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Zar und Zimmermann

Komische Oper in drei Akten
nach dem Lustspiel Der Bürgermeister von Saardam oder Die zwei Peter (1818) von Georg Christian Römer
Textfassung von Holger Potocki
Musik von Albert Lortzing

in deutscher Sprache mit Übertiteln (Gesangstexte)

Aufführungsdauer: ca. 2h 50' (eine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 1. Februar 2020
(rezensierte Aufführung: 21.02.2020)


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Van Bett als Donald Trump der Niederlande

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre (Rechte Theater Hagen)

Albert Lortzings Klassiker der deutschen Spieloper ist keineswegs so volkstümelnd und biedermeierlich, wie er in der Kritik häufig verschmäht und von vielen Besuchern dieser Oper meist freudig erwartet wird. In einer Zeit, in der vor allem die Theater von einer strengen Zensur überwacht wurden, entschieden sich Komponisten häufig für komödiantische Stoffe, in die subtile Anspielungen auf die Obrigkeiten eingebaut werden konnten, die der Zensur nicht zum Opfer fielen. Heute sind Theaterschaffende oft der Meinung, dass das Publikum diese Anspielungen entweder nicht mehr nachvollziehen kann oder man das Werk in ein neues Gewand einkleiden muss, um es "aktueller" zu machen. In Hagen hat Holger Potocki deshalb für Zar und Zimmermann eine eigene Textfassung erstellt, in der vom ursprünglichen Stück nur die Musik und ein Großteil der Liedtexte übrig geblieben sind. Ob man damit Lortzings Spieloper einen Gefallen tut, ist sicherlich Geschmacksache und hängt von der Einstellung ab, die man zu dieser komischen Oper hat.

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Zar Peter der Große (Kenneth Mattice) als unehelicher Sohn des russischen Präsidenten

Grundlage des Stückes ist ja eigentlich ein historisch belegter Besuch des Zaren Peter I. (Peter der Große) in der niederländischen Hafenstadt Zaandam. Dort hielt Peter sich inkognito auf, um als Zimmermann auf einer Werft Schiffsbau-Techniken zu erlernen, die er anschließend für die russische Flotte nutzen wollte. Als sein Inkognito jedoch nach wenigen Tagen aufflog, reiste er weiter nach Amsterdam. Peter Christian Römer formte daraus 1818 das Lustspiel Der Bürgermeister von Saardam oder Die zwei Peter, welches Lortzing als Vorlage für seine knapp 20 Jahre später in Leipzig uraufgeführte Oper diente. Wenn man die Handlung nun in die Gegenwart verlegt, kann Peter folglich nicht mehr der russische Zar sein. Potocki macht aus ihm einen unehelichen Sohn des russischen Präsidenten, der in den USA aufgewachsen ist und heimlich zum Nachfolger seines Vaters aufgebaut werden soll. Dass er dafür vom Geheimdienst unter dem Decknamen "Zar" geführt wird, macht die Geschichte genauso wenig plausibel wie eine Rebellengruppe unter dem Namen "Kommando ZimmAmann" einzuführen, die für die Renaissance des friedlichen Schiffsbaus in Saardam kämpft und die Absetzung des Bürgermeisters fordert. Natürlich geht es in Saardam nicht um Schiffsbau-Techniken sondern um Waffenlieferungen nach Saudi Arabien und Lybien.

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Van Bett (Markus Jaursch, rechts) versucht, Peter Iwanow (Richard van Gemert, links) auszuhorchen.

Der selbstverliebte Bürgermeister van Bett, der bei Lortzing als eine Parodie auf die Obrigkeit angelegt ist, hat Saardam mit seiner Politik aus den roten Zahlen geführt und kandidiert als Spitzenkandidat für die niederländische Parlamentswahl. Ein abgedrucktes "Interview" im Programmheft und van Betts Rede nach der Ouvertüre vor dem noch geschlossenen Vorhang machen deutlich, dass Potocki und sein Team ihn als Abziehbild von Donald Trump sehen. Die Antworten, die im Programmheft abgedruckt sind, entsprechen genauso dem rücksichtslosen Stil des US-amerikanischen Präsidenten wie van Betts Forderung "The Netherlands First". Dass er nach seiner Wahl dem Beispiel der Briten mit einem "Nexit" aus der EU folgen will, ist da die logische Konsequenz. Unklar bleiben hingegen die "braunen" Anspielungen bei der Witwe Brown, die bei Lortzing eine Zimmermeisterin mit dem Namen Browe eigentlich keine rechte Gesinnung erkennen lässt, in der Inszenierung als Besitzerin des Waffenkonzerns Brown Industries aber ständig von van Bett mit "Eva" angesprochen wird. Albern wirkt auch die Modernisierung der koketten Marie, van Betts Nichte, die als PR-Chefin des Konzerns nicht nur eine bedeutende Influencerin sondern auch bereits schwanger ist. Dass sie ihrem eifersüchtigen Geliebten Peter mitteilt, dass wohl erst eine DNA-Analyse ergeben werde, ob er der Vater des Kindes sei, geht wohl etwas zu weit in der Interpretation eines gern flirtenden Mädchens.

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So anschmiegsam gibt sich Marie (Marie-Pierre Roy) bei ihrem Peter (Richard van Gemert) selten.

