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Musiktheater
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Frankenstein

Oper in vier Akten
nach dem Roman von Mary Shelley

Musik und Text von Jan Dvořák

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 35' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 28. September 2019
(rezensierte Aufführung: 03.10.2019)

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Musiktheater im Revier
(Homepage)

Fast wie ein Grusel-Film

Von Thomas Molke / Fotos:© Karl und Monika Forster

Mary Shelleys Roman Frankenstein hat nicht nur das Horror-Genre beflügelt, sondern gilt auch als Meilenstein der Science-Fiction-Literatur. Mit der Erschaffung eines künstlichen Menschen gewinnt der Stoff vor allem im Zeitalter der künstlichen Intelligenz wieder eine ganz große Brisanz. So verwundert es nicht, dass sich 2018, 200 Jahre nach Erscheinen des Romans, und 2019 gleich mehrere Opernkomponisten diesem Stoff gewidmet haben. Der 1971 in Hamburg geborene Jan Dvořák, der nicht mit dem berühmten Komponisten Antonín Dvořák verwandt ist, hat sich direkt mehrmals mit der Geschichte auseinandergesetzt. 2014 hat er am Theater Basel Text und Musik für eine Schauspielproduktion von Frankenstein geschrieben, die in der Regie von Philipp Stölzl dort ihre Uraufführung erlebte. In den folgenden Jahren hat er aus dieser Fassung eine Oper komponiert, die als Auftragsarbeit der Staatsoper Hamburg in der Kampnagelfabrik am 20. Mai 2018 zur Uraufführung kam. Für das Musiktheater im Revier hat er nun eine revidierte Fassung erstellt, die in Gelsenkirchen als erste Premiere in der neuen Spielzeit zu erleben ist.

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Die Kreatur (in der Mitte geführt von drei Puppenspielerinnen) tötet in Notwehr die drei Handwerker (links: Rina Hirayama, daneben: John Lim, rechts: Benjamin Hoffmann).

Dabei hält sich Dvořák weit näher an die Romanvorlage, als das beispielsweise die berühmte Verfilmung aus dem Jahr 1931 mit Boris Karloff in der Rolle des Monsters tut. Der Wissenschaftler Viktor Frankenstein hat 1798 in Ingolstadt aus Leichenteilen einen künstlichen Menschen erschaffen, den er derart abstoßend findet, dass er ihn sich selbst überlässt. Die Kreatur erfährt von allen Menschen nur Ablehnung. Nur mit dem blinden Delacey, dem Vater von Frankensteins künftiger Braut Elisabeth, freundet er sich an. Als er allerdings von drei Handwerkern angegriffen wird, tötet er sie in Notwehr und schwört der Menschheit ewige Feindschaft. Auf der Suche nach seinem Schöpfer trifft er zunächst auf Frankensteins jüngeren Bruder Wilhelm und bringt ihn um. Von Viktor fordert er eine Gefährtin, die dieser ihm erschaffen will. Doch kurz vor Vollendung der weiblichen Gestalt zerstört Frankenstein diese, weil er fürchtet, dass die beiden Monster sich vermehren und somit die Menschheit vernichten könnten. Aus Rache ermordet das Monster Elisabeth in der Hochzeitsnacht. Frankenstein verfolgt die Kreatur bis zum Nordpol, wo er entkräftet stirbt. Das Monster nimmt Abschied von seinem Schöpfer und will sich im ewigen Eis verbrennen.

