Tot
sein ist schöner
Von Bernd
Stopka / Fotos: © Oper Leipzig
„WAGNER 22“ - unter
diesem
Projektnamen
erarbeitet
bzw.
vervollständigt
die Oper
Leipzig
derzeit die
Liste aller 13
Bühnenwerke
Richard
Wagners, die
im Jahr 2022
innerhalb von
drei Wochen
als
Wagner-Opernfesttage
gezeigt werden
sollen.
Tristan und
Isolde,
Wagners wohl
genialstes
Werk, das mit
so
überbordender
Leidenschaft
den ungestümen
und friedlosen
Liebestaumel
nur im
gemeinsamen
Tod Ruhe und
Befriedigung
finden lässt,
wird unter der
Regie von
Enrico Lübbe
und der
Co-Regie von
Torsten Buß in
den
Bühnenbildern
von Étienne
Pluss und den
Kostümen von
Linda Redlin
als
düster-tragisches
Endzeitdrama
interpretiert.
Brangäne
(Barbara Kozelj), Isolde (Meagan Miller)
Ein
vielfältiger, von allen Seiten bespielbarer
und teilweise offener Drehbühnenaufbau dient
als Bühnenbild, besser gesagt als Bühnenraum.
Er zeigt verschiedene Ebenen eines zerstörten,
verrottenden Luxusschiffes: eine Halle, eine
Treppe, das Skelett eines Schiffsbugs und
diverse Ansichten dazwischen und hindurch.
Zusammen mit der in diesem Ort des Zerfalls
geradezu betörenden Ausleuchtung (Licht: Olaf
Freese) entstehen enorm starke Szenenbilder,
die momentweise mit Projektionen ihrer selbst
(fettFilm) zu surrealen Eindrücken ergänzt
werden. Ein Musterbeispiel dafür, wie die oft
wenig geliebten Projektionen auf der Bühne
Sinn und Dimension erschließend eingesetzt
werden können.
Ein Neonlichtrahmen umgrenzt die Bühne, glüht
auf, wenn sich die Handlung ins
leidenschaftlich Überirdische bewegt, und
grenzt es von der realen Welt ab. Dann wird
die Bühne schwarz und der Fokus liegt ganz
allein auf den Figuren. Die Kostüme erinnern
an die 30er/40er Jahre des letzten
Jahrhunderts, Isoldes Seidenmantel an einen,
den auch Cosima Wagner hätte getragen haben
können.
Die Inszenierung erzählt die Geschichte im
Wesentlichen, wie sie geschrieben steht. Vor
allem dem ersten Akt tut dies unglaublich gut,
weil man sich ganz auf Text und Musik
konzentrieren kann, nicht abgelenkt wird, aber
eben - trotz vieler statischer Passagen – auch
nicht gelangweilt! Da hat die Musik das Sagen
und die hat ja bekanntlich einiges zu
erzählen.
Isolde sitzt an einem Tisch, der auf einem
verbliebenen und verblichenen Teppich steht
(eine Reminiszenz an Wagners Regieanweisung
„reich mit Teppichen behangen“?). Tristan
sitzt an einer anderen Stelle der Drehbühne im
Skelett eines Schiffsbugs – ebenfalls an einem
Tisch. Sie voller Rache, er voller
Fragezeichen im Gesicht. Die spätere Begegnung
zeigt, dass beide gefasst und distanziert
erscheinen wollen, innerlich aber gleiche alte
Liebe spüren. So trinkt Tristan den
vermeintlichen Todestrank gern und reicht
Isolde den Becher mit der Hälfte, noch bevor
sie „Mein die Hälfte!“ fordert. Schon hier
wird die Sehnsucht nach dem gemeinsamen Tod
als einzige Vereinigung angedeutet. Nachdem
Brangäne und Isolde den Todestrank lange Zeit
in den Händen hielten, wird in dieser
Inszenierung ganz deutlich, dass Brangäne ihn
bewusst mit dem Liebestrank vertauscht hat,
nicht versehentlich. Markes freudig resoluter
Auftritt am Ende des ersten Aktes holt
Liebende und Zuschauende kalt in die Realität
zurück.
Chor
Der
zweite Aufzug kann mit seiner Personenregie
nicht halten, was der erste so eindrucksvoll
und überzeugend versprach. Auch hier wird
Erzähltes sichtbar, wenn Marke mit Gefolge zur
Jagd aufbricht. Seine Mannen stellen Kerzen
(statt einer Fackel) auf, die Isolde dann
ausbläst. Eindrucksvoll erscheint auch hier
das Bühnenbild, das eine große breite Treppe
zeigt (Cineasten erinnern sich, dass solchen
auf sinkenden Luxusdampfern durchaus eine
gewisse Bedeutung zukommen kann). Tristan
erscheint durch eine Tür oberhalb der Treppe,
hinter der gleißendes Licht leuchtet. Während
des Liebesduetts verselbständigt sich die Idee
der zwei aufeinandertreffenden Welten, wenn
sich der Portalschleier immer wieder hebt und
senkt (oder war das ein technischer Defekt in
der Premiere? Auf jeden Fall ist das
enervierend).
Zu „selbst dann bin ich die Welt:
Wonne-hehrstes Weben, liebe-heiligstes Leben,
nie-wieder-Erwachens wahnlos hold bewusster
Wunsch.“ treten Tristan und Isolde aus dem
Bild über den Rahmen – in die überirdische,
irreale Welt. Brangäne singt einen Teil ihrer
Wacht-Rufe während sie über die Bühne
schreitet. Doubles der beiden Liebenden treten
auf und andere werden projiziert. Sie
vertauschen die Plätze und öffnen scheinbar
singend den Mund, wenn der andere verkündet,
„Tristan du, ich Isolde, nicht mehr Tristan!“.
„Du Isolde, Tristan ich, nicht mehr Isolde!“.
Das ineinander Aufgehen, das sich selbst
Aufgeben in unendlicher, selbstloser Liebe
wird hier bebildert. Ob diese Doppelungen zum
Verständnis nötig sind, bleibt allerdings
fraglich, wirkt das Ganze doch etwas sehr
gewollt und zeigefingerbewaffnet. Mit Markes
Auftritt erscheint auch wieder die Stärke der
Personenregie, so, wie sie im ersten Akt
überzeugen konnte. Dieser Marke ist kein
Jammerlappen. Er ist wütend, verärgert, kann
nicht fassen, was da geschehen ist, packt
Melot mehrfach am Kragen und schleudert ihn
von sich. Er zeigt alle Gefühle, die man in so
einer Situation haben kann und mit „Den
unerforschlich tief geheimnisvollen Grund, wer
macht der Welt ihn kund?“ setzt er sich
verzweifelt auf die Treppe und schaut Tristan
ratlos an. Eine ungeheuer starke Szene, von
Sebastian Pilgrim fantastisch gespielt und
gesungen.
Die immer wieder gestellte große Frage „Ist
das ein Tristan mit Anfassen oder ohne“ ist
hier nicht ganz eindeutig zu beantworten. Zwar
kann man die Berührungen an einer Hand
abzählen, aber immerhin gibt es sie. Die
Innigste mit einem Kuss ausgerechnet vor
Marke, nachdem Isolde sich schon demonstrativ
an die Seite des abgehen wollenden Marke
gestellt hatte und Tristan sie mit „Wohin nun
Tristan scheidet, willst du, Isold', ihm
folgen?“ erfolgreich zurückruft. Melot geht
mit einem Messer auf Tristan los, das der ihm
abnimmt und mit dem er sich nach einem kurzen
Handgemenge in die Brust sticht. Melot breitet
unschuldbeteuernd die Hände aus, als wollte er
sagen „ich war’s nicht“.
Tristan (Daniel Kirch),
Isolde (Meagan Miller)
Der
dritte Akt zeigt einen Zwischenbereich auf
der Drehbühne: ein Stück Treppe, ein Stück
Halle sind an den Seiten zu sehen. Tristan
sitzt in einem Lehnstuhl, Kurwenal, wie
stützend, Rücken an Rückenlehne. Die „alte
Weise“, die der Hirt spielt, erscheint
persönlich auf der Bühne: die
Englischhornistin tritt in
schlicht-schwarzer Orchesterkleidung auf
und geht spielend über die Bühne, „Muss
ich dich so verstehn, du alte ernste
Weise“ singt Tristan dann direkt zu ihr.
Gewiss, er spricht die Musik an – ob der
Auftritt für die ganz spezielle Stimmung
dieses Aktes hilfreich ist, mag jeder
selbst entscheiden. In Tristans
Fiebervision erscheint ihm Isolde gleich
siebenfach. Doubles betreten die Bühne,
gehen wieder ab, kommen an anderer Stelle
zurück. Die echte Isolde erlebt ihn bei
ihrem Auftritt noch lebend, doch er stirbt
in ihren Armen. Kurwenal metzelt Melot und
alle vermeintlichen Angreifer aus Markes
Mannen nieder, bevor er selbst stirbt.
Isolde singt den Liebestod noch hinter dem
leuchtenden Rahmen, während der verklärt
aufgestandene (nicht auferstandene!)
Tristan vor den Rahmen tritt, beständig
selig, aber etwas dusselig-wirkend grinst
(„Mild und leise wie er lächelt“…?) und
Isolde die Hand ausstreckt. Am Ende gehen
sie Hand in Hand, glücklich und voller
Elan wie vorher nie über den Rahmen zurück
ins Bühnenbild, einem gold-grell
blendendem Scheinwerfer entgegen. Was im
Leben nicht möglich war, ist es ja
eventuell im bzw. nach dem Tode. Tot sein
ist dann vielleicht doch schöner…
Ulf Schirmer, Intendant und GMD der Oper
Leipzig beginnt das Vorspiel sehr langsam
mit ausgedehnten Generalpausen und lässt
den zögerlichen Beginn wie ein
vorsichtiges Herantasten an große Gefühle
wirken. Mal flachen die Phrasen zögerlich
ab, mal werden sie schwelgerisch
ausgespielt, um sich dann wieder
zurückzunehmen. Es entsteht im
chromatischen Sog der unendlichen Melodie
ein Gefühl, der Musik zu verfallen und in
ihr Meer einzutauchen. Der ganze Abend
wirkt wie ein großer musikalischer Bogen,
der seinem einzig möglichen Ende
entgegenstrebt. Die intensiven Crescendi
im Vorspiel zum dritten Akt, die Sehnsucht
und Verzweiflung geradezu körperlich
spürbar machen, seien als weiteres
Beispiel für die Intensität genannt, mit
der Schirmer die Partitur Klang werden
lässt. Ein Tristan-Dirigat, das
begeistert, auch wenn es für die Sänger
zuweilen etwas zu laut wird. Das
Gewandhausorchester klingt wundervoll satt
und schwelgerisch, die Musiker folgen
ihrem Chef mit Engagement und hörbarer
Leidenschaft und reichern die Klänge nur
gelegentlich mit partiturfremden Tönen an.
Tristan (Daniel
Kirch), Isolde (Meagan Miller)
Selten
hört man die Isolde so exakt kontrolliert
und wirklich schön klingend gesungen wie von
Meagan Miller, die hier ihr Rollendebüt
gibt. Ihre Isolde ist eine jugendliche Frau,
die viele warme und zuweilen sogar
mädchenhafte Töne und ein geradezu
überirdisch schwebendes „höchste Lust“ am
Ende des Liebestodes hören lässt. Vielleicht
steht sie noch nicht ganz über der Partie,
was die Konzentration auf den Gesang und
eine gewisse Distanz in der Darstellung zur
Folge hat. Daniel Kirchs Tenor bewegt sich
von einem baritonalen Fundament aus noch
nicht ganz sicher in der wohl
anspruchsvollsten Tenor-Partie des
Wagner-Gesangs. Er klingt oft angestrengt,
leicht rau und nicht ganz intonationssicher
in der Höhe. In den Fieberfantasien des
dritten Aktes gelingen ihm dann aber
wohlklingende Passagen und klangvoll
ausgesungene Spitzentöne. Sebastian Pilgrim
kann als Marke ein eindrucksvolles
Rollendebüt feiern. Sein angenehm
timbrierter, in der Tiefe ausgesprochen
sonorer Bass ist in Mittellage und Höhe sehr
flexibel und so gelingt es ihm, den
betrogenen König zwischen Wut, Verzweiflung,
Trauer und ratlosem Kummer vieldimensional
zu gestalten.
Als Brangäne ist Barbara Kozelj eine mit
viel Vernunft denkende Mahnerin, die Isolde
eher mit vollstimmig klar klingenden Ansagen
als mit warm flehenden Bitten zur Seite
steht. Eine spannende Interpretation dieser
Partie. Jukka Rasilainen, kurzfristig als
Kurwenal eingesprungen und erst einen Tag
vorher in die Inszenierung eingewiesen,
lässt mit reifer Stimme Erinnerungen an
seinen stimmlichen Zenit wach werden.
Matthias Stier gestaltet den Melot auch
stimmlich als freundlich-falschen Verräter,
der es ja angeblich nur gut meint. Franz
Xaver Schlecht lässt als Steuermann ebenso
aufhorchen wie Alvaro Zambrano als junger
Seemann und Martin Petzold singt überzeugend
einen besorgten, väterlichen Hirten. Die
Herren des Opernchors, die als Seeleute und
Gefolge auf der Bühne zu sehen sind, klingen
kraftvoll und homogen.
FAZIT
Ein
fantastisches Bühnenbild, das Raum für eine
intensive Personenregie bietet, die überzeugt,
wenn sie die vielfältigen Gefühle deutlich macht.
Stark gelingt das vor allem im ersten Akt, weniger
überzeugend im zweiten. Ein wunderbares Dirigat,
Meagan Millers vielversprechendes Rollendebüt als
Isolde und Sebastian Pilgrims vieldimensional
begeisterndes als Marke ragen aus der
musikalischen Seite der Produktion hervor.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Ulf Schirmer
Inszenierung
Enrico Lübbe
Co-Regie
Torsten Buß
Bühne
Étienne Pluss
Kostüme
Linda Redlin
Licht
Olaf Freese
Video
fettFilm
Chor
Thomas Eitler-de Lint
Dramaturgie
Nele Winter
Gewandhausorchester
Herren des Chores
der Oper Leipzig
Komparserie
der Oper Leipzig
Solisten
Isolde
Meagan Miller
Brangäne
Barbara Kozelj
Tristan
Daniel Kirch
König Marke
Sabastian Pilgrim
Kurwenal
Jukka Rasilainen
Melot
Matthias Stier
Ein Hirt
Martin Petzold
Steuermann
Franz Xaver Schlecht
Ein junger
Seemann
Alvaro Zambrano
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