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Everest

Oper in einem Akt
Libretto von Gene Scheer
Musik von Joby Talbot

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 15' (keine Pause)

Wiederaufnahme im Theater Hagen am 29. September 2019 (Premiere: 6. Mai 2018)


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Mount Everest als Zauberberg

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre (Rechte Theater Hagen)

Der britische Komponist Joby Talbot hat bisher vor allem durch Filmmusik Bekanntheit erlangt. Zu erwähnen sind seine Kompositionen zu Per Anhalter durch die Galaxie von 2005 und zu dem Animationsfilm Sing aus dem Jahr 2016. Nachdem er sich daneben vor allem mit Stücken für Orchester und Gesang und für das Ballett gewidmet hatte, schuf er 2015 seine erste und bis heute einzige Oper Everest, die am 30. Januar 2015 ihre Uraufführung in Dallas erlebte. Im Mai 2018 konnte das Theater Hagen die europäische Erstaufführung dieses Werkes präsentieren (siehe auch unsere Rezension aus der Spielzeit 2017/2018). Nun gibt es eine Wiederaufnahme, die Andreas Vogelsberger mit dem Ensemble, dem Chor und dem Philharmonischen Orchester Hagen einstudiert hat.

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Beck Weathers (Morgan Moody) gelingt die Rückkehr vom Berg.

Erzählt wird die wahre Geschichte von drei Bergsteigern, die am 10. und 11. Mai 1996 in einer Gruppe von über 30 Menschen versuchten, den Gipfel des Mount Everest zu erreichen. Dieses Unternehmen forderte insgesamt acht Todesopfer, darunter den erfahrenen Bergführer Rob Hall aus Neuseeland und den reichen US-Amerikaner Doug Hansen, der von Hall zum Gipfel geführt werden wollte. Beck Weathers, ein weiterer US-Amerikaner, wurde von Hall kurz vor Erreichen des Gipfels im Schnee zurückgelassen und wartete vergeblich auf Halls Rückkehr. Mit letzter Kraft fand er schließlich den Weg zurück ins Basis-Camp und überlebte so auf wundersame Weise die Expedition. Über seine  Rückkehr vom Mount Everest verfasste Weathers ein Buch, das Grundlage für Talbots Oper wurde. Dabei wechselt die Perspektive zwischen diesen drei Männern, ohne dass eine zeitliche Chronologie erkennbar wird. Stattdessen lassen Talbot und sein Librettist Gene Scheer den Zuschauer in die Gedankenwelt der drei Figuren eintauchen. So halluziniert sich Weathers beispielsweise auf eine Gartenparty, wo er seiner Tochter Meg begegnet. Hansen betrachtet das Erreichen des Gipfels als höchstes Ziel, auch wenn es bedeutet, dass es sein Leben kostet. Hall erinnert sich an seine Frau Jan, die ihn früher auf seinen Bergtouren begleitet hat und nun wegen der Schwangerschaft in Neuseeland geblieben ist. In einem letzten Telefonat mit ihr, das über das Basis-Camp hergestellt werden kann, beschließen sie, das gemeinsame Kind Sarah zu nennen. Der Chor nimmt die Funktion eines auktorialen Erzählers ein und steht für die Seelen der vielen Toten, die der Berg im Laufe der Jahrzehnte gefordert hat.

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Rob Hall (Musa Nkuna, links) und Doug Hansen (Kenneth Mattice, rechts) erreichen zwar den Gipfel, schaffen den Abstieg aber nicht mehr.

Während bei der Uraufführung in Dallas der Versuch unternommen wurde, die Handlung mit einem Berg auf der Bühne umzusetzen, betrachtet das Regie-Team um Johannes Erath den Berg eher als eine Metapher. Da sich Halls Frau Jan in der Oper mit Ruth Mallory identifiziert, die 1924 vergeblich auf die Rückkehr ihres Mannes George Mallory gewartet hatte, der mit seinem Freund Andrew Irvine im Juni dieses Jahres erstmals versucht hatte, den Gipfel des Mount Everest zu besteigen, wird die Handlung in das schicksalhafte Jahr 1924 verlegt, in dem Thomas Mann seinen Roman Der Zauberberg vollendete. Erath und sein Team sehen zahlreiche Parallelen zwischen der Welt des Hans Castorp, der in einem Schweizer Sanatorium in den verschneiten Alpen auf die Zivilisationskrankheiten der wohlhabenden Europäer vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs trifft, und den Bergsteigern, die in einer ungesunden Form des Extremsports den modernen Zivilisationskrankheiten begegnen. So hat Kaspar Glaner einen hohen Raum geschaffen, der zunächst einen pittoresken Blick auf eine schneebedeckte Bergidylle liefert. Doch der Schein trügt, wie das erbarmungslose Rauschen des Windes, das dem Zuschauer schon vor dem Einsetzen der Musik ein Gefühl der Kälte vermittelt, andeutet.

