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Il trovatore (Der Troubador)

Oper in vier Teilen
Libretto von Salvatore Cammarano und Leone Emanuele Bardare
basierend auf El trovador von Antonio García Gutiérrez
Musik von Giuseppe Verdi


in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Staatenhaus Köln-Deutz (Saal 2) am 1. März 2020
(rezensierte Aufführung: 7. März 2020)


Logo: Oper Köln

Oper Köln
(Homepage)

Geschlossene Gesellschaft

Von Stefan Schmöe / Fotos von Bernd Uhlig

Eine großbürgerliche Villa, keine Fenster, die Türe ist abgeschlossen. Fünf Personen ringen hier um die Deutung der Vergangenheit: Azucena, eine wohlhabende alte Dame, die das merkwürdige und letztendlich für die meisten Beteiligten tödliche Treffen arrangiert hat; ihr Sohn Manrico, ein fescher Jüngling mit stylischer Kleidung; der biedere Graf Luna; die mondäne (oder doch vulgäre?) Schönheit Leonora mit wasserstoffblonder Perücke; ein netter älterer Herr namens Ferrando. Man begibt sich in die Vergangenheit, liest Stichwörter ab von Blättern, die Azucena vorbereitet hat. Die kleinen Partien, die Verdi für diese Oper vorgesehen hat, werden von diesen fünf Personen gleich mitgesungen (das klappt ohne Verlust), der Chor bleibt unsichtbar. Aus dem Historienspektakel wird ein beklemmendes Kammerspiel.

Szenenfoto

Familienaufstellung? Azucena hat (von links) Ferrando, Leonora, Luna und Manrico zur Vergangenheitsbewältigung einbestellt.

Dmitri Tcherniakov hat für diese Produktion, die von der Opera La Monnaie in Brüssel übernommen ist (unsere Rezension der Premiere), Regie und Ausstattung (der faszinierende Bühnenraum bleibt unverändert) entwickelt. Im der ersten Hälfte des Abends spielt sich die Handlung in der Erinnerung der Personen ab, und das hat trotz detaillierter Personenregie (Joel Lauwers hat die szenische Einstudierung mit großer Sorgfalt bewältigt) mitunter nahezu konzertante Züge - es passiert eben nicht viel auf der Bühne, die Fantasie des Betrachters ist gefragt. Ein Trovatore für Fortgeschrittene sozusagen. Dabei gelingt es Tcherniakov gut, den von Verdi geforderten Szenenwechsel auch im Einheitsbühnenbild zu realisieren. Zwischen den Szenen geht das Licht aus, danach ist die Figurenkonstellation eine andere, und es stellt sich durchaus der Eindruck ein, es sei quälend viel Zeit vergangen. Man arbeitet sich aneinander ab, die Hölle sind, Sartre lässt grüßen, die anderen. In der zweiten Hälfte wechselt ganz subtil die Zeitebene, und die Geschehnisse liegen in der Gegenwart: Aus dem Gedankenspiel wird mörderische Realität durch einen Grafen, der zur Waffe greift. Unversehens befindet man sich in einem ziemlich spannenden Thriller.

Szenenfoto

Wie war das noch damals im Kloster? Manrico, Leonora (inzwischen ohne Prücke) und Azucena stellen ihre Sichtweise dar.

Die Problematik dieses Konzepts: Gerade in den Teilen, in denen auf der Bühne wenig passiert, verlagert sich der Schwerpunkt auf die Musik. Was in der Erinnerung geschieht und nicht gezeigt wird, muss sich in besonderem Maße gesanglich beglaubigen lassen. Enrico Caruso soll bekanntlich gesagt haben, der Trovatore sei ganz leicht zu besetzen, man nehme einfach die vier besten Sänger der Welt. In Köln wäre man wohl froh, erst einmal ein funktionierendes Opernhaus mit tragfähiger Akustik zu haben; im Ausweichquartier Staatenhaus ist das so eine Sache, obgleich die geschlossene Bühne vermutlich noch von Vorteil ist und das neben der Bühne platzierte Orchester unter der Leitung des famosen Will Humburg alles tut, um die Sänger zu stützen. Gleichwohl bleibt es nahezu unmöglich, hier mit der Stimme einen wirklich raumfüllenden Klang zu erzeugen. Dabei wird (weitgehend) auf hohem Niveau gesungen. Marina Prudenskaya ist eine klar fokussierte Azucena, der zwar stimmlich das Diabolische fehlt (das allerdings die Regie, dazu unten mehr, wohl auch gar nicht haben möchte), die aber mit vergleichsweise schlanker Stimme ungemein präsent singt. Aurelia Florian ist eine jugendlich-mädchenhafte Leonora, betörend in den leisen, lyrischen Passagen (an Intensität könnte das Pianissimo noch gewinnen), vielleicht mit (noch) zu wenig Power für die dramatischeren Passagen. Giovanni Furlanetto gestaltet einen soliden, der Rollenanlage entsprechend eher braven Ferrando, und Scott Hendricks gibt einen prägnanten und zupackenden Grafen Luna mit Gewaltpotenzial.

Szenenfoto

Noch sind zumindest Ferrando und Luna leidlich gut gelaunt.

