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Im Gralsmuseum Von Christoph Wurzel / Fotos: © Klara Beck Ab mit dem religösen Ballast ins Museum! Und rein in die Natur! So jedenfalls muss man wohl die Essenz des neuen Parsifal deuten, den der japanische Regisseur Amon Miyamoto in Straßburg inszeniert hat. Im "Museum der Menschheit" siedelt er nämlich das Bühnenweihfestspiel an. Zusammen mit einer Gruppe zeitgenössischer Besucher werden wir zu Beginn des ersten Akts mittels der Drehbühne durch mehrere Säle dieses modernen Museumsbaus geführt. Vor dem Eingang hängt ein großes Bild purer Natur mit einer grünen Urwaldlandschaft, das eine junge Frau interessiert betrachtet. Vorbei geht es an dem lebensgroßen Modell "Der aufrechte Gang", einer Darstellung der Entwicklung der Gattung Mensch vom Affen bis zum homo sapiens sapiens, bis wir schließlich in den Saal mit religiöser Malerei des Mittelalters gelangen. Lauter Kreuzigungsbilder hängen dort und in zwei Glasvitrinen sind Speer und Kelch zu sehen, die Symbole des Grals. Wenn dann bald Gurnemanz zusammen mit den Knappen und Rittern die Szene betritt, fühlen wir uns endgültig verwirrt, denn in Kostüm und Gestus scheinen wir uns in einem Mysterienspiel wiederzufinden, so Andacht heischend wirkt dieses szenische Setting, aber auch zugleich endlos kitschig. Amfortas wiederum wird in einem modernen Rollstuhl hereingeschoben. Viele Fragen stellen sich da, über die wir die restlichen Stunden der Aufführung rätseln dürfen, vor allem aber besonders über den Affen, der sich offensichtlich aus dem Evolutionsmodell gelöst hat und am Schluss des Aktes Parsifal folgt, der soeben von Gurnemanz aus der Gralsburg verwiesen wurde, weil er den Gralsritualen nur mit blankem Unverständnis gefolgt ist. Schluss des 1. Akts: Parsifal (Thomas Blondelle) und Parsifal als Kind (Mathis Spolverato) Aber verrätselt hat Miyamoto das Ganze schon zum Vorspiel mit einer stummen Szene, in der eine Frau erst vor einem Kruzifix betet, dann ihre Brust entblößt, sich lustvoll im Spiegel betrachtet und sich wie in Erwartung eines Liebhabers nackt aufs Sofa legt. Ein Junge, der hinzu kommt, gerät mit ihr in Streit, sie ohrfeigt ihn, wobei er einen Schwan aus Porzellan zu Boden wirft, der neben dem Foto eines Mannes mit Trauerflor auf einem Tischchen steht. Dann wird die Frau von einem Mann ins Nebenzimmer gezogen. Der Junge sieht derweil zu, wie sich vor dem geöffneten Fenster draußen derselbe Mann ein Messer in den Leib stößt. Später lernen wir: dieser Junge ist Parsifal als Kind. Er wird immer wieder auf der Szene auftauchen, ebenso wie die Frau, die ihn zu suchen scheint. Damit sind die Themen gesetzt: Sexualität, Gewalt, Religion und die Suche nach dem Selbst. Die zweite Szene im 1. Akt, die Enthüllung des Grals mit dem folgenden Abendmahl der Ritter, ist von abstoßender Brutalität geprägt. Der Regisseur zeigt Amfortas als eine Art Wiedergänger Christi, dem mit einem Stich in die Seite ein Blutopfer abgezwungen wird. Wie bei einer katholischen Kommunion verteilen die Ritter das Blut in Kelchen untereinander und nehmen es zu sich. Diese Szene spielt in einer Art Labor, in dessen Vitrinen alle möglichen christlichen Devotionalien und Reliquien aufbewahrt sind, abgetrennte Gliedmaßen, ein vom Kruzifix abgenommener Christuskörper, eine Dornenkrone, das Turiner Grabtuch. Und wie ein Zombie mit ekelhaft unter der Haut hervortretendem Skelett überwacht Titurel die Szene in einem aufrecht stehenden Schrein. 1. Akt, Gralsgebiet: vorne rechts Gurnemanz (Ante Jerkunica) mit Kundry (Christianne Stotijn); im Rollstuhl Amfortas (Markus Marquardt), Ritter und Knappen (Ensemble) und mit Umhängetasche Parsifal als Kind (Mathis Spolverato) Im zweiten Akt ("Klingsors Zauberschloss") finden wir uns im Überwachungsraum des Museums wieder. Klingsor kontrolliert von dort über die Monitore die Zugänge des Hauses. Kundry wird mit verbundenen Augen hereingezerrt und Parsifal von prügelnden Bodygards in Empfang genommen. In einem Saal mit pinkfarbenem Dekor und zusätzlich in pinkfarbenes Licht getaucht erscheinen die Zaubermädchen, allerdings recht überraschend ziemlich