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Auch das Nichtsein hat seine komischen MomenteVon Stefan Schmöe / Fotos von Hans-Jörg Michel
Shakespeare verpflichtet. Wenn Komponist Brett Dean sich schon an einen ganz großen Stoff wie den Hamlet heranmacht, dann auch bitte mit Respekt vor dem Urheber und dem richtigen Maß an Wiedererkennungswert. Offenbar ein Erfolgsmodell, glaubt man den Berichten von der Uraufführung 2017 im englischen Glyndebourne, und die deutsche Erstaufführung in Köln lockt in der hier besprochenen zweiten Vorstellung immerhin einige Schülergruppen ins (leider immer noch zu leere) Theater. Nicht nur die zeigten sich am Ende der rund dreieinhalb Stunden langen Aufführung durchaus begeistert. Shakespeares Schauspiel ist eben doch ziemlich gut. Die Musik aber auch. Meinungsverschiedenheiten: Claudius und Getrud, frischvermählt, frinden Hamlets Trauer um den ermordeten Vater übertrieben
Brett Dean verdichtet mit seiner Komposition in erster Linie die Stimmungen und umhüllt die Figuren mit einer klanglichen Aura. Die Musik, im Kern tonal, bildet große Klangflächen mit immer wieder überraschenden Farben und erlaubt gleichzeitig den Sängern einen meist ariosen, kantablen Grundton, der viel vom (original englischen) Text hörbar macht. Mitunter erinnert das kompositorische Verfahren an Filmmusik; Grummeln in der tiefsten Lage etwa sorgt halt verlässlich für bedrohliche Unruhe. Aber die Musik ist (fast) nie anbiedernd und ziemlich komplex, setzt moderat Elektronik ein und zwei "Satelliten", jeweils bestehend aus Klarinette, Trompete und Schlagzeug, die irgendwo im Raum postiert sind. Im Staatenhaus stellt sich ein etwas verschwommener Mischklang ein, weil das Hauptorchester neben der Bühne platziert ist und die akustischen Gegebenheiten eine genaue Lokalisierung des Klangs ohnehin erschweren. Der Effekt ist aber nicht ohne Reiz. Neben dem großen Chor setzt Dean noch einen kleinen Kammerchor aus neun Sängerinnen und Sängern ein, hier am Bühnenrand postiert, der weitgehend instrumental geführt ist und für zusätzliche Klangfarben sorgt. Bestimmte Floskeln, mit Signalwörtern verbunden, treten wiederholt hervor; das Wort "never" etwa pendelt regelmäßig mit dem Intervall der kleinen Sekunde in mehrfacher Wiederholung vor sich hin. Solche Momente geben der Oper einen Mehrwert gegenüber dem Schauspiel: Dean kann bestimmte Elemente aus dem Zeitfluss des Dramas herauslösen. Auch schimmert immer wieder mal Musik vergangener Epochen durch und schafft Assoziations- und Erinnerungsräume. Die Komposition gibt sich modern und doch gut anhörbar, auch für ein breites Publikum, und zu ihren Vorzügen gehört sicher diese unmittelbare Wirkung. Hamlet trifft auf den Geist seines ermordeten Vaters, der energisch Rache fordert.
