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Les Noces (Die Hochzeit)

Tanzkantate
Libretto und Musik von Igor Strawinsky

Oedipus Rex

Opern-Oratorium in zwei Akten
Libretto von Igor Strawinsky und Jean Cocteau nach Oidipus tyrannos von Sophokles
Musik von Igor Strawinsky

Aufführungsdauer: ca. 2h (eine Pause)

in französischer Sprache (Les Noces) und lateinischer Sprache (Oedipus Rex) mit deutschen Übertiteln

Premiere im Opernhaus Wuppertal am 15. September 2019


Wuppertaler Bühnen
(Homepage)
Psycho-Krimi im alten Theben


Von Thomas Molke / Fotos: © Björn Hickmann

Obwohl die Geschichte um Oedipus, der ohne Kenntnis seiner Familienverhältnisse seinen Vater, König Laios, tötete und seine Mutter Iokaste heiratete, zu den bekanntesten Mythen der Antike zählt, hat der Stoff im Gegensatz zu anderen Sagen der Antike in der Oper lange Zeit keine große Rolle gespielt. Erst im 20. Jahrhundert entstanden heute noch bekannte Vertonungen von Igor Strawinsky, George Enescu und Carl Orff. Berthold Schneider, der Intendant der Oper Wuppertal, hat sich entschieden, die diesjährige Spielzeit mit Strawinskys 1928 an der Staatsoper Wien uraufgeführtem Opernoratorium Oedipus Rex zu eröffnen. Da das Werk mit einer knappen Stunde Spielzeit für einen kompletten Abend ein wenig kurz erscheint, hat man es in Wuppertal mit der fünf Jahre zuvor entstandenen Tanzkantate Les Noces von Strawinsky kombiniert. Die beiden Stücke, die stilistisch kaum unterschiedlicher sein könnten, werden allerdings nicht einfach nebeneinander gestellt, sondern vom Regie-Team um Timofey Kulyabin zu einer durchgehenden Geschichte verwoben. So ist in Wuppertal die Hochzeit, die in Les Noces gefeiert wird, die Eheschließung zwischen Iokaste und Oedipus, die dem Oratorium vorangestellt wird.

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Iokaste (Almuth Herbst, Mitte) und Oedipus (Mirko Roschkowski, 2. von rechts) feiern Hochzeit (links: Kreon (Simon Stricker), im Hintergrund und vorne rechts: Opernchor).

Les Noces nimmt eigentlich in einer Aneinanderreihung von Szenen traditionelle russische Hochzeitsbräuche in den Blick. Dabei werden zunächst die Rituale bei der Vorbereitung der Hochzeit beschrieben, bevor im zweiten Teil die Feier beginnt und die Gäste und Verwandte nach einer ausgelassenen Hochzeitsfeier das Brautpaar ins Schlafzimmer zum Ehebett begleiten. Die Orchesterbesetzung besteht aus vier Klavieren und diversen Schlaginstrumenten, die ein spürbar hartes und nur wenig geschmeidiges Klangbild erzeugen. Kulyabin siedelt diese Hochzeit, die eigentlich auf dem Lande irgendwo in den Weiten Russlands stattfindet, in einer "mediterranen Diaspora-Gemeinschaft" an, in der er die Geschichte von Oedipus spielen lässt. Die vier Solisten des Stückes spielen dabei auch einen Part in der Geschichte. Der Sopran (Ralitsa Ralinova) übernimmt die Rolle der Sängerin, die zur Unterhaltung auf der Hochzeit engagiert worden ist. Der Mezzosopran (Iris Marie Sojer) stellt Kreons Ehefrau dar. Der Tenor (Sangmin Jeon) entpuppt sich später als der Hirte, der Oedipus als Baby in den Bergen ausgesetzt hat, und der Bass (Sebastian Campione) ist niemand anderes als der blinde Seher Teiresias. Von dieser Situation ausgehend entwickelt Kulyabin mit seinem Team eine Kriminalgeschichte, die schließlich in einem Verhörzimmer eines Detektivs endet. Oleg Golovko hat dieses Büro in die Rückwand des Bühnenbilds als kleine abgeschlossene Kammer integriert und ermöglicht mit dem Einsatz von Videokameras die Hervorhebung einzelner Details dieser Kammer auf drei Leinwänden.

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Iokaste (Almuth Herbst, Mitte) schildert Oedipus (Mirko Roschkowski, links) und Kreon (Simon Stricker, rechts) vom Tod ihres Gatten Laios (an den Tischen: Herrenchor mit Teiresias (Sebastian Campione, vorne links), rechts oben: Erzähler (Gregor Henze, links) mit dem Oedipus-Double (Ümit Demirbaş, rechts)).

