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Er ist wieder da
Von Roberto Becker
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Fotos von Christina Iberl In Füssen hat sich Ludwig II. sein Schloss Neuschwanstein errichten lassen. Am Fuße dieses Märchenschlosses haben Nachfahren seiner Landeskinder vor zwanzig Jahren ein Festspielhaus für den wagnerbessenen Bayernkönig errichtet. Nicht ganz das Bayreuther, aber so ähnlich. Nicht direkt für den Kini, aber für ein Musical, das Franz Hummel über ihn und mit ihm als Hauptperson komponiert hat. Was er da genau komponiert hat, lässt sich nicht auf Anhieb sagen - das Drumherum bei der Uraufführung verortete das Ganze eindeutig als Musical. Mit mehr musikalischem Tiefgang, als man gewöhnlich in dem Genre erwartet. Naturgemäß aber auch mit mehr Regionalbezug als üblich. Ökonomisch hat es wider Erwarten dennoch nicht auf Dauer funktioniert. Wobei 1,5 Millionen Zuschauer zwischen 2000 und 2003 so schlecht auch wieder nicht sind. Das Haus musste wegen Missmanagement schließen und das Ludwig-Musical verschwand erst einmal von der Bildfläche.
Dass jetzt der gerade verlängerte Regensburger Intendant Jens Neundorff von Enzberg in seinem Haus einen zweiten Versuch startet, liegt auf der Hand. Wo, wenn nicht hier, hätte der Lieblingskönig der Bayern eine Chance. Franz Hummel hat es (quasi als Geburtstagsgeschenk auch an sich selbst) zu seinem 80. nochmal überarbeitet. Schon weil Richard Wagner und seine Musik eine zentrale Rolle spielen, wenn es um Ludwig II. geht, ist Franz Hummel nicht ohne ein gewisses Quantum Ehrgeiz in Sachen Gesamtkunstwerk an seinen Gegenstand herangegangen. Beim Wiederhören in dem kleineren Rahmen und mit den vor allem darstellerisch und szenisch begrenzten Möglichkeiten eines kleineren Hauses fällt der Drall in Richtung Operette oder zum Volkstümlichen mehr auf, als es noch bei dem Feuerwerk der großen und aufwändigen Bilder in Füssen der Fall war.
In der jetzt uraufgeführten Regensburger Fassung ist das alles eine Nummer kleiner. Die fürs konservative bayerische Selbstverständnis biographische Klippe, dass Ihr König nicht nur in Richard Wagners Musik vernarrt war und gerne Schlösser bauen ließ (diese Marotten hat man ihm ja aus guten Gründen längst verziehen und ins eigene Selbstverständnis eingemeindet), sondern ansonsten Männer den Frauen vorzog, wird nicht mehr umschifft, sondern auf der Bühne so selbstverständlich behandelt wie im heutigen Leben. Der Regenbogen trübt auch den blauweißen Himmel nicht mehr. Im Programmheft ist nachzulesen, wie man einst Luchino Viscontis Ludwig (der für Deutschland eh schon von 235 Minuten auf 185 Minuten gekürzt war) noch einmal nach Protesten bayerischer Heimatvereine, die "perverse Stellen" und "Herabwürdigungen" ausgemacht hatten und im damaligen CSU-Vorsitzenden Franz Josef Strauß einen mächtigen Fürsprecher fanden, um weitere 45 Minuten zusammengestrichen wurde und danach dann wirklich keine "homosexuellen" Stellen mehr enthielt.
