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Lady Macbeth von Mzensk

Oper in vier Akten (neun Bildern) (Urfassung von 1930/1932)
Text vom Komponisten und Alexander G. Preis
nach der Novelle Lady Macbeth aus dem Landkreis von Mzensk von Nikolai S. Leskow (1865)
Musik von Dmitri Schostakowitsch

in russischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Frankfurt am 3. November 2019
(rezensierte Aufführung: 14.11.2019)



Oper Frankfurt
(Homepage)
Präzise und zugespitzt

Von Christoph Wurzel / Fotos von Barbara Aumüller

Wer in der Oper Erbauung oder gar Unterhaltung sucht, sollte sich nicht gerade Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk aussuchen. In vier Akten drei Morde, ein Selbstmord, eine Vergewaltigung, eine Auspeitschung und ein mehr gewalt- als liebevoller Geschlechtsakt: harter Tobak für Opernkulinarier. Aber Kulinarik lag dem Komponisten auch gar nicht im Sinn. Ihm ging es um das soziale Drama. Mit der Adaption von Nikolai Leskows Erzählung von 1865 fand Schostakowitsch das Thema für eine geplante (später aber fallen gelassene) dreiteilige Opernserie über die Lage der Frau in Russland vor, während und nach der Revolution. Allerdings legte er zusammen mit seinem Co-Librettisten Alexander Preis auf die weibliche Hauptfigur einen anderen Focus. Aus der blutrünstig mordenden Katerina Lwowna Ismailowa in Leskows Novelle wurde in der Oper eine durch grausame soziale Umstände um Wert und Würde gebrachte Frau, die sich durch den Mord an ihrem autoritären Schwiegervater und ihrem Ehemann aus den Fesseln der Verhältnisse zu befreien sucht. Aber auch bei ihrem Geliebten Sergei findet sie statt Wärme, Zärtlichkeit und Liebe nur Selbstsucht und Brutalität.

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Beziehung ohne Wärme: Katerina (Anja Kampe) und Sergei (Dmitry Golovnin)

Zwangsläufig steuert die Handlung auf ein tragisches Ende hin. Der zweite Mord wird entdeckt, Katarina und ihrem Geliebten steht das Straflager bevor. Auf dem endlosen Weg nach Sibirien demütigt Sergei sie mit einer Mitgefangenen, die Katarina in ihrer peinigenden Hoffnungslosigkeit in den Fluss stößt und sich selbst hinterherstürzt. Im Schlussbild dieser Inszenierung bekommt das Publikum die beklemmende Tragik dieses Frauenschicksals sozusagen hautnah zu spüren, indem der Chor der Gefangenen monoton sein trauriges Marschlied singend an den Zuschauern vorbei durch das Parkett ins Lager weiterzieht.

So hebt der Frankfurter Schauspielintendant Anselm Weber in Schostakowitschs Oper vor allem deren tragische Seite hervor. Der Komponist hatte sein Werk allerdings in gleichem Maße auch satirisch verstanden, denn mit der Darstellung der Geschichte einer Kaufmannsfrau aus dem 19. Jahrhundert wollte er auch die bürgerliche Dekadenz der Zarenzeit kritisieren. Dass Stalin dann 1936 über die Oper das berüchtigte Verdammungsverdikt verhängte ("Chaos statt Musik"), hing mit der vermissten positiven Tendenz zusammen. Weder inhaltlich noch musikalisch entsprach das Werk dem Dogma des "Sozialistischen Realismus", wo Helden als Vorbilder dienen sollen.

Das ist in Schostakowitschs Oper bei keiner der Figuren der Fall. Vor allem musste das Bild einer zur Karikatur verzerrten Polizei auf den vehementen Widerspruch der totalitären Staatsmacht gestoßen sein. In der Frankfurter Inszenierung ist dieses Bild nochmals um einige Grade angeschärft, wenn die Polizisten gelangweilt Chips in sich hineinstopfend über Bildschirme die Bevölkerung durch ihre schwarzen Brillen überwachen und nur darauf warten brutal loszuschlagen, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Nach entsprechendem Hinweis, dass sich in Katarinas Keller eine Leiche befinde, fallen sie dann auch begleitet von einer martialisch hochfahrenden Gewaltmusik über die Hochzeitfeier Katarinas und Sergeis her. Im Ton scheint Schostakowitsch hier den Invasionsfuror der Nazis aus seiner 10 Jahre später komponierten Leningrader Sinfonie vorweggenommen zu haben. Eine der vielen Gelegenheiten, an denen Sebastian Weigle an diesem Abend mit dem Frankfurter Opernorchester Schostakowitschs musikalische Aussage zu  atemberaubender Intensität treibt.

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George Orwell lässt grüßen: Polizeichef (Iain MacNeill im Sessel) und der Schäbige (Peter Marsh mit Mütze) sowie Ensemble

Auf fast leerer Bühne vor schiefergrauem Halbrund-Hintergrund hat Anselm Weber das Drama in einer sozial kalten Welt angesiedelt, einer bewusst im Vagen gelassenen Dystopie aus Gegenwart und Zukunft. Die in futuristische Montur gesteckten Arbeiter der Firma Ismailov erinnern an die entindividualisierten Massen in Fritz Langs Metropolis. Und Katarina versucht sich ihren Frust über die Lieblosigkeit ihres Gatten mittels einer Virtual-Reality-Brille von der Seele zu träumen. Per Projektion können wir dann ihre romantischen Blütenträume miterleben. Im schärfsten Kontrast dazu dominieren im Betriebsklima dieses Kaufmannsgeschäfts nur Aggressivität und Angst, wo der Seniorchef  Boris Ismailov, Katarinas Schwiegervater, vornehmlich mit der Peitsche hantiert. Dass der Alte auch noch ein Auge auf seine Schwiegertochter geworfen hat, macht ihre Lage nur umso gespenstischer. Frauen zählen ohnehin nichts, Dienstboten gelten als Freiwild für Übergriffe und die Ehefrau hat vor allem Nachwuchs zu gebären. Dass Katarina damit wegen ihres impotenten Gatten, des Juniorchefs, nicht dienen kann, ist in den Augen ihres Schwiegervaters Grund genug, sie wie eine Gefangene im Haus zu halten, damit sie sich ja keinen Geliebten sucht. Da es allerdings anders kommt, nimmt das Drama seinen Lauf.

