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Der Rosenkavalier

Komödie für Musik
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3 Stunden 50 Minuten (zwei Pausen)

Premiere am 20. September 2019  im Theater am Goetheplatz, Bremen

 

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Theater Bremen
 (Homepage)

Nichts für Puristen


Von Bernd Stopka / Fotos von Jörg Landsberg

Was passiert, wenn man den Rosenkavalier auf die wesentlichen Personen reduziert, sie unter ein Brennglas, eine Lupe legt, sie durch einen Tunnel betrachtet und sie in ein Labyrinth versetzt?
Diesen Fragen sind Regisseur Frank Hilbrich und GMD Yoel Gamzou am Theater Bremen nachgegangen und haben eine Fassung dieses genialen Meisterwerkes von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal auf die Bühne gebracht, in der sie das Ensemble auf sieben Sänger und einen Statisten reduziert haben. Bühnenbildner Sebastian Hannak hat dazu eine bühnengroße, eckige Spirale zweier nebeneinanderlaufender Balken in schwarz und weiß entworfen, die beweglich ist, verschiedene Spielebenen bietet und den einzelnen Szenen und Entwicklungen entsprechend verschoben wird. Gabriele Rupprecht hat die Protagonisten in Kostüme gekleidet, die die Zeit der Handlung, die Zeit der Entstehung des Werkes und die Jetztzeit einander gegenüberstellen und sie miteinander verbinden sollen. 

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Die Feldmarschallin (Nadine Lehner)

Wird die Spirale gern als Symbol des unendlichen Lebens gesehen, stellt die Regie dem eine gruselige Figur entgegen, die im Programmheft als Hippolyte, also der Friseur der Marschallin, bezeichnet wird. Friseuren wird dem Klischee nach ja mehr anvertraut als der besten Freundin und so erscheinen sie wissend und weise. Dieser sieht aber eher aus wie ein Sensenmann im staubigen Frack, wie der Tod persönlich.  Und er erscheint auch immer, zuweilen aktiv, zuweilen nur wie eine stumme Mahnung, wenn die Endlichkeit angesprochen wird – zumeist die von Leben und Liebe. Die allernötigsten Passagen der gestrichenen Personen werden von ihm gesungen, so der Sänger im nicht stattfindenden Lever, Annina, während Leopold Ochs Mariandels Brief überbringt und der Wirt im dritten Akt. Luis Olivares Sandoval lässt dabei durch hohe Stimm- und vor allem Legatokultur aufhorchen. Als stumme Rolle wird Leopold aufgewertet – der Kammerdiener des Barons, der sein illegitimes Kind ist. Jakob von Borries spielt ihn mal herrlich lausbübisch, mal ist er unsympathisch wie der Vater.

Das ist alles nichts für Puristen unter den Opernliebhabern und -schaffenden, für die die Partitur (von den üblichen Strichen abgesehen) sakrosankt ist, könnte aber ein spannendes Experiment sein. Was im Schauspiel längst selbstverständlich ist, wird hier in der Oper angewendet, sollte dann aber vielleicht doch als „Rosenkavalier 2.0“ oder „nach Strauss und Hofmannsthal“ angekündigt werden. Denn zwei große Fragwürdigkeiten eröffnen sich in dieser Fassung: Zum Ersten: Hofmannsthal und Strauss wussten, dass man durchaus auch Nebensächlichkeiten einarbeiten muss, damit das Wesentliche Raum hat, als solches wahrgenommen zu werden. Eine Weisheit, die man bei dieser Fassung schmerzlich vermisst. Die wilden Striche und Textänderungen sind daher nicht nur ungewohnt und wirken fremd, sie nehmen dem Werk gleichsam auch einen Teil seiner Substanz. Zum Zweiten: Was bleibt, wenn man aus dem Rosenkavalier die wienerische Morbidität und das Heiter-Melancholische entfernt, wenn man die Vielschichtigkeit der Personen auf Stereotypen reduziert?

Vergrößerung in neuem
                        FensterDie Feldmarschallin (Nadine Lehner), Hippolyte (Luis Olivares Sandoval)

Obendrein – und das ist nicht neu, aber immer wieder ärgerlich – werden fast alle Figuren gegen den Strich gebürstet. So ist die Marschallin keine heiter-melancholische Frau, die weise Traurigkeit und klugen Verzicht deutlich werden lässt, sondern eine junge energische Frau, die ihr Schicksal zuweilen in tranceähnlicher Haltung verkündet, meist aber eher genervt und trotzig daran verzweifelt, dass ihr der Spaß entgleitet. Dazu passt dann auch, dass sie im dritten Akt in Jeans und Trenchcoat erscheint und den Ochs tätlich ohrfeigt. Die klassische Marschallin tut dies feinsinnig giftig-charmant mit Worten. Aber der Marschallin hier glaubt man eh kein Wort. Nadine Lehner spielt und singt die Partie personenregieentsprechend: korrekt und sauber, aber eher kühl und sachlich als in der Tiefe emotional. Ihr individuelles Timbre unterstützt diese Charakterzeichnung.

