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Musiktheater
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Tristan und Isolde

Handlung in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner

In deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 4 Stunden, 40 Minuten (2 Pausen)

Premiere im Stadttheater Hildesheim des Theaters für Niedersachsen am 16. November 2019



Theater für Niedersachsen
(Homepage)

Atemberaubend

von Bernd Stopka / Fotos: T.Behind-Photographics

In der verlängerten Sommerpause wurde das Hildesheimer Theater umgebaut und modernisiert und auch eine neue Bestuhlung wurde eingebaut, was dringend nötig war, denn die bisherige hinterließ neben dem Bühnengeschehen doch auch ihrerseits zuweilen eigensinnige tiefe Eindrücke. Die neuen Sitze zieren den Zuschauerraum nun in verschiedenen rötlichen Tönen ebenso farblich-freundlich wie bequem, angenehm gepolstert, mit je zwei Armlehnen, aber es sind keine Sessel, in denen man versinkt, sondern man sitzt angenehm gerade und das fördert letztendlich auch die Aufmerksamkeit.
Die Umbauzeit war nicht gerade üppig bemessen, so dass am Wiedereröffnungstag zur Mittagszeit noch gehämmert und geschweißt wurde. Das Premierenpublikum merkte davon nichts mehr und war doppelt gespannt: auf das Haus und auf Tristan und Isolde, ein Werk, das in Hildesheim erstmals zu erleben ist und für ein kleineres Haus doch eine nicht unerhebliche Herausforderung darstellt.
Nun gäbe es ja festlichere Opern zu einer festlichen Wiedereröffnung, aber mit Wagners Meistersingern beispielsweise hatte man schon vor zehn Jahren den 100. Theatergeburtstag in Hildesheim fantastisch gefeiert. Und es hat ja auch einen besonderen Reiz, zu einem besonderen Anlass, ein besonderes Werk auf die Bühne zu stellen. Zumal sich das Theater für Niedersachsen unter GMD Florian Ziemen seit dessen Amtsantritt vor zwei Jahren zu einem Haus für Spezielles und Besonderes entwickelt. (Vielleicht steht neben der künstlerischen Vielfältigkeit und Horizonterweiterung auch die Absicht, nicht nur eine überregionale Beachtung zu stärken, sondern auch das Dasein neben Hannover und Braunschweig zu sichern.) Zwar ist Tristan und Isolde keine Rarität, aber hier wird dieses Ausnahmewerk zu einer: Zu einem fantastisch musizierten, gesungenen und personenregielich ausgefeilten Kammerspiel mit großen Gefühlen auf kleiner Bühne. 

 

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von links: Neele Kramer (Brangäne), Julia Borchert (Isolde), Statisterie/Chor, Hugo Mallet (Tristan) 

Die wird sogar noch verkleinert und lässt die Handlung wie in einem erhöhten Guckkasten spielen (was zusätzlich auch freie Sicht für das Publikum bedeutet). Ausladende Gefühlswelten in kleinen Räumen haben ihren besonderen Reiz, zeigen sie doch die Intimität als Quelle des Überbordenden. Regisseur Tobias Heyder und Ausstatter Pascal Seibicke siedeln die Handlung im Seefahrer-Milieu an. Im ersten Akt befinden wir uns in einem nur mit einem Bett ausgestatteten spartanischen Raum, tief in einem Schiffsrumpf, der am Ende weit geöffnet wird. Das Schiff mit dem Tristan Isolde zu König Marke bringt, ist so klein, dass sie den Raum nicht für sich allein hat. Seeleute gehen ein und aus, werden auch mal von den Frauen verjagt und auch Tristan und Kurwenal halten sich zuweilen dort auf. Am Ende des Vorspiels, sieht man Tristan und Isolde in inniger, zärtlicher Umarmung. Ein Wunschbild, eine Erinnerung, eine Vision? Höchst aggressiv singt der ebenso auftretende junge Seemann sein Spottlied, sehr bewusst vertauscht Brangäne die Tränke und leidenschaftlich fallen sich die Liebenden in die Arme, nachdem sie durch den Glauben, gleich sterben zu müssen, enthemmt sind. Endlich mal wieder ein Tristan „mit Anfassen“. Zum Ende des Aktes wird der Schiffsrumpf geöffnet, Marke tritt auf, wehrt freundlich die Ehrerbietungen der Seeleute ab, die er zuerst begrüßt und Tristan umarmt, bevor er sich von Isolde ein Küsschen auf die Wange abholt, die aber gleich wieder zu Tristan schaut.
Der zweite Akt spielt in einer tristen Hafenkneipe, in der Isolde auf den Geliebten wartet, wie auf eine Verabredung, die sich verspätet. Paare tanzen, der Wirt kann Isolde beim Einschenken nichts recht machen. Brangäne steht ihr bei und dreht die Glühbirnen der Deckenlampen aus, anstatt eine Fackel zu löschen. Tristan tritt lässig mit Kurwenal auf und bestellt sich erst einen Drink, bevor er Isolde begrüßt. Vor den Fenstern steht eine Laterne, um die Brangäne schleicht wie Lilli Marleen und ihre „Wacht“-Rufe singt, die von Isolde verkichert werden. Marke muss sich bei seinem Auftritt erst einmal auf einen Barhocker setzen. Er ist ein eleganter, nun aber gebrochener Mann. Tristan will feige fliehen, wird aber von Melot mit gezücktem Messer aufgehalten, den wiederum Kurwenal in Schach hält. Am Ende stürzt sich Tristan dann wie im Libretto vorgesehen in Melots Waffe. Ein Seemann schneidet ihm in die Wange.
Im dritten Akt siecht Tristan neben einem großen Holzkarren auf Säcken in einem Hafen-Hinterhof mit abstürzenden Leuchtbuchstaben dahin. Vor dem schwarzen Bühnenhintergrund wabern Nebelschwaden. Der Hirt ist ein ebenso quirliger wie emotionaler Junge, den Tristans Schicksal ganz offensichtlich schrecklich mitnimmt. Er zeigt seine Gefühle sehr offen, während Kurwenal die seinen beherrscht. Für Tristan tut er alles, zu anderen ist er oft harsch und grob. Entsprechend wild wütet er in Verkennung der Schlusssituation. Isolde findet ihren sterbenden Geliebten, und bevor Tristan sein letztes „Isolde“ singt und stirbt, küssen sich die beiden lange und innig. Das Chaos um sie herum nimmt sie nicht wahr, sondern schmiegt sich an den Toten. Doch dann erhebt sie sich erschrocken und fängt bitterlich an zu weinen. Den erlösenden Liebestod verweigert ihr der Regisseur. Das ist grausam. Grausame Realität.

