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Rusalka


Lyrisches Märchen in drei Akten
Libretto von Jaroslav Kvapil
Musik von Antonín Dvořák


in tschechischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Theater Krefeld am 15. März 2020
(die Aufführung fand ohne Publikum statt und wurde per Livestream im Internet gezeigt)


Homepage

Theater Krefeld-Mönchengladbach
(Homepage)

Wenn Mütter nicht loslassen können

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Stutte

Die Theater sind geschlossen. Das Corona-Virus hat das kulturelle Leben weitgehend lahmgelegt, Veranstaltungen dürfen nicht mehr stattfinden. Originelle Lösungen sind gefragt, und so hat das Theater Krefeld - Mönchengladbach kurzentschlossen die Premiere per Livestream im Internet übertragen. Der Zuschauerraum blieb leer, von ein paar Mitgliedern des Ensembles und einer Handvoll Journalisten abgesehen. Das Experiment stieß durchaus auf Interesse: Zur Pause kursierte die Meldung, die Zahl der Zuschauer an Tablet und PC hätte für ein ausverkauftes Haus ausgereicht. Im leeren Saal dagegen fehlte die rechte Premierenstimmung. Kann eine Rezension unter diesen Umständen der Produktion gerecht werden? Man muss die besondere Situation sicher im Hinterkopf behalten, aber jedenfalls hat das Theater die szenische und musikalische Interpretation mit diesem Vorgehen zur Diskussion gestellt.

Szenenfoto

Hier ist ganz offensichtlich ein emanzipatorischer Akt der Befreiung erforderlich: Rusalka in der familieneignen Einraumwohnung

Neu ist der Ansatz nicht, das Märchen von der Nixe, die sich in einen Menschenprinzen verliebt und damit letztendlich beide ins Unglück stürzt, psychologisch zu interpretieren. Regisseur Ansgar Weigner deutet die Oper als eine Coming-of-Age-Story, eine Geschichte vom Erwachsenwerden. Rusalkas Entschluss, die vertraute Wasserwelt zu verlassen (um den Preis der Stummheit an Land), ist ein Abschied von der Kindheit. Weigner nimmt, das ist das eigentlich Überraschende an dieser Regie, gar nicht Rusalkas Perspektive ein, sondern die der Mutter - das ist in diesem Fall die Hexe Jezibaba und in Personalunion die fremde Fürstin, die Rusalka den Prinzen wegnehmen wird. Beide Frauen verschmelzen zu einer Figur, und Weigner mutet dem Publikum eine arg überspannte Konstruktion zu, um sein Konzept zu verdeutlichen. Mit allen Mitteln durchkreuzt diese Mutter die Pläne ihrer Tochter, bis hin zum Mord im Finale. Danach ist Rusalka ist wieder das brave Kind, das sich bei Mama einkuschelt. Nur gut ist hier nichts mehr.

Szenenfoto

Für einen Moment sieht die Zukunft rosig aus: Rusalka und der Prinz

An sich ist das keine uninteressante Deutung, nur müsste Weigner viel genauer und pointierter inszenieren. Er belässt die Geschichte vage in der Entstehungszeit der Oper, man sieht eine großbürgerliche Familie (die drei Elfen sind Rusalkas jüngere Schwestern), die Weihnachten feiert. Warum aber baut die Regie diese historische Distanz auf und erzählt die Geschichte nicht in unserer Gegenwart? Das wirkt ein wenig so, als traue der Regisseur seinem Konzept selbst nicht so recht und rücke es in die ungefährlichere Vergangenheit. Nur verliert es da an Brisanz, zumal um das Jahr 1900 herum eigenwillige Heiratspläne der Töchter kaum einem anderslautenden Elternwillen standgehalten hätten. So bleibt vieles vage und unbestimmt, der Prinz erhält als Figur praktisch kein Profil, und selbst Rusalka ist merkwürdig unscharf. Anderes ist überzeichnet; so sitzt Rusalka zu Beginn im Rollstuhl, offenbar ein (überdeutliches) Bild für die Abhängigkeit. Aber so wechselt die Regie nur von einer Symbolebene zur nächsten, ohne Halt zu finden.

Szenenfoto

Rusalkas Liebesglück passt der Mutter nicht - und so spannt sie als "fremde Fürstin" der Tochter den willenlosen Bräutigam aus

Durchaus eindrucksvoll ist das Bühnenbild des ersten und dritten Aufzugs, ein Kellerraum wie ein Verlies, in dem Rusalka und Familie leben - das macht suggestiv das Moment des Gefangenseins deutlich (Ausstattung: Tatjana Ivschina). Der Raum ist beinahe schon Ruine, was dann schon wieder recht pathetisch auf die Krisensituation der Familie anspielt. Wenn die ungehorsame Rusalka im Keller eingesperrt wird, dann gibt es dort eine Reihe von Monitoren - das trägt nichts zur Inszenierung bei, sieht aber ziemlich wichtigtuerisch aus. Im zweiten Akt wird die leere Bühne von einer Wand begrenzt, in die ein Glaskasten mit Pflanzen eingelassen ist - eine Ahnung von Paradies? Weigner hätte besser daran getan, auf die für seinen Ansatz zentralen Elemente zu fokussieren. Ganz gelungen ist der teils spiegelblanke, teils verwitterte und daher "blinde" Boden, in dem man den See erahnen mag. Und Nacht- und Mondstimmung kommt trotz allem auf, nicht ganz unwichtig für diese Oper.

Dorothea Herbert hat zum Saisonbeginn eine beeindruckende Salome gesungen, hier gestaltet sie die Titelpartie. Manche Passagen gelingen großartig, da leuchtet die junge Stimme glühend auf, manches gerät noch allzu unentschlossen zwischen lyrischer und dramatischer Stimmfärbung. Da mag sich auch die ungewohnte Situation mit dem nicht unmittelbar anwesenden Publikum niederschlagen, das Fehlen einer unmittelbaren Publikumsresonanz. Oft phrasiert die Sängerin arg kurzatmig, noch fehlen die großen Bögen, die Souveränität und die damit verbundene Unbedingtheit. Aber da wächst eine sehr interessante Stimme heran, und das ist allemal ein Grund, nach Krefeld (und ab Januar 2021) nach Mönchengladbach zu fahren.

Szenenfoto

Kraftlose Männer wie dieser Prinz haben keine lange Lebenserwartung. Rusalka zieht sich ins Kinderbeztt zurück.

Bemerkenswert ist sicher, dass alle Rollen aus dem hauseigenen Ensemble besetzt werden können. Ein anderer sind Sängerpersönlichkeiten wie Eva Maria Günschmann, seit zehn Jahren am Haus und mit entsprechendem Repertoire, in der Doppelrolle als Jezibaba und fremde Fürstin mit punktgenauer Präsenz, klar fokussiert und mit der Doppelbödigkeit, die von der Regie gefordert wird: Das liebevolle Mutter-Monster, das in seiner Ambivalenz die Regie zusammenhält. Und Haik Deinyan, seit 2002 am Haus, ein Haudegen mit riesiger Bühnenerfahrung. Die Stimme ist nicht mehr jung, keine Frage, aber das Brüchige darin passt hervorragend zum Wassermann, wie er hier dargestellt ist: Ein an sich liebevoller Vater, dem die Realität entgleitet. Tenor David Estaban hat es als Prinz schwer, weil er für die Regie eine Leerstelle ist, eben irgendein Mann, der Rusalka begehrt (und, das ist die Tragik, damit der Mutter wegnimmt), hier ein ziemlich willenloser Spielball. Estaban hat eine schöne Stimme, ein wenig eng und ohne allzu große Strahlkraft in der Höhe - eigentlich ein braver Schwiegersohn, der zu Schwiegermutters Geburtstag anmutige Ständchen singen könnte. Kairschan Scholdybajew müsste sich in der Nebenrolle des Hegers doch ein wenig mehr an das vorgegebene Taktmaß und Tempo halten; Susanne Seefing singt einen tadellosen Küchenjungen, und im Elfenterzett lassen Boshana Milkov und noch mehr Maya Blaustein, aus dem Opernstudio mit schönem Timbre aufhorchen.

Kapellmeister Diego Martin-Etxebarria betont das Volkstümliche und Gesangliche, lässt die Musik durchaus auch mit Pathos aufrauschen - hier ist Rusalka eine Märchenoper des 19. Jahrhunderts, weniger ein Musikdrama. Die Niederrheinischen Sinfoniker spielen klangschön, die Bläser sind hervorgehoben. Die Einsätze "klappern" leider allzu oft, aber vielleicht braucht es auch da ein Publikum im Saal, um Anspannung und Konzentration anzuheben. Der Chor singt zuverlässig, wird aber von der Regie eigentlich nicht gebraucht.


FAZIT

Musikalisch eine tolle Ensembleleistung. Szenisch mit Licht und Schatten - Ansgar Weigners Regie hat interessante Ansätze, bleibt aber viel zu ungenau und unverbindlich, um wirklich zu berühren.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Diego Martin-Etxebarria

Inszenierung
Ansgar Weigner

Ausstattung
Tatjana Ivschina

Chor
Maria Benyumova

Dramaturgie
Andreas Wendholz


Chor des Theater
Krefeld und Mönchengladbach

Die Niederrheinischen Sinfoniker


Solisten

* Besetzung der Premiere

Der Prinz
David Esteban

Die fremde Fürstin
Eva Maria Günschmann

Rusalka
Dorothea Herbert

Der Wassermann
* Hayk Dèinyan /
Matthias Wippich

Die Hexe (Ježibaba)
Eva Maria Günschmann

Der Heger
Kairschan Scholdybajew

Der Küchenjunge
Boshana Milkov /
* Susanne Seefing

Erste Waldelfe
* Maya Blaustein /
Sophie Witte

Zweite Waldelfe
* Gabriela Kuhn /
Susanne Seefing

Dritte Waldelfe
Anne Heßling /
* Boshana Milkov



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