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Grandios gesungen und gespieltVon Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger Der neue Ring am Staatstheater Kassel geht
in die dritte
Runde und die
ist vor allem
ein
Sängerfest.
Siegfried
(Daniel Brenna), Brünnhilde (Kelly Cae Hogan)
Daniel Brenna ist ein wunderbar jugendlicher, hell timbrierter Heldentenor mit glanzvoll strahlenden Spitzentönen, sanft nachdenklichen Passagen im Piano, wildem Ungestüm, wo es hingehört und vielfältigen Varianten dazwischen. Er gestaltet absolut überzeugend einen jungen Siegfried, wie man sich ihn gern vorstellt – und hier erleben darf. Für alle Solisten gilt, dass sie den Anspruch auf detailgenaue Ausgestaltung des Textes nicht nur ernst nehmen, sondern ungemein lebendig, überzeugend und wortverständlich umsetzen. Daniel Brenna macht dies offensichtlich besonders viel Vergnügen. Jedes Wort, jede Silbe hat eine Bedeutung, die auch mal nachdenklich bedacht, wütend zerschmettert, verschmitzt begrinst, ironisch gebrochen oder in jugendlichem Überschwang verlacht wird. Bei allem jugendlichen Übermut lässt er aber doch auch immer wieder mitklingen, dass ein echter Held in ihm steckt. Nicht nur in der Figur, sondern auch im Sänger, denn nach einem Sturz in der zweiten Pause der Premiere singt und spielt er trotz Prellungen und Verband weiter. Egils Silins singt den Wanderer mit großen, herrlich satten und wohlklingenden Wotantönen, ganz weltmännisch. Der stimmliche Kontrast zum jugendlich-überschwänglichen Siegfried könnte nicht größer sein. Hier, bei der Begegnung des Enkels mit seinem Großvater genauso, wie in den beiden Akten zuvor im Zusammenspiel Siegfrieds mit seinem Ziehvater Mime. Arnold Bezuyen ist wie schon im Rheingold ein fantastischer Mime mit ungeheurer Spielfreude, der dem Zwerg auch dadurch viel Menschliches verleiht, dass er die Partie wirklich singt und nicht nur giftig keift. Die Verschlagenheit und Hinterlist bekommt bei ihm dadurch noch mehr Gewicht, und wenn er entsprechende Passagen sanft und sehnsuchtsvoll klingen lässt, wird deutlich, dass Mime auch eine tragische Figur ist. Letzteres gilt auch für Rúni Brattaberg, der als Fafner vollstimmigen Wohlklang verströmt. Thomas Gazheli lässt kraftvolle Töne und individuelle Vokaleinfärbungen hören, im Gegensatz zum Rheingold hält er sich aber an die notierte Partie des Alberich. Edna Prochnik gestaltet die Erda sehr ausdrucksstark, wenngleich ihr Alt eher schlank als üppig klingt. Elisabeth Bailey singt einen lieblichen Waldvogel. Die von Wotans Wunschmädchen zur weisen Frau gewordene Brünnhilde gestaltet Kelly Cae Hogan mit üppig und warm klingendem Sopran, herrlich aufblühenden Höhen und setzt mit ihren tollen Trillern Glanzpunkte. Sie zeigt die vielen Facetten der zu neuem und anderem Leben aus dem Schlaf erwachten ehemaligen Walküre. Es ist eine Wonne, sie und Daniel Brenna im dritten Akt zu erleben. GMD Francesco Angelico lässt viele feine Details hören, verliert sich aber nicht darin, sondern spannt immer wieder große Bögen zu einem musikalischen Sog, der den Hörer mitreißt und nicht mehr loslässt. Als Beispiel sei die Wissenswette genannt, in der er mit immer stärker werdender Intensität geradezu Beklemmungsgefühle auslöst. Er nimmt das Orchester sehr zurück, was er bei diesen großen und großartigen Stimmen nicht müsste. Die großen Aufwallungen, wie das Vorspiel zum 3. Akt, wirken dann aber umso gewaltiger.
Die große Stärke der
Inszenierung
von Markus
Dietz liegt in
ihrer bis ins
kleinste
Detail
ausgefeilten
Personenregie
und in der
oben bereits
beschriebenen
wortgenauen
Ausdeutung des
Textes, die
der Regisseur
mit den
Sängerdarstellern
sehr genau
erarbeitet
hat. Das ist
eindrucksvoll,
das ist
bedeutungsvoll
– und das
macht richtig
viel Spaß. Dem
Publikum
ebenso wie
ganz
offensichtlich
auch den
Darstellern.
So wird das
zwiespältige
Verhältnis von
Siegfried und
Mime sehr
deutlich.
Siegfried, der
den halben
Hausrat
zerschlägt und
verwüstet und
dann doch auch
Mimes Nähe
sucht (nicht
allein, um zu
erfahren, wer
seine
wirklichen
Eltern sind),
und Mime, der
sich nach
Siegfrieds
Zuneigung
durchaus
sehnt.
Eindrucksvoll
ist es dann
auch, wenn
Siegfried Mime
im zweiten Akt
gewaltsam den
eigenen
Gifttrank
schlucken
lässt, bevor
er ihm mit
Nothung die
Kehle
durchschneidet.
Beim Schmieden
zieht
Siegfried sein
Kinder-T-Shirt
aus, auf dem
ein niedlicher
grüner Drache
zu sehen ist.
Darunter trägt
er ein dunkles
Shirt, das
einen
Fantasywelt-Drachen
zeigt. Der
Junge wird
erwachsen.
Angst vor
Drachen sollte
er aber nicht
haben, denn
die sind im
Haus in Form
von Spielzeug
und Bildern
sehr präsent.
Insbesondere
bei der
Begegnung mit
dem Wanderer
im dritten Akt
zeigt sich,
dass der freie
Held auch frei
von
Umgangsformen
und Respekt
vor dem Alter
ist. Und auch,
wenn ihm
Brünnhilde als
Frau endlich
zeigt, was
Angst ist,
zeigt er sich
zwar immer
wieder
ängstlich,
etwas falsch
zu machen,
bleibt aber
der ungestüme
junge Mann,
der über
Brünnhildes
verklärte
Idealisierungen
nur lachen
kann.
Der
Wanderer (Egils Silins), hinter
dem Zaun: Alberich
(Thomas Gazheli)
Weniger überzeugend zeigt sich das Gesamtkonzept, in dem sich der Regisseur zu verheddern beginnt. Der erste Akt kann als sperrmüllartige Messie-Wohnung mit diversen Regalen und Vorräten und einer Schmiede mit allem dazugehörigen Werkzeug durchaus überzeugen. So kann man Mimes Höhle in einer aktualisierenden Sichtweise zeigen. Und es ist sehr klug durchdacht, die Schmiede so zu stellen, dass Siegfried frontal zum Publikum steht und singt, während er sehr theaterrealistisch das Schwert schmiedet, dessen Stücke er zunächst mit einer elektrischen Schleifmaschine funkenreich zerspant hatte. Dass Wotan, der als Oligarchen-Mafioso-Mischung auftritt, die Wissenswette als russisches Roulette mit dem Revolver an der Schläfe spielt, gehört noch zu den erträglichen der vielen Überbilderungen, mit denen der Regisseur offensichtlich die Angst vor einem Stillstand des Unterhaltungsfaktors zu bekämpfen sucht, womit er sich schon in der Walküre Wasser in den Wein gekippt hat. Zum Vorspiel des ersten Aktes wird ein Film eingeblendet, der die durch einen echten Wald fliehende Sieglinde zeigt, die in einer Höhle Schutz sucht und der Mime dann blutig metzelnd das Baby Siegfried aus dem Bauch schneidet. Das ist eine These, die musikalisch höchst fragwürdig ist, denn wenn Mime Siegfried von seiner Geburt und Sieglindes Tod erzählt, klingt das grundehrlich (besonders, wenn es so schön gesungen wird, wie von Arnold Bezuyen) und auch Sieglindes Unterrock, den er als Beweis hervorzieht, ist nicht blutig, sondern nur schmutzig. Der Unterrock ist ein rührendes Requisit, vor allem, weil Siegfried ihn sehnsuchtsvoll berührt und dann mit sich führt – und wenn er im dritten Akt kurz glaubt, dass Brünnhilde seine Mutter ist, berührt er deren Rocksaum mit gleicher Intensität. Doch warum muss Siegfried von Mime noch „Zeichen“ als Beweise verlangen, wenn er doch schon den Unterrock hat? Das muss er, damit Nothung ins Spiel kommt, aber wirklich logisch ist es nicht. Dergleichen gibt es mehr, viel mehr.
Der
zweite Akt hinterlässt dagegen nicht nur
Fragezeichen, sondern auch gesträubte
Haare. Konnte man den Gedanken, die
Menschen als Kapital anstatt eines Haufen
Goldes zu sehen, im
Rheingold noch nachvollziehen, erschließt sich die
Darstellung hier nicht. Fafner hält sie in
weißer Unterwäsche gefangen, während
Unmengen von Kleidung den Bühnenboden
bedecken. Er quält sie mit Gasangriffen,
was zu nervenden, auf der Bühne
mitinszenierten Hustenanfällen führt, die
sich auch auf den Zuschauerraum
übertragen. Da erschlägt Fafner schon mal
eine allzu sehr nervende Husterin (zur
Nachahmung im Zuschauerraum nicht zu
empfehlen). Mime warnt Siegfried zwar vor
Fafners "giftigem Geifer", aber das ist
sein Speichel, nicht sein Atem, somit
findet das Gas keine Begründung im Text.
Fafner hat sich nicht in einen Drachen verwandelt, sondern sitzt mit freiem Oberkörper, der ebenso wie sein Gesicht mit Blut und Fleischresten gesprenkelt ist und isst, nein frisst rohes Fleisch. Wenig Sinn macht es dann, wenn er zu „Siegfried“ singt „Trinken wollt‘ ich, nun treff ich auch Fraß!“ – er frisst ja schon die ganze Zeit. „Eine zierliche Fresse zeigst du mir da, lachende Zähne im Leckermaul!“ zeigt dagegen Siegfrieds Ironisierung bei der Projektion von Fafners Mund und Zunge. Wenn man gefangene Menschen zeigt, die sich halbnackt in einen Zaun krallen, dazu Kleidermengen und Gas, dann löst dies Assoziationen zu Auschwitz und auch zu heutigen willkürlichen Gefangenenlagern aus. Doch auf welcher Grundlage des Librettos? „Ich lieg‘ und besitz, lasst mich schlafen.“ ist Fafners Credo. Er hatte im Streit um Hort und Ring seinen Bruder erschlagen, ist dadurch aber doch kein Massenmörder und Menschenquäler geworden. Das Haarsträubende ist doch, dass er mit seinem Besitz nichts anfängt, sondern ihn einfach nur haben will. Wäre es Geld, würde er sich nicht einmal für eventuelle Zinsen interessieren. „Nun Alberich, das schlug fehl“ möchte man mit Wotans Worten in Richtung Regie sagen. Das gilt auch für den innenbeleuchteten offenen Kasten, der als Tarnhelm dient, mit dem Siegfried die Menschen blendet und zusammen mit dem Ring zwingt, die Toten, Fafner und Mime, auf Stühle zu setzen, um den Hort zu bewachen. Welchen Hort denn nun? Die Menschen selbst? Die sind doch nun frei, wie man im dritten Akt sieht. Was einige der Menschen im dritten Akt mit grünen Plastikflaschen auf der Bühne sollen, erschließt sich nicht. Das immer wieder aufleuchtende bühnengroße W bekommt eine Ergänzung durch Erdas Neonröhren-Reifrock aus dem Rheingold, dessen Röhren denen des W sehr ähneln. Soll da eine Beziehung hergestellt werden? Welche? Denn nicht Erda trägt ihn – sie wird auf einem bettähnlichen Podium aus der Unterbühne heraufgefahren – sondern eine Statistin (pardon „Bürgerin der Stadt Kassel und Umgebung“ – wie es im Programmheft heißt). Das letzte Bild dagegen verdeutlicht noch einmal die ungeheure Kraft der detailgenauen Textausgestaltung in der Personenregie und, wie schon über die Walküre geschrieben, dass weniger mehr ist. Die Konzentration auf Text und Musik reicht völlig aus, wenn man so großartige Sängerdarsteller zur Verfügung hat. Auf die schwarze Bühne wird aus der Unterbühne ein innen weißer Quader mit der schlafenden Brünnhilde heraufgefahren. Die Wände aus Stoff werden von Siegfried heruntergerissen, was eine Defloration andeuten mag, zumal sich Siegfried auch körperlich freut, Brünnhilde zu sehen und dies nur ungeschickt verstecken kann. Der Karton, den die Walküren-Schwestern Brünnhilde neben das Bett gestellt hatten, offenbart nun seinen Inhalt: ein Brautkleid und ein schwarzer Anzug für Siegfried. Über diese wieder einmal gewollten Kleinigkeiten sieht man hinweg, denn wie Siegfried und Brünnhilde diesen Akt zu Ende singen und gestalten, ist einfach grandios. FAZIT
Musikalisch
großartig und ein Sängerfest von
seltener Qualität. Die Inszenierung
verheddert sich insbesondere im zweiten
Akt in ihrem Konzept, weil sie unbedingt
originell und anders sein will.
Dabei hätte sie das mit ihrer ganz
exzellenten Personenregie und
detailgenauen Textausgestaltung gar
nicht nötig. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
ProduktionsteamMusikalische Leitung Inszenierung Kostüme Christian Franzen Video David Worm Dramaturgie Staatsorchester Kassel Bürger*innen der Stadt Kassel und Umgebung Solisten
Alberich Erda Brünnhilde Stimme
des Waldvogels
Weitere Informationen
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- Fine -