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Don Giovanni
Dramma giocoso in zwei Akten
Text von Lorenzo Da Ponte
Musik von Wolfgang A. Mozart

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere am 20. Oktober 2019 im Theater am Goetheplatz Bremen

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)


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Theater Bremen
(Homepage)
Auf dem Kohlfeld verloren

Von Joachim Lange / Fotos von Jörg Landsberg

Tatjana Gürbaca wäre beinahe die erste Frau geworden, die in Bayreuth den Ring inszeniert hätte. Im Sommer gab Katharina Wagner bekannt, dass man sich nicht habe einigen können, was etwa den Probenaufwand betrifft. Da ließ ihr Perfektionierungsdrang der Regisseurin offenbar keinen Spielraum. Am Theater Bremen kann man damit umgehen. Hier hat sie schon Le Grand Macabre, Eugen Onegin, Mazeppa und Simplicius Simplicissimus inszeniert. Und immer so zu Ende gebracht, dass von Krach nichts zu vernehmen war. Auch bei ihrem Don Giovanni muss das so gewesen sein. Denn sie spielen hier allesamt bis an die Grenze dessen, was man von Sängerdarstellungen gemeinhin so erwartet. Vor allem Don Giovanni und Donna Anna sind da gefordert, und sowohl der so elegant klingende wie vital aufdrehende Birger Radde in der Titelpartie, als auch Mima Millo in der Rolle der Donna Anna sind dafür genau die Richtigen. Zumal wenn es darum geht, Porträts zu profilieren, die jenseits aller Klischees liegen.

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Ein Leben am Rande des Grabes

Gerade Don Giovanni ist hier eben nicht der bloße Frauenverführer, der am letzten Tag seines Lebens einen Mord begeht, mit mehreren Verführungsversuchen scheitert und am Ende, gleichsam als Quittung für sein Leben, zur Hölle fährt. Der von Don Giovanni ermordete Komtur entsteigt an diesem langen Tag immer wieder dem offenen Grab an der Rampe. Er verkörpert nicht den Vater von Donna Anna, sondern (wie Don Ottavio auf der Seite der Lebenden) als Toter das Prinzip der Ordnung, die hier vor allem eine Zügelung der Begierden bedeutet.

Schon im Spiegel dieser Gegenbilder wird Don Giovanni selbst zur Verkörperung eines Prinzips. Was er mit seinem "Viva la Liberia" wie in einem Schlachtruf zusammenfasst, wird in der Inszenierung deutlich gezeigt: Das Fest, zu dem er alle einlädt (auch um hier Beute unter den Frauen zu machen), wird hier zu einer Orgie. Nach dem Motte "raus aus den Klamotten und rein mit dem Koks". Da hält sich nur seine diesmal hochschwangere Ex Donna Elvira zurück. Ansonsten sind Grenzüberschreitungen in Don Giovannis Umfeld das Gebot der Stunde. Es ist die Jagd nach dem nächsten Kick, die nie wirklich befriedigt wird. Was wiederum selbst zu einem Antrieb wird. Und das ohne Rücksicht auf Verluste. Inklusive des Raubbaus am eigenen Körper. Don Giovanni ist auf der Suche nach den letzten Dingen. Auch nach denen hinter dem Tod.

Vergrößerung Don Giovanni und sein Spezi Leporello

Immerhin gelingt es diesem rückhaltlos Suchenden, alle Frauen an sich zu binden. Gleich zu Beginn sieht man, wie sich Donna Anna mit verbundenen Augen in der Mitte zwischen Don Giovanni und Leporello bewusst und in voller Kenntnis dessen, was sie tut, auf das Werben Don Giovannis und dessen Liebesspiel im SM-Look einlässt. Wenn dann der Komtur (solide: Loren Lang), dazwischen geht, reagiert sie wie ein Teenagermädchen, das der Vater bei etwas Verbotenem erwischt hat. Ein Problem mit dem, was sie gemacht hat, hat sie nicht. Und es bleibt ohne Abstriche bis zum Schluss bei ihrer Obsession für Don Giovanni. Als nach dessen Tod alle Utensilien, die an ihn erinnern könnten, in den Müll wandern, behält sie sein Halsband, sie wird es wohl wie eine Reliquie bewahren. Don Ottavio (Hyojong Kim) hat wohl keinerlei Chance gegen den bleibenden Eindruck, den Don Giovanni bei ihr hinterlassen hat. Das gilt ebenso für Donna Elvira (selbstbewusst vehement: Patrica Andress). Das Kind, das sie im Laufe des Abends geboren hat und dessen Vater offenbar Don Giovanni ist, legt sie am Ende kurzentschlossen Zerlina in die Arme. Dass sie das macht, um ins Kloster zu gehen, wie sie behauptet, dürfte sie hier nicht einmal selbst glauben. Und Zerlina? Die hat aus ihrer Beinaheaffäre mit Don Giovanni gelernt, wie man die Männer lenkt. Als Zerlina (KaEun Kim) ihren Masetto (Stephen Clark) demonstrativ auffordert, sie doch zu schlagen, um sie zu bestrafen, dann verschlägt dem das nicht nur die Sprache, es lähmt ihm auch die Hand, in die Zerlina ihm einen Kleiderbügel gedrückt hat.