aggressiv, indem sie Parsifal locken, aber gleichzeitig mit Messern bedrohen. Man denkt eher an einen Alptraum als an einen fröhlichen Flirt. Dass Erotik auf Parsifal abschreckend und angstmachend wirkt, zeigt sich vollends, wenn Kundrys ihn zu verführen versucht, er aber panisch davonstürzt. Im dritten Akt finden wir wieder in etwa das Bühnenbild des ersten Akts vor, doch diesmal nicht mehr im Museum, sondern im freien Raum mit sichtbarer Hinterbühne. Wieder viel abgeschmackter Kult: Wie auf billigen Heiligenbildchen wäscht Kundry Parsifals Füße, er tauft sie und dann entschwebt sie in den Bühnenhimmel. Zum Karfreitagszauber erscheint vergrößert die Urwaldlandschaft aus dem Bild des 1. Akts. Noch einmal vollzieht sich dann die Gralszeremonie. Amfortas muss mit Gewalt gezwungen werden, sein Amt zu vollziehen. Zu einer Mumie eingeschrumpelt sehen wir Titurels sterbliche Reste. Parsifal legt den Speer an Amfortas Wunde und heilt ihn damit. Zu seinem Ruf "Enthüllet den Gral, öffnet den Schrein" geht im Zuschauerraum kurz das Licht an, ein Engel schwebt vom Himmel über der Szene und nun öffnet sich ein Tor in die grüne Natur, in der ein Lichtkranz erstrahlt, während der Affe mit dem lockenden Zeigefinger Parsifal in diese neue Welt holt. Erlösung - das Kind Parsifal und seine Mutter fallen sich in die Arme und die Szene verschwindet langsam in der Videoprojektion des unendlichen Weltalls. 2. Akt, Klingsors Zauberschloss: Christianne Stotijn (Kundry) und Simon Bailey (Klingsor) Das alles ist mitunter schwer zu ertragen, wenngleich es auch Sinn macht. Durch starke Übertreibung rechnet Amon Miyamoto mit Aberglauben und falscher Religiosität ab, die zur Unmenschlichkeit verkommen ist und stellt ihr als neue menschlichere Religion die Versöhnung mit der Natur entgegen. Wie allerdings die Heilung der sexuellen Traumata erfolgen soll, die in seiner Inszenierung thematisiert werden - diese Frage bleibt offen. Musikalisch ist diese Produktion in hohem Maße gelungen. Marko Letonja, Generalmusikdirektor in Bremen, leitet das Orchestre Philharmonique de Strasbourg mit Umsicht und Gefühl. Die Tempi nimmt er flüssig und gemessen. Entgegen der stellenweise überzeichneten Szene lässt er gelassen, aber ausdrucksstark musizieren. Dramatische Spannung kommt in der Musik des Klingsor-Akts auf. Der aus den Opernchören von Straßburg und Dijon zusammengestellt Chor singt hervorragend, sehr präzise und klangschön. Die Sängerriege verrät insgesamt große Wagnererfahrung. Als Parsifal, durch Kleidung und jugendliche Körpersprache übrigens konsequent als heutiger Mensch definiert, gibt Thomas Blondelle das Beste. Seine Stimme ist strahlend, aber an entscheidenden Stellen wagt er auch höchste Expression durch stimmlose Einzeltöne. Markus Marquardt ist darstellerisch wie vokal ein packender Amfortas, echt als verzweifelter Schmerzensmann. Ante Jerkunica beeindruckt als Gurnemanz mit wohlklingendem Bass und beachtenswerter Textverständlichkeit. Als starker Kontrast zu der bigotten Heiligkeit der Gralsritter ist Simon Bailey als teuflischer Klingsor enorm präsent und singt dabei dennoch vokal höchst kontrolliert. Mit unerbittlicher Autorität stattet Konstantin Gorny die Rolle des fordernden Titurel aus. Christianne Stotijn gibt eine ausdrucksstarke Kundry, stimmlich aber stören mitunter zu starkes Vibrato und eine unscharfe Intonation. Insgesamt aber bietet sie doch eine überzeugende Rollendarstellung. FAZIT Man bekommt in dieser Inszenierung anstrengend viel zu sehen und gedanklich einzuordnen. Amon Miyamoto hat sie mit Symbolik arg überfrachtet. Dennoch kommt die Aussage weitgehend schlüssig heraus. Von der musikalischen Seite aber ist der Abend beinahe vollkommen.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild Kostüme Licht Video Chorleitung
Chor der Opéra national du Rhin Chor der Opéra de Dijon Statisterie der Opéra national du Rhin Orchestre Philharmonique de Strasbourg Solisten
Amfortas
Titurel
Gurnemanz
Parsifal
Klingsor
Kundry
Zwei Gralsritter
Vier Knappen Blumenmädchen Stimme von oben Stumme Rollen:
Parsifal als Kind sowie
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