Regisseur Sam Brown und sein Bühnenbildner und Lichtdesigner Bengt Gomer umgeben den König in Regensburg zwar nicht mit einem goldenen, aber mit einem transparenten Käfig. Teils durch Projektionen ergänzte Architekturmodelle, die an seine Schlösser erinnern und auf die ohne Probleme der Himmel weinen kann, wenn sich die Musik in brenzligen Situationen aufs Donnern oder aufs demonstrierende Lärmen zurückzieht. Womit sozusagen das andere Ende eines musikalischen Spektrums bedient wird, das auch Volksmusikeinlagen und Walzerklänge (Sissi und Franz Josef gehören zur Verwandtschaft und sind auch auf der Bühne häufig präsent) bietet. Musikalisch das Beste sind die verfremdeten Wagner-Zitate. Auch wenn die nun nicht gerade ohrwurmtauglich und musicalaffin sind. Dass Hummel sich das getraut und auch für Regensburg beibehalten hat, hebt seinen Ludwig deutlich von der Musical-Massenware ab. Der Komponist, der sich selbst als ein zum Neutöner apostrophierter Einzelgänger sieht, hat sich für seine Ludwig-Melange kräftig in der Musikgeschichte bedient. Immer wenn der König vor sich hin schmachtet und sich nach dem Paradies, der Kunst, Wagner, Sissi oder sonst wem sehnt, klingt es auch direkt wie Musical. Aber das sind nicht die stärksten Nummern. In den zweieinhalb Bruttostunden wird dann das abgehandelt, was jeder republikanische Zuschauer mit royaler Restsympathie so halbwegs kennt. Dabei ist die Beziehung zu Sissi vielleicht ein bissl aufgewertet (auch sie hat ja mit Elisabeth längst ihr eigenes, ziemlich erfolgreiches Musicalleben), der Konflikt mit Bismarcks Preußen vielleicht eine Spur zu kabarettistisch, seine Vorliebe für die schönen Jungs seines Landes aber nicht mehr verschämt heruntergespielt. Dass man szenisch aus dem grandiosen Gang ins Wasser (damals in Füssen) in Regensburg nicht herankommt, war klar. Das Anfangsbild mit dem auf den Grund des Sees sinkenden König macht das eher deutlich, als dass es einen Ersatz liefern würde. Mit dem gläsernen Sarg a la Schneewittchen am Ende verhält es sich es so ähnlich. Die cannabisumnebelte Szene mit den Oben-ohne-Schuhplattlern passt. Die hauseigenen Profitänzer können das halt auch.
Hummels Ludwig-Musik hat die Selbstironie, die das Ganze zum Vergnügen macht, und ihrem Gegenstand mit dem nötigen Maß von Empathie begegnet. Im Grunde kann einem der königliche Spinner leidtun, denn dass der als Mensch nie frei war, das kommt bei aller Verkürzung aufs Klischee schon 'rüber. Das macht diesen Ludwig eher für ein kundiges Opern- als für ein klassisches Musicalpublikum tauglich. Spricht also für Stadttheater. Die zusammen mit Susan Oswell von Hummel überarbeitete und für das Philharmonische Orchester neu instrumentierte Musik ist bei Generalmusikdirektor Chin-Chao Lin in besten Händen. In der Füssener Fassung war noch mit Toneinspielern gearbeitet worden - in Regensburg steht der komplette Opernchor auf der Bühne. In dem schmucken kleinen Opernhaus setzten Sam Brown (Regie), Bengt Gomér (Bühne, Video) und Louise Flanagan (Kostüme) die Mittel ein, die einem - im Unterschied zu den extra dafür errichteten Musicaltempeln - normalen Theater für ein Musical halt zur Verfügung stehen. Wiedererkennbare Figuren in Kostüm und Maske - wobei die Phase des charismatischen Jungkönigs, der zum Traumprinzen taugte, gleich übersprungen wird. Johannes Mooser kommt dem älteren Ludwig, den seine Minister entmachten, im Habitus deutlich näher. Sara-Maria Saalmann ist die kapriziöse Sissi, Christopher von Lerchenfeld ein tatsächlich ähnlicher Richard Wagner und Andrea Dohnicht-Pruditsch seine Cosima, die ihren Hans von Bülow (Oliver Weidinger) längst abgeschrieben hat. Die Politiker um den König herum driften, vor allem wenn sie reden, etwas ins allzu Kabarettistische ab. Aber alles in allem ist der Ausflug in die bayerische Geschichte ein Vergnügen. FAZIT Nicht mit dem branchenüblichen Glanz und Glamour, aber doch lohnend: Das Ludwig II.-Musical von Franz Hummel bekommt in Regensburg seine zweite Chance. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne, Videokonzept
Kostüme
Choreographie
Chor
Licht
Dramaturgie
Solisten
Ludwig II., König von Bayern
Sissi, Kaiserin von Österreich
Sophie, Prinzessin von Bayern
Edgar Hanfstaengl, Hof-Fotograf
Richard Wagner
Cosima von Bülow
Hans von Bülow /
Ministerpräsident Lutz
Kabinettssekretär Pfistermeister
Obermedizinalrat von Gudden
Oberstallmeister Graf Holnstein
Otto von Bismarck, preußischer Ministerpräsident
Joseph Kainz, Schauspieler
Paul Prinz von Thurn und Taxis / Ludwig-Double
Nymphe Allergia / Lechtochter
Nymphe Traumina / Lechtochter
Nymphe Spontaneia / Lechtochter
Ludwig als Kind /
Kaiser Franz Joseph von Österreich
Maximilian II., Ludwigs Vater
Marie, Königin von Bayern, Ludwigs Mutter
Baroness von Ow
Freifrau von Roehrl
Georgina Josefine Hintermeier
Birgitta Ehrlich zu Ehrlicher
Freifrau Charlotte von Arnim
Prinzessin Kyria von Thurn und Taxis
Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst
Akkordeonspieler
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