Während bei der Uraufführung in Hamburg das Orchester auf der Bühne platziert war und gemeinsam mit den Zuschauern auf drei Seiten ein durch ein Gitter abgetrenntes Geviert einrahmte, auf dem sich die Handlung abspielte, hat das Regie-Team um Sebastian Schwab die Geschichte für eine Guckkastenbühne eingerichtet. Dennoch hat man im Publikum das Gefühl, Teil der Inszenierung zu werden, wenn beispielsweise riesige Windmaschinen in den Zuschauersaal blasen und damit Frankensteins eisige Fahrt zum Nordpol regelrecht spürbar machen. Die Szenen spielen in einem von Britta Tönne konzipierten Anatomie-Saal, der wie ein Raum wirkt, in dem Studenten in mehreren Reihen einer Vorlesung in der Pathologie folgen. Auf der rechten und linken Seite befinden sich vor den Reihen Truhen, die mit kaltem Rauch und eisigem Licht wie Kühlkammern wirken, in denen Leichen aufbewahrt werden. Während der Szene befinden sich immer mal Statisten oder Solisten in diesen Reihen und folgen dem Geschehen, das teilweise wie in einem Roman auch nur erzählt wird.

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Treffen auf dem Gipfel des Mont Blanc: Frankenstein (Piotr Prochera, oben) und die Kreatur (unten im Nebel)

Das Monster ist eine riesige Puppe, die von insgesamt drei Puppenspielerinnen bedient und gesprochen wird. Obwohl man Evi Arnsbjerg Brygmann, Bianka Drozdik und Eileen von Hoyningen Huene beim Spiel auf der Bühne deutlich sehen kann, verleihen die drei der Kreatur, die wie ein zusammenmontiertes riesiges Skelett wirkt, unheimliche Züge. Vor allem die leeren Augen hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Der Text der Kreatur wird lediglich gesprochen und durch Verstärkung weiterhin verfremdet. Dabei ist es beeindruckend, wie die drei Puppenspielerinnen entweder abwechselnd oder rhythmisch im Chor den Text präsentieren. Durch die Frauenstimmen wird ferner angedeutet, dass die Kreatur nicht von Grund auf böse ist, sondern sich zunächst nach Zuneigung und Liebe sehnt und erst durch die ständigen Zurückweisungen und Enttäuschungen zum rachsüchtigen Monster mutiert. Diesen Wandel setzen Brygmann, Drozdik und Huene überzeugend um. Zu Beginn der Oper hängt die Kreatur von einem Laken bedeckt unter der Decke. Die drei Puppenspielerinnen stehen in der obersten Reihe des Saals und stimmen den einzig von der Kreatur gesungenen Song an, der auf ein Gedicht von Percy Shelley komponiert worden ist. Hier wäre eine Übertitelung für das Verständnis hilfreich gewesen.

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Hochzeit als Alptraum: von links: Vater Delacey (Michael Tews), Alois Frankenstein (Urban Malmberg), im Hintergrund: Ernst Frankenstein (Tobias Glagau), Elisabeth (hier: Bele Kumberger) und Viktor Frankenstein (Piotr Prochera)

Die Musik bleibt wie die Inszenierung relativ nah an einer filmischen Umsetzung der Geschichte. Die Kostüme, für die Rebekka Dornhege Reyes verantwortlich zeichnet, tauchen tief in die Romanwelt ein, wobei einige Accessoires wie Kopfbedeckungen etwas übertrieben angelegt sind. Skurril wirkt Viktors und Elisabeths Hochzeit, bei der die Gäste in weiten schwarzen Roben auftreten und Elisabeth in einem weißen Kleid mit Leuchtkranz im Haar erscheint. Außerdem fällt sie vor allem durch ihr feuerrotes Haar auf, was deutlich macht, dass Frankenstein seine Braut nicht vor dem Monster verstecken und retten kann. Im Orchester befindet sich neben einem Hammerklavier auch eine E-Gitarre, die für einen recht modernen Sound sorgt. Ein Kontrabass bildet gemeinsam mit einer Klarinette und einem Geräuschemacher ein Improvisationstrio, das eine große atmosphärische Dichte in der Musik erzeugt, die die bedrohliche Stimmung wunderbar einfängt und dem Zuhörer bisweilen eine Gänsehaut beschert. Dabei weist die Musik aber auch sehr tonale ariose Klänge auf, wenn beispielsweise Elisabeth versucht, ihrem Mann die Angst zu nehmen, und ihn bittet, sich keine Sorgen um sie zu machen. Besonders intensiv werden die Momente, wenn sich Sprechgesang und Opern-Klänge abwechseln, was das Gefühl unterstreicht, dass die Protagonisten hier aneinander vorbei reden, da sie sich in völlig unterschiedlichen Welten befinden. Ein weiterer Garant für die unheimliche Atmosphäre ist auch die eindrucksvolle Lichtregie von Thomas Ratzinger.