Nicht alles in dieser Regiearbeit kann so beeindrucken wie der umgedeutete Schluss. Die durch immer wieder auftretende Personen fehlende Zweisamkeit der beiden Frauen im ersten Akt vermisst man, die fehlende Heimlichkeit im zweiten Akt kann so gar nicht überzeugen. Das Treffen von Tristan und Isolde in der Öffentlichkeit entbehrt des Verbotenen ebenso wie des Intimen. Tristans Sterbelager auf den Lagerballen hinterlässt dagegen einen tiefen Eindruck. Immerhin ist seine Burg Kareol, auf der die Szene librettogemäß spielt, auch ziemlich heruntergekommen.

foto folgtvon links: Uwe Tobias Hieronimi (König Marke), Roman Tsotsalas (Melot), Levente György (Kurwenal), Julia Borchert (Isolde), Neele Kramer (Brangäne), Hugo Mallet (Tristan)

Die große Stärke der Inszenierung ist die Personenregie, die die Figuren intensiv charakterisiert und klug analysiert. Ein Glücksfall, dafür so wunderbare Sängerdarsteller zur Verfügung zu haben wie hier. Allen voran Julia Borchert, die – wie alle Beteiligten dieser Produktion – ihr Rollendebüt gibt und eine Isolde spielt und singt, wie man sie selten erlebt. Diese Isolde ist keine Heroine, sondern eine höchst menschliche, junge, im Positiven wie Negativen leidenschaftliche Frau mit allen Widersprüchlichkeiten, aller Ungeduld und allen Wirrungen und zuweilen auch Irrungen ihrer Gefühle, von denen sie sich treiben lässt. Das spielt sie ebenso überzeugend wie sie die Partie mit ungehörter Vielfalt und hoher Stimmkultur singt: mädchenhaft zart, zickig, giftig, sanft, schmeichelnd, vorwurfsvoll, grob, kindlich albern kichernd, wütend, wie eine wilde Furie. „Grüß mir die Welt“ klingt kindisch trotzig, „Tristan will ich erwarten“ wie eine furchtbare Drohung, „Für böse Gifte Gegengift“ geheimnisvoll. Bei „Herr Tristan trete nah“ wird sie zum Vamp und „warum ich dich da nicht schlug?“ klingt unendlich zärtlich. Eine Charakterstudie mit tausend Facetten bis zum nicht theatralisch, sondern realistisch wirkenden verzweifelten Weinen am Schluss. Diese feinen und feinsten Nuancierungen laufen in einem großen Haus Gefahr unterzugehen. Hier können die Solisten sehr viel differenzierter gestalten, können außergewöhnlich textverständlich singen (und tun dies auch) und müssen nicht so viel Kraft einsetzen, um auch in einem 4. Rang noch gehört zu werden. Auch wenn sie es können, wie Julia Borchert im Liebesduett beweist. Und gerade das macht einen ganz besonderen Reiz der „Tristan“-Produktion in Hildesheim aus.
Hugo Mallet ist kein hochgepeitschter Bariton, sondern ein echter Heldentenor mit strahlend hellen Spitzentönen und viel Glanz in der Stimme. Er teilt seine Kräfte klug ein, kann im Liebesduett begeistern und im dritten Akt zu Tränen rühren, dabei versteht man jedes Wort der „Fieberfantasien“, womit er der Beweisführung dient, dass Tristans Worte zwar ungeordnet wirr erscheinen mögen, jedoch allesamt Sinn und Verstand haben und nachzuvollziehen sind. Auch er gibt ein großartiges Rollendebüt.