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Donna Anna, Don Giovanni und Leporello

Don Giovanni ist also auch hier - wie ja fast immer - eine Projektionsfläche der Frauen, die wiederum auf die projizierten Wünsche und Sehsüchte zurückwirkt. So ähnlich ist es auch mit Leporello, der hier geradezu symbiotisch mit seinem Herrn verbunden ist. Was einschließt, dass auch der von Leporello "Lebenshilfe" abhängt. Und dass man beim Kleidertausch die Kleider nicht wirklich tauschen, sondern nur ablegen muss. Als dann Leporello (mit durchgängiger Präsenz: Christoph Heinrich) seinen Herrn verlassen will, heult ihm Don Giovanni bettelnd hinterher. Einer jener Momente, in denen in Bremen die Grenzen des Notentextes in Richtung menschliche Entäußerungen aus dem Alltag überschritten werden. Wenn Gürbaca etwas besonders deutlich machen will, ist sie da nicht pingelig. Bis hin zu dem Brechreiz der Schwangeren Donna Elvira, den Don Giovanni höhnisch nachäfft. Oder wenn die Bauern in ihren Fastnachtsartigen (an eine Herbert Fritsch-Inszenierung erinnernden) Kostümen mit eigenen Schellenklängen anrücken.

All das, was um Don Giovanni herum passiert, wird in seiner existenziellen Radikalität durch einen kongenialen, surreal mäandernden Bühnenraum vorgegeben, in dem man sich ohne weiteres Becketts Endspiel vorstellen könnte. Ein Feld, übersät mit schwarzen Kohlköpfen. Eine geschwungene Straße mit einer einsamen Laterne von Irgendwo nach Nirgendwo. Ein leicht gebogener Horizont im Hintergrund. Und vorne in Rampennähe ein offenes Grab. In dem als erster der Komtur entsorgt wird, um ihm jedoch immer zu entsteigen, und in dem am Ende auch Don Giovanni landet. Bis auch er weit hinten wie ein Trugbild wiederaufersteht. Auch zwischendurch wird dieses Grab zu einem imaginären Tor von hier nach dort und zurück. Gelebt wird also am Rande des offenen Grabes und im Angesicht des Todes.

Vergrößerung Leporello, Don Giovanni und der Komtur - hier ist nichts mehr zu machen

Im Zentrum freilich steht Don Giovanni. In Kostümen eigenen Rechtes. Sein herausgehobener adliger Stand wird klar, wenn er im prachtvollen roten Pelzmantel auftaucht und bewusst Eindruck machen will (Kostüme: Silke Willrett). Oder in der Maske eines Urmenschen, um das Männchenklischee zu bedienen. Giovanni hat aber auch mal Donna Annas Schuhe an und teilt ihre Unterwäsche. Oder er trägt ohne jede Scheu seine Wunden auf der blutverschmierten Haut. Vor allem in der Herzgegend. Schaut man genauer hin, dann sind es wohl die Symptome der Syphilis sind, die ihn gezeichnet haben. Das Mahl mit dem Komtur, bei dem es eh nur schwarz gewordene Kohlköpfe gibt, wird zu einer geradezu schmerzhaften Herausforderung für die Zuschauer. Im Graben sorgen Hartmut Keil und die Bremer Philharmoniker dafür, dass aus dem Ganzen ein atemberaubendes Gesamtkunstwerk wird.


FAZIT

Tatjana Gürbaca zeugt eine radikale Sichtweise, der man sich nicht entziehen kann.


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Produktionsteam


Musikalische Leitung
Hartmut Keil

Inszenierung
Tatjana Gürbaca

Bühne und Licht
Klaus Grünberg

Mitarbeit Bühne
Anne Kuhn

Kostüme
Silke Willrett

Mitarbeit Kostüme
Carl Christian Andresen

Chor
Alice Meregaglia

Dramaturgie
Isabelle Becker



Opernchor des Theater Bremen

Bremer Philharmoniker


Solisten

Don Giovanni
Birger Radde

Donna Anna
Mima Millo

Don Ottavio
Hyojong Kim

Komtur
Loren Lang

Donna Elvira
Patricia Andress

Leporello
Christoph Heinrich

Masetto
Stephen Clark

Zerlina
KaEun Kim

La giovin principiante
Jenna Blume
Esther Gerken



Weitere
Informationen

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Theater Bremen
(Homepage)



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