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Schlechte Zeiten für die Muse
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Klaus Lefebvre (© Theater Hagen)
Eigentlich kennt man Hoffmanns Erzählungen als die Künstleroper schlechthin: Der Schriftsteller, der sich in drei scheiternde amouröse Abenteuer hineinphantasiert, um am Ende seine aktuelle Geliebte in der Realität zu verpassen und sich ganz der (Dicht-)Kunst zu weihen, von der Muse unterstützt. Am Ende steht die große Apotheose: "Macht die Liebe doch groß, macht doch größer der Schmerz." So hat Komponist Jacques Offenbach das im Sinne des romantischen Geniekults geplant - vielleicht jedenfalls. Offenbach hat die Oper unvollendet hinterlassen, und es ist nicht so ganz klar, welches Ende sie letztendlich bekommen sollte. Aber auch ohne das klangprächtige Chorfinale hat die Muse in der Regel das letzte Wort, notfalls als Melodram über dem im Suff zusammengebrochenen Hoffmann. In Hagen gibt es weder das eine noch das andere. Hagen hat nicht einmal eine Muse. Wir zitieren aus der Inhaltsangabe (Text von Rebecca Graitl) im Programmheft: "Die Freundinnen Olympia, Antonia, Giulietta und Nicola lassen sich auf ein Simulationsspiel ein: Sie wollen sich in die Welt von 1907 begeben, wo eine nach der anderen versuchen soll, den Schriftsteller Hoffmann zu verführen - nur Nicola wird ihm als Vertraute zur Seite stehen. Ihr Freund Lindorf hilft ihnen und schlüpft in die Rolle von Hoffmanns Gegenspielern."
Intendant Francis Hüser inszeniert selbst, und unter den verschiedenen Editionen, die es gibt, hat er sich für die Fassung von Ernest Guiraud (einem mit Offenbach befreundeten Komponisten) entschieden, im Verlag Choudens herausgegeben, und davon wiederum die 5. Auflage aus dem Jahr 1907. Im Programmheft gibt Hüser an, dass diese Entscheidung auch damit zu tun hat, dass für diese Guiraud-Choudens-Fassung keine Tantiemen zu zahlen und keine rechtlichen Vorgaben zu beachten sind. Tatsächlich ist in der Hagener Version noch einiges gestrichen, sodass man getrost von einer Hüser-Fassung sprechen darf, musenlos, denn die Regie wirft das Künstlerdrama mehr oder weniger komplett über Bord. Wo aber kein Künstler ist, braucht es auch keine Muse. Weil schon Offenbach seinem Hoffmann einen Begleiter namens Niklausse an die Seite gestellt hat (der meist mit der Muse identifiziert wird), gibt es hier eine stattdessen eine junge Frau namens Nicola, der die entsprechenden Gesangsstellen anvertraut sind. Für die Geschichte, die Hüser erzählt, ist sie allerdings reichlich überflüssig. Die Puppe Olympia, dahinter ihr Erbauer Spalanzani
Diese Nicola gehört zu einer Riege von vier jungen Frauen in der Gegenwart, die beschließen, in das Jahr 1907 einzutauchen und dort als Olympia, Antonia und Giulietta den Dichter Hoffmann zu verführen, und ein junger Mann aus dem Umfeld dieser Runde soll als Hoffmanns Gegenspieler agieren. Das allerdings muss man im Programmheft nachlesen, sonst versteht man's nicht. Und wirklich viel Sinn ergibt diese Umkehrung der Verhältnisse - nicht Hoffmann erfindet die Welt, sondern die Nachwelt erfindet sich ihren Hoffmann - dann auch nicht. Ganz hübsch sind sicher die Brechungen zwischen Gegenwart und Spiel, zwischen Realität und Fantasie (was wiederum an E.T.A. Hoffmann, das Vorbild für den Opern-Hoffmann, erinnert). Und warum gerade in das Jahr 1907, wo die Oper doch im 19. Jahrhundert spielt und auch komponiert wurde? Weil diese Jahreszahl halt auf dem besagten Klavierauszug der Guiraud-Choudens-Fassung steht, so Hüser. Antonia, die todeskranke Sängerin
