Köstlich,
herrlich, beglückend
Von Bernd
Stopka / Fotos von Ralf Mohr
Operette,
Walzer, Tango, Charleston,
Ragtime, Foxtrott, Jazz,
Swingendes und viele weitere
musikalische
Erscheinungsformen vereint
Paul Abraham in seiner
quicklebendig-quirligen
Lustspieloperette Märchen
im Grand Hotel, die
bei der Uraufführung 1934
heftig umjubelt wurde, dann,
wie alle Werke jüdischer
Komponisten, verboten wurde
und nach dem Krieg nicht
wieder auf die Spielpläne
zurückfand. Im
deutschsprachigen Raum gab
es 2018 (!) am Staatstheater
Mainz die erste szenische
Produktion seit der
Uraufführung, ein Jahr zuvor
an der Komischen Oper Berlin
eine stark gekürzte
konzertante Fassung. Die
Staatsoper Hannover hat sich
dieses Werkes nun angenommen
und lässt auch in ihrer
Produktion weder Zweifel
noch Verwunderung darüber
aufkommen, dass es
seinerzeit ein Riesenerfolg
war. Wie eine glückliche
Erinnerung an die goldenen
Zwanziger muss es dem
Publikum damals vorgekommen
sein und genauso wirkt es
auch heute.
Mackintosh
(Ansgar Schäfer, Mitte),
Ensemble
Timo Dentler
und Okarina
Peter zeigen
ein
wunderbares,
farbenfroh
aber nicht
knallig
ausgeleuchtetes,
stilvolles
Bühnenbild,
das einfach
wirkt, aber
alles (und
noch mehr)
hat, was es
braucht und
dazu noch
reichlich Raum
zum Tanzen
lässt. Eine
Palme genügt,
um uns nach
Cannes zu
versetzen, ein
Tresen, um ein
Hotel
anzudeuten.
Auf der großen
Drehbühne
stehen drei
kleinere, in
sich wiederum
dreigeteilte
Drehbühnen,
die mit
Drehtüren
versehen sind
und durch die
verschiedenen
Verschiebungs-
und
Kombinationsmöglichkeiten
die
unterschiedlichen
Spielräume
entstehen
lassen. Ein
halbrundes
auf- und
abfahrbares
Bühnenelement
umschließt das
Drehbühnenrund
entweder als
Filmmagnaten-Arbeitstresen,
auf dessen
Fronten
Filmplakate zu
sehen sind,
oder als über
der Szene
schwebender
Leuchtschriftträger,
der den
Spielort als
„Grand Hotel“
ausweist und
die
Reisestationen
der
Filmproduzententochter
von Hollywood
nach Cannes
und zurück
anzeigt. In
den Büroszenen
umschließt
hinter dem
Tresen ein
riesiger Kino-
oder
Revue-Vorhang
das
Drehbühnenrund.
Marylou
(Valentina
Inzko Fink,
Mitte),
Ensemble
Regisseur Stefan Huber
inszeniert dieses wie ein
Mischwerk aus Operette und
Revue anmutende
Meisterwerk seinerseits
meisterlich und in
jeglicher Hinsicht genau
auf den Punkt. Das
Spieltempo ist flott aber
nicht hektisch, die
Szenen-Übergänge nahtlos,
aber nicht gehetzt, eher
wie metrische Pausen in
der Musik. Die gekürzten
Dialoge sprühen vor
Wortwitz, Komik und
Ironie. Bonmots,
Wortspiele und Andeutungen
kommen wie
selbstverständlich en
passant daher, ohne
besondere Betonung oder
gar Lachpausen, was sie
ganz besonders komisch
macht. Selbst die
Drehtürkomik ist
nostalgisch witzig.
Gleiches gilt für die
kongeniale Choreografie
von Andrea Danae Kingston,
ihres Zeichens Tänzerin
und Stepperin, die die
Ästhetik der Zwanziger
lebendig werden lässt, mit
unzähligen urkomischen
Einfällen anreichert und
punktgenaue optische
Pointen setzt. Da wird im
Rhythmus Maschine
geschrieben, entstehen für
Sekunden eingefrorene
Bilder, die die quirlige
Lebendigkeit davor und
danach umso deutlich
spürbar machen – und wenn
es den Figuren besonders
wohl ist, fangen sie an zu
steppen. Wo kann man heute
sonst noch Stepptanz satt
erleben? Aber es gibt auch
die Momente, die nicht in
die Beine, sondern ins
Herz gehen. Zum ruhigen,
melancholischen Titelsong
sieht man die Personen von
allen Seiten über die
Bühne geradezu schweben
und Dinge tun, die ihr
ganz persönliches „Märchen
im Grand Hotel“ bedeuten
würden. Das geht unter die
Haut. Ob es wirklich nötig
ist, Männer im Park zu
zeigen, die die Hand zum
Hitler-Gruß erheben, und
damit einerseits den
aufkommenden
Nationalsozialismus und
andererseits das durch ihn
verursachte Schicksal des
Komponisten mit
einzubeziehen, mag jeder
selbst entscheiden. Dass
diese beiden Männer dann
von einem affektierten
jungen Mann abserviert
werden, gehört auch in den
Bereich der Wunschträume.
Großfürst
Paul (Daniel
Eggert), Prinz
Andreas
(Philipp
Kapeller),
Baron Don
Lossas (Ansgar
Schäfer),
Isabella
(Mercedes
Arcuri), Ines
(Carmen
Fuggiss)
Die Handlung beruht in erster
Linie darauf, den Stoff
für einen Hollywood-Film
zu finden, der neu und
aufregend ist und
unbedingt ein Happy End
haben muss. Eine spanische
Infantin im Asyl, die vom
als Kellner verkleideten
Sohn eines Hotelmillionärs
geliebt wird, muss ein
Vorspiel, zwei Akte und
ein Nachspiel durchleben,
ehe sie ihn, dann
adoptiert geadelt, zum
Manne nimmt, und
ihrerseits ihren Verlobten
an die Tochter eines
Filmproduzenten abtritt,
die sich, vom Vater
emanzipierend und das
Neue, Spektakuläre
suchend, die Sporen als
Drehbuchautorin verdient,
indem sie aus der ganzen
Geschichte einen Film
macht. Mit besagtem Happy
End. So ein etwas
gewaltsam ironisch
herbeigeführtes Happy End
ist natürlich nicht
ungewöhnlich: Das Neue und
Aufregende ist, dass die
Darsteller allesamt
Schauspiellaien sind und
sich selbst spielen – und
zwar durch alle
Gesellschaftsschichten
hindurch. Vielerlei
Verwicklungen,
Verkleidungen und
Verwirrungen müssen dabei
durchgemacht werden. Ob
das Happy End dann
wirklich so happy ist,
bleibt abzuwarten. Der
Hotelmillionär hat seine
Hotelkette verkauft, um
sich adoptieren zu lassen
und so zum Herzog von
Muränien zu werden. Nun
ist Albert für die
verwöhnte spanische
Infantin zwar
standesgemäß, aber nicht
mehr reich. Ob das
gutgeht...?
Die Geschichte spielt in
den Zwanzigern, woran die
vielfältigen Kostüme von
Heike Seidler keinen
Zweifel lassen. Herrlich,
das im Kostüm der
Kammerzofe angedeutete
Spanien. Köstlich,
Marylous weiter
Hosenanzug, den auch
Marlene Dietrich getragen
haben könnte. Witzig, die
von einer Seite weiße und
von der anderen Seite
schwarze Fliege, die fix
gewendet aus einem Kellner
einen Gentleman macht.
Zu Beginn und am Ende
sieht man aber die
gealterte Marylou am
Laptop mit der Zigarre
ihres Vaters an dem
Halbrund sitzen, auf deren
Frontelement Bilder von
heutigen
Reality-TV-Formaten (Big
Brother, Die Bachelorette,
The Apprentice…) gezeigt
werden. Auf den
Kino-Vorhang hinter ihr
wird zunächst die sich
drehende Weltkugel eines
bedeutenden
Hollywood-Filmunternehmens
in der heutigen Version
projiziert, bevor in einem
Augenblick die Szene 100
Jahre zurückverlegt wird,
die Weltkugel in
schwarz/weiß prangt und
Tarzan und Co. als
aktuelle Filme angekündigt
werden. Ein geistreicher
dezenter Hinweis darauf,
dass diese Story die
Urquelle heutiger
Reality-Serien sein
könnte.
Inez (Carmen Fuggiss), Albert (Alexander von Hugo), Isabella
(Mercedes
Arcuri)
Alexander
von Hugo
begeistert als
Albert mit
herzerweichendem
Charme,
wunderschönem
Timbre,
ausgeprägter
Spielfreude
und einer
atemberaubenden,
fulminanten
Steppeinlage.
Als Infantin
Isabella
verströmt
Mercedes
Arcuri
aristokratischen
Stil und
stimmliche
Eleganz,
gepaart mit
sehnsuchtsvollen
Anteilen, die
in der Figur
nicht nur die
verhinderte
Königin,
sondern auch
die liebende
Frau erkennen
lassen.
Valentina
Inzko Fink ist
eine herrliche
Marylou, die
mit einer
gewissen
Schrillheit
schauspielerisch,
tanzend und
auch stimmlich
amerikanische
Klischees
erfüllt.
Philipp
Kapeller singt
den Prinzen
Andreas mit
angenehm
weichem Tenor
und zeigt mit
vollschlanker
Figur
köstliche
tänzerische
Grazie. Ansgar
Schäfer
beweist in der
Doppelrolle
als
schmieriger
Mackintosh und
höfisch-steifer
Baron Don
Lossas seine
Vielfältigkeit.
Frank
Schneiders ist
ein eleganter
Hotel-Präsident
Chamoix,
Daniel Eggert,
ein adäquater
Großfürst
Paul, Henrike
Starck eine
tapsige Zofe
Mabel und
Andreas Zaron
ein stilvoller
Matard. Carmen
Fuggis agiert
als Gräfin
Ines de
Ramirez
(Isabellas
Hofdame)
ebenso
angemessen
standesdünkelnd
höfisch wie
quicklebendig
als
Mackintoshs
Sekretärin.
Unter der
musikalischen
Leitung von
Carlos Vázquez
versprüht das
glänzend
disponierte
und engagiert
mitgehende
Orchester
Schwung, Swing
und Esprit aus
dem
Orchestergraben.
Auch hier:
alles genau
auf dem Punkt,
auch die
Koordination
zwischen
Graben und
Bühne. Die
elektronische
Verstärkung
der Sänger
(Ton:
Christoph
Schütz)
gelingt
gleichfalls
genau im
richtigen
Verhältnis,
nicht zu
stark, nicht
zu schwach –
und sie
bewirkt eine
absolute
Textverständlichkeit
beim
gesprochenen
und gesungenen
Wort.
FAZIT
Eine
genial-großartige
Produktion dieses
wiederentdeckten,
wunderbar heiteren
Mischwerks aus Operette
und Revue. In jeglicher
Hinsicht auf den Punkt
gebracht, beglückt und
erheitert dieser Abend,
geht in die Beine und
direkt in die
Gesichtsmuskeln, die dem
Zuschauer ein
Dauerlächeln ins Gesicht
zaubern. Herrrrlich!
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|
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Carlos Vázquez
Inszenierung
Stefan Huber
Bühne
Timo Dentler
Okaterina Peter
Kostüme
Heike Seidler
Choreografie
Andrea Danae Kingston
Licht
Sascha Zauner
Video
Sascha Vredenburg
Ton
Christoph Schütz
Musikalische Arrangements
Kai Tieja
Dramaturgie
Julia Huebner
Statisterie der
Staatsoper Hannover
Niedersächsisches Staatsorchester
Hannover
Solisten
Die
Infantin Isabella
Mercedes
Arcuri
Großfürst Paul
Daniel
Eggert
Prinz Andreas
Philipp
Kapeller
Gräfin Inez de Ramirez / Sekretärin
Carmen
Fuggiss
Mackintosh / Baron Don Lossas
Ansgar
Schäfer
Präsident Chamoix / Dryser
Frank
Schneiders
Matard / Barry
Andreas
Zaron
Albert
Alexander
von Hugo
Marylou
Valentina
Inzko Fink
Mabel / Sekretärin
Henrike
Starck
Dramaturgen / Sekretärinnen /
Hotelangestellte / Hotelgäste
Kevin
Arand
Christopher
Bolam
Stephen
Dole
Katrin
Merkl
Miriam
Neumaier
Shari
Lynn Stewen
Julia
Waldmayer
Konstantin Zander
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Staatsoper Hannover
(Homepage)
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