Oedipus wird bei Kulyabin nicht schuldlos schuldig, sondern weiß von Anfang an alles und plant folglich die ganze Geschichte als eine Art Rachefeldzug. Scheinbar versehentlich überschüttet er bei der Hochzeitsfeier sein Hemd mit Rotwein, so dass er eine Ausrede hat, sich in einen Raum auf der rechten Bühnenseite zurückzuziehen, in dem er dann irgendein Pulver in das Fass mischt, aus dem die Hochzeitsgäste später mit dem Hochzeitswein verköstigt werden. Der Genuss dieses Trankes löst dann die Krankheit aus, die zu Beginn der Oper, dem Teil nach der Pause, als Pest in Theben wütet. Dass Oedipus' Ziehvater Polybos (Hans Stühling) an diesem Trank stirbt, ist gewissermaßen als Kollateralschaden zu verbuchen. Der Sprecher, der in dem Opernoratorium eigentlich als Erzähler zwischen den Gesängen fungiert, ist hier ein Kriminalbeamter (Gregor Henze), der versucht, Oedipus (als Double: Ümit Demirbaş) zu überführen. Oedipus' Double trägt dabei eine weiße Augenbinde mit blutrotem Rand, die wohl andeuten soll, dass er sich nach Iokastes Selbstmord geblendet hat. Während Henze die Zwischentexte wie in einem Verhör spricht und Demirbaş relativ gefühlskalt darauf reagiert, spielt sich auf der Bühne die Tragödie ab. Dabei spielt Oedipus seine Rolle absolut überzeugend und für sein Umfeld glaubhaft. Geschickt entlockt er Teiresias, dem Boten und dem Hirten das Geheimnis seiner Herkunft.

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Katastrophe am Ende: Iokaste (Almuth Herbst, oben links) hat sich umgebracht, Oedipus (Mirko Roschkowski, oben links) verzweifelt. Der Erzähler (Gregor Henze, oben links im rechten Zimmer) verhört Oedipus (Double: Ümit Demirbaş).

Erst nach Iokastes Selbstmord begreift Oedipus, dass er zu weit gegangen ist. In der Rückwand wird eine weitere Kammer sichtbar, die eine Art Schrein zeigt, in dem Iokaste die Erinnerungen an ihren verlorenen Sohn aufbewahrt hat. Die zahlreichen Baby-Fotos, die einen Altar bilden, zeigen, dass sie ihren Sohn damals nicht freiwillig hergegeben hat. Sie war also keineswegs die Rabenmutter, für die Oedipus sie hielt und die er bestrafen wollte. Diese Erkenntnis führt dazu, dass Oedipus sich blendet und schließlich vom Volk aus der Stadt vertrieben wird. Ob er aber wirklich blind wird, lässt Kulyabin offen. Nachdem die Geschichte zu Ende erzählt ist, nimmt das Oedipus-Double im Büro des Kriminalbeamten die Augenbinde ab und starrt recht entschlossen in die Kamera. War Oedipus' Reue am Ende doch auch nur Schein?

Musikalisch bewegt sich der Abend auf hohem Niveau. Für die Titelpartie ist der Tenor Mirko Roschkowski verpflichtet worden, der den Oedipus mit einem hellen Tenor ausstattet, der in den Höhen große Strahlkraft besitzt und sehr leicht klingt. Almuth Herbst punktet als seine Ehefrau und Mutter Iokaste mit sattem Mezzosopran, der zu dramatischen Ausbrüchen fähig ist. Besonders eindrucksvoll gelingt ihre Schlussszene, in der sie den Frevel durchschaut und sich verzweifelt in ihrem Gemach das Leben nimmt. Simon Stricker legt Iokastes Bruder Kreon als kühlen Taktiker an und überzeugt mit markantem Bariton. Sebastian Campione gibt den Teiresias mit dunklem Bass und überzeugt durch eindrucksvolles Spiel. Sangmin Jeon begeistert in Les Noces mit klarem Tenor, den er auch als Hirte und alter Diener im zweiten Teil des Abends überzeugend zur Geltung bringt. Daegyun Jeong, Mitglied des Opernstudios NRW, lässt als Bote mit kräftigem Bariton aufhorchen. Ralitsa Ralinova punktet als Sängerin bei der Hochzeit in Les Noces mit starkem Sopran, den sie ähnlich hart anlegt wie den Rhythmus der Musik. Der Opern- und Extrachor der Wuppertaler Bühnen leisten unter der Leitung von Markus Baisch Gewaltiges und begeistern durch fulminanten Klang. Gleiches gilt für das Sinfonieorchester Wuppertal und die vier Pianisten in Les Noces unter der musikalischen Leitung von Johannes Pell, die den harschen Strawinsky-Klang zu einem großen Erlebnis machen, wobei die Musik mit der Inszenierung eine stringente Einheit bildet. So gibt es am Ende verdienten Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Den Wuppertaler Bühnen gelingt mit diesem Strawinsky-Abend ein großartiger Einstieg in die neue Spielzeit.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Johannes Pell

Regie
Timofey Kulyabin

Bühne
Oleg Golovko

Kostüme
Vlada Pomirkovannaya

Licht
Fredy Deisenroth

Chor
Markus Baisch

Dramaturgie
David Greiner
Ilya Kukharenko

 

Sinfonieorchester Wuppertal

Pianisten
Michael Cook
Maki Hayashida
Koji Ishizaka
William Shaw

Opernchor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen


Solisten

Oedipus
Mirko Roschkowski

Iokaste
Almuth Herbst

Kreon
Simon Stricker

Teiresias
Sebastian Campione

Der Hirte / Alter Diener
Sangmin Jeon

Der Bote
Daegyun Jeong

Erzähler / Detektiv
Gregor Henze

Sängerin bei der Hochzeit
Ralitsa Ralinova

Kreons Frau
Iris Marie Sojer

Polybos, Oedipus' Ziehvater
Hans Stühling

Merope, Oedipus' Ziehmutter
Christa Becker-Wördehoff

Double Oedipus
Ümit Demirbaş

Ritenwächter, Polizisten, Hochzeitskellner, Älteste
Gunhild Knecht
Heidi Stein
Michael Kallweit
Sebastian Klopotowski

 

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von den
Wuppertaler Bühnen
(Homepage)



Da capo al Fine

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