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Medea

Tanzabend von Thomas Noone
Musik von Jim Pinchen

Aufführungsdauer: ca. 1h 5' (keine Pause)

Premiere im Kleinen Haus des Theaters Münster am 18. Oktober 2019
(rezensierte Aufführung: 31.10.2019)

Logo: Theater Münster

Theater Münster
(Homepage)
Kampf der Emotionen

Von Thomas Molke / Fotos: © Oliver Berg

Medea gehört zu den faszinierendsten und rätselhaftesten Figuren der griechischen Mythologie, die auch heute die unterschiedlichen Kunstgattungen inspiriert. Keine andere ist so bedingungslos in ihrer Liebe einerseits, wenn sie Jason zum goldenen Vlies verhilft und mit ihm ihre Heimat verlässt, und gnadenlos in ihrer Rache andererseits, wenn sie nach Jasons Untreue ihre Kinder, die ihr das Liebste sind, tötet. Noch größer mag das Entsetzen über diese Tat sein, da sie als Frau damit auch noch die Ordnung der Geschlechter fundamental in Frage stellt. Neben namhaften Opernkomponisten wie Johann Simon Mayr, Luigi Cherubini und zuletzt Aribert Reimann hat auch das Tanztheater immer wieder versucht, verschiedene Facetten dieser Figur offenzulegen. Zu erwähnen ist hier beispielsweise das Handlungsballett Medea von John Neumeier, das 1990 in Stuttgart mit der legendären Marcia Haydée zur Uraufführung gelangte. Nun hat sich auch Thomas Noone mit diesem Stoff beschäftigt. Als Schüler des israelischen Choreographen Itzik Galili gründete er 2001 die Thomas Noone Dance Company in Spanien, mit denen er in den letzten 18 Jahren mehr als 30 Produktionen national und international erarbeitete und die zahlreiche Auszeichnungen für ihre Produktivität und Innovation erhielt. Bereits 2014 entstand für die Kompanie in Koproduktion mit Mercat de les Flors in Barcelona eine erste Fassung von Medea, die Noone jetzt für das TanzTheaterMünster überarbeitet hat.

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Medea (Elizabeth D. Towles, rechts) und ihre Kinder (María Bayarri Pérez, vorne unten, und Raffaele Scicchitano)

Die Musik stammt von Jim Pinchen, der schon häufig mit Noone zusammengearbeitet hat. So steuerte Pinchen beispielsweise auch die musikalische Untermalung zu dem Tanzabend Descent bei, der 2014 in Münster zu erleben war. Kennzeichnend für seinen Stil ist die Verbindung von traditionellen Instrumenten mit elektronischen Sounds und verfremdeten Alltagsgeräuschen. Mit einer stellenweise recht anstrengenden Klangkulisse soll das emotionale Chaos und der seelische Zustand Medeas widergespiegelt werden. Noone erzählt seinen Tanzabend nicht als Handlungsballett, der eine chronologische Geschichte der Titelfigur nachzeichnet, sondern springt mitten in die Geschichte hinein und konzentriert sich auf die das Geschehen motivierenden Emotionen wie Liebe, Eifersucht und Hass. Folglich lässt Noone die komplette Vorgeschichte weg, in der Medea dem Argonauten aus Liebe hilft, das goldene Vlies aus ihrer Heimat Kolchis zu rauben, und er ihr im Gegenzug ewige Liebe schwört. Auch die gemeinsame Flucht aus Kolchis, bei der die beiden Medeas Bruder getötet und seine Stücke im Meer verstreut haben, um Medeas Vater bei der Verfolgung der Argonauten aufzuhalten, findet keine Erwähnung. Stattdessen befindet sich Medea bei Noone bereits in Korinth beim König Kreon und muss zusehen, wie Jason sich langsam in Glauke, die Tochter des Königs verliebt.

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Glauke (Tarah Malaika Pfeiffer, 2. von rechts) und ihr Vater Kreon (Keelan Whitmore, 2. von links) mit dem Chor (Ensemble)

Die Bühne ist völlig leer und arbeitet nur mit einer weißen Wand im Hintergrund. Emotionen werden vor allem durch das Lichtdesign von Peter Lundin erzeugt und durch die musikalische Untermalung, die so fremd klingt, wie Medea sich wahrscheinlich in Korinth fühlen muss. Medea hebt sich in ihrem Kostüm von den anderen Frauen dadurch ab, dass ihre blaue Hose an den Beinen wesentlich enger geschnitten ist, was ihre harten, teilweise männlichen Züge unterstreicht. Elizabeth D. Towles trägt in der Titelpartie die Haare kurz und streng nach oben gebunden, was ihr ebenfalls alles Weiche und Feminine nimmt. Zunächst befindet sie sich ganz allein auf der Bühne und setzt die Klanggeräusche in nervösen Zuckungen um. Sie scheint, sich als Ausgestoßene in einer anderen Welt zu fühlen und hadert damit, von Jason nicht die gewünschte Unterstützung zu erfahren. Einen starken Kontrast dazu bietet Tarah Malaika Pfeiffer als Glauke, die mit geschmeidigen, weichen Bewegungen in Begleitung ihres Vaters Kreon auftritt, und sogar versucht, Medea ein wenig Sympathie entgegenzubringen. Doch Kreon hindert sie daran, weil er andere Pläne mit ihr hat. Keelan Whitmore setzt die Unnahbarkeit des Königs glaubhaft um und unterstreicht, dass seine Tochter eigentlich nur eine Marionette in seinem Machtspiel ist.