Der Schwachpunkt ist der Manrico von Arnold Rutkowski, für den die heikle Partie zu früh kommt, vielleicht auch grundsätzlich zu schwer ist. In der Mittellage ist der ziemlich leichte, ein wenig eingedunkelte, metallische Tenor durchaus ansprechend und eindrucksvoll, aber in der Höhe wird er dünn und farblos, ein überanstrengter Mozarttenor, der nicht nur mit der berühmt-berüchtigeten Stretta Da quella pira an seine Grenzen geführt wird - da rettet ihn das kluge Dirigat, das dem Orchester geschickt den Vortritt überlässt. Vor allem aber bleibt der Manrico ein Leichtgewicht gegenüber Luna, dem damit auch szenisch der Widerpart fehlt. Statt eines Duells unter Gleichen eine Leerstelle. Keine Frage, Rutkowski macht das Beste aus seinen vokalen Möglichkeiten und singt und spielt engagiert (optisch ist er eine Idealbesetzung), aber der Manrico ist halt eine verteufelt schwierige Partie.

Szenenfoto

Der Showdown naht: Luna und Leonora

Nicht nur als umsichtiger und sängerfreundlicher Begleiter glänzt Will Humburg am Pult des ausgezeichneten Gürzenich-Orchesters, er findet eine ausgezeichnete Balance zwischen ausschwingenden Kantilenen und dem nötigen Brio für diese Partitur, macht dazu noch etliche sonst meist überspielte Details hörbar: Plastisch ausgeformte Nebenstimmen, unerwartete Dissonanzen, schillernde Farben. Dazu singen auch der exzellente Chor und Extrachor mit betörender Klangpracht und Lust am Detail und am Kolorit. Da allerdings dürfte sich Humburg ein Stück weit gegen die Regie stemmen: Die nämlich distanziert sich sehr deutlich von Verdis Genrebildern, vor allem dem Bild des "Zigeuners". Natürlich ist das ein Topos, der rassistisch grundiert ist (auch wenn Verdis Sympathien auf Seiten Azucenas und Manricos, also der "Zigeuner", liegen). In Tcherniakovs Regie ist Azucena keine Zigeunerin, sondern eine reiche Bürgersfrau aus dem Zentrum der Gesellschaft: "Sie erfüllt nicht das Klischee einer - in historisch überholter, abwertender Weise gesprochen - ‚alten Zigeunerin'. Sie ist eine elegante Frau, mit robustem Charakter, durchs Unglück verhärtet." - so wird Tcherniakov im Programmheft zitiert. Das Anliegen, das abwertende Klischee des "Zigeuners" aus der Gedankenwelt zu verbannen, ist zweifellos ehrenwert, wirft aber umgehend die Frage auf, wie wir mit unserem künstlerisch-kulturellen Erbe umgehen, dass eben vielfach rassistisch, antisemitisch, antifeministisch durchzogen ist, in der bildenden Kunst und der Literatur wie eben auch in der Oper. Im Grunde ist die Frage ganz ähnlich wie die nach dem Umgang mit dem Begriff "Negerkönig" in Astrid Lindgrens Kinderbuchklassiker Pippi Langstrumpf, der vom Verlag zum "Südseekönig" verbessert wurde. Auch die deutschen Übertitel zu diesem Troubador sind politisch korrekt überarbeitet: Im populären "Zigeunerchor" wird aus dem "gitano", dem "Zigeuner", ein "Arbeiter", und das Tagewerk wird natürlich nicht durch ein "Zigeunermädchen" was dem italienischen "zhingarella" entspräche, versüßt, sondern ganz pauschal durch ein "Mädchen" (ein gewisses Maß an Sexismus ist also offenbar erlaubt). Wohlgemerkt: Nur in den Übertiteln wird korrigiert, gesungen wird offenbar der Originaltext. Einen faden Beigeschmack der Publikumsentmündigung hat das gut gemeinte Vorgehen schon.

Um auf die Musik zurückzukommen: Musikalisch hat Verdi dem "frei umherziehenden Volk" (so die Sprachregelung im Programmheft, das im Übrigen mit einem klugen Aufsatz der Journalistin Carolin Emcke zum toxischen Begriff der "homogenen Nation" manches gerade rückt) eine ganz eigene Aura gegeben, die ja ganz klar vom katholisch-bürgerlichen Milieu abgegrenzt ist - und da ist es eben doch ein "Zigeuner"-Chor und kein Arbeiterlied. Provokativ überspitzt gefragt: Müsste Tcherniakov nicht auch die Musik austauschen? Man darf Will Humburg dankbar sein, dass er ungeachtet dieser nicht einfachen Diskussion einen glutvoll-farbigen Verdi dirigiert, der nichts an Kolorit schuldig bleibt, sich aber auch nicht darin verliert.


FAZIT

Großartiges Dirigat, durchaus spannende Regie, die durch eine nicht ganz glückliche Besetzung der Titelpartie allerdings ein wenig aus dem Gleichgewicht gerät. Trotzdem unbedingt sehens- und hörenswert.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Will Humburg

Inszenierung und Ausstattung
Dmitri Tcherniakov

Licht
Gleb Filshinsky

Chor
Rustam Samedov

Dramaturgie
Georg Kehren


Chor der Oper Köln

Gürzenich-Orchester Köln


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Il Conte di Luna
Scott Hendricks

Leonora
Aurelia Florestan

Azucena
Marina Prudenskaya

Manrico
* Arnold Rutkowski /
George Oniani

Ferrando
Giovanni Furlanetto



Weitere
Informationen

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