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Ein Bild wie aus Thomas Manns Zauberberg (Chor, am Fenster hinten links: Jan Arnold (Veronika Haller))

Der Chor und die Solisten sitzen zu Beginn der Oper allesamt in Rollstühlen in diesem Raum und blicken auf die Bergwelt. Auch Jan Arnold befindet sich in diesem Raum, bewegt sich allerdings in einem dunkleren Kleid am Rand des Fensters und nimmt somit einen aktiveren Part ein. Die übrigen Figuren scheinen in ihren hellen Kostümen mit den weißen Stühlen, den weißen Wänden und dem Schnee der Bergwelt zu einer Einheit zu werden. Aus dem Boden erhebt sich ein kleiner Kasten, der den Blick auf einen schneebedeckten Miniaturberg freigibt. Auf diesen Kasten klettert zunächst der Bergführer Hall, um seine Führungsrolle zu bestätigen. Hansen versucht verzweifelt, diesen Kasten zu erreichen. Erath sieht Hansen wohl als einen Drogensüchtigen, für den der Schnee des Berges das Koks darstellt, das er dringend benötigt. So wird ihm der Schnee schließlich auch in kleinen Tüten verabreicht. Wenn Weathers von seiner Tochter Meg halluziniert, tanzt sie auf Spitze (eindrucksvoll umgesetzt von Elizabeth Pilon) auf diesem Kasten. Die weißen Verbände um ihre Unterarme deuten an, dass sie sich wohl die Pulsadern aufgeschnitten hat. Ob der Selbstmordversuch erfolgreich war, bleibt offen, da sie ja nicht als reale Figur in Erscheinung tritt.

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Guy Cotter (Sebastian Joest, hinten) gelingt es, einen letzten telefonischen Kontakt zwischen Jan (Veronika Haller) und ihrem Mann Rob (Musa Nkuna, links vorne) herzustellen (auf dem Boden rechts: Doug Hansen (Kenneth Mattice)).

Auch wenn Jan und ihr Mann Rob meilenweit voneinander entfernt sind und in der Oper nur miteinander telefonieren können, lässt Erath sie in der Personenregie einander sehr nahe kommen, was eine enge Bindung zwischen den beiden andeuten mag. Zum Ende hin ist der Chor auf der Bühne verschwunden. Zurück bleiben nur die drei Männer und Jan. Der Chor singt von den beiden Seiten im ersten Rang und übernimmt nun die Stimmen der Seelen, die auf dem Berg ihr Leben gelassen haben. Talbot gelingt es, in seiner Komposition die Gefühlswelten der Figuren eindrucksvoll einzufangen und auch dem Berg eine bedrohliche Stimme zu geben. Andreas Vogelsberger fängt die eisige Atmosphäre mit dem Philharmonischen Orchester Hagen, dessen Schlagwerk aufgrund der Größe des Orchesters in den Flur im ersten Rang ausgelagert ist, beeindruckend ein und hält Solisten, Chor und Orchester auch bei räumlicher Distanz präzise zusammen. Musa Nkuna begeistert als Rob Hall mit höhensicherem Tenor und großer Strahlkraft. Veronika Haller überzeugt als seine Frau Jan mit warmem Sopran. Kenneth Mattice und Morgan Moody verleihen den beiden US-Amerikanern Doug Hansen und Beck Weathers mit markantem Bariton Profil. Die weiteren Solisten-Partien sind mit den Chormitgliedern Elizabeth Pilon als Meg Weathers, Sebastian Joest als Guy Cotter und Wolfgang Niggel als Mike Groom ebenfalls gut besetzt. Der von Wolfgang Müller-Salow einstudierte Chor überzeugt durch homogenen Klang und große Bühnenpräsenz. Obwohl bei dieser Wiederaufnahme ziemlich viele Plätze im Saal frei geblieben sind, zeigt sich das anwesende Publikum sehr begeistert.

FAZIT

Dem Regie-Team um Johannes Erath gelingt eine spannende Inszenierung einer zeitgenössischen Oper, die wesentlich melodischer ist, als man es von zahlreichen anderen zeitgenössischen Werken kennt. Schade, dass so viele Plätze frei geblieben sind.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Joseph Trafton /
*Andreas Vogelsberger

Inszenierung
Johannes Erath

Bühne und Kostüme
Kaspar Glaner

Video
Bibi Abel

Licht
Hans-Joachim Köster

Choreinstudierung
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Francis Hüsers
Corinna Jarosch

 

Chor des Theaters Hagen

Philharmonisches Orchester Hagen


Solisten

*rezensierte Aufführung

Jan Arnold
Veronika Haller

Meg Weathers
Pauline Engelhaupt /
*Elizabeth Pilon

Rob Hall
Musa Nkuna

Doug Hansen
Kenneth Mattice

Beck Weathers
Morgan Moody

Guy Cotter
Sebastian Joest

Mike Groom
Wolfgang Niggel


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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