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Der goldene Drache


Musiktheater von Peter Eötvös und Roland Schimmelpfennig
Text von Roland Schimmelpfennig
Musik von Peter Eötvös


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)

Premiere im Theater Krefeld am 7. Mai 2019
Übernahme-Premiere im Theater Mönchengladbach am 28.9.2019
(rezensierte Aufführung: 19. November 2019 im Theater Mönchengladbach)

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Theater Krefeld-Mönchengladbach
(Homepage)
Der Tragödie im Imbiss nebenan

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Stutte

Kein Ort für große Oper: Der Thai-China-Vietnam-Schnellimbiss "Der goldene Drache", den es in jeder deutschen Stadt geben könnte, ist ganz sicher nicht die erste Adresse am Platze. Hier strandet ein junger Chinese mit Zahnschmerzen, illegal im Land und ohne Papiere, was einen Arztbesuch unmöglich macht. Kurzerhand wird der kariöse Zahn mit der Rohrzange gezogen, landet dabei auf Umwegen im Essen einer Stewardess. Ein ziemlich grotesker Plot, den Roland Schimmelpfennig in seinem (2009 uraufgeführten) Schauspiel Der goldene Drache ausbreitet. Aus dem vermeintlich komischen Sujet entwickelt sich mehr und mehr die Tragödie eines illegalen Immigranten, der letztendlich an den Folgen der stümperhaften Zahnoperation verblutet. Peter Eötvös aus dem preisgekrönten Drama das Libretto seiner gleichnamigen Oper destilliert (uraufgeführt 2014 in Frankfurt). Um den Hauptstrang der Geschichte herum ranken sich verschiedene andere Episoden, darunter die Fabel von der fleißigen Ameise und der im Winter hungernden Grille - die wiederum letztendlich identifiziert wird mit der Schwester des Chinesen, die in die Zwangsprostitution getrieben wird. Allmählich, aber dann unaufhaltsam kippt die Farce und wird zur Tragödie - und zum Spiegelbild einer Kultur, die das Drama nebenan nicht mehr wahrnimmt und unversehens ihre moralischen Koordinaten verliert.

Szenenfoto

Der Thai-China-Vietnam-Schnellimbiss "Der goldene Drache" mit seinem etwas obskuren Personal.

Fünf Darsteller schlüpfen in diverse Rollen, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Der Chinese ist ein Sopran, die Stewardessen Tenor und Bariton, die Grille ein weiterer Tenor. Auch durch die permanenten Kostümwechsel wird der Realismus gebrochen, und dazu beschreiben und kommentieren die Personen ständig ihre Handlungen. Ausgesprochen raffiniert fügt Schimmelpfennig die Handlungsfäden (die über den "Goldenen Drachen", also den Imbiss, verknüpft sind) zu einem Beziehungsgeflecht zusammen, ohne in Sozialpathos zu verfallen. Für Eötvös, der u.a. mit den Tri sestri (Drei Schwestern) nach Anton Tschechow und Angels in America nach Tony Kushner mit Literaturopern ziemlich präsent in der aktuellen Opernszene ist, liefern die schnellen Szenenwechsel eine Steilvorlage für die Musik. Komponiert für Kammerensemble (Auftraggeber war seinerzeit das Ensemble Modern) mit 14 Instrumentalisten, findet er einen zunächst eher geräuschhaften, perkussiven Stil, der prägnant und schnell die jeweilige Situation umreißt, mehr und mehr aber entsprechend der Handlung stärker melodische Linien einbaut und vom Parlando in einen elegischen und ariosen Trauergesang auf den toten Jungen wechselt. Wie der Text zieht auch die Musik den Zuschauer/Zuhörer nach anfänglicher Distanz immer stärker in das Geschehen hinein.

Szenenfoto

Die verhängnisvolle Zahnoperation

In dieser Produktion sitzt das Publikum auf zwei Tribünen auf der Bühne. Der eiserne Vorhang ist geschlossen und der Aufführungsraum so vom gewohnten Zuschauerraum getrennt. Zwischen den Tribünen befindet sich wie ein Laufsteg die eigentliche Spielfläche. Im Grunde ist das nicht groß anders als bei einer Studiobühne, wie es sie im Theater Mönchengladbach ja auch gibt (und beim Kooperationspartner Krefeld in der Fabrik Heeder), ein wenig größer vielleicht. Ob der kammermusikalische Duktus der Musik tatsächlich die Verkleinerung fordert oder nicht doch die bei einer zeitgenössischen Oper zu erwartenden überschaubaren Besucherzahlen für diese Lösung den Ausschlag gegeben haben, sei dahingestellt; man ist als Zuschauer nahe dran am Geschehen, fast mittendrin wie ein unfreiwilliger Voyeur, was dem Stück durchaus entgegen kommt, und dadurch, dass die Theatermaschinerie sichtbar ist, wird die konstruierte Künstlichkeit des Stücks noch einmal unterstrichen. Der Nachteil dieser Anordnung ist, dass man eben doch nicht jedes Wort versteht (wie Eötvös fordert), wenn ein Sänger zur gegenüberliegenden Tribüne hin singt.

Szenenfoto

Stewardess Inga findet den Zahn in ihrer Suppe

Regisseurin Petra Luisa Meyer balanciert das Stück sehr genau aus zwischen einem angedeuteten Realismus und der bewusst artifiziellen Theatersituation, die Schimmelpfennig und Eötvös konstruieren. Sie unterschlägt im letzten Teil auch nichts von der Härte, ja: Brutalität dessen, was vorgeführt wird. Auf der einen Seite der Spielfläche ahnt man die Restaurantküche, von der Decke hängen ein paar Lampen asiatischen Stils (Ausstattung: Dietlind Konold). Damit ist ein halbwegs realistischer Rahmen angesteckt, es bleibt aber viel Freiraum für Andeutungen, auch Stereotypen, für eine Freiheit wie beim Stehgreiftheater, wie sie bei Schimmelpfennig und Eötvös anklingt. Vor allem aber lebt die Produktion von der genauen Personenregie und den ausgezeichneten Darstellern, die sich exzellent in die unterschiedlichen Rollen einfühlen, gleichzeitig aber die nötige Distanz wahren und den permanenten Wechsel von Brechung und Empathie.

Szenenfoto

Der junge Chinese, verblutend

Sopranistin Panagiota Sofroniadou singt (neben diversen anderen Rollen) den kleinen Chinesen mit betörend schönem, glasklarem, leuchtenden Sopran. Susanne Seefing gibt mit solidem Mezzo u.a. die Ameise (und treibt die arme Grille in durch die Verweigerung von Hilfe in die Prostitution.) Großartig die beiden Tenöre James Park (u.a. die Grille) und Peter Koppelmann (hinreißend seine Charakterstudie als vom Leben überforderter, dadurch brutaler Macho, der die Grille zuletzt vergewaltigt). Stimmlich kann sich Bariton Raphael Bruck (u.a. die Stewardess Eva mit einem Rest an Empathie für das Leid in der Welt) weniger profilieren. An der Seite spielt das sehr gute Kammerensemble der Niederrheinischen Sinfoniker unter der umsichtigen Leitung des jungen griechischen Dirigenten Yorgos Ziavras.


FAZIT

Der goldene Drache, hier gezeigt in einer szenisch wie musikalisch tollen (leider mit der hier besprochenen letzten Aufführung schon wieder abgespielten) Produktion, gehört zum Besten, was das Musiktheater in diesem noch jungen Jahrhundert hervorgebracht hat und wird sicher seine Kreise ziehen.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Yorgos Ziavras

Inszenierung
Petra Luisa Meyer

Bühne und Kostüme
Dietlind Konold

Dramaturgie
Ulrike Aistleitner


Statisterie des Theater
Krefeld und Mönchengladbach

Die Niederrheinischen Sinfoniker


Solisten

* Besetzung der rezensierten Vorstellung

Junge Frau / der Kleine
Panagiota Sofroniadou

Frau über sechzig / alte Köchin /
Enkeltochter / Ameise /chinesische Mutter
Monica Marcus /
* Susanne Seefing

Junger Mann / junger Asiate /
Kellnerin / Grille / chinesische Tante
James Park

Mann über sechzig / alter Asiate /
Stewardess Eva / Großvater /
Freund der Enkeltochter /chinesischer Vater
Peter Koppelmann

Der Mann / ein Asiate /
Stewrdess Inga / chinesischer Onkel
Rafael Bruck



Weitere
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