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Das Monster (Eileen von Hoyningen Huene, Evi Arnsbjerg Brygmann, Bianka Drozdik) kommt, um Elisabeth (hier: Bele Kumberger) zu töten.

Giuliano Betta lotet mit der Neuen Philharmonie Westfalen die Klangsprache Dvořáks bewegend aus. Auch die Solisten sind gut besetzt. Piotr Prochera gestaltet die Titelpartie mit kräftigem Bariton und überzeugt als hin- und hergerissener Viktor Frankenstein, dem seine Schöpfung entgleitet, da er sich nicht um seine Kreatur kümmert. Besonders eindrucksvoll gelingt die Szene zwischen ihm und der Kreatur auf dem Gipfel des Mont Blanc, in der er einwilligt, dem Monster eine Gefährtin zu erschaffen. Giulia Montanari gestaltet die Partie der Elisabeth mit einem warmen Sopran, der die Unschuld der jungen Frau unterstreicht. Ihr Tod im dritten Akt entwickelt sich zu einem der tragischsten Momente des Abends. Urban Malmberg überzeugt als Frankensteins Vater Alois mit intensivem Spiel und dunkler Stimmführung. Michael Tews punktet mit markantem Bass als Elisabeths Vater, der aufgrund seiner Blindheit nicht vor der Kreatur zurückschreckt, und als Kapitän Walton, auf den Frankenstein am Ende seines Lebens als eine Art Seelenverwandten trifft. Tobias Glagau, Sina Jacka und die drei Mitglieder des Jungen Ensembles am MiR, Rina Hirayama, Benjamin Hoffmann und John Lim, überzeugen in zahlreichen kleineren Rollen. So gibt es am Ende verdienten Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Dvořáks Musik klingt für einen zeitgenössischen Opernkomponisten sehr tonal und harmonisch und orientiert sich ein wenig an klassischer Filmmusik. Die Inszenierung setzt die Geschichte mit leichtem Gruselfaktor bewegend um.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Giuliano Betta

Inszenierung
Sebastian Schwab

Bühne
Britta Tönne

Kostüme
Rebekka Dornhege Reyes

Licht
Thomas Ratzinger

Dramaturgie
Olaf Roth

 

Neue Philharmonie Westfalen

Statisterie des MiR

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Das Monster
*Evi Arnsbjerg Brygmann
*Bianka Drozdik
*Eileen von Hoyningen Huene
Anastasia Starodubova

Viktor Frankenstein
Piotr Prochera

Elisabeth Delacey
Bele Kumberger /
*Giulia Montanari

Alois Frankenstein / Bauernvater
Urban Malmberg

Vater Delacey / Priester / Alter Fischer / Kapitän Walton
Michael Tews

Ernst Frankenstein / Bauer / Junger Fischer / Maat
Tobias Glagau

Vogel / Bäuerin / Dienstmädchen /
Chor-Sopran
Sina Jacka

Justine / Bauernmutter / 1. Handwerker /
Chor-Alt
Rina Hirayama

Bauer / 2. Handwerker / 1. Matrose /
Chor-Tenor
Benjamin Hoffmann

Bauer / 3. Handwerker / 2. Matrose /
Chor-Bass
John Lim

Bauernkind / Wilhelm Frankenstein
Solist des Knabenchores der
Chorakademie Dortmund

 


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