Welche Funktion der durchaus niedlich anzusehende Pandabär hat, der als "schützenswerte Tierart" zum neuen Emblem von Brown Industries mutiert, bleibt ebenfalls im Dunkeln. Soll die Verwirrung um den wirklich Peter damit auf die Spitze getrieben werden, wenn alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Konzerns ein blaues T-Shirt mit einem Pandakopf und der Aufschrift "Peta" anlegen? Auch die Rollen der drei Gesandten erschließen sich nicht wirklich. Den französischen Gesandten Chateauneuf als hippen DJ zu inszenieren, den Marie gar nicht so uninteressant findet, lässt verblassen, wie er eigentlich auf den "wahren Peter" aufmerksam wird. Zum Glück kommt die Regie nicht auf die Idee, Chateauneufs berühmtem Lied "Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen" melodisch einen modernen Anstrich zu verpassen. Dass sich der eigentlich russische Gesandte Lefort als Meister Yoda outet, passt ebenfalls nicht wirklich in die Geschichte. Dem britischen Gesandten Syndham nimmt man vielleicht noch am ehesten ab, dass er auf der Suche nach dem "wahren Peter" ist, wobei sich van Bett von ihm wohl eher Tipps erhofft, wie die Niederlande dem Beispiel der Briten beim EU-Austritt am besten folgen können. Beim berühmten "Holzschuhtanz" hat man als Zuschauer einen kleinen Moment den Eindruck, dass diese Szene klassisch gehalten wird, treten doch Tänzerinnen in folkloristisch anmutenden Kostümen mit Masken auf und legen einen recht flotten Tanz auf das Parkett. Aber der Schein trügt. Die Tänzerinnen legen ihre Kostüme ab und entpuppen sich als Füchse des Kommandos "ZimmAmann", die den Auftritt für einen weiteren Schlag gegen van Bett nutzen.

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Konspirative Sitzung in der Sauna: von links: Syndham (Olaf Haye), Peter Iwanow (Richard van Gemert) und van Bett (Markus Jaursch)

Die Lieder bleiben größtenteils beim Originaltext, was den Bruch zu Potockis Inszenierung und vor allem zur Sprache der neuen Textfassung in den Dialogen noch stärker macht. Die Übertitelung ist leider bei dem einen oder anderen Solisten erforderlich, da man sonst Schwierigkeiten hätte, den Text zu verstehen. Marie-Pierre Roy verfügt als Marie über einen lieblichen Sopran, der nicht immer über das Orchester kommt und bisweilen etwas textunverständlich bleibt. Ob man die Figur in der Personenregie derart unsympathisch anlegen muss, ist Ansichtssache. Da wirkt das Happy End mit ihrem Peter eher fragwürdig. Richard van Gemert legt den "falschen Peter" mit leichtem Spieltenor an und überzeugt durch komödiantisches Spiel. Wenn er plötzlich als "Zar" umworben wird, spielt er seine Verwirrung sehr glaubhaft aus. Kenneth Mattice gestaltet den "wahren Peter" mit solidem Bariton und präsentiert auch die berühmte Arie "Sonst spielt' ich mit Zepter" eindrucksvoll. Wieso ihn die Regie ständig mit Zigarette über die Bühne laufen lässt, ist fraglich. Musa Nkuna verfügt als Chateauneuf über einen weichen Tenor, der das berühmte Lied "Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen" zu einem musikalischen Höhepunkt des Abends werden lässt. Markus Jaursch punktet als Bürgermeister van Bett mit ungeheurer Komik und gestaltet die Partie bei aller Fragwürdigkeit der Personenregie absolut überzeugend. Sein "O sancta iustitia" gestaltet er mit ebenso großer Komik wie den Versuch, mit dem Chor ein Ständchen für den "Zaren" einzustudieren. Ein szenischer Höhepunkt sind die Verhandlungen in der Dampfsauna, in der Syndham und van Bett mit dem "falschen Peter" in Verhandlung treten wollen, während der "wahre Peter" mit Chateauneuf eine strategische Allianz mit Frankreich aushandelt.

Der von Wolfgang Müller-Salow einstudierte Chor präsentiert sich spielfreudig. Das Philharmonische Orchester Hagen lässt unter der Leitung von Rodrigo Tomillo das Publikum zumindest in der Musik in Lortzings schwunghaften Melodien schwelgen. Dass einige Plätze in dieser Repertoire-Veranstaltung frei bleiben, mag dem Karneval geschuldet sein.

FAZIT

Holger Potockis Übertragung der Geschichte in die Gegenwart geht nur bedingt auf und passt nicht immer zur Musik Lortzings und zum gesungenen Text.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Rodrigo Tomillo

Inszenierung
Holger Potocki

Bühne und Kostüme
Lena Brexendorff

Choreographie
Farid Halim

Licht und Video
Achim Köster

Chor
Wolfgang Müller-Salow

Dramaturgie
Rebecca Graitl

 

Chor und Extrachor des Theaters Hagen

Statisterie des Theaters Hagen

Philharmonisches Orchester Hagen


Solisten

Peter Michailow
Kenneth Mattice

Peter Iwanow
Richard van Gemert

van Bett
Markus Jaursch

Marie
Marie-Pierre Roy

Lefort
Sebastian Joest

Syndham
Olaf Haye

Chateauneuf
Musa Nkuna

Witwe Brown
Alina Grzeschik

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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