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Der Tragödie im Imbiss nebenan
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Matthias Stutte Kein Ort für große Oper: Der Thai-China-Vietnam-Schnellimbiss "Der goldene Drache", den es in jeder deutschen Stadt geben könnte, ist ganz sicher nicht die erste Adresse am Platze. Hier strandet ein junger Chinese mit Zahnschmerzen, illegal im Land und ohne Papiere, was einen Arztbesuch unmöglich macht. Kurzerhand wird der kariöse Zahn mit der Rohrzange gezogen, landet dabei auf Umwegen im Essen einer Stewardess. Ein ziemlich grotesker Plot, den Roland Schimmelpfennig in seinem (2009 uraufgeführten) Schauspiel Der goldene Drache ausbreitet. Aus dem vermeintlich komischen Sujet entwickelt sich mehr und mehr die Tragödie eines illegalen Immigranten, der letztendlich an den Folgen der stümperhaften Zahnoperation verblutet. Peter Eötvös aus dem preisgekrönten Drama das Libretto seiner gleichnamigen Oper destilliert (uraufgeführt 2014 in Frankfurt). Um den Hauptstrang der Geschichte herum ranken sich verschiedene andere Episoden, darunter die Fabel von der fleißigen Ameise und der im Winter hungernden Grille - die wiederum letztendlich identifiziert wird mit der Schwester des Chinesen, die in die Zwangsprostitution getrieben wird. Allmählich, aber dann unaufhaltsam kippt die Farce und wird zur Tragödie - und zum Spiegelbild einer Kultur, die das Drama nebenan nicht mehr wahrnimmt und unversehens ihre moralischen Koordinaten verliert. Der Thai-China-Vietnam-Schnellimbiss "Der goldene Drache" mit seinem etwas obskuren Personal.
Fünf Darsteller schlüpfen in diverse Rollen, ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht. Der Chinese ist ein Sopran, die Stewardessen Tenor und Bariton, die Grille ein weiterer Tenor. Auch durch die permanenten Kostümwechsel wird der Realismus gebrochen, und dazu beschreiben und kommentieren die Personen ständig ihre Handlungen. Ausgesprochen raffiniert fügt Schimmelpfennig die Handlungsfäden (die über den "Goldenen Drachen", also den Imbiss, verknüpft sind) zu einem Beziehungsgeflecht zusammen, ohne in Sozialpathos zu verfallen. Für Eötvös, der u.a. mit den Tri sestri (Drei Schwestern) nach Anton Tschechow und Angels in America nach Tony Kushner mit Literaturopern ziemlich präsent in der aktuellen Opernszene ist, liefern die schnellen Szenenwechsel eine Steilvorlage für die Musik. Komponiert für Kammerensemble (Auftraggeber war seinerzeit das Ensemble Modern) mit 14 Instrumentalisten, findet er einen zunächst eher geräuschhaften, perkussiven Stil, der prägnant und schnell die jeweilige Situation umreißt, mehr und mehr aber entsprechend der Handlung stärker melodische Linien einbaut und vom Parlando in einen elegischen und ariosen Trauergesang auf den toten Jungen wechselt. Wie der Text zieht auch die Musik den Zuschauer/Zuhörer nach anfänglicher Distanz immer stärker in das Geschehen hinein. Die verhängnisvolle Zahnoperation
In dieser Produktion sitzt das Publikum auf zwei Tribünen auf der Bühne. Der eiserne Vorhang ist geschlossen und der Aufführungsraum so vom gewohnten Zuschauerraum getrennt. Zwischen den Tribünen befindet sich wie ein Laufsteg die eigentliche Spielfläche. Im Grunde ist das nicht groß anders als bei einer Studiobühne, wie es sie im Theater Mönchengladbach ja auch gibt (und beim Kooperationspartner Krefeld in der Fabrik Heeder), ein wenig größer vielleicht. Ob der kammermusikalische Duktus der Musik tatsächlich die Verkleinerung fordert oder nicht doch die bei einer zeitgenössischen Oper zu erwartenden überschaubaren Besucherzahlen für diese Lösung den Ausschlag gegeben haben, sei dahingestellt; man ist als Zuschauer nahe dran am Geschehen, fast mittendrin wie ein unfreiwilliger Voyeur, was dem Stück durchaus entgegen kommt, und dadurch, dass die Theatermaschinerie sichtbar ist, wird die konstruierte Künstlichkeit des Stücks noch einmal unterstrichen. Der Nachteil dieser Anordnung ist, dass man eben doch nicht jedes Wort versteht (wie Eötvös fordert), wenn ein Sänger zur gegenüberliegenden Tribüne hin singt. Stewardess Inga findet den Zahn in ihrer Suppe
Regisseurin Petra Luisa Meyer balanciert das Stück sehr genau aus zwischen einem angedeuteten Realismus und der bewusst artifiziellen Theatersituation, die Schimmelpfennig und Eötvös konstruieren. Sie unterschlägt im letzten Teil auch nichts von der Härte, ja: Brutalität dessen, was vorgeführt wird. Auf der einen Seite der Spielfläche ahnt man die Restaurantküche, von der Decke hängen ein paar Lampen asiatischen Stils (Ausstattung: Dietlind Konold). Damit ist ein halbwegs realistischer Rahmen angesteckt, es bleibt aber viel Freiraum für Andeutungen, auch Stereotypen, für eine Freiheit wie beim Stehgreiftheater, wie sie bei Schimmelpfennig und Eötvös anklingt. Vor allem aber lebt die Produktion von der genauen Personenregie und den ausgezeichneten Darstellern, die sich exzellent in die unterschiedlichen Rollen einfühlen, gleichzeitig aber die nötige Distanz wahren und den permanenten Wechsel von Brechung und Empathie. Der junge Chinese, verblutend
Sopranistin Panagiota Sofroniadou singt (neben diversen anderen Rollen) den kleinen Chinesen mit betörend schönem, glasklarem, leuchtenden Sopran. Susanne Seefing gibt mit solidem Mezzo u.a. die Ameise (und treibt die arme Grille in durch die Verweigerung von Hilfe in die Prostitution.) Großartig die beiden Tenöre James Park (u.a. die Grille) und Peter Koppelmann (hinreißend seine Charakterstudie als vom Leben überforderter, dadurch brutaler Macho, der die Grille zuletzt vergewaltigt). Stimmlich kann sich Bariton Raphael Bruck (u.a. die Stewardess Eva mit einem Rest an Empathie für das Leid in der Welt) weniger profilieren. An der Seite spielt das sehr gute Kammerensemble der Niederrheinischen Sinfoniker unter der umsichtigen Leitung des jungen griechischen Dirigenten Yorgos Ziavras.
Der goldene Drache, hier gezeigt in einer szenisch wie musikalisch tollen (leider mit der hier besprochenen letzten Aufführung schon wieder abgespielten) Produktion, gehört zum Besten, was das Musiktheater in diesem noch jungen Jahrhundert hervorgebracht hat und wird sicher seine Kreise ziehen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Vorstellung
Junge Frau / der Kleine
Frau über sechzig / alte Köchin /
Junger Mann / junger Asiate /
Mann über sechzig / alter Asiate /
Der Mann / ein Asiate /
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