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Les Noces / Sacre

Ballettabend mit Choreographien von Mauro Bigonzetti und Ivgi & Greben
Musik von Igor Strawinsky

Les Noces

Choreographie von Mauro Bigonzetti

Sacre

Choreographie von Uri Ivgi & Johan Greben

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (eine Pause)

Premiere im Großen Haus im MiR am 10. November 2019

Homepage

MiR Dance Company Gelsenkirchen
(Homepage)

Archaische Rituale im Tanz

Von Thomas Molke / Fotos:© Bettina Stöß

Nachdem Bridget Breiner am Ende der letzten Spielzeit als Ballettdirektorin an das Badische Staatstheater Karlsruhe gewechselt ist, hat der gebürtige Italiener Giuseppe Spota im August ihre Nachfolge angetreten und unter dem neuen Namen MiR Dance Company Gelsenkirchen eine Compagnie zusammengestellt, die aus 13 neuen Tänzerinnen und Tänzern und einer Übernahme aus dem Ballett im Revier besteht. Mit großer Spannung wurde nun erwartet, welchen Weg das Tanztheater in Gelsenkirchen zukünftig gehen würde. Während die neue Ballettdirektorin in Hagen, Marguerite Donlon, sich an der Volme mit einer eigenen Choreographie vorstellte, hat Spota für den ersten Ballettabend namhafte Choreographen engagiert, die mit der MiR Dance Company zwei Stücke von Igor Strawinsky einstudiert haben, die bereits vor einigen Jahren für andere Compagnien kreiert wurden. Les Noces von Mauro Bigonzetti entstanden 2002 für das Aterballetto in Reggio Emilia, Sacre von Uri Ivgi und Johan Greben 2017 für das Ballettensemble im Konzert Theater Bern.

Den Anfang machen Les Noces, die Strawinsky 1923 zehn Jahre nach dem damaligen Skandalstück, Le sacre du printemps, am Théâtre- de la Gaîté-Lyrique herausbrachte. Statt einer fortschreitenden Handlung nimmt das Stück in einer Aneinanderreihung von Szenen traditionelle russische Hochzeitsbräuche in den Blick. Dabei werden zunächst die Rituale bei der Vorbereitung der Hochzeit beschrieben, bevor im zweiten Teil die Feier beginnt und die Gäste und Verwandten nach einer ausgelassenen Hochzeitsfeier das Brautpaar ins Schlafzimmer zum Ehebett begleiten. Die Orchesterbesetzung besteht aus vier Klavieren und diversen Schlaginstrumenten, die ein spürbar hartes und nur wenig geschmeidiges Klangbild erzeugen, bei dem das Rhythmische wie bei Sacre über das Melodische dominiert. Während Bigonzettis Choreographie bei der Uraufführung mit dem Aterballetto 2002 mit Musik vom Band begleitet wurde, werden Musik und Gesang in Gelsenkirchen live gespielt. Im Orchestergraben befinden sich die vier Pianisten, diverses Schlagzeug, vier Solisten und der von Alexander Eberle einstudierte Opernchor des MiR. Gesungen wird in russischer Sprache, ohne dass die Texte übertitelt werden, so dass der Text unverständlich bleibt.

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Erster Versuch einer Annäherung: der Bräutigam (Alessio Monforte, rechts) und die Frauen (Ensemble, in Weiß: die Braut (Chiara Rontini))

