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Das Gespenst der Vergangenheit
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Forster Das russische Reich hat auch schon mal bessere Tage gesehen. Die Menschen hausen in einer baufälligen Industriebaracke, das Wasser sammelt sich in einer hässlichen Pfütze am Boden. Der Blick nach hinten zeigt ein Kraftwerk jenseits eines Flusses, und man darf bzw. soll da sicher an Tschernobyl denken (auch wenn das heute gar nicht in Russland, sondern der Ukraine liegt). Tschaikowskis Bruder Modest, der das Libretto nach einer Novelle von Puschkin verfasste, hat eigentlich das prachtvolle zaristische St. Petersburg am Ende des 18. Jahrhunderts vorgesehen. Das war auch 1889, als der Komponist mit der Vertonung begann, bereits Historie. Es ist die Diskrepanz zwischen der tristen Gegenwart und der verklärten Vergangenheit, die Regisseur Philipp Himmelmann ins Zentrum der Regie stellt. Herrmann vor Flusslandschaft mit Kernkraftwerk
Die alte Gräfin, die gemäß dem Libretto als venus moscovite früher einmal die Pariser Salons mit ihrer Schönheit bezaubert hat, ist hier ein Gespenst mit abgehackten, roboterhaften Bewegungen. Sie trägt permanent ein Ölgemälde mit sich herum, dass sie als junge Frau zeigt, und in der Szene, in der die Gesellschaft eigentlich die Ankunft der Zarin begrüßt, wird eben sie angesungen - und wird somit zur Personifizierung der glorreichen Vergangenheit, die allerdings offensichtlich dem Irrsinn der Gegenwart gewichen ist. Helena Rasker spielt und singt die Partie eindrucksvoll und umgibt die Figur mit der rätselhaften Aura, die sowohl Puschkins Vorlage und dem Libretto (wo sie um das Geheimnis der drei Spielkarten weiß, die zum Sieg im Kartenspiel führen) als auch Himmelmanns Übertragung gerecht werden. Lisa vor edlem Vorhang
Der schöne Schein, das Ausblenden der Realität, findet ein optisches Pendant in golddurchwirkten schwarzen Vorhängen, sehr edel, die Bühnenbildner Johannes Leiacker immer wieder herabfahren lässt und mit denen die trübe Aussicht auf den Kraftwerkskomplex verdeckt wird - die aber auch immer wieder plötzlich herabfallen. Nicht immer wird klar, warum das im jeweiligen Moment geschieht, aber als bildmächtige Chiffre für den Widerspruch von Schein und Sein hat macht das durchaus großen Effekt. Zur Schlüssigkeit des Konzepts trägt auch bei, dass ein paar Stellen gestrichen und die Oper mit einer Dauer von rund zwei Stunden ohne Pause gespielt wird - ein konzentriert gearbeitetes Gesellschaftspanorama am Ende der russisch-sowjetischen Großmacht. Die Gräfin mit lustig verkleidetem Choristen
Nicht ganz so überzeugend gelingt es Himmelmann, in diesem Rahmen das Figurentableau der Oper zu entfalten. Es wird nicht ganz klar, was die schöne Lisa in diese raue Welt verschlagen hat (Gabrielle Mouhlen, eine blendende Erscheinung, singt eindrucksvoll und ungemein intensiv, hat aber ihre Schwierigkeiten mit der - oft gepressten - hohen Lage) und warum sie sich in den wenig charismatischen Arbeiter Herrmann (Sergey Polyakov mit in allen Registern souveränem, etwas kehligem Tenor) verliebt - da müsste die Regie irgendein plausibles Moment einbauen, dass die beiden verbindet; eine Möglichkeit, der Tristesse zu entkommen, zeichnet sich nicht ab. Lisas Verlobter Jelitzki (Heiko Trinsinger mit schnörkellosem, zuverlässigem Bariton) ist ein braver, leidlich eleganter Anzugträger und wäre jedenfalls die passendere Partie (was natürlich dem Libretto entspricht). Almas Svilpa singt einen stimmgewaltigen, raubeinigen Tomski, Freund Herrmanns, und auch die kleineren Partien sind überzeugend besetzt. Einmal mehr sehr zuverlässig agiert der Chor des Aalto-Theaters (Einstudierung: Jens Bingert), dessen etwas aufdringlich geratene Kostüme man als lustiges Ratespiel "auf welche Ereignisse der russisch-sowjetischen Historie will Kostümbildnerin Gesine Völlm hier anspielen?" verstehen kann. Herrmann mit Spielkarten
Dirigent Tomas Netopil findet mit den guten Essener Philharmonikern, der Regie entsprechend, einen transparenten, in gewisser Hinsicht "analytischen" Tonfall, geschärft in den Details, mitunter fast filmisch in der Erzeugung unheimlicher Stimmungen. Tschaikowskis Stilwechsel in der Festszene (die Musik des 18. Jahrhunderts zitiert) bekommen etwas von der Doppelbödigkeit moderner russischer Komponisten wie Alfred Schnittke, und insgesamt rückt er damit die Partitur weg von der Schauerromantik in ein modernes Licht - das ist ein durchaus aufregendes Tschaikowski-Bild.
Dystopischer Blick auf Großrussland - eine szenisch wie musikalisch bemerkenswerte Produktion. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Hermann
Graf Tomski
Fürst Jeletzki
Tschekalinski
Surin
Tschaplitzki
Narumow
Gräfin
Lisa
Polina
Bühnenklavier
Zeremonienmeister
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