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Erzwungener Treueschwur: Katerina (Anja Kampe), Boris (Dmitry Belosselskiy), Sinowi (Evgeny Akimov) und Ensemble

Anselm Weber hat den Charakteren überaus präzise Konturen gegeben. In der Titelrolle ist Anja Kampe schier überwältigend. Sie ist die frustrierte, aber lebens- und liebeshungrige Frau. Sie ist die selbstbewusste Frau, die sich den Unterdrückungen nicht zu beugen bereit ist. Sie ist aber auch die Frau voller Illusionen gegenüber dem hergelaufenen Arbeiter Sergei, der sie nur benutzt - zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse und als Möglichkeit seines sozialen Aufstiegs. In verhängnisvoller Blindheit wirft sie sich diesem Mann an den Hals. Hoch ist die Fallhöhe aus den verliebten Blütenträumen hinab in tiefste Verzweiflung, wenn ihr am Schluss nur noch blanke Verachtung entgegenschlägt. Anja Kampe beglaubigt dieses Schicksal in enormer Bühnenpräsenz, stimmlich hochexpressiv und mit berührend sinnlichen Vokalfarben.

Starke Stimmen stehen in Frankfurt auch in den männlichen Hauptrollen auf der Bühne. Als Schwiegervater mit herrisch kaltem Bass Dmitry Belosselskiy und in wunderbarem Rollenwechsel im letzten Bild mit dem lyrisch-fatalistischen Lied des alten Zwangsarbeiters, das den Abmarsch der Gefangenen ins Lager begleitet.

Zuerst ein schleimig charmanter Frauenversteher, der sich aber rasch als zynischer Frauenverächter entlarvt - in seinem Frankfurter Hausdebüt gibt der Tenor Dmitry Golovnin ein glänzendes Rollenportrait von Katarinas Geliebtem Sergei in all dessen abstoßender Widerlichkeit. Nach außen im edlen Pelz großspurig, innerlich aber schwach, seinem Vater unterwürfig ergeben und nur durch den wiederholten Griff zum Flachmann einigermaßen mutig, erscheint Katarinas Ehemann Sinowi, den Evgeny Akimov ebenso eindrucksvoll spielt wie auch mit strahlend hellem Tenor singt - vokaler Glanz, der den Widerspruch zwischen  Rolle und Wesen dieses Schwächlings sinnfällig macht.

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"Unsere Gedanken sind freudlos und die Wachen ohne Herz": der alte Zwangsarbeiter ( Dmitry Belosselskiy) mit Chor im Schlussbild der Oper

Es ist eine bitterbös-tragische Satire, die Anselm Webers Regie hier zeigt. Das Karikierende blitzt immer wieder vor allem auch in der Musik auf. Besonders in den sinfonischen Zwischenspielen gelingt Schostakowitschs musikalisch-sarkastischer Erzählstil beeindruckend. In die Musik zu der im übrigen ohne jede voyeuristische Wirkung inszenierten Beischlafszene zwischen Katarina und Sergei mischen sich Leidenschaft, Gewalt und ironische Distanz gleichermaßen. Ebenso ausdifferenziert dirigiert Sebastian Weigle die ganze Partitur. An diesem Abend präsentiert sich das Orchester auch in allerbester Klangkultur, die solistischen Stellen großartig ausmodellierend und eindrucksvoll klangfarbenreich. Und nicht zuletzt trägt auch der großartige Frankfurter Chor zum musikalisch erstklassigen Gelingen des Abends entscheidend bei.

FAZIT

Handwerklich bestens gemacht, darstellerisch höchst intensiv, sängerisch erstklassig und vom Orchester glänzend gespielt kommt diese Produktion den Intentionen Schostakowitschs sicher sehr nahe.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Sebastian Weigle

Inszenierung
Anselm Weber

Bühnenbild und Kostüme
Kaspar Glarner

Licht
Olaf Winter

Video
Bibi Abel

Dramaturgie
Konrad Kuhn

Chor und Extrachor
Tilman Michael

 

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester

Chor und Extrachor der Oper Frankfurt

Statisterie der Oper Frankfurt


Solisten

Katerina Ismailowa
Anja Kampe

Sergei
Dmitry Golovnin

Boris Ismailov / Alter Zwangsarbeiter
Dmitry Belosselskiy

Sinowi Ismailov
Evgeny Akimov

Der Schäbige
Peter Marsh

Sonjetka
Zanda Švēde

Pope
Alfred Reiter

Polizeichef
Iain MacNeill

Verwalter / Sergeant
Anthony Robin Schneider

Axinja, Hausangestellte
Julia Dawson

Hausknecht
Mikołaj Trąbka

Polizist / Wachposten
Dietrich Volle

1. Vorarbeiter / Lehrer
Theo Lebow

2. Vorarbeiter / Betrunkener Gast
Michael McCown

3. Vorarbeiter
Hans-Jürgen Lazar

Zwangsarbeiterin
Barbara Zechmeister

Fahrer
Alexey Egorov

Mühlenarbeiter
Yongchul Lim

 


Weitere Informationen
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Oper Frankfurt
(Homepage)







Da capo al Fine

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