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Jeder liebt für sich alleinVon Stefan Schmöe / Fotos von Bernd Uhlig
Nein, ein erfülltes Liebesleben ist Tristan und Isolde nicht vergönnt. Nicht einmal erwünscht, jedenfalls hat Wagner in seinem Libretto jede Menge Hintertürchen offengelassen, die Beziehung gesellschaftlich doch noch zu legitimieren - aber das wollen die beiden, insbesondere er, ja gar nicht. Diese todessüchtige Liebe kann und will keine Erfüllung im Diesseits finden, und das macht es den Regisseuren so schwer: Heftige Umarmung nach Einnahme des Liebestranks im ersten Aufzug, Händchen halten während des langen Dialogs im zweiten, das wird dieser unmöglichen Liebe nicht gerecht. Ein ziemlich theoretisches Liebesideal, könnte man angesichts der Debattierfreude des Paares spöttisch anmerken. In dieser Inszenierung von Patrick Kinmonth bleibt die Liebe tatsächlich ein gedanklicher Konstrukt. Tristan und Isolde kommen nicht zusammen, sie sind fast ständig in verschiedenen Räumen, gehen gelegentlich aneinander vorbei. Keine Berührung, nicht einmal eine echte Begegnung. Ihre Realitäten bleiben ohne Überschneidung. Seereise ins Nirgendwo in identischen, aber getrennten Räumen
Die Bühne (Darko Petrovic), in den drei Aufzügen nur minimal verändert (Felsen mal links, mal rechts, mal abgebaut), besteht im wesentlichen aus vier spartanisch eingerichteten, identischen Kabinen eines modernen Schiffs, über das Orchester gebaut (das im Köln-Deutzer Staatenhaus ohne Orchestergraben halt irgendwo hin muss); davor eine Reihe von pyramidenartigen Aufbauten, die offenbar das Meer andeuten sollen: Wellen in Abstraktion, auf die ganz hübsch bewegte Wasserspiegelungen projiziert werden. Dazu eine Kommandobrücke, der schon erwähnte Felsen, der Schreibtisch Markes. Handfeste Räume, die aber gar nicht real sein wollen. Woran das Konzept durchweg krankt, ist das unentschlossene Nebeneinander von einem realistischen Erzählstil und einer symbolischen Sichtweise, das wohl die Gleichzeitigkeit von Realität und Traumwelt andeuten will, aber darin allzu beliebig und austauschbar bleibt. Ab und zu marschieren Statisten in strenger Choreographie vorbei (machen sie Zeichen aus der Gebärdensprache?), ab und zu wird ein Felsen einbezogen - ohne dass sich ein tieferer Sinn erschließen würde. Neben der singenden Isolde gibt es eine junge und eine alte Isolde, ohne dass damit nennenswerte Akzente gesetzt würden (wenn die junge rothaarige Isolde auf dem Felsen sitzt, driftet die Bildsprache sogar in Kitsch ab). Marke singt seinen Monolog oberlehrerhaft ins Publikum wie zur Erklärung, dass es ja auch noch einen Sittenkodex gibt. Und der Höhepunkt der Verschmelzung der Liebenden besteht darin, das sie sein schwarzes Sakko, er ihre rote Stola überstreift - ganz niedlich, aber auch arg banal. Verschmelzung in der "Nacht der Liebe": Tristan und Isolde haben edle Kleidungsstücke ausgetauscht
Dass die Personen aneinander vorbei agieren, monadenhaft eingeschlossen in ihre eigene Welt ohne Fenster nach außen, das hat zuletzt Jochen Biganzoli im nicht allzu weit entfernten Hagen gezeigt, allerdings viel (viel!) spannender. Die Regie von Kinmonth dagegen liest sich im Programmheft noch ganz interessant, wird in der Bühnenwirkung aber erdrückt von szenischer Langeweile - in der theaterpraktischen Umsetzung findet das Regieteam keine überzeugenden Lösungen. Im Gegenteil: Manches wirkt extrem unbeholfen. In zwei entscheidenden Szenen - dem Beginn des Duetts "O sink hernieder, Nacht der Liebe" im zweiten und bei Brangänes Ankunft im dritten Aufzug - ist Isolde gar nicht auf der Bühne, obwohl sie doch die zentrale Figur ist. Die teilweise kleinteilige Personenregie verpufft. Entscheidende Details sind selbst von den besten Plätzen aus kaum zu erkennen: Die Wunde, an der Tristan stirbt, hat er sich offenbar in die Wange geritzt (mit eben dem vergifteten Splitter, der in der Vorgeschichte nach Tristans Kampf mit Morold, dem Verlobten Isoldes, in der Wunde verblieb und an dem Isolde ihn erkannte, was als Idee ganz hübsch ist), und Isolde hat, nahezu unkenntlich, dieselbe Wunde. Aber was helfen Chiffren, die ab Reihe 15 unsichtbar sind? Marke doziert über Treue und Ehre, hinten hören Tristan und Melot unbeeindruckt zu.