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Jason (Leander Veizi) weist Medea (Elizabeth D. Towles) zurück.

Leander Veizi zeichnet den Jason als begehrenswerten Schwiegersohn, der in dieser neuen Welt Korinth seine Frau Medea mit anderen, sehr misstrauischen Augen sieht und sich mehr zu Glauke hingezogen fühlt. Eine wichtige Rolle spielen auch die beiden Kinder, die zum Zeichen ihrer Unschuld als einzige in Weiß gekleidet sind. Beim ersten Auftreten der Kinder (beeindruckend umgesetzt von María Bayarri Pérez und Raffaele Scicchitano) entsteht zwischen Jason und Medea ein regelrechter Kampf um sie. Jason versucht, sie aus dem Einflussbereich seiner Frau zu ziehen. Medea kämpft dagegen an. Pérez und Scicchitano können mit diesem Disput der Eltern nicht umgehen, bemühen sich, teilweise zu vermitteln, beziehen allerdings auch Stellung, was weder Jason noch Medea akzeptieren. Dies alles wird von einer unruhigen Klangkulisse eindrucksvoll untermalt. Einmal scheint es noch eine Art Annäherung zwischen Medea und Jason zu geben. Noone gönnt den beiden ein fast inniges Pas de deux, in dem man das Gefühl hat, dass ihre alte Liebe noch einmal aufflackert. Hier wird Pinchens Musik auch melodischer. Aber der Moment ist nur von kurzer Dauer. Kreon und Glauke reißen die beiden aus dieser kleinen Illusion wieder heraus. Im Ohr bleibt auch ein Moment, in dem leicht knackende Geräusche den auf den Boden prasselnden Regen zu imitieren scheinen. Dabei kommt Medeas Trauer und Verletzlichkeit sehr deutlich zum Ausdruck.

Wann genau die Morde geschehen, bleibt ein wenig unklar. Glauke und Kreon liegen bereits leblos auf der rechten Bühnenseite, tauchen allerdings später noch einmal auf. Das gleiche gilt für die beiden Kinder, die auf der linken Bühnenseite zusammensinken. Das folgende Pas de deux ist eine Art Kampf Jasons mit Medea, in der diese ihn aber zu überwältigen scheint. Unterstützt werden die Figuren noch von einem fünfköpfigen Chor, der in den einzelnen Szenen wie ein Kommentator auftritt und von Fátim López García, Kana Mabuchi, Matteo Mersi, Adrián Plá Cerdán und Charla Tuncdoruk ebenfalls eindrucksvoll umgesetzt wird. Nachdem die Taten geschehen sind, umkreisen alle übrigen Tänzerinnen und Tänzer - vielleicht als tote Seelen, die Medeas Gewissen jagen?- noch einmal Medea und versuchen, ihrer habhaft zu werden. Hier wird das abstrakte Bewegungsvokabular vom Anfang wieder aufgegriffen. Doch nachdem sie sie umzingelt haben, erstarrt der Kreis und Medea entkommt ihnen. Allein bleibt sie auf der Bühne zurück, verharrt in einer Pose, und das Licht verlischt. Das Publikum ist von diesem relativ kurzen und intensiven Tanzabend sehr angetan und spendet begeisterten Beifall für die Tänzerinnen und Tänzer.

FAZIT

Dieser Tanzabend überzeugt durch bewegende abstrakte Bilder und taucht tief in Medeas Gefühlswelt ein. Ein "Handlungsballett" erzählt Noone allerdings nicht.

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Produktionsteam

Choreographie und Bühne
Thomas Noone

Kostüme
Marc Udina Duran

Lichtdesign
Peter Lundin

 

Tänzerinnen und Tänzer

Medea
Elizabeth D. Towles

Jason
Leander Veizi

Kinder
María Bayarri Pérez
Raffaele Scicchitano

Kreon
Keelan Whitmore

Glauke
Tarah Malaika Pfeiffer

Chor
Fátima López García
Kana Mabuchi
Matteo Mersi
Adrián Plá Cerdán
Charla Tuncdoruk

 


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