Bigonzetti setzt die Szenen in sehr starren Bildern um. Auf der rechten Bühnenseite sitzen die Tänzer auf hohen einfach gehaltenen Stühlen, auf der linken Seite die Tänzerinnen. Getrennt sind sie durch ein langes Bühnenelement, das als Tisch oder als Steg zwischen den beiden Seiten fungieren kann. Zu Beginn hört man lautes Stampfen auf der Bühne. Wenn sich der Vorhang hebt, sieht man, wie die Tänzerinnen und Tänzer mit ihren Stühlen hin- und herschaukeln und damit Geräusche erzeugen, die später vom Schlagwerk wieder aufgegriffen werden. Die Braut (Chiara Rontini) hebt sich in ihrem weißen Kleid von den anderen Tänzerinnen auf der linken Seite ab. Der Bräutigam (Alessio Monforte) ist optisch kaum von den anderen Tänzern zu unterscheiden. Allmählich versuchen einzelne Tänzerinnen und Tänzer, die imaginäre Wand zwischen diesen beiden Seiten zu durchbrechen. Immer wieder gibt es Annäherungen, die aber folgenlos bleiben. Auch Braut und Bräutigam können diese starren Rituale nicht durchbrechen. Wenn der Bräutigam versucht, die Braut zu tragen, reichen seine Kräfte nicht aus, und er lässt sie immer wieder vom Steg herabsinken.

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Hinten rechts: das Brautpaar (Chiara Rontini und Alessio Monforte), vorne links: das verliebte Paar (Marie-Louise Hertog und Brecht Bovijn)

Als Gegenentwurf zu dem in den strengen Normen verhafteten Brautpaar baut Bigonzetti ein junges verliebtes Paar ein, das sich in fließenden Bewegungen deutlich von dem übrigen Ensemble unterscheidet. Marie-Louise Hertog und Brecht Bovijn kämpfen als verliebtes Paar gegen die starren Konventionen an und bleiben auch noch bei ihren weichen Bewegungen, wenn der Vorhang bereits fällt. Sangho Lee, Annette Reifig, Yuna Saito und Martín Sotelo begleiten am Klavier den Abend mit hartem Spiel, der die starre Struktur der ritualisierten Hochzeitsfeier unterstreicht. Die Gesangssolisten und der Chor überzeugen genauso wie die übrigen Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie, die, ergänzt um zwei Eleven der Royal Swedish Ballet School, als dunkle Masse kaum Möglichkeit zur individuellen Entfaltung erhalten.

Nach der Pause folgt Le Sacre du printemps, das wohl bedeutendste Tanzstück des 20. Jahrhunderts, das bei seiner Uraufführung am 29. Mai 1913 am Théâtre des Champs-Elysées in Paris einen regelrechten Skandal auslöste. Heute ist unumstritten, dass der damalige Choreograph Vaslav Nijinsky damit eine neue Tradition des Tanzes geschaffen hat. Beschrieben werden hier "Bilder aus dem heidnischen Russland", die von der Anbetung der Erde beim Beginn des Frühlings in die Auswahl einer Jungfrau übergehen, die dem Frühlingsgott zur Versöhnung geopfert werden soll. Der zweite Teil widmet sich dann dem Schicksal des ausgewählten Opfers, das sich in einem Ahnenritual zu Tode tanzt. Den beiden Choreographen Uri Ivgi und Johan Greben gelingt in ihrer Interpretation eine sehr zeitgemäße Übersetzung der Geschichte.

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Kampf ums nackte Überleben (Ensemble)

Zu Beginn sieht man 15 Tänzerinnen und Tänzer wie eine schwarze Wand mit dem Rücken zum Publikum an der Rampe stehen und ein Mädchen fixieren, das den übrigen gegenübersteht. Schon hat man den Eindruck, dass das "Frühlingsopfer" direkt zu Beginn des Abends feststeht, aber diese Vermutung trügt. Die 16 Tänzerinnen und Tänzer scheinen Gefangene in einem abgeschlossenen Raum zu sein. Die Kostüme von Natasja Lansen deuten an, dass sie hier um ihr Überleben kämpfen müssen. Der Raum ist von hohen schäbigen Wänden umschlossen, die kein Entkommen ermöglichen. Nur in der hinteren Wand befindet sich ein Loch, durch das es vielleicht einen Ausgang aus diesem Gefängnis gibt. Dieses Loch ist allerdings wegen der enormen Höhe nicht zu erreichen. Einzelne Versuche der Tänzerinnen und Tänzer scheitern. Nun entsteht eine ständig variierende Gruppendynamik zwischen den Tänzerinnen und Tänzern, die immer wieder einzelne Tänzer und Tänzerinnen ausschließt. Stets müssen sich die einzelnen Tänzerinnen und Tänzer wieder in die Gruppe zurückkämpfen und versuchen, das Augenmerk auf ein "neues Opfer" zu lenken. Dies wird von den Tänzerinnen und Tänzern gnadenlos umgesetzt und zieht den Zuschauer auf beinahe schon grausame Weise in seinen Bann.