Die szenisch staubtrockene Aufführung hätte trotzdem mehr als einen ziemlich frostigen Applaus verdient, und das liegt an der musikalischen Seite. Insbesondere das großartige Gürzenich-Orchester und Dirigent François-Xavier Roth bewegen sich auf allerhöchstem Niveau. Die transparent-durchhörbare, detailverliebt durchgearbeitete und gleichzeitig in den Spannungsbögen überlegen disponierte Interpretation besitzt einerseits Leichtigkeit und Eleganz (und ist in der Lautstärke oft so zurückgenommen, dass die Sänger den Text ausgestalten können), andererseits den nötigen Furor. Und für einen verblüffenden Effekt nutzt Roth die offene Architektur des Staatenhauses, in die hinein der Theatersaal gebaut ist: Die vom Englischhorn gespielte "alte Weise" zu Beginn des dritten Aufzugs lässt er von mehreren Instrumentalisten spielen, die an verschiedenen Stellen um den (seitlich mit schwarzen Vorhängen abgegrenzten) Zuschauerraum herum postiert sind und sich offenbar auch noch bewegen: Der Klang dieser tieftraurigen, magischen Melodie wandert um einen herum und erhält plötzlich viel eindringlicher die metaphysische Bedeutung, die Wagner sich vorgestellt hat. Schöne Kleider (Kostüme: Annika von Pfuel): Brangäne (links) und Isolde
Auch vokal wird großes Musiktheater aufgeboten. Ingela Brimberg gibt ein eindrucksvolles Rollendebut als Isolde; die leicht eingedunkelte, trotzdem kraftvoll strahlende Stimme hat ein interessantes Timbre über alle Register, auch wenn manche Spitzentöne noch angestrengt sind, manchmal zu sehr von unten angesungen werden, und verliert auch im Piano nicht an Farbe. Peter Seiffert, inzwischen im Pensionsalter, verfügt immer noch über einen strahlenden Tenor, dem man die Jahre am ehesten in leicht verwackelten Piano-Passagen anhört (und am Ende machen sich ein paar Verschleißerscheinungen bemerkbar), der aber Kraft und Glanz besitzt und natürlich jede Menge Routine - das es Seiffert offenbar schwer fällt, auf der Bühne zu agieren, und er meistens im Sitzen singt, ist eine andere Sache. Samuel Youn ist ein fulminanter, vielleicht allzu sehr auf die Kraft seines Heldenbaritons setzender Kurwenal, Claudia Mahnke mit kraftvollem Alt eine ungemein präsente Brangäne. Und Karl-Heinz Lehner steuert einen scharf konturierten, bissigen Marke bei. Der sehr matte Melot von John Heuzenroeder fällt deutlich ab; Youn Woo Kim ist ein passabler, wenn auch etwas braver Hirt und junger Seemann.
Wie Tristan und Isolde sich die Liebe dachten: Szenisch entsetzlich langweilig, musikalisch nicht nur, aber vor allem wegen des Orchesters und seinem Dirigenten François-Xavier Roth großartig. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der PremiereTristan Peter Seiffert / Heiko Börner
König Marke
Isolde
Kurwenal
Melot
Brangäne
Hirt / junder Seemann
Steuermann
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