-

Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Vec Makropulos
(Die Sache Makropulos)


Oper in drei Akten von Leoš Janácek
Text vom Komponisten
nach der gleichnamigen Komödie von Karel Čapek



in tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 50' (keine Pause)

Premiere im Großen Haus des Musiktheater im Revier am 7. Dezember 2019


Homepage

Musiktheater im Revier
(Homepage)

Mit 337 Jahren hat man schon viele Selbstmorde und dergleichen Bagatellen erlebt

Von Stefan Schmöe / Fotos von Monika und Karl Forster

Das Musiktheater im Revier, kurz MiR, wird 60. Da hat man sich als Geburtstagsgeschenk mit Janaceks Die Sache Makropulos ein Werk herausgesucht, das sich mit der Thematik des Alterns und der ewigen Jugend herausgesucht. 37 Jahre alt muss Elina Makropulos gewesen sein, als man an ihr die geheimnisvolle Formel erprobte, die "Sache Makropulos", die ihr Vater als Leibarzt Rudolfs II. für den Kaiser entwickelte und die 300 Jahre Unsterblichkeit verschafft. Jetzt ist diese Zeit abgelaufen, und Elina, die seither unter verschiedenen Namen (immer mit den Initialen E.M.) durch die Zeitläufte geistert, muss die Formel wiederfinden, die sie einst einem Liebhaber überlassen hatte. Um dessen Erbe es aber hat es einen inzwischen einhundert Jahre andauernden Streit gegeben, und genau in die Endphase platzt sie herein, will sie doch aus der Erbmasse die sagenhafte Formel zurückhaben. Reihenweise liegen ihr, die gerade unter dem Namen Emilia Marty als Opernsängerin Triumphe feiert, die Männer zu Füßen, einer bringt sich ihretwegen gar um, doch nach 337 Lebensjahren regt sie das nicht weiter auf. Mit der Unsterblichkeit relativieren sich Schicksale.

Szenenfoto kommt später

In der Kanzlei: Albert Gregor ist von Emilia Marty fasziniert.

Es inszeniert Dietrich Hilsdorf, der am MiR 1981 mit Eugen Onegin seine erste Opernregie zeigte und in den 1980er- und 1990er-Jahren dort für Furore sorgte, vor allem mit seinen Mozart-Inszenierungen. Also einer, der in Gelsenkirchen Theatergeschichte geschrieben hat. Der einstige Provokateur, der Mozarts vermeintlich harmloses Singspiel Die Entführung aus dem Serail mit einer ziemlich brutal vorgeführten Hinrichtung beginnen ließ (und das bei einer Premiere am Weihnachtsfeiertag) und dessen Trovatore im benachbarten Essen die dortige CDU am liebsten wegen vermeintlicher Blasphemie verboten hätte, setzt freilich schon lange nicht mehr auf Irritationen und Schockeffekt, sondern auf Genauigkeit und subtile Querverweise. Und so erzählt er Die Sache Makropulos, die Janacek nach einer Komödie von Karel Capek wie eine Kriminalgeschichte aufgebaut hat (bei der sich erst am Ende die wahre Identität der Hauptfigur offenbart), mit fast filmischer Präzision eng am Libretto entlang. Dabei zeigt das geniale Bühnenbild von Dieter Richter im ersten Aufzug eine Anwaltskanzlei, bei der man getrost das überstrapazierte Adjektiv "kafkaesk" verwenden darf: Riesige Regale mit Schubladen bis zur Decke, eine Welt voller Akten wie in Kafkas Prozess. Hier versucht Elina Makropulus bzw. Emilia Marty, wie sie sich gerade nennt, in den Erbschaftsprozess mit Detailkenntnissen einzugreifen, um die Entscheidung zu beschleunigen. Der dritte Akt, in dem sie unter Zwang ihre Identität preisgibt, spielt in einer Hotelsuite im Stil 1920er-Jahre. Hilsdorf und Richter sind ein eingespieltes Team, und so sind Richters Bühnenräume viel mehr als Kulisse, nämlich Räume, in denen das Personal agieren kann. Großartig, wie Hilsdorf die Architekturen nutzt, um die Figuren zu bewegen, um "sprechende" Tableaus aufzubauen, etwa wenn sich im dritten Akt alle Männer gegen Elina verbünden und das allein durch die Anordnung sichtbar wird.

Szenenfoto kommt später

Nach der Theateraufführung: Emilia Marty erhält Besuch von Hauk-Schendorf, der in ihr seine Jugendliebe Eugenia Montez wiedererkennt ...

Der eigentliche Trick der Inszenierung, der aus einem unterhaltsamen Kriminalstück großes Theater macht, ist die Gestaltung des zweiten Akts, der gemäß dem Libretto auf der Bühne eines Theaters nach der Vorstellung spielt. Das Regieteam wechselt aus dem Jahr 1922 unvermittelt in die allerunmittelbarste Gegenwart: Die riesige Anwaltskanzlei wird bei offenem Vorhang und unterkühlter Saalbeleuchtung weggerollt und umgedreht, sodass die Rückwände und die ansonsten leere Bühne zu sehen sind. Putzfrau und Bühnenarbeiter, die in der Oper auftreten, tragen natürlich die Kleidung, die man am Mir als Bühnenarbeiter trägt. Dieser zweite Akt wirkt daher zunächst wie eine Unterbrechung der Oper (die ohne Pause gespielt wird), aus Emilia Marty wird Sängerin Petra Schmidt, das Publikum blickt scheinbar hinter die Kulissen und ist plötzlich mittendrin in dieser Geschichte, in der die Zeit verloren gegangen ist und die Handlung trotzdem weiter voranschreitet. Und damit ist es an der Zeit über diese Petra Schmidt zu sprechen, die grandios die Emilia Marty verkörpert, die eigentlich Elina Makropulos ist, die einmal Eugenia Montez war (dazu gleich mehr), und wie Petra Schmidt (die seit zehn Jahren Ensemblemitglied am Mir ist) das spielt und mit ihrer nicht riesigen, aber klug zur vokalen Attacke eingesetzten Sopranstimme (in der Höhe fehlen ein paar Reserven) singt, wie sie mit großer Präsenz die Bühne beherrscht, das alles trägt diese Aufführung.