Noch schlimmer ergeht es dem Baron Ochs, der als sexgieriger, brutaler, prolliger und fieser Widerling dargestellt wird, der nichts, aber auch gar nichts von einer „Standsperson“ hat, als die ihn die Marschallin am Ende doch bezeichnet. Am Ende des ersten Aktes kopuliert er im Hintergrund, um dann ermattet niederzusinken. (An wem er sich vergeht, konnte ich nicht erkennen, es könnte Octavian gewesen sein, dem er als Mariandel nachstellt und den er bei der ausgeübten Praktik nicht unbedingt als Mann erkannt haben könnte… oder er missbraucht seinen Sohn Leopold nicht nur als Kammerdiener). Im zweiten Akt schleudert er Sophie an die Wände, reißt sie an den Haaren und vergewaltigt sie auf offener Bühne, während Leopold sie festhält. Die Aufforderung „Hab' nichts dawider, wenn du ihr möchtest Äugerl machen, Vetter, jetzt oder künftighin. Ist noch ein rechter Rühr-nicht-an. Betracht's als förderlich, je mehr sie degourdiert wird. Ist wie bei einem jungen ungerittenen Pferd. Kommt all's dem Angetrauten letzterdings zugut', wofern er sein eh'lich Privilegium zunutz zu machen weiss.“ erteilt Ochs nicht Octavian, sondern seinem Leopold. Aus diesen unmöglichen Worten könnte man einen ebenso unmöglichen, aber keinen brutal-widerlichen Charakter ableiten. Die Figur darauf zu reduzieren nimmt ihr alle Tragik (ja, auch Tragik) und Komik, in der Kombination von Adel und Derbheit, die sie haben darf und soll, denn Hofmannsthal und Strauss nannten diese Oper eine „Komödie für Musik“.  Aber hier wird ein flacher, oberflächlicher „Humor“ gezeigt, der eher dem Niveau gewisser Privatfernsehsender entspricht.
Derb, aber nicht komisch ist es, dass Ochs die zweite Strophe des Sängers nicht mit „als Morgengabe“, sondern mit „halt die Goschen“ unterbricht, wenn er sich wie ein Gorilla auf die Brust trommelt oder sich scheinbar schwerverletzt am Boden wälzt. Dass er im dritten Akt gar kein Interesse an Mariandel hat und sie die Auf- und Zudringliche ist, ist wohl wieder einmal dem Trieb entsprungen, etwas unbedingt anders machen zu wollen. Überzeugen kann das nicht.  Patrick Zielke singt die Partie mit großem, klar konturiertem Bass und satter Tiefe, um die man nicht bangen muss. Er kann brutal böse klingen, aber auch wie ein schüchterner Junge („darf ich den Faninal“). Man möchte ihn einmal in einer klassischen Personenregie erleben, in der er die Komik der Diskrepanz zwischen edlem Stimmklang und derbem Verhalten auch sängerisch herausarbeiten darf.


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                    folgtHippolyte (Luis Olivares Sandoval), Sophie (Nerita Pokvytyte), Octavian (Nathalie Mittelbach)

Da Hippolyte Anninas Partie singt, musste der Text von „vergessen nicht die Botin“ in „den Boten“ usw. geändert werden. Dies nur als Beispiel für ein paar Textänderungen. Schmerzlicher sind die Striche, die dem, der die Oper kennt, oft regelrecht wehtun. Alle Striche anzugeben würde den Rahmen hier sprengen, aber ein paar prägnante Beispiele seien doch genannt. Das gestrichene Lever, das sich darauf reduziert, dass Hippolyte der Marschallin einen großen Spiegel vorhält und die Arie des Sängers singt, fehlt doch sehr. Dass der zweite Akt von „Ein ernster Tag, ein grosser Tag! Ein Ehrentag, ein heilger Tag!“ unmittelbar in die Rosenüberreichung übergeht, auch. Die Leitmetzerin mit ihrer ungewollten Komik, die Einwürfe des Chores, die im dritten Akt vom Kommissar (klangvoll und kultiviert: Daniel Ratchev) und Hippolyte gesungen werden, die ganze Steigerung bis zum Eintreffen Octavians existiert nicht. Der wird vom Tod brutal durch eine zerreißende Papierrückwand auf die Bühne zu Sophie gestoßen, wo die beiden wie wild flirten, sich umtanzen und kuscheln. Eine vorsichtige Annäherung, ein dezentes Verlieben auf den ersten Blick unter strenger Aufsicht vermisst man. Sophie ist eine selbstbewusste junge Frau, die ausgesprochen gelenkig ballettartige Übungen macht, während ihr Vater den Tag besingt. Christian-Andreas Engelhardt verströmt als Faninal mit üppigem, rundum sattem Bass viel Wohlklang. Nerita Pokvytyte singt und spielt das selbstbewusste Girlie Sophie, das durch die Brutalität des Ochs völlig verstört wird, mit klarem Sopran, der im Laufe des Abends immer wärmer klingt.