Das wiederum hat den Regisseur zu einem anderen Gedankenspiel verleitet. Im Jahr 1907 setzt die Handlung von Thomas Manns Zauberberg ein, und in diese Welt möchte Hüser mit seiner Inszenierung eintauchen. Die Idee ist vom dritten Akt her, dem "Antonia-Akt", verständlich - da singt sich die Sängerin Antonia zu Tode, nachdem ihr der Geist ihrer verstorbenen Mutter, einer einst berühmten Opernprimadonna, erscheint. Hüser greift hier Motive aus dem Zauberberg auf - das Grammophon (konsequenterweise hätte die Stimme der Mutter von der Schellackplatte kommen müssen, tut sie aber nicht; das Grammophon bleibt Zitat), die spiritistische Sitzung, und vielleicht soll der ziemlich handfeste Geist der Mutter auf die rätselhafte Madame Chauchat vom Zauberberg anspielen. Das isolierte Sanatorium als Spiegel der Gesellschaft, das ist an sich ja auch ein recht interessantes Setting für Hoffmanns Erzählungen. Aber so recht schlüssig geht das Konzept nicht auf, und mit letzter Konsequenz wird der Gedanke auch nicht durchgespielt. Bei allem gedanklichen Überbau zeigt Hüser die drei Geschichten an sich einigermaßen unverfälscht, wenn auch teilweise arg verkürzt. Die Hauptmomente sind da: Die Puppe Olympia, die zerbricht; die todeskranke Sängerin Antonia; die untreue Kurtisane Giulietta. Unter den Kürzungen gelitten hat die Funktion des Bösewichts Lindorf, der als Hoffmanns Gegenspieler in jeder Episode unter anderem Namen auftaucht, aber immer die Liebesbeziehung zerstört. Hier ist er ebenso überflüssig wie die Muse. Und letztendlich fehlt damit dann doch, vom Antonia-Akt abgesehen, das romantisch-dämonische Element, das Hüser vermutlich bewusst tilgen wollte für eine "moderne" Sichtweise. Im Sanatoriumsambiente plätschern die Erzählungen so vor sich hin, ohne besondere Anteilnahme einzufordern. Nicht jede Affäre in der Kurklinik endet glücklich - aber das ist kein Drama mit besonderer Fallhöhe. Immerhin: Um die fatale Niedlichkeit, die sich in viele Inszenierungen einschleicht, kommt Hüser gut herum. Allerdings lässt er, Konzept hin oder her, sein singendes Personal fast durchweg ziemlich undifferenziert an der Rampe stehen bzw. singen. Giulietta, die Kurtisane (hinter ihr Nicola alias Niklausse alias die Muse, die sie in Hagen nicht sein darf)
In der direkten, wenig schützenden Akustik des Hagener Theaters kann es da im Parkett ziemlich laut werden, zumal die Sängerdarsteller gut bei Stimme sind. Thomas Paul singt einen strahlenden, eleganten, nicht zu schweren Hoffmann, sicher in der Höhe; ein wenig fehlt die für die französische Oper erforderliche Leichtigkeit, aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Steven Scheschareg singt in dieser Vorstellung mit klarem, präsentem Bass großformatig die Rolle des Lindorf und der Bösewichter Coppelius, Miracle und Dapertutto. Christina Piccardi legt eine klangvolle Puppe Olympia in den (sehr ordentlich gemeisterten) Koloraturen ein wenig zu schwer an; Angela Davies gibt eine leicht dunkel timbrierte und dadurch geheimnisvolle Künstlerin Antonia und Netta Orr eine verführerische Kurtisane Giulietta. Was vom Niklausse bzw. der Muse musikalisch übriggeblieben ist, singt Maria Markina mit klarem, ziemlich direktem Sopran. Auch die kleineren Partien sind sehr ordentlich besetzt. Joseph Trafton am Pult des recht guten Hagener Orchesters tut sich zunächst schwer, den Charakter der Musik zu treffen, was vielleicht auch an den Kürzungen liegt - ein musikalischer Fluss will im Vorspiel nicht recht aufkommen, und im ja durchaus ironisch angelegten Olympia-Akt fehlt bei schnellen Tempi die Doppelbödigkeit, die Offenbach hier einkomponiert hat. Chor (klanglich überzeugend) und Dirigent haben offensichtlich auch sehr unterschiedliche Tempovorstellungen, da läuft einiges auseinander. Der romantischere Antonia-Akt liegt Trafton offenbar mehr, auch der (sehr knappe) Giulietta-Akt. Der Epilog ist dann dermaßen verkürzt, dass man sich die Augen reibt - man fühlt sich geradezu hinausgeworfen aus der Oper und dem Theater. Ungeachtet aller editorischen Überlegungen ist diese Fassung in der Wirkung nicht sehr überzeugend. Da fehlt die Muse dann auch im übertragenen Sinn.
Ziemlich gute Sänger kämpfen sich durch einen verstümmelten, szenisch bemühten, aber nur in Teilen überzeugenden Hoffmann. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Choreographie
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Hoffmann
Die Muse/Niklausse (hier: Nicola)
Olympia
Antonia
Giuletta
Lindorf/Coppelius/Mirakel/Dapertutto
Andres/Cochenille/Pitichinaccio/Frantz
Luther/Crespel
Herrmann/Schlehmil
Nathanel
Spalanzani
Die Stimme von Antonias Mutter
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