Videoüberfrachtete
Bauernehre
Von
Bernd
Stopka / Fotos von N. Klinger
Pietro
Mascagnis Cavalleria rusticana und
Ruggiero Leoncavallos I Pagliacci sind
als Operngeschwister eigentlich immer Garanten
für ein gut besuchtes Haus und gehören damit zu
den sogenannten „fleißigen Lieschen“. Über 40
Jahre waren sie das am Staatstheater Kassel
nicht, weil sie nicht auf dem Spielplan standen
– aber auch in den nächsten Jahren werden sie
das eher nicht sein, weil sie in der jetzt
gezeigten Produktion nur schwer zu ertragen
sind. Das schmissig-leidenschaftliche Dirigat
von Mario Hartmuth ist ein einsamer Pluspunkt,
der den Abend zwar tröstend lindern, allein aber
auch nicht retten kann.
Khatuna
Mikaberidze (Santuzza), im Hintergrund Marius
Vlad (Turiddu)
Das überwiegend sauber und
engagiert
spielende,
intensiv
mitgehende
Orchester hilft
dem Dirigenten
beim Trösten, der
Chor nicht immer.
Da wackelt es doch
außergewöhnlich
häufig und manche
Passagen klingen
nicht so homogen,
wie man es vom
Chor und Extrachor
des Staatstheaters
Kassel gewohnt
ist. Die Devise
für die Sänger
lautet
offensichtlich
bzw. unüberhörbar:
Hauptsache laut!
Das verwundert und
verärgert, zumal
man Sänger wie
Hansung Yoo sehr
fein dynamisch,
ausdrucksvoll
differenzierend
und balsamisch
wohlklingend kennt
(man erinnere sich
nur an sein
geradezu
überirdisch
schönes Tanzlied
als Pierrot in
Korngolds Die
tote Stadt).
Als Alfio und
Tonio beweist er
an diesem Abend
vor allem eins:
Stimmstärke.
Khatuna
Mikaberidze lässt
als Santuzza einen
stimmkräftigen,
stahlharten Mezzo
hören, der
Emotionalität
stark unter
Kontrolle hält.
Ani Yorenz klingt
ähnlich sachlich,
aber angenehmer.
Das Schicksal der
Nedda lässt einen
an diesem Abend
aber auch kalt.
Maren Engelhardt
als Lola und Inna
Kalinina als Mamma
Lucia können in
Cavalleria
Rusticana am
meisten
überzeugen,
während Marius
Vlad als Turiddu
und Canio mit viel
Erfahrung, Druck
und nasaler
Tongebung nicht
die besten
Klischees eines
Operntenors im
italienischen Fach
erfüllt. Younggi
Moses Do lässt in
I Pagliacci als
Peppe angenehm
aufhorchen. Der
kurzfristig
eingesprungene
Nikola Diskic
gestaltet die
Partie des Silvio
mit höchst
angenehmem Timbre
und
ausdrucksvoller
Differenziertheit.
Er zeigt, wie
wundervoll
Operngesang
klingen kann.
Offensichtlich und
glücklicherweise
hat man dem
Einspringer das
Credo dieser
Produktion nicht
mehr rechtzeitig
mitteilen
können.
Schöne
Erinnerungen weckt
der Auftritt von
Dieter Hönig mit
seinem stummen,
aber aktiven
Auftritt als
Hausmeister – wie
ein alter guter
Geist des Hauses.
Khatuna Mikaberidze (Santuzza) mit Mitgliedern
des Opern- und
des Extrachors
sowie des
CANTAMUS-Chors
Natürlich
ist es immer
wieder eine
große
Herausforderung,
diese beiden
veristischen
Schmachtfetzen
überzeugend
auf die Bühne
zu bringen.
Das Regieteam
Tobias
Theorell
(Inszenierung)
und Herbert
Murauer
(Bühne,
Kostüme,
Video)
versucht das
Seelenleben
der
Protagonisten
durch
Liveprojektionen
und vorher
gefilmte
Videoprojektionen
hervorzuheben
und die
verbindenden
Elemente der
beiden
ähnlichen und
doch so
unterschiedlichen
Kurzopern
aufzuzeigen.
So sieht man
immer wieder
in
überdimensionaler
Größe
Gesichter,
Personen und
Szenen, wie
etwa ein
harmonisches
Treffen der
beiden Paare
in Cavalleria
rusticana und
zuweilen
vermischen
sich die
Zeiten, wenn
zum Beispiel
Santuzza auf
der Bühne live
die Hände vor
ihren Kopf
hält und aus
der gleichen
Haltung heraus
eine vorher
gefilmte
liebevolle
Begegnung mit
Turiddu
entsteht. Das
ist einer der
wenigen
starken und
beeindruckenden
Momente des
Abends.
Beeindrucken
könnten auch
die
Projektionen
der
Kathedralen-Kuppel,
die für ein
sizilianisches
Dorf
allerdings
eher
überdimensioniert
erscheint
(Cavalleria
rusticana =
Sizilianische
Bauernehre).
Warum ein
zusätzlich
eingefügter
Hausmeister
ständig große
Mengen von
Stühlen in
ordentliche
Reihen stellen
muss, die dann
kurz danach
doch wieder
durcheinander
stehen,
erklärt sich
nicht. Die
Marienprozession
passt optisch
in den Verismo
und eigentlich
würden die
realistischen
Raumprojektionen
und eine
ausgefeilte
Personenregie
für eine
spannende
Inszenierung
ausreichen.
Aber mit den
lästigen
Liveprojektionen
erreicht die
Regie viel
mehr
Langeweile als
Aufmerksamkeit.
Younggi
Moses Do
(Peppe), Ani
Yorentz
(Nedda) und
Hansung Yoo
(Tonio) sowie
Mitglieder des
Opernchors,
des Extrachors
und des
CANTAMUS-Chors
Der
für beide
Werke
gleichsam
eingesetzte
Bühnenraum mit
zwei
seitlichen
Reihen von
kabinenähnlichen
Türen und
einer
trennenden
transparenten
Leinwand
zwischen dem
Kirchen- bzw.
Theaterraum
und den
Protagonisten
wirkt zunächst
wie eine
gewollte
Trennung von
inneren und
äußeren
Konflikten,
aber dies wird
u. a. durch
die Auftritte
des Volkes und
den
librettogerechten
Biss ins Ohr
als
Zweikampf-Herausforderung
im vorderen
Bühnenbereich
ausgehebelt.
Das alles ist
weder Fisch
noch Fleisch.
Da helfen auch
die den
Hausmeister
neckenden
Ministranten
und ein
jesusähnlicher
Kreuzträger,
der in
heutiger
Alltagskleidung
durch die
Stühle der
hinteren Bühne
zieht, nichts.
In I
Pagliacci
wird der Raum
deutlicher
durch ein
Bühnenpodest
getrennt. Die
Handlung wird
zunächst eher
librettogenau
erzählt, aber
durch
Projektionsparallelen
mit Cavalleria
rusticana
verbunden, vom
Stilmittel der
Liveprojektionen
her, vor allem
von
Gesichtern,
aber auch ganz
konkret, indem
zum Beispiel
die gleiche
Kuss-Großaufnahme
wie vorher
gezeigt wird.
Nach den
schwarz-weißen
Kostümen aus
der Zeit der
vorletzten
Jahrhundertwende
wird es hier
kunterbunt. Ob
es nun
wirklich
witzig, oder
einfach
peinlich
witzig sein
wollend ist,
einen Besen,
oder wie hier
Wischmopp wie
eine E-Gitarre
zu halten, mag
jeder für sich
entscheiden,
auch, ob sich
eine
Überzeugungskraft
dafür
einstellt, den
Chor zu einer
Hochzeit statt
zum Kirchgang
rufen zu
lassen. Das
Spiel im Spiel
wird sehr
lebendig
umgesetzt,
aber am Ende
muss natürlich
noch ein
Knalleffekt
her. Das Spiel
auf der Bühne
wird zur
Realität und
Canio ersticht
erst Nedda und
dann Silvio.
Man ist
entsetzt, aber
so steht es
geschrieben.
In Kassel
steht der nur
scheinbar
erstochene
Silvio wieder
auf, und als
sich die
Komödianten
zum Verbeugen
vor dem
Bühnenpublikum
aufstellen,
erschrickt
Canio, weil
Nedda wirklich
tot auf dem
Tisch liegt.
Also ein Spiel
im Spiel im
Spiel…???
FAZIT
Ein
unnötiger Opernabend.
Ihre
Meinung ?
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
*Mario Hartmuth
Alexander Hannemann
Inszenierung
Tobias Theorell
Bühne, Kostüme, Video
Herbert Murauer
Licht
Stefanie Dühr
Choreinstudierung
Marco
Zeiser Celesti
Choreinstudierung Cantamus
Maria
Radzikhovskiy
Dramaturgie
Christian Steinbock
Chor und Extrachor
des Staatstheaters Kassel
Kinderchor Cantamus
des Staatstheaters Kassel
Staatsorchester Kassel
Solisten
*Besetzung
der besuchten Aufführung
Cavalleria
rusticana
Santuzza,
eine Bäuerin
Khatuna Mikaberidze
Turiddu,
ein junger Bauer
Marius Vlad
Lucia,
seine Mutter
Inna Kalinina
Alfio,
ein Fuhrmann
Hansung Yoo
Lola,
seine Frau
Maren Engelhardt
I Pagliacci
Canio, Haupt
einer Dorfkomödiantengruppe;
in der Komödie: Bajazzo
Marius Vlad
Nedda, seine Frau;
in der Komödie: Colombine
Ani Yorentz
Tonio,
Komödiant;
in der Komödie: Taddeo
Hansung Yoo
Beppe, Komödiant;
in der Komödie: Harlekin
Younggi Moses Do
Silvio, ein junger
Bauer
*Nikola Diskic
Cozmin Sime
1,
Zuschauer
*Szczepan Nowak
Ji Hyung Lee
2.
Zuschauer
*Daeju Na
Hyunseung You
in beiden Opern:
Hausmeister
Dieter Hönig
Live-Kamera
*Roland Knieg
Samuel Nerl
Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Kassel
(Homepage)
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