Librettist Matthew Jocelyn hat sich an Shakespeares originalen Text gehalten, allerdings aus verschiedenen Fassungen, und mit kleinen Eingriffen auch an den Handlungsablauf. Manche Textpassagen sind zerpflückt (oft sind das die berühmten Phrasen), mitunter auch anderen Figuren in den Mund gelegt, und so erzeugt er ein gewisses Maß an Distanz zu Shakespeare, ohne diesen grundsätzlich zu verfälschen. Wenn der Librettist dann auch noch Regie führt, dann kann man wohl Werktreue voraussetzen - so in etwa wird er sich die Oper bei der Konzeption gedacht haben. Er lässt die Geschichte in einer nicht näher bestimmten Gegenwart spielen, jedenfalls sind die Kostüme (Astrid Janson) modern. Gefochten wird z.B. nicht auf Leben und Tod, sondern in etwa nach den Vorgaben des Deutschen Fechterbundes (was natürlich nicht gegen vergiftete Waffen hilft). Das Libretto - und in der Folge auch die Inszenierung - zeigt viel britischen Humor: Komödie und Tragödie liegen nahe beieinander. Die Höflinge Güldenstern und Rosencrantz etwa sind skurrile Gestalten aus dem heutigen Showbusiness (die Countertenöre Patrick Terry und Cameron Shabazi spielen das lustvoll aus). Polonius, schmieriger Berater des Königs (eindrucksvoll zwielichtig: John Heuzenroeder) ist eine ziemlich genau zwischen Witz und Ernst austarierte Gestalt. Die Stimmungswechsel sorgen verlässlich für Abwechslung, und mit einer sehr detaillierten Personenregie und durchweg hervorragenden sängerischen und schauspielerischen Leistungen zieht das Musik-Drama in seinen Bann. Polonius und Tochter Ophelia
Jocelyn geht als Regisseur geschickt mit den begrenzten Möglichkeiten im Staatenhaus um - wobei ein mit Wasser gefüllter Kanal, auf dem der Geist von Hamlets Vater mit einem Kahn durch den Bühnennebel fährt, schon als veritabler Theatercoup bezeichnet werden darf. Joshua Bloom singt die Partie mit profundem Bass eindrucksvoll wuchtig, und derselbe Sänger, so wollen es Libretto und Partitur, gestaltet auch den Totengräber und im Theater auf dem Theater die Rolle des ermordeten Königs. Mehrere Charaktere bündeln sich in einer Figur - das gehört zu den Brechungen, mit denen Libretto und Regie arbeiten. Szenisch fallen auch die filmreif realistisch Sterbenden (viel Theaterblut!) in diese Kategorie, weil sie sich nach einer Anstandspause wieder erheben und abgehen. Es ist eben alles Theater. Und wenn auf dem Höhepunkt des Dramas Theater auf dem Theater gespielt wird, um König Claudius den Mord an seinem Vorgänger vorzuhalten, dann kommt die Musik ganz unmittelbar vom Akkordeon, großartig gespielt von James Crabb auf der Bühne. Langweilig ist dieser Hamlet auch bei dreieinhalb Stunden Spieldauer nicht. Finales Gefecht mit vergifteten Waffen: Laertes (links) und Hamlet
Phänomenal bewältigt der junge Tenor David Butt Philip die emotionalen Ausbrüche der Titelfigur, aber auch die Zwischentöne bis hin zum geflüsterten oder gestammelten Wort. Gloria Rehm mit glockenreinem, nicht allzu großmn Sopran ist eine in jeder Hinsicht attraktive Ophelia. Andrew Schroeder als Claudius und Dalia Schaechter als Getrude geben ein imposantes Königs- (und Königsmörder-)Paar ab. Dino Lüthy ist ein solider Laertes, und der schlaksige Wolfgang Stefan Schwaiger ist mit lässigem Jackett eine perfekte Besetzung für den Horatio, Hamlets Vertrauten. Herausragend singen der Chor (Einstudierung: Rustam Samedov) und Kammerchor , der unter dem Namen "Rheinstimmen Ensemble" firmiert. Und Duncan Ward am Pult des sehr guten Gürzenich-Orchesters führt sicher durch die Partitur.
Mit diesem Hamlet variieren Matthew Jocelyn und Brett Dean geschickt das bewährte Modell der linear erzählenden (Literatur-)Oper - herausgekommen ist ein spannungsreiches, emotional packendes Musiktheater, in Köln auf musikalisch exzellentem Niveau präsentiert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Kampfchoreographie
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten AufführungHamlet David Butt Philip
Ophelia
Claudius
Gertrude
Polonius
Horatio
Ghost, Gravedigger, Player 1
Laertes
Rosencrantz
Guildenstern
Marcellus, Player 4
Player 2
Player 3
Akkordeon
Semi Chorus
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