Szenenfoto kommt später

... und auch Jaroslav Prus macht seine Aufwartung, was seinen ebenfalls in Emilia verliebtebn Sohn Janek in den Selbstmord treibt).

Einer erkennt die Frau, die vielleicht 50 Jahre zuvor Eugenia Montez gewesen ist: Hauk-Schendorf, inzwischen stark gealterter damaliger Liebhaber, ein wenig verrückt oder eben doch als einziger bei klarem Verstand - was in dieser Welt nicht vor der Zwangsjacke schützt, in der er alsbald abgeführt wird. Der Clou ist hier der Sänger der Partie, das ist nämlich Mario Brell, inzwischen 83 Jahre alt, der 1973 in Gelsenkirchen engagiert wurde und von der Operette bis zu Wagner knapp 25 Jahre lang alle wichtigen Tenorpartien gesungen hat. Die Stimme sitzt immer noch und ist geschmeidig, und für die hier leicht clownesk angelegte Partie ist Brell ein absoluter Glücksfall: Einer, der die Zeitsprünge durch seine Künstlerbiographie unterstreicht und musikalisch großartig den Tonfall zwischen absurder Komik und feiner Melancholie trifft.

Auch in den weiteren Partien glänzt das Ensemble des MiR. Martin Homrich ist mit eindrucksvollem Tenor ein stimmgewaltiger Albert Gregor, der Emilia/Elina schon mit seiner körperlichen Präsenz bedroht und schnell mehr als zudringlich wird; Urban Malmberg gibt seinen Prozessgegner Jaroslav Prus auch stimmlich mit der Eloquenz eines Gentleman. Hilsdorf pointiert die Gegensätze dieser beiden Rivalen, die unkontrollierte Körperlichkeit Gregors, die kalkulierende Schärfe Prus' (der als Preis für eine - wenig erfüllende - Liebesnacht die Sache Makropulos herausgibt). Joachim G. Maaß ist ein durch und durch solider Anwalt Kolenaty, Khanyiso Gwenxane mit schönem lyrischen Tenor ein eher unscheinbarer Janek Prus (der dem Schatten seines Vaters Jaroslav nicht entkommt und sich erschießt). Die junge Mezzosopranistin Lina Hoffmann schließlich singt und spielt überzeugend die Nachwuchssängerin Krista, in deren Händen sich am Ende die Sache Makropulos befinden wird.

Szenenfoto kommt später

Showdown als Geschlechterkampf: Emilia Marty alias Elina Makropulos (am Fenster) verrät ihre wahre Identität, Sängerin Krista empfindet sich als Verbündete; Anwalt Kolenaty, Kanzleivorsteher Vitek, Albert Gregor und Jaroslav Prus begreifen allmählich, was es mit der Sache Makropulos auf sich hat.

Mit diesem überaus engagiert spielenden Ensemble nimmt die spannend erzählte Kriminalgeschichte ihren etwas weniger als zweistündigen Lauf. Dazu stellt die Regie Fragen nach den wirklich wichtigen Dingen im Angesicht einer denkbaren Unsterblichkeit, aber auch auf einer metaphorischen Ebene nach den Konsequenzen der "Unsterblichkeit", also des Ruhmes, für den Künstler. Quasi nebenbei zeigt Hilsdorf aber auch die Gewalt von Männern gegenüber den Frauen. Eine ziemlich komplexe Angelegenheit also, die aber nicht nur handwerklich bravourös gemeistert ist Die Neue Philharmonie Westfalen klingt unter der Leitung von Rasmus Baumann zunächst noch etwas wacklig, begleitet dann aber zunehmend sicherer, wobei Baumann zwischen einem "romantischen" und einem "modernen" Janacek eine mittlere Position einnimmt.


FAZIT

Tolle, szenisch wie musikalisch mitreißende Produktion, spannend und vielschichtig erzählt.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rasmus Baumann

Inszenierung
Dietrich W. Hilsdorf

Bühne
Dieter Richter

Kostüme
Nicola Reichert

Licht
Patrick Fuchs

Chor
Alexander Eberle

Dramaturgie
Anna Chernomordik



Herrenchor
des Musiktheater im Revier

Neue Philharmonie Westfalen


Solisten

Emilia Marty
Petra Schmidt

Albert Gregor
Martin Homrich

Dr. Kolenatý
Joachim G. Maaß

Vítek
Timothy Oliver

Krista
Lina Hoffmann

Jaroslav Prus
Urban Malmberg

Janek
Khanyiso Gwenxane

Hauk-Šendorf
Mario Brell

Bühnentechniker
Gerard Farreras

Requisiteurin
Karla Bytnarová

Kammerzofe
Rina Hirayama



Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Musiktheater im Revier
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2019 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -