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Die Frau ohne Schatten 

Oper in drei Akten
Dichtung von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss

Aufführungsdauer: ca. 4 Stunden, 30 Minuten (2 Pausen)

In deutscher Sprache mit mehrsprachig wählbaren Untertiteln

Premiere am 25. Mai 2019 an der Wiener Staatsoper
besuchte Aufführung: 10. Oktober 2019




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Wiener Staatsoper
(Homepage)

Märchenhaft menschlich


Von Bernd Stopka / Fotos: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn


Das 150jährige Bestehen der Wiener Staatsoper am Ring wurde im Mai 2019 mit einer Neuproduktion der Frau ohne Schatten gefeiert, die ihrerseits vor 100 Jahren in diesem Haus uraufgeführt wurde, genauer gesagt am 10. Oktober 1919. Auf den Tag genau zum 100. feiert man nun den Geburtstag dieses grandiosen Werkes von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss mit der Wiederaufnahme, die gleichzeitig auch die 150. Aufführung dieser Oper an der Staatsoper ist. Die Jubiläen nahm Intendant Dominique Meyer zum Anlass für eine kurze Rede vor dem Vorhang, während derer er Christian Thielemann ein Faksimile der Uraufführungspartitur schenkte.
 
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Tomasz Konieczny (Barak), Nina Stemme (Färberin)

Thielemann (der in diesem Jahr 60 geworden ist – um kein Jubiläum zu vergessen) dirigiert gern aus Originalpartituren, so wie auch an diesem Abend, und man hört und spürt die Inspiration, die er daraus zieht. Unter den ganz großen Bögen, die er über jeden Akt legt, entsteht ein unglaublich intensiver musikalischer Sog, der vor allem aus faszinierender Raffinesse, feinsten Details, zartesten dynamischen Abstufungen und Entwicklungen entsteht – viel mehr im Pianissimo als im Forte. Diesbezüglich tobt er sich in den Zwischenspielen aus, die er kontrastierend gewaltig aufbäumt, im ersten beispielsweise die klanglichen Reminiszenzen an Elektra betonend, die auch im 2. Akt, durch das Tanzen der Färberin auch szenisch unterstützt, erneut deutlichst aufflammen. Das lässt den Atem stocken, ihn berauben können aber vor allem die sanften Momente, wie die wenigen aber umso intensiveren zwischen Barak und der Färberin oder die Szene der Kaiserin vor dem Wasser des Lebens – die ärgerlicherweise durch den mehrmals (zum Glück aus eher geringer Höhe) krachend herunterfallenden Gazevorhang gestört wird.  Die Zusammenarbeit mit dem wundervollen Orchester erscheint wie aus einem Atem, wie aus einem Herzschlag – in der Gesamtheit ebenso wie in den solistischen Leistungen. Ein Klangteppich allererster Güte.

Wunderbar ist auch, dass die Oper ohne Striche gegeben wird, (so, wie es Thielemann schon an der Berliner Staatsoper durchgesetzt hatte), und sich auf diese Weise als ein vollkommenes Ganzes offenbart. Das vollständige Melodram der Kaiserin ist ein Erlebnis, insbesondere aber bekommt der ungestrichene 3. Akt eine ganz besondere Intensität. Und da ist kein Arm zu lang (La Roche in Capriccio), im Gegenteil – alles zeigt und beweist harmonischste Proportionen.

Foto folgt Camilla Nylund (Kaiserin)
 
Thielemanns Konzept der feinen und eher leisen Töne kommt auch den Sängern zugute, die ihrerseits die feinsinnig-zarten Anteile ihrer Partien hervorheben können. Allen voran Camilla Nylund, deren Kaiserin zurzeit konkurrenzlos sein dürfte. Die Kombination aus technischer Perfektion und intensiver, aber nicht überbetonter Ausdruckskraft ihres wie aus Samt und Seide klingenden Soprans ist eine Offenbarung. Selten hört man so feine Piani, so klare und doch warme Koloraturen und Spitzentöne. Eine Stimme, in der man baden möchte.
Mit Spannung erwartete man das Rollendebüt als Kaiser von Andreas Schager, der jedoch krankheitsbedingt absagen musste. Für ihn sprang Stephen Gould ein, der schon in der Premierenserie gesungen hatte und zwei Tage zuvor hier als Bacchus in der Ariadne auf der Bühne stand, für den er auch am Tag nach der Frau ohne Schatten angesetzt war. Eine Herausforderung, die dieser Ausnahmetenor offensichtlich nicht scheut – man denke an seine Engagements als Tristan und Tannhäuser bei den diesjährigen Bayreuther Festspielen. Dass diese Belastung zuweilen hörbar wird, ließ sich hier wie da nicht leugnen. Mit seinem schweren Heldentenor bewältigt er die Partie jedoch sehr eindrucksvoll mit viel Krafteinsatz und zuweilen auch ein bisschen Druck. Nina Stemme ist eine fantastische Färberin mit gewaltigen Höhen und einer satten, wohlklingenden Tiefe. Restlos überzeugend stellt sie auch stimmlich die Zerrissenheit der Figur dar, so dass man mit dieser immer wieder auffahrend tobenden Furie Mitleid bekommt, weil hinter dieser Wut eine ganz zarte, verletzliche Seele steckt.
Zu den zahlreichen Rollendebüts bei dieser Wiederaufnahme gehört auch der Barak von Tomasz Konieczny, der den Färber mit adäquatem kernigem Timbre, aber auch warmen Tönen singt, die man von ihm bisher nicht so oft hörte. Manchmal, zunehmend im Laufe des Abends, klingt die Stimme dabei eng oder gepresst, aber überwiegend überzeugt dieses Debüt und auch darstellerisch ist er ein wunderbarer Barak. Mihoko Fujimuras Debüt als Amme gerät weniger überzeugend, zwar singt sie die Partie ohne Fehl, bleibt aber stimmlich und darstellerisch blass. Nicht jedem muss jede Partie liegen und Mihoko Fujimura hat viele andere Partien, in denen sie begeistern kann. Unter den vielen kleineren Partien lässt Clemens Unterreiner als stimmvoller Geisterbote aufhorchen.

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                                                          folgt
Rafael Fingerlos (
Der Einäugige), Michael Laurenz (Der Bucklige), Marcus Pelz (Der Einarmige), Tomasz Konieczny (Barak), Nina Stemme (Färberin), Mihoko Fujimura (Amme, dahinter), Camilla Nylund (Kaiserin), Chor

Regisseur Vincent Huguet erzählt die Geschichte zunächst und vor allem als Märchen. Die wallenden Kostüme der Kaiserin und der Amme wirken zeitlos, während die anderen an die Entstehungszeit der Oper erinnern (Kostüme: Clémence Pernoud). Das naturalistische Bühnenbild von Aurélie Maestre zeigt im ersten Bild einen asiatisch angehauchten, käfigartigen Pavillon, der auf Holzpfählen, wie über dem Wasser eines Sees auf der Bühne steht („Licht überm See“). Der Kaiser zieht nach