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Das Opfer (Simone Frederick Scacchetti) ist gefunden (Ensemble).

Schließlich wird Simone Frederick Scacchetti ausgewählt, der kräftig genug erscheint, den anderen die Flucht aus diesem Raum zu ermöglichen. Wenn der eigentliche Tanz des "Opfers" beginnt, fängt die Flucht durch das Loch in der Wand an. Nach und nach kämpfen sich die Tänzerinnen und Tänzer nach oben und verschwinden so aus dem Raum. Je weniger in dem Raum zurückbleiben, desto härter wird der Kampf um das Überleben. Immer wieder versucht Scacchetti, seiner ihm auferlegten Opferrolle zu entkommen. Doch die übrigen sind stärker. Schließlich sind nur noch Simone Frederick Scacchetti, Brecht Bovijn und Simone Donati auf der Bühne und versuchen gegenseitig, einander zu benutzen, um den Weg aus dem Raum zu erklimmen. Scacchetti unterliegt den beiden anderen, denen mit den letzten Takten noch die Flucht aus dem Raum gelingt. Einsam im fahlen Licht bleibt Scacchetti allein zurück, und der Vorhang fällt. Giuliano Betta setzt mit der Neuen Philharmonie Westfalen diesen erbarmungslosen Kampf großartig um, so dass es am Ende zu Recht frenetischen Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

So eindrucksvoll und packend hat man Strawinskys Sacre selten gesehen. Der MiR Dance Company und ihrem Leiter Giuseppe Spota gelingt mit diesem Ballettabend ein grandioser Einstieg.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Giuliano Betta

Neue Philharmonie Westfalen

Les Noces

Choreographie
Mauro Bigonzetti

Einstudierung
Macha Daudel

Bühne
Fabrizio Montecchi

Kostüme
Kristopher Millar
Lois Swandale

Licht
Carlo Cerri

Chor
Alexander Eberle

Dramaturgie
Nicola Lusuardi
Olaf Roth

Pianisten
Sangho Lee
Annette Reifig
Yuna Saito
Martín Sotelo

Opernchor des MiR

Solisten

*Premierenbesetzung

Brautpaar
*Chiara Rontini /
Constantina Chatzistavrou
*Alessio Monforte /
Simone Donati

Verliebtes Paar
*Marie-Louise Hertog /
Genevieve O'Keeffe
*Brecht Bovijn /
Pablo Navarro Muñoz

Ensemble
Hamilton Blomquist
Yu-Chi Chen
Dimitra Sotiria Koutsopetrou
Hitomi Kuhara
Georgios Michelakis
Matthea Lára Pedersen
Simone Frederick Scacchetti
Eunji Yang

Gesangssolisten
Bele Kumberger
Almuth Herbst
Adam Temple-Smith
Michael Heine

 

Le sacre du printemps

Choreographie
Uri Ivgi & Johan Greben

Einstudierung
Olive Lopez

Bühne
Karol Dutczak

Kostüme
Natasja Lansen

Licht
Pawel Murlik

Dramaturgie
Isabelle Bischof
Olaf Roth

Tänzerinnen und Tänzer

Hamilton Blomquist
Brecht Bovijn
Konstantina Chatzistavrou
Yu-Chi Chen
Simone Donati
Marie-Louise Hertog
Dimitra Sotiria Koutsopetrou
Hitomi Kuhara
Georgios Michelakis
Alessio Monforte
Pablo Navarro Muñoz
Genevieve O'Keffee
Matthea Lára Pedersen
Chiara Rontini
Simone Frederick Scacchetti
Eunji Yang


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