Foto folgtvon links: Levente György (Kurwenal), Julian Rohde (Hirte), Uwe Tobias Hieronimi (König Marke), Hugo Mallet (Tristan), Julia Borchert (Isolde), Neele Kramer (Brangäne)

Neele Kramer wirft sich mit viel Engagement in die Partie der Brangäne und verströmt mit ihrem Mezzosopran farbenreiche Töne, die sich näher am klangvollen Sopran als am warmen Alt bewegen, was einen besonderen Reiz ausmacht. Herrlich vollstimmig, mit runden und satten Baritontönen kann Levente György als Kurwenal begeistern. Seine freundschaftlich-liebevollen Töne für Tristan und die hart-spöttischen für Isolde beeindrucken gleichfalls und in seinem Timbre schwingt immer etwas tief Ehrliches mit. Dieser Sänger ist einfach ein Ausnahmetalent und begeistert in jeder Rolle. Uwe Tobias Hieronimi spielt den König Marke als gebrochenen Mann, singt ihn ebenso und kann trotz einiger satter Basstöne und einem bewegenden „Da kinderlos einst schwand sein Weib“ an diesem Abend am wenigsten überzeugen. Roman Tsotsalas verströmt als Melot auch stimmlich die angemessene Aggressivität des Intriganten, Chung Ding singt den jungen Seemann regiegemäß giftig spottend, Julian Rohde ist auch stimmlich ein jugendlicher und leidenschaftlicher Hirt. Wundervoll, wie er das „Öd und leer das Meer!“ nahtlos aus dem Orchesterklang heraus zu singen beginnt. Die Partie des Steuermanns könnte gern größer sein, wenn Jesper Mikkelsen sie so stimmschön singt. Auch der Herrenchor, klein aber fein, macht seine Sache blendend. Der Umstand, dass alle Mitwirkenden dieser Produktion ihr Rollendebüt geben, bedeutet nicht nur eine Herausforderung, sondern auch die Chance auf höchste Konzentration und die ist hier von der ersten bis zur letzten Minute spürbar.

Ebenso wie seinerzeit bei den Meistersingern ist der Orchestergraben mit Schalldeckeln verdeckt – bis auf eine freie Stelle in der Mitte für den Dirigenten – was einen vollen, samtigen Mischklang erzeugt, der aber nicht verwaschen oder gedämpft klingt, sondern trotzdem präsent und transparent – so war es zumindest in der ersten Reihe zu hören. Zu den 30 festen Orchestermusikern kommen für diese Produktion 23 Aushilfen dazu, was ebenso zu einem volleren Klangerlebnis wie Orchestergraben führt – aber das sah man ja nicht, denn die Deckel fokussieren den Blick nebenbei automatisch auf die Bühne. Bayreuth lässt grüßen.
Soweit das Technische. Das Grandiose schafft das hochkonzentriert und ausgesprochen exakt spielende Orchester unter GDM Florian Ziemen, der mit seinem leidenschaftlichen Dirigat geradezu atemberaubend und beklemmend den leidenschaftlichen Sog der Musik heraufbeschwört, ungeheure Spannungen aufbaut, die zuweilen kaum aushaltbar erscheinen und eine so dichte Atmosphäre schafft, dass einem der Atem stockt. Dabei beginnt er mit dem Vorspiel eher geradlinig, fast schon kühl und ausgesprochen flott im Tempo. Doch das ist nur der Anfang einer musikalischen Entwicklung, eines Bogens, den er über die ganze Oper spannt unter dem er die Vielfalt der Leidenschaften Klang werden lässt, von zärtlich bis wild. Welch eine Leidenschaft beim Liebesduett und welch eine beklemmende Intensität im dritten Akt.



FAZIT

Einfach fantastisch!



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Florian Ziemen

Inszenierung
Tobias Heyder

Ausstattung
Pascal Seibicke

Chor
Achim Falkenhausen

Dramaturgie
Susanne von Tobien


Herrenchor des TfN

Orchester des TfN


Solisten

*Besetzung der hier
besprochenen Premiere

Isolde
Julia Borchert

Brangäne
Neele Kramer

Tristan
Hugo Mallet

König Marke
Uwe Tobias Hieronimi

Kurwenal
Levente György

Melot
Peter Kubik
*Roman Tsotsalas

Ein Hirt
Julian Rohde

Steuermann
Jesper Mikkelsen

Ein junger Seemann
*Chung Ding
Julian Rohde


Weitere Informationen
erhalten Sie hier:
Theater für Niedersachsen
(Homepage)





Da capo al Fine

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