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Le nozze di Figaro

Opera buffa in vier Akten
Libretto von Lorenzo Da Ponte
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Dauer: 3 1/2 Stunden – zwei Pausen

Premiere am 1. Dezember 2019
(rezensierte Aufführung: 04.12.2019)

 



(Homepage)

Nun vergiss alles Fleh'n (an die Regie)!

Von Christoph Wurzel / Fotos: © Martin Sigmund

Briefe spielen ja in vielen Opern eine gewisse Rolle. Meist fördern sie die Verwicklungen im Handlungsgstrüpp und tragen zur Verwirrung der handelnden Figuren bei. In dieser Figaro- Produktion bekommt zu Beginn des 4. Akts das Publikum selbst einen Brief zu lesen. Es handelt sich um das seinerzeit auf geduldiges Papier gebrachte Geschreibsel eines Wolfgang Amadé Mozart an eine "Mademoiselle, ma très chère Cousine", das hier mittels einer langen Schriftrolle auf den Vorhang projiziert wird. Ist nach den ersten drei Akten dieser Inszenierung das Publikum ohnehin schon verwirrt, so ist es nun auch noch verärgert und lauter Protest macht sich breit. Was soll diese Geschichte von einem Schäfer, der elftausend Schafe über eine Brücke treibt? Gehobener Nonsens, ok - aber an dieser Stelle? Nur eine der vielen eigentlich müßigen Fragen, die man sich in dieser verkorksten Inszenierung stellt.

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Vom Bett im 1. Akt...: Johannes Kammler (Graf), Esther Dierkes (Susanna), Diana Haller (Cherubino) und Heinz Göhrig (Basilio)

Warum misst Figaro im Möbelladen (Ähnlichkeit mit einem schwedischen Konzern nicht zu übersehen)  das Bett aus und nicht wie es im Libretto steht, das Zimmer im Schloss? Warum laufen in dieser eigentlich sehr privaten Szene so viele Leute herum? Warum erscheint der Graf bei seinem ersten Auftritt im Pyjama? Welche Rolle spielt er überhaupt in diesem Laden? Warum richtet sich Figaro an den Grafen statt an Cherubino, wenn er ihn mit der Aufzählung der bevorstehenden Entbehrungen im Soldatenstand foppt? Lauter Warums - bis zum Schlussakt: Warum sind hier alle Figuren gedoppelt? Warum wendet sich die Gräfin mit ihrem verzeihenden "Si" nicht an den Schuft selbst, ihren um Verzeihung bittenden Mann, sondern an die sie doubelnde Statistin?

Diese Inszenierung ist voller Rätsel, die sich nicht auflösen und voller unlogischer Lösungen. Mit der Zeit verliert man die Lust, darüber nachzudenken. Gleiches gilt für das Bühnenbild, das auf den ersten Blick noch witzig erscheint. Mit der Zeit werden es aber zu viele Betten, die hier das einzige Mobiliar der Ausstattung bleiben. Die Symbolik verbraucht sich schnell. Gravierend bleibt aber in der gesamten Inszenierung der Mangel an einer schlüssigen Entwicklung der Szene und einer glaubhaften Personenführung. Erst recht bleibt die Komik auf der Strecke und wären Helene Schneiderman (als betulich schrullige Marcellina) und Heinz Göhrig (als schadenfroh kichernder Basilio) nicht schon von sich aus solche Darstellungskanonen: von der Komik einer der brillantesten Komischen Opern der Musikgeschichte überhaupt bliebe nicht viel übrig; außer eigentlich nur der Hauch von Melancholie, in den die Regisseurin den 4. Akt hüllt. Nachdenkenswert allein bleibt der skeptische Schluss mit einer mühsamen Vergebung.

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... zum Bett im 2. Akt...: Sarah-Jane Brandon als Gräfin

Glücklicherweise ist da ja noch die Musik, der zupackend auf Präzision bedachte Dirigent Roland Kluttig, das exzellent aufgelegte Staatsorchester Stuttgart, der wie immer starke Staatsopernchor und ein durchweg großartig singendes Solistenensemble. Michael Nagl gibt einen stimmlich über allen Klippen erhabenen Figaro. Das beweist er bereits in der ersten Arie, der Cavatine "Se vuol ballare Signor contino", in der er keinen Zweifel an seiner Aufmüpfigkeit lässt, was er bis zum Schluss ("Aprite un po' que gl'occhi") durchhält, wo ihn die Regie aber mit seiner in dieser Situation verständlichen Frauenfeindlichkeit allein lässt. Als Susanna glänzt Esther Dierkes mit ausnehmend schönem Legato. Die Rosenarie ist einer musikalischen Höhepunkte des Abends.