Die Leidenschaftlichkeit zu Beginn des ersten Aktes zeigt sich heftig erotisch – genau so, wie die Musik komponiert wurde und hier auch klingt. Gleich mit den ersten Tönen „Wie du warst! Wie du bist!“ singt sich Nathalie Mittelbach als Octavian in die Herzen. Diese samtig-edle Klangfülle, diese bis ins Detail ausgereifte Technik, die ihr eine Ausgestaltung erlaubt, die an Intensität, Klangschönheit, üppig strömender Wärme und klangvoller Leichtigkeit nichts zu wünschen übriglässt, erscheint geradezu überirdisch. Bravissima! Und das liegt nicht nur daran, dass der Octavian von der Regie klassisch gezeichnet und nicht gegen den Strich gebürstet wurde.


Foto folgtHerr von Faninal (Christian-Andreas Engelhardt), Octavian (Nathalie Mittelbach), DieFeldmarschallin (Nadine Lehner), Ein Polizeikommissar (Daniel Ratchev),
Hippolyte (Luis Olivares Sandoval), Baron Ochs auf Lerchenau (Patrick Zielke), Leopold (Jakob von Borries), Sophie (Nerita Pokvytyte)


Zwar bringt der Baron Ochs der Marschallin eine silberne Rose im Futteral, Octavian überreicht Sophie aber eine echte rote Rose (oder eine aus Seide…). Die hat er dann auch im dritten Akt wieder dabei. Warum eigentlich? Die Marschallin zerfleddert sie, einen Teil der Blütenblätter hebt Hippolyte auf, nachdem er am von Mariandel/Octavian und Ochs gedeckten Tisch erst in ein Schnitzel gebissen hat (hoffentlich war wenigstens das ein Wiener), um dann eine neue Rose als Nachtisch zu zerkauen. Den Rest der Blätter lässt Sophie über Octavian regnen. Faninal hebt die zusammengebrochene Marschallin vom Boden auf und nickt den „Kindern“ bestätigend zu. Von der Marschallin kommt dazu nur ein desinteressiertes „Ja, ja“. Nach einer wilden Knutscherei liegen Octavian und Sophie weit auseinander auf der Bühne und Hippolyte lacht sich kaputt.

Ein großes Plus dieser Produktion ist das hochleidenschaftliche Dirigat von GMD Yoel Gamzou. Prickelnde Erotik und wilde Leidenschaft sind zu Beginn nicht nur auf der Bühne zu sehen, sondern noch intensiver aus dem Orchestergraben zu hören. Dabei wählt Gamzou gern flotte Tempi, die auch mal mit ihm durchgehen, wie im geradezu aberwitzigen Terzett Marschallin/Octavian/Ochs im ersten Akt. Die Rosenüberreichung klingt dagegen eher sachlich kühl und glänzt ebenso wenig silbrig wie die Rose auf der Bühne. Er wird nie sentimental, was der Fassung entspricht, die er mit dem Regisseur zusammen erarbeitet hat, animiert das ihm willig und engagiert spielende Orchester aber zu einer beeindruckenden Gesamtleistung.  

FAZIT

Diese Bremer Fassung des Rosenkavaliers, beschränkt sich mit kräftigen Strichen in der Partitur auf die Hauptpersonen, die mit intensiver, detailreicher Personenregie auch noch überwiegend gegen den Strich gebürstet werden. Ein leidenschaftliches Dirigat und ein wundervoller Octavian können trotzdem begeistern.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Yoel Gamzou

Inszenierung
Frank Hilbrich

Bühne
Sabastian Hannak

Kostüme
Gabriele Rupprecht

Licht
Christian Kemmetmüller

Dramaturgie
Brigitte Heusinger


Bremer Philharmoniker



Solisten

Die Feldmarschallin
Nadine Lehner

Baron Ochs auf Lerchenau
Patrick Zielke

Octavian
Nathalie Mittelbach

Herr von Faninal
Christian-Andreas Engelhardt

Sophie
Nerita Pokvytyte

Hippolyte
Luis Olivares Sandoval

Ein Polizeikommissar
Daniel Ratchev

Leopold
Jakob von Borries


Weitere Informationen
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Theater Bremen
 
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