trauer zeugt. Allmählich kommen Tänzerinnen und Tänzer hinzu, die in ihren Kostümen an Figuren aus der Ausstellung Körperwelten erinnern, nehmen sich einzelne Knochen und ahmen die Reinigung nach. Auch Dante (Javier Cacheiro Alemán) wird von Vergil (Dann Wilkinson) und einem Erzengel (Guillem Rojo i Gallego) hierhin geführt und verfolgt betrachtend diesen Prozess. Vergil (Dann Wilkinson) führt auf dem Weg der Läuterung. Es folgt das Element Luft. Hier lässt sich Wang von einem Bild in Hongkong inspirieren. Eine alte chinesische Frau steht am Meer und schlägt sich im Takt zum Wehen des Windes und Brausen des Meeres mit den flachen Händen auf Hals und Schultern, Brust und Lenden, um die stockenden Säfte des Körpers wieder in einen Fluss zu bringen. Tänzerinnen und Tänzer, die immer noch in den Kostümen der Körperwelten auftreten, führen dieses Ritual durch und entwickeln dabei einen ganz eigenen Rhythmus, der schließlich durch die Musik durchbrochen wird. Im Gegensatz zu Inferno wird dieser Abend von den Dortmunder Philharmonikern unter der Leitung von Philipp Armbruster begleitet. Als Musikstücke hat Wang zum einen Auszüge aus dem Vokalzyklus The Open Road von Kate Moore ausgewählt, aus dem bereits in Inferno Ausschnitte zu hören waren. Der Mittelteil stammt von John Luther Adams, der mit seinem 2014 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichneten polydimensionalen Orchesterwerk Become Ocean dem Meer ein neues Klangdenkmal gesetzt hat, in der die Entstehung, Formung, Ballung und Entspannung einer Meereswelle als gewaltiger orchestraler Akt hörbar wird. Eine weitere Klangcollage unter dem Titel Les Adieux hat Pascal Sevajols, Ballettkorrepetitor in Dortmund, beigesteuert. Armbruster führt das Orchester mit sicherer Hand durch diese durchweg modernen Klangwelten, die mit dem abstrakten Tanz auf der Bühne eine ästhetische Einheit eingehen. Dante (Javier Cacheiro Alemán) wird von den Versuchungen (Clara Sorzano Hernandez, Manuela Souza und Amanda Vieira) umgarnt. Auf dem Weg verändern sich nun bei einzelnen Tänzerinnen und Tänzer die Kostüme. Einigen scheint dieser Läuterungsprozess recht gut zu gelingen, und so treten die Tänzerinnen bereits in reinen weißen Gewändern oder die Männer mit nackten Oberkörpern auf. Doch auf dem Weg gibt es auch immer wieder Hindernisse. So wird Dante plötzlich von drei Versuchungen (Clara Sorzano Hernandez, Manuela Souza und Amanda Vieira) umkreist, deren Kostüme noch ganz die blutige Farbe der Schuld zeigen. Gemeinsam versuchen sie, Dante von seinem rechten Weg abzubringen. Doch da ist zum Glück die "reine" Seele (Daria Suzi), die optisch ein wenig an die Muse Beatrice aus dem ersten Teil erinnert, hier allerdings nicht so genannt wird. Ihr gelingt es immer wieder, Dante auf den rechten Pfad zurückzubringen und ihm bei dem beschwerlichen Anstieg zur Seite zu stehen. Auch der Erzengel (Guillem Rojo i Gallego) setzt autoritär seine Mittel ein, damit der Weg in die richtige Richtung fortgesetzt wird. Die Windungen lassen sich dabei allerdings nur erahnen. Auch die Ketten aus dem ersten Teil tauchen wieder auf. Hier scheint Dante erneut der Verzweiflung zu erliegen und aufgeben zu wollen, doch unter der Leitung Vergils geht es weiter. Der Erzengel (Guillem Rojo i Gallego, Mitte) weist den Weg in den nächsten Bereich (im Hintergrund: Anima (Clara Pertuy), rechts und links: Corps de Ballet). In einer beeindruckenden Videoprojektion sieht man anschließend Sturzbäche von Wasser über die Bühne fließen. Zunächst ist es ein prasselnder Regen, der die Seelen herabzudrücken scheint. Dann scheint dieses Wasser jedoch in der Lage zu sein, die Seelen von ihren Sünden reinzuwaschen. Dante begegnet nun vier Verheißungen (Stephanine Ricciardi, Manuela Souza, Sayaka Wakita und Amanda Vieira), die ihm in betörenden kurzen Pas de deux ein Ende der Qualen versprechen. Zu Kate Moores The Art of Levitation folgen dann die eindrucksvollsten Bilder des Abends. In einer Videoprojektion auf jeweils einem Gaze-Vorhang vor und hinter der Bühne sieht man die brennenden Seelen in den Kostümen der Körperwelten schweben. Auch sie sind also im Fegefeuer angekommen, wo nun ihre Schuld weggebrannt werden soll. Dahinter sieht man Dante zunächst abwechselnd mit den einzelnen Verheißungen. Am Ende dreht die Seele freudige Pirouetten auf Spitze, die andeuten, dass das Fegefeuer bald überwunden ist. Der Erzengel steht nun vor dem Eingang zum Paradies. Auch die Frau (Anima) aus dem ersten Bild taucht wieder auf, hat ihr Reinigungsritual beendet und sitzt auf einem quadratischen silbernen Berg. Langsam senkt sich der Vorhang. Das Publikum lässt dieses bewegende Bild nicht wirken, sondern applaudiert direkt in den herabsinkenden Vorhang. Hier hätte man sich vielleicht einen Moment der Besinnung gewünscht. Aber die Begeisterung scheint bei großen Teilen des Publikums einfach zu groß. So werden die Tänzerinnen und Tänzer, das Orchester und auch der Ballettdirektor mit seinem Team mit großem Jubel bedacht. FAZITXin Peng Wang findet auch für den den zweiten Teil seiner Balletttrilogie bewegende Bilder, die unter die Haut gehen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Choreographie
Bühnenbild und Video
Kostüme
Lichtdesign
Konzept, Szenario und Dramaturgie
Dortmunder Philharmoniker
Tänzerinnen und Tänzer *Premierenbesetzung
Dante
Vergil Simon Jones
Seele
Erzengel
Versuchungen
Verheißungen
Anima
Corps de Ballet
*Simone Dalè
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