Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Momo

Ein Tanzabend von Giuseppe Spota nach dem Buch von Michael Ende
Musik von Sigur Rós und Atmo (Giulio Donati und Simone Donati)

Aufführungsdauer: ca. 1h 30' (keine Pause)

Premiere im Kleinen Haus im MiR am 25. Januar 2020
(rezensierte Aufführung: 09.02.2020)

Homepage

MiR Dance Company Gelsenkirchen
(Homepage)

Die Macht des gelben Anoraks

Von Thomas Molke / Fotos:© Ida Zenna

Nachdem sich die neu gegründete MiR Dance Company im November 2019 mit zwei Stücken von Igor Strawinsky vorgestellt hat, die namhafte Gastchoreographen bereits einige Jahre zuvor für andere Compagnien entwickelt hatten (siehe auch unsere Rezension), präsentiert nun im zweiten Ballettabend der Spielzeit der neue Ballettdirektor Giuseppe Spota seine erste eigene Kreation. Die ausgewählte Vorlage lässt vermuten, dass sich dieser Tanzabend an die ganze Familie richten könnte, handelt es sich doch bei Michael Endes Momo um einen Klassiker, der sowohl junge als auch ältere Menschen in seinen Bann gezogen hat. Anders als Endes wohl berühmtestes Werk Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer richtet sich Momo ähnlich wie Die unendliche Geschichte trotz seiner kindgerechten Sprache in seiner Kritik ganz deutlich an die Welt der Erwachsenen. Gerade in der heutigen Zeit wirkt die Botschaft, dass die durch höhere Effizienz eingesparte Zeit gestohlene Zeit sei, aktueller denn je. Nachdem Tim Plegge diesen Stoff 2012 am Badischen Staatstheater Karlsruhe für die Ballettsparte entdeckt hat und Stéphen Delattre ihn 2014 in den Mainzer Kammerspielen tänzerisch umgesetzt hat, setzt sich nun auch Spota mit dieser Geschichte am MiR auseinander.

Das Buch handelt von der kleinen Momo, die allein durch ihre Anwesenheit die Fantasie der sie umgebenden Menschen beflügelt und mit ihrer Fähigkeit zuzuhören anderen hilft, ihre Probleme zu lösen. Doch damit stellt sie eine Bedrohung für die grauen Herren dar, die den Menschen ihre Zeit stehlen, indem sie sie überreden, sie zu sparen, sie stattdessen aber als eigene Existenzgrundlage missbrauchen. Zunächst versucht ein grauer Herr, Momo mit einer Puppe zu manipulieren. Doch Momo durchschaut seinen Plan und lehnt das Geschenk ab. Stattdessen gelingt es ihr, den grauen Herrn dazu zu bringen, ihr die finsteren Pläne der grauen Männer zu verraten. Auf der Flucht vor den grauen Herren trifft sie auf die Schildkröte Kassiopeia, die trotz ihrer Langsamkeit den grauen Herren immer einen Schritt voraus ist, da sie eine halbe Stunde in die Zukunft sehen kann und damit immer weiß, welchen Weg sie einschlagen muss, um den grauen Herren zu entkommen. So bringt sie Momo ins Nirgendhaus, wo das Geheimnis der Zeit verwahrt wird. Mit Hilfe von Meister Hora, dem Verwalter der Zeit, gelingt es Momo im Roman, die grauen Herren zu besiegen und ihren Freunden die gestohlene Zeit zurückzugeben.

Bild zum Vergrößern

Momo (Marie-Louise Hertog) mit ihren Freunden Gigi (Alessio Monforte, rechts) und Beppo (Georgios Michelakis, links) (im Hintergrund: MiR Dance Company)

Wer hofft, diese Geschichte in Form eines Märchenballetts für die ganze Familie erleben zu können, wird sicherlich enttäuscht werden, da Spotas Bildsprache sehr abstrakt ist. So gibt es nicht eine Tänzerin, die Momo verkörpert, sondern drei Tänzerinnen und einen Tänzer. Momo ist also ein Teil von uns allen. Eine bedeutende Rolle spielt dabei ein gelber Anorak, der zum einen für die übergroße gelbe Jacke steht, die die Titelfigur im Buch trägt, andererseits aber auch an Greta Thunberg erinnert, wobei Momos Kampf um die Zeit mit Gretas Kampf gegen den Klimawandel verglichen wird. Dieser gelbe Anorak hat aber auch eine Kehrseite. Das Innenfutter ist schwarz, und wenn es nach außen getragen wird, verwandeln sich die Menschen vom hoffnungsvollen Gelb zum düsteren Schwarz, um anzudeuten, dass sie ihre Zeit an die grauen Herren verloren haben. Auch dieser Teil steckt in uns allen, und wir haben die Wahl, wofür wir uns entscheiden. Spota lässt diese Entscheidung am Ende offen. Alle Tänzerinnen und Tänzer treten mit diesen Anoraks an die Rampe und lassen sie nacheinander ins Publikum fallen.

Bild zum Vergrößern

Der graue Herr (Simone Frederick Scacchetti) fürchtet den Verlust der Zeit.

Als Bühnenbild fungieren weiße Plastikstühle, die teilweise auf der Bühne von den Tänzerinnen und Tänzern zu immer neuen Szenen angeordnet werden, teilweise geschwungene Bögen im Hintergrund bilden, die die Bühne einrahmen. Wenn die Zuschauer den Saal betreten, feiern die Tänzerinnen und Tänzer ausgelassen auf der Bühne. Die Kostüme sind dabei hell gehalten. Dabei handelt es sich allerdings um Wechselkostüme, die auch eine dunkle Seite besitzen, nämlich dann, wenn die Menschen ihrer Zeit beraubt werden. In dieses fröhliche Ambiente tritt eine Tänzerin im gelben Anorak und übergibt ihn an eine weitere Tänzerin, die die Rolle Momos übernimmt und die Stimmung noch ausgelassener macht. Die Stühle werden zu einer Art Schiff geformt, und die Tänzerinnen und Tänzer durchleben ein Schiffabenteuer, was ohne Erläuterung im Programmheft aber recht diffus bleibt. Die Musik stammt von der 1994 gegründeten isländischen Rockband Sigur Rós und dem Duo Atmo, hinter dem sich einer der Tänzer, Simone Donati, und sein Bruder Giulio verbergen. Sie besteht aus sphärischen Klängen, die kaum greifbar sind, aber in teils ruhigem, teils hektischem Fluss deutlich machen, ob die Menschen eher Momos Welt oder der Welt der grauen Herren folgen. Eine melodische Linie ist selten zu erkennen, sondern eher ein Rhythmus, der die Atmosphäre des Stückes gut einfängt.

Bild zum Vergrößern

Brecht Bovijn (rechts) als Momo mit der MiR Dance Company

Als erste Momo setzt Marie-Louise Hertog Akzente. Mit fließenden Bewegungen fasziniert sie nicht nur das Publikum, sondern lässt auch die übrigen Tänzerinnen und Tänzer in Momos Welt eintauchen. Alessio Monforte und Georgios Michelakis stehen ihr als enge Freunde Gigi und Beppo zur Seite. Betörend gelingt das Pas de deux mit Monforte, in dem Momo Gigi von seiner Melancholie befreit. Mit einer Hand auf dem Herzen deutet Monforte an, dass Gigis Herz verschlossen ist. Doch allmählich gelingt es Hertog, ihren Freund von seiner Trauer zu befreien und die Hand vom Herzen zu lösen. Als zweite Momo setzt sich dann Brecht Bovijn mit Simone Frederick Scacchetti als grauem Herren auseinander, der Momo mit Hilfe einer Puppe, die wunderbar fremdbestimmt von Hitomi Kuhara dargestellt wird, für sich zu gewinnen versucht. Beeindruckend gelingt hier Scacchettis innerer Kampf, wenn er verzweifelt gegen den entweichenden Rauch ankämpft, der unter seinem Kostüm hervorkommt. Genevieve O'Keeffe gelingt dann als Momo die Flucht vor den grauen Herren ins Nirgendhaus. Dazu öffnet sich im Hintergrund eine Tür, und in fahlem Licht krabbelt Pablo Navarro Muñoz als Kassiopeia hervor. Es erklärt sich von selbst, dass er als Schildkrötenpanzer einen weißen Plastikstuhl trägt, auf dem er Momo ins Nirgendhaus befördert, in das ihnen die grauen Herren nicht folgen können.

Doch nun werden Gigi und Beppo Opfer der grauen Herren. Der Bühnenteppich wird von der Rampe aus hochgehoben, und die Tänzerinnen und Tänzer bedecken mit diesem Boden sich selbst und die ganzen weißen Stühle, so dass alles Helle in düsteres Schwarz getaucht wird. In diese triste Welt kehrt nun Chiara Rontini als Momo zurück und lässt die weißen Stühle wieder unter dem schwarzen Tuch zum Vorschein kommen. Ob sie die Menschheit damit retten kann, bleibt in gewisser Weise offen. Die MiR Dance Company überzeugt in abstrakten fließenden Bewegungen durch eine enorme Energie und lässt den Abend zu einem Erlebnis werden, auch wenn man der Geschichte nicht immer ganz zu folgen vermag. So wird das Ensemble mit großem Beifall belohnt. Dass in dieser Vorstellung einige Plätze im Kleinen Haus leer blieben, mag wohl einer gewissen Sorge vor dem Sturm Sabine geschuldet sein, der dazu geführt hat, dass der eine oder andere Besucher lieber zuhause geblieben ist.

FAZIT

Auch wenn es sich bei Spotas Choreographie von Momo nicht um ein klassisches Ballett für die ganze Familie handelt, wie die Empfehlung "ab 10 Jahren" andeuten könnte, bietet der Tanzabend beeindruckende Bilder und erzählt eine nachdenklich stimmende Geschichte.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Inszenierung, Choreographie,
Bühne und Kostüme
Giuseppe Spota

Mitarbeit Kostüme
Karin Gottschalk

Licht
Thomas Ratzinger

Dramaturgie
Anna Chernomordik

 

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Momo
*Marie-Louise Hertog /
Sotiria Koutsoptrou
*Brecht Bovijn /
Simone Donati
*Genevieve O'Keeffe /
Konstantina Chatzistavrou
*Chiara Rontini
Eunji Yang

Gigi
*Alessio Monforte /
Pablo Navarro Muñoz

Beppo
*Georgios Michelakis /
Simone Frederick Scacchetti

Kassiopeia
*Pablo Navarro Muñoz /
Yu-Chi Chen

Grauer Herr
*Simone Frederick Scacchetti /
Georgios Michelakis

Puppe
Sotiria Koutsopetrou /
*Hitomi Kuhara

Quintett der Grauen Herren
*Simone Donati /
Alessio Monforte
*Yu-Chi Chen /
Brecht Bovijn
*Konstantina Chatzistavrou /
Chiara Rontini
*Hitomi Kuhara /
Genevieve O'Keeffe
*Eunji Yang /
Marie-Louise Hertog

Ensemble
Hamilton Blomquist
Matthea Lára Pedersen


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Musiktheater im Revier
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2020 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -