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Cardillac

Oper in drei Akten
Libretto von Ferdinand Lion, basierend auf der Novelle Das Fräulein von Scuderi von E.T.A. Hoffmann
Musik von Paul Hindemith

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 21. September 2019


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Die Frage nach der Kunst

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre (Rechte Theater Hagen)

2019 wird das "Bauhaus-Jahr" gefeiert. Die 1919 von Walter Gropius gegründete Kunst-, Design- und Architekturschule hat auch in Hagen ihre Spuren hinterlassen, was ein Grund dafür ist, dass man am Theater Hagen bei der Stückauswahl ebenfalls einen Schwerpunkt auf diese Epoche legt. Ein Komponist, der dieser Kunstrichtung sehr nahe stand, war Paul Hindemith. So wurde nicht nur die im Rahmen der "Bauhauswoche" erste große Ausstellung im Nationaltheater Weimar mit Hindemiths Marienliedern eröffnet. Auch seine erste abendfüllende Oper Cardillac orientiert sich mit ihrer Strukturbetonung und Funktionalitätsorientierung ganz am Stil dieser Kunstrichtung. Für die Nationalsozialisten galt Hindemiths Musik als entartete Kunst, und bereits 1934 wurde ein Sendeverbot für Werke von Hindemith im Deutschen Rundfunk verhängt, weil Hindemith sich in der Schweiz abfällig über Hitler geäußert haben soll. Hindemith emigrierte zunächst in die Schweiz und von dort aus in die USA, wo er 1946 die US-amerikanische Staatsbürgerschaft erwarb. Als er nach dem Krieg nach Europa zurückkehrte, beschloss er, seine Oper Cardillac vollständig zu überarbeiten und ergänzte einen weiteren Akt. Obwohl er selbst dieser neuen Fassung den Vorzug gab, entscheiden sich die Theater heute meistens für die Urfassung, wenn sie dieses Werk auf den Spielplan stellen. Auch in Hagen spielt man mit Blick auf das "Bauhaus-Jubiläum" die dreiaktige Fassung von 1926.

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Cardillac (Thomas Berau) tötet für seine Kunst.

Die Geschichte basiert auf einer Erzählung aus E.T.A. Hoffmanns Novelle Das Fräulein von Scuderi, die zwischen 1819 und 1821 in Hoffmanns Zyklus Die Serapionsbrüder erschien und von einer rätselhaften Mordserie im 17. Jahrhundert handelt, um deren Aufklärung sich bei Hoffmann die französische Schriftstellerin Madeleine de Scudéry bemüht, die in der Oper allerdings nicht vorkommt. Stattdessen konzentrieren sich Hindemith und sein Librettist Ferdinand Lion ganz auf den Goldschmied Cardillac, der bei der Herstellung seiner Kunstwerke eine so enge Beziehung zu ihnen entwickelt, dass er es nicht ertragen kann, dass sie jemand anderem gehören, und deshalb die Käufer seiner Kunststücke kurz nach dem Erwerb ermordet. Das Volk von Paris ist beunruhigt über die Mordserie. Jeder verdächtigt jeden. Der König setzt zur Aufklärung des Falls einen neuen Gerichtshof ein: die brennende Kammer. Als erneut ein Kavalier im Schlafzimmer einer Dame ermordet wird, nachdem er ihr ein Schmuckstück Cardillacs überreichen wollte, verdächtigt der Goldhändler den Goldschmied und plant, ihn genauestens zu beobachten. Cardillacs Tochter hat sich mittlerweile in einen Offizier verliebt, der sie heiraten möchte. Als Hochzeitsgeschenk will er ihr ein wertvolles Schmuckstück von Cardillac schenken. Widerwillig verkauft Cardillac dem künftigen Schwiegersohn dieses Schmuckstück und versucht anschließend, ihn auf der Straße zu ermorden. Der Anschlag schlägt fehl. Der Goldhändler, der alles beobachtet hat, beschuldigt Cardillac. Doch der Offizier schützt Cardillac und gibt an, dass der Goldhändler der Täter sei. Das Volk feiert Cardillac, bis dieser angewidert seine Taten gesteht und vom aufgebrachten Volk hingerichtet wird.

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Der Kavalier (Thomas Paul) verspricht der Dame (Veronika Haller) ein Schmuckstück des berühmten Goldschmieds.

Das Regie-Team um Jochen Biganzoli interessiert sich weniger für den Krimi-Plot der Geschichte, sondern legt den Fokus auf die Bedeutung der Kunst in unserer Gesellschaft. Auf die Rückwand werden Manifeste von Künstlern über die Kunst aus unterschiedlichen Epochen projiziert. Hinzu kommen Zitate aus einer Rede des Bundespräsidenten Franz Walter Steinmeier, die dieser zur Eröffnung der Ausstellung Die jungen Jahre der Alten Meister in der Staatsgalerie Stuttgart 2019 gehalten hat. Damit soll wahrscheinlich betont werden, wie wichtig die Kunst für den sie erschaffenden Künstler ist, was als Erklärungsansatz für Cardillacs Handeln dienen mag. Die Kostüme von Katharina Weissenborn sind dabei schlicht und einheitlich gehalten. Cardillac, das Volk, der Offizier und der Goldhändler treten in schwarzen Kostüme als quasi nicht unterscheidbare Masse auf. Auch der Künstler selbst sticht hier nicht heraus, was vielleicht nachvollziehbar macht, dass er lange Zeit nicht als Täter enttarnt werden kann, obwohl das Motiv doch relativ offensichtlich ist. Der Goldhändler sitzt zunächst im Publikum und tritt aus dem Zuschauersaal auf, um die Distanz zwischen Publikum und Geschehen auf der Bühne aufzuheben. Die Dame und der Kavalier heben sich deutlich von dieser schwarzen Masse ab. Die Dame ist in einen golden glitzernden Hosenanzug gekleidet, so dass man sich die Frage stellt, welches weitere Schmuckstück für sie denn überhaupt noch erstrebenswert sein kann. Wenn sie auf die Rückkehr des Kavaliers wartet, geht sie an Krücken. Auf der Drehbühne sieht man drei Statistinnen unterschiedlichen Alters im gleichen golden glitzernden Kostüm, die wohl alle die Dame zu unterschiedlichen Lebensstationen darstellen. Der Mensch vergeht, aber die Kunst bleibt. Das Schmuckstück, das der Kavalier der Dame bringt, ist ein schwarzer, relativ unspektakulärer Büstenhalter, mit dem Cardillac den Kavalier erwürgt.

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Cardillacs Tochter (Angela Davis) hängt an ihrem Vater.

Auch Cardillacs Tochter unterscheidet sich durch ihr weißes Kostüm deutlich von der restlichen Gesellschaft. Zunächst bewegt sie sich an einer schwarzen Band, um zu zeigen, dass sie schwer in der Lage ist, sich vom Vater zu lösen. Das Schmuckstück, das der Offizier von Cardillac erwerben will, ist eine weiße Puppe ohne Gesicht, die von einer Statistin dargestellt wird und im Kostüm an die Tochter erinnert, um anzudeuten, dass es dem Offizier bei dem "wertvollsten Schmuck", den er kaufen will, um die Tochter und nicht um ein Kunstwerk geht. Sinn macht es aber eigentlich nicht, da Cardillac ja überhaupt kein Problem hat, dem Offizier seine Tochter zu überlassen, sondern nur von dem Schmuckstück nicht ablassen will, das der Offizier einfordert. Bei dem Anschlag, den er anschließend auf den Offizier verübt, fällt eine Folie, die bis jetzt als Projektionsfläche diente, auf den Offizier herab. So wird zumindest nachvollziehbar, wieso Cardillac mit der Falschaussage des Offiziers noch einmal entkommen kann. Wenn er sich am Ende selbst entlarvt, fallen alle Folien herab, die die Bühne bisher eingerahmt haben, und geben den Blick auf die Theatermaschinerie frei. Die Kunst hat sich ihres Zaubers entledigt. Eine Stange wird aus dem Schnürboden herabgefahren, an der Cardillac aufgehängt und wie eine Art Christusfigur emporgefahren wird. Das Licht im Zuschauerraum geht an, und im Hintergrund wird eine weitere Folie hochgezogen, auf der zu lesen ist "Wozu Kunst?". Ob sich das Publikum bei dieser Inszenierung die Frage auch stellt?

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Quartett im dritten Akt: von links: Offizier (Milen Bozhkov), Goldhändler (Ivo Stánchev), Cardillacs Tochter (Angela Davis) und Cardillac (Thomas Berau), im Hintergrund: Opernchor

Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf gutem Niveau. Joseph Trafton arbeitet mit dem Philharmonischen Orchester Hagen die schwer zugängliche Musik Hindemiths mit allen ihren Eigenheiten eindrucksvoll heraus. Der von Wolfgang Müller-Salow einstudierte Opernchor leistet Gewaltiges und vermag, mit wuchtigem Klang als breite Masse das Publikum regelrecht einzuschüchtern. Zu erwähnen ist hier vor allem der Anfang, wenn sich der Chor als schwarze Masse mit kleinen grellen Lampen auf die Suche nach dem Mörder begibt und wahllos einzelne Verdächtige richtet. Auch wenn die Choristen im weiteren Verlauf mit blutrot gefärbten Händen nach weiteren Opfern suchen, wird dies bewegend umgesetzt. Thomas Berau gestaltet die Titelpartie mit markantem Bariton und macht darstellerisch glaubhaft, wie sehr er als Künstler an den von ihm geschaffenen Werken hängt. Angela Davis punktet als seine Tochter mit leuchtendem Sopran. Milen Bozhkov meistert die anspruchsvolle Partie des Offiziers mit sauberen Höhen. Gleiches gilt für Thomas Paul als Kavalier. Veronika Haller gibt die Dame im ersten Akt mit dunkel gefärbtem Sopran. Ivo Stánchev lässt als Goldhändler mit kräftigem Bass aufhorchen. Kenneth Mattice erscheint als Führer der Prévôté nur in einer Projektion und ist daher über Lautsprecher verstärkt zu hören. So gibt es am Ende für alle Beteiligten verdienten Applaus, in den sich auch das Regie-Team einreiht.

FAZIT

Jochen Biganzoli wählt einen sehr abstrakten, zum Bauhaus-Jahr passenden, Ansatz, der das Stück für das Publikum allerdings nicht unbedingt zugänglicher machen dürfte. Schon bei der Premiere blieben viele Plätze frei.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Joseph Trafton

Inszenierung
Jochen Biganzoli

Bühne
Wolf Gutjahr

Kostüme
Katharina Weissenborn

Licht
Hans-Joachim Köster

Chor
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Francis Hüsers

 

Chor und Extrachor des Theaters Hagen

Statisterie des Theaters Hagen

Philharmonisches Orchester Hagen


Solisten

Cardillac
Thomas Berau

Seine Tochter
Angela Davis

Offizier
Milen Bozhkov

Kavalier
Thomas Paul

Eine Dame
Veronika Haller

Goldhändler
Ivo Stánchev

Der Führer der Prévôté
Kenneth Mattice


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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