Das Grafenpaar (hier in keiner Weise irgendwie sozial definiert, wodurch das Meiste an Brisanz verloren geht) wird von Sarah-Jane Brandon und Johannes Kammler gesungen. In der Auftritts-Cavatina "Porgi amor" gerät Brandon an diesem Abend das Fleh'n ein wenig zu pathetisch, aber mit tiefer Innigkeit gelingt ihr die Frage nach den verflossenen Wonnestunden ("Dove sono i bei momenti") mit ihrem Gatten, dem Schürzenjäger. Den muss Johannes Kammler darstellerisch recht eindimensional als eifersüchtigen Polterer spielen, singt ihn aber mit gehöriger Eleganz. Mehr durch die Stimme als über die Darstellung macht Kammler die Nöte dieses Herrn verständlich.

Wie gesagt sind Marcellina und Basilio hier nicht nur Nebenrollen. Außer höchst präsenten Spiels bleiben Helene Scheiderman und Heinz Göhrig, lang gediente Mitglieder des Stuttgarter Ensembles, auch stimmlich keine Randfiguren. Friedemann Röhlich darf als wütend auf Kissen trampelndem Doktor Bartolo eigentlich nur eine Karikatur abgeben, bekommt seine einzige Arie mit den heiklen Achteltriolen aber ganz gut über die Rampe.

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... zum Bett im 4. Akt: Statistin (Double Susanna),  Sarah-Jane Brandon (Gräfin),  Esther Dierkes (Susanna) und Michael Nagl (Figaro)

Vokale Höhepunkte gibt es bei Diana Haller (Cherubino) und der jungen Claudia Muschio zu vermelden. Letztere ist hoffnungsvolles Mitglied des Stuttgarter Opernstudios. Durfte sie deshalb die Arie über die verlorene Nadel gleich zweimal (Ende 3. Akt / Anfang 4. Akt) singen? (Noch eine Frage, die ohne Antwort bleibt). Und Diana Hallers Cherubino ist alles andere als ein Kind (un fanciull'), sondern mit schon reifer Stimme eben ein liebestoller Spätpubertierender. Wie die Sängerin am Schluss ihrer Canzona im 2. Akt die Frage nach dem Wesen der Liebe so stark retardiert, als ließe sich ihre Sehnsucht nach einer Antwort kaum mehr stillen, war sängerisch eine Glanzleistung.

Roland Kluttig gibt dem Orchester ein flottes Tempo vor. An ein oder zwei Stellen kommt es dann auch etwas ins Wackeln, aber insgesamt entwickelt sich ein passender Sog, der vor allem auch in den Akt-Finali die grandiose Dramatik des Stücks bedient, Brillanz in den Einzelstimmen (Flöten pars pro toto) inclusive.

FAZIT

Von dieser Produktion bleibt nur die Musik in guter Erinnerung. Die Inszenierung ist einer der an der Stuttgarter Oper seltenen Regie-Ausfälle. Bleibt nur der abgespielten Figaro-Inszenierung von Nigel Lowery (2001 - siehe unsere Rezension) nachzutrauern.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Roland Kluttig

Regie
Christiane Pohle

Bühne
Natascha von Steiger

Kostüme
Sara Kittelmann

Video
Anna Sofie Lumeier

Licht
Reinhard Traub

Dramaturgie
Ingo Gerlach

Chor
Bernhard Moncado



Staatsopernchor Stuttgart

Statisterie der Staatsoper Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart

 

Solisten

Graf Almaviva
Johannes Kammler

Gräfin Almaviva
Sarah-Jane Brandon

Susanna
Esther Dierkes

Figaro
Michael Nagl

Cherobino
Diana Haller

Marcellina
Helene Schneiderman

Bartolo
Friedemann Röhlig

Basilio
Heinz Göhrig

Don Curzio
Christoper Sokolowski*

Barberina
Claudia Muschio*

Antonio
Matthew Anchel

Zwei Mädchen
Sarah Jones**
Olga Polyakova**

* Mitglied des Internationalen Opernstudios
** Mitglied des Staatsopernchores


 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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