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Märchen im Grand Hotel  

Lustspieloperette in zwei Akten mit einem Vor- und Nachspiel nach Alfred Savoir
Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda
Bühnenpraktische Rekonstruktion  von Henning Hagedorn und Matthias Grimmiger
Musikalische Einrichtung für die Staatsoper Hannover durch Kai Tietje
Textfassung von  Stefan Huber
Musik von Paul Abraham

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden, 40  Minuten (1 Pause)

In deutscher Sprache

Premiere am 16. November 2019 in der Staatsoper Hannover
besuchte Aufführung: 23. November 2019



Staatsoper Hannover
 (Homepage)

Köstlich, herrlich, beglückend


Von Bernd Stopka / Fotos von Ralf Mohr

Operette, Walzer, Tango, Charleston, Ragtime, Foxtrott, Jazz, Swingendes und viele weitere musikalische Erscheinungsformen vereint Paul Abraham in seiner quicklebendig-quirligen Lustspieloperette Märchen im Grand Hotel, die bei der Uraufführung 1934 heftig umjubelt wurde, dann, wie alle Werke jüdischer Komponisten, verboten wurde und nach dem Krieg nicht wieder auf die Spielpläne zurückfand. Im deutschsprachigen Raum gab es 2018 (!) am Staatstheater Mainz die erste szenische Produktion seit der Uraufführung, ein Jahr zuvor an der Komischen Oper Berlin eine stark gekürzte konzertante Fassung. Die Staatsoper Hannover hat sich dieses Werkes nun angenommen und lässt auch in ihrer Produktion weder Zweifel noch Verwunderung darüber aufkommen, dass es seinerzeit ein Riesenerfolg war. Wie eine glückliche Erinnerung an die goldenen Zwanziger muss es dem Publikum damals vorgekommen sein und genauso wirkt es auch heute.
 
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Mackintosh (Ansgar Schäfer, Mitte), Ensemble

Timo Dentler und Okarina Peter zeigen ein wunderbares, farbenfroh aber nicht knallig ausgeleuchtetes, stilvolles Bühnenbild, das einfach wirkt, aber alles (und noch mehr) hat, was es braucht und dazu noch reichlich Raum zum Tanzen lässt. Eine Palme genügt, um uns nach Cannes zu versetzen, ein Tresen, um ein Hotel anzudeuten. Auf der großen Drehbühne stehen drei kleinere, in sich wiederum dreigeteilte Drehbühnen, die mit Drehtüren versehen sind und durch die verschiedenen Verschiebungs- und Kombinationsmöglichkeiten die unterschiedlichen Spielräume entstehen lassen. Ein halbrundes auf- und abfahrbares Bühnenelement umschließt das Drehbühnenrund entweder als Filmmagnaten-Arbeitstresen, auf dessen Fronten Filmplakate zu sehen sind, oder als über der Szene schwebender Leuchtschriftträger, der den Spielort als „Grand Hotel“ ausweist und die Reisestationen der Filmproduzententochter von Hollywood nach Cannes und zurück anzeigt. In den Büroszenen umschließt hinter dem Tresen ein riesiger Kino- oder Revue-Vorhang das Drehbühnenrund.  
 
Foto folgt Marylou (Valentina Inzko Fink, Mitte), Ensemble   

Regisseur Stefan Huber inszeniert dieses wie ein Mischwerk aus Operette und Revue anmutende Meisterwerk seinerseits meisterlich und in jeglicher Hinsicht genau auf den Punkt. Das Spieltempo ist flott aber nicht hektisch, die Szenen-Übergänge nahtlos, aber nicht gehetzt, eher wie metrische Pausen in der Musik. Die gekürzten Dialoge sprühen vor Wortwitz, Komik und Ironie. Bonmots, Wortspiele und Andeutungen kommen wie selbstverständlich en passant daher, ohne besondere Betonung oder gar Lachpausen, was sie ganz besonders komisch macht. Selbst die Drehtürkomik ist nostalgisch witzig.
Gleiches gilt für die kongeniale Choreografie von Andrea Danae Kingston, ihres Zeichens Tänzerin und Stepperin, die die Ästhetik der Zwanziger lebendig werden lässt, mit unzähligen urkomischen Einfällen anreichert und punktgenaue optische Pointen setzt. Da wird im Rhythmus Maschine geschrieben, entstehen für Sekunden eingefrorene Bilder, die die quirlige Lebendigkeit davor und danach umso deutlich spürbar machen – und wenn es den Figuren besonders wohl ist, fangen sie an zu steppen. Wo kann man heute sonst noch Stepptanz satt erleben? Aber es gibt auch die Momente, die nicht in die Beine, sondern ins Herz gehen. Zum ruhigen, melancholischen Titelsong sieht man die Personen von allen Seiten über die Bühne geradezu schweben und Dinge tun, die ihr ganz persönliches „Märchen im Grand Hotel“ bedeuten würden. Das geht unter die Haut. Ob es wirklich nötig ist, Männer im Park zu zeigen, die die Hand zum Hitler-Gruß erheben, und damit einerseits den aufkommenden Nationalsozialismus und andererseits das durch ihn verursachte Schicksal des Komponisten mit einzubeziehen, mag jeder selbst entscheiden. Dass diese beiden Männer dann von einem affektierten jungen Mann abserviert werden, gehört auch in den Bereich der Wunschträume.

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Großfürst Paul (Daniel Eggert), Prinz Andreas (Philipp Kapeller), Baron Don Lossas (Ansgar Schäfer),  Isabella (Mercedes Arcuri), Ines (Carmen Fuggiss)

Die Handlung beruht in erster Linie darauf, den Stoff für einen Hollywood-Film zu finden, der neu und aufregend ist und unbedingt ein Happy End haben muss. Eine spanische Infantin im Asyl, die vom als Kellner verkleideten Sohn eines Hotelmillionärs geliebt wird, muss ein Vorspiel, zwei Akte und ein Nachspiel durchleben, ehe sie ihn, dann adoptiert geadelt, zum Manne nimmt, und ihrerseits ihren Verlobten an die Tochter eines Filmproduzenten abtritt, die sich, vom Vater emanzipierend und das Neue, Spektakuläre suchend, die Sporen als Drehbuchautorin verdient, indem sie aus der ganzen Geschichte einen Film macht. Mit besagtem Happy End. So ein etwas gewaltsam ironisch herbeigeführtes Happy End ist natürlich nicht ungewöhnlich: Das Neue und Aufregende ist, dass die Darsteller allesamt Schauspiellaien sind und sich selbst spielen – und zwar durch alle Gesellschaftsschichten hindurch. Vielerlei Verwicklungen, Verkleidungen und Verwirrungen müssen dabei durchgemacht werden. Ob das Happy End dann wirklich so happy ist, bleibt abzuwarten. Der Hotelmillionär hat seine Hotelkette verkauft, um sich adoptieren zu lassen und so zum Herzog von Muränien zu werden. Nun ist Albert für die verwöhnte spanische Infantin zwar standesgemäß, aber nicht mehr reich. Ob das gutgeht...?

Die Geschichte spielt in den Zwanzigern, woran die vielfältigen Kostüme von Heike Seidler keinen Zweifel lassen. Herrlich, das im Kostüm der Kammerzofe angedeutete Spanien. Köstlich, Marylous weiter Hosenanzug, den auch Marlene Dietrich getragen haben könnte. Witzig, die von einer Seite weiße und von der anderen Seite schwarze Fliege, die fix gewendet aus einem Kellner einen Gentleman macht.
Zu Beginn und am Ende sieht man aber die gealterte Marylou am Laptop mit der Zigarre ihres Vaters an dem Halbrund sitzen, auf deren Frontelement Bilder von heutigen Reality-TV-Formaten (Big Brother, Die Bachelorette, The Apprentice…) gezeigt werden. Auf den Kino-Vorhang hinter ihr wird zunächst die sich drehende Weltkugel eines bedeutenden Hollywood-Filmunternehmens in der heutigen Version projiziert, bevor in einem Augenblick die Szene 100 Jahre zurückverlegt wird, die Weltkugel in schwarz/weiß prangt und Tarzan und Co. als aktuelle Filme angekündigt werden. Ein geistreicher dezenter Hinweis darauf, dass diese Story die Urquelle heutiger Reality-Serien sein könnte.

Foto folgtInez (Carmen Fuggiss), Albert (Alexander von Hugo), Isabella (Mercedes Arcuri)

Alexander von Hugo begeistert als Albert mit herzerweichendem Charme, wunderschönem Timbre, ausgeprägter Spielfreude und einer atemberaubenden, fulminanten Steppeinlage. Als Infantin Isabella verströmt Mercedes Arcuri aristokratischen Stil und stimmliche Eleganz, gepaart mit sehnsuchtsvollen Anteilen, die in der Figur nicht nur die verhinderte Königin, sondern auch die liebende Frau erkennen lassen. Valentina Inzko Fink ist eine herrliche Marylou, die mit einer gewissen Schrillheit schauspielerisch, tanzend und auch stimmlich amerikanische Klischees erfüllt. Philipp Kapeller singt den Prinzen Andreas mit angenehm weichem Tenor und zeigt mit vollschlanker Figur köstliche tänzerische Grazie. Ansgar Schäfer beweist in der Doppelrolle als schmieriger Mackintosh und höfisch-steifer Baron Don Lossas seine Vielfältigkeit. Frank Schneiders ist ein eleganter Hotel-Präsident Chamoix, Daniel Eggert, ein adäquater Großfürst Paul, Henrike Starck eine tapsige Zofe Mabel und Andreas Zaron ein stilvoller Matard. Carmen Fuggis agiert als Gräfin Ines de Ramirez (Isabellas Hofdame) ebenso angemessen standesdünkelnd höfisch wie quicklebendig als Mackintoshs Sekretärin.
Unter der musikalischen Leitung von Carlos Vázquez versprüht das glänzend disponierte und engagiert mitgehende Orchester Schwung, Swing und Esprit aus dem Orchestergraben. Auch hier: alles genau auf dem Punkt, auch die Koordination zwischen Graben und Bühne. Die elektronische Verstärkung der Sänger (Ton: Christoph Schütz) gelingt gleichfalls genau im richtigen Verhältnis, nicht zu stark, nicht zu schwach – und sie bewirkt eine absolute Textverständlichkeit beim gesprochenen und gesungenen Wort.

FAZIT

Eine genial-großartige Produktion dieses wiederentdeckten, wunderbar heiteren Mischwerks aus Operette und Revue. In jeglicher Hinsicht auf den Punkt gebracht, beglückt und erheitert dieser Abend, geht in die Beine und direkt in die Gesichtsmuskeln, die dem Zuschauer ein Dauerlächeln ins Gesicht zaubern. Herrrrlich!


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Produktionsteam

Musikalische Leitung    
Carlos Vázquez

Inszenierung   
Stefan Huber

Bühne
Timo Dentler
Okaterina Peter

Kostüme    
Heike Seidler

Choreografie   
Andrea Danae Kingston

Licht
Sascha Zauner

Video   
Sascha Vredenburg

Ton   
Christoph Schütz

Musikalische Arrangements
Kai Tieja

Dramaturgie    
Julia Huebner


Statisterie der
Staatsoper Hannover

Niedersächsisches Staatsorchester
Hannover


Solisten

Die Infantin Isabella
Mercedes Arcuri

Großfürst Paul
Daniel Eggert

Prinz Andreas
Philipp Kapeller

Gräfin Inez de Ramirez / Sekretärin
Carmen Fuggiss

Mackintosh / Baron Don Lossas
Ansgar Schäfer

Präsident Chamoix / Dryser
Frank Schneiders

Matard / Barry
Andreas Zaron

Albert
Alexander von Hugo

Marylou
Valentina Inzko Fink

Mabel / Sekretärin
Henrike Starck

Dramaturgen / Sekretärinnen /
Hotelangestellte / Hotelgäste
Kevin Arand
Christopher Bolam
Stephen Dole
Katrin Merkl
Miriam Neumaier
Shari Lynn Stewen
Julia Waldmayer
Konstantin Zander






 

Weitere Informationen
erhalten Sie von der

Staatsoper Hannover
(Homepage)





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