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Bei Mondlicht betrachtet ...
Von Roberto Becker
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Fotos von Monika Rittershaus Was Barrie Kosky für seine Salome in der Frankfurter Oper an Atmosphäre aufbietet, sieht man kaum, man hört es mehr. Ein seltsames Rauschen oder Flattern flitzt durch den Raum. Es könnte ein harter Flügelschlag sein. Von einem Todesengel. Mindestens. Es ist gruselig. Das Licht eines Scheinwerfers durchschneidet das Dunkel der Bühne und umhüllt eine exotische menschliche Statue. Glitzernd, fast erstarrt. Mit einem wogenden Kopfschmuck. Es erinnert an eine Unterwasserpflanze. Was hier wie ein kaltes Licht die Dunkelheit durchbricht, ist die Schönheit der Prinzessin Salome. Narraboth muss es wissen, seine Augen suchen sie ebenso eifrig wie das Licht des Mondes, mit dessen Schönheit die ihre verglichen wird.
In Frankfurt inszeniert der Intendant der Komischen Oper Berlin den Einakter von Richard Strauss nach Oscar Wilde. Ein Schocker, der auch in den über 115 Jahren seit seiner Premiere nichts von seiner Wucht eingebüßt hat. Wenn das Werk, dessen Stammplatz im Repertoire sicher ist, heute einhellig bejubelt wird, dann ist das in seiner Bekanntheit, ja Popularität begründet. Die breitet sich wie ein Schutzschirm über ihm aus und lässt die Einwände der Apostel des Politisch-Korrekten abprallen. Das Skandalöse des Gezeigten kann sich jedenfalls auf keinerlei Wertewandel berufen. Mit jeder Neuinszenierung steigt man in den Abgrund Mensch, ganz so wie der Henker, der auf Geheiß der Prinzessin den gefangenen Propheten enthauptet, auf dass sie sich mit dem Kopf verlustiere. Das wird auch bei Kosky in aller Ausführlichkeit zelebriert. Das Silbertablett, auf dem der Kopf des Propheten serviert wird, gibt es nicht. Auch den Henker bekommt man nicht zu sehen. Aus dem Schnürboden sinkt ein riesiger Haken hernieder, in die Tiefe einer Versenkung. An diesem Haken wird das abgeschlagene, blutige Haupt des Jochanaan langsam nach oben gezogen, pendelt bis Salome ihn sich schnappt und am Ende selbst blutverschmiert ist. In dieser finalen Szene wird Kosky deutlich und ist mit seiner Deutung in der Nähe der Erwartungen.
Bei einer anderen Schlüsselszene, dem Tanz der sieben Schleier, konterkariert er diese Erwartungen radikal. Da sitzt Salome breitbeinig auf dem Boden und zieht aus ihrem Schoß eine scheinbar endlosen Haarzopf. Wenn diese durchaus gewöhnungsbedürftige Prozedur beginnt, kann man das noch für eine Nabelschnur halten - am Ende ist es ein riesiger Haufen Haare. Alles was sonst noch im Dunkel der Bühne ans "Mond"-Licht kommt, passiert gleichsam im Kopf Salomes. Neben Narraboth und dem Pagen bekommen wir nur noch Salomes Eltern Herodias und Herodes zu sehen. Alle immer nur, wenn sie auch wirklich dran sind und singen. Es sind die unmittelbaren Bezugspersonen eines jungen Mädchens auf dem Weg zu sich selbst und der eigenen erwachenden Sexualität.
An der Seite von Gerard Schneider als schmachtendem Narraboth ist Katharina Magiera der reine mezzosatte Pagenluxus. Salomes Mutter Herodias ist eine Frau mit einer ganz besonderen Vergangenheit. Der Stiefvater Herodias begehrt sie und lässt sie am Ende töten. Sowohl AJ Glückert als Herodes, als auch Claudia Mahnke als Herodias gelingt es, ihre Rollen markant zu profilieren ohne in die oft zu hörende keifende Nervosität abzugleiten. Die streitenden Juden tauchen zwar auch auf, aber sie huschen wie schwarze Schatten vorüber. Für den Rest gilt: man hört sie nur, man sieht sie nicht.
Barrie Kosky kommt mit diesem Zugang der Titelfigur extrem nahe. Im Ergebnis kommt eine Salome zum Vorschein, die sich weder Opfer und Monster ist. Dass sie eine privilegierte Tochter ist, wird aber klar und damit auch die Verantwortung der Eltern, die aus ihrer leidenschaftlichen Abneigung zueinander keinen Hehl machen und bei denen die Tochter glaubt, alles durchzusetzen zu können. Mit ihrer Rigorosität schafft sie es sogar, das Objekt ihrer Begierde, Jochanaan, für Momente an sich und an seiner Mission zweifeln zu lassen. Wenn Salome mit dem Propheten spricht, dann ringt der nicht nur mit ihr, sondern auch mit sich selbst. Er kompensiert die Verunsicherung der Gefühle, in dem er sich in religiöse Gewaltfantasien hineinsteigert, so wie sie sich in die Obsession für den abgeschlagenen Kopf des Propheten, an dem sie schließlich regelrecht saugt. Und in den sie am Ende wie in einem perversen Akt der Vereinigung hineinkriecht. Bis Liebe und Tod auf makabre Weise eins werden. (Ausstattung: Katrin Lea Tag) Ambur Braid ist eine außergewöhnliche Salome der Spitzenklasse. Zur charismatischen Beweglichkeit der Darstellerin kommt eine grandiose Stimme, die sich scheinbar mühelos zu steigern vermag und noch in der Ekstase zu leuchtet. Christopher Maltman ist optisch mit seinem abgerissenen Äußeren nur in ihren Augen als der begehrenswerte Prophet nachvollziehbar. Im Saal kann man nur ihre Begeisterung für seine kernig warme und eloquente Stimme nachvollziehen. Im Graben versucht die Nürnberger GMD Joana Mallwitz mit dem homogenen Frankfurter Opern- und Museumsorchester einen suggestiven Klangrausch samt großem Bogen zu liefern und dabei immer wieder manches Detail herauszuarbeiten. Oft synchron mit der Hervorhebung sogar einzelner Handbewegungen auf der Bühne. Faszinierend
Berrie Kosky gelingt ein Gesamtkunstwerk der besonderen Art. Mit sparsamsten, Mitteln kommt er Salome so nahe, wie es selten gelingt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Ausstattung
Licht
Dramaturgie
Solisten
Salome
Jochanaan
Herodes
Herodias
Narraboth
Ein Page der Herodias
1. Jude
2. Jude
3. Jude
4. Jude
5. Jude
1. Nazarener
2. Nazarener / Cappadozier
1. Soldat
2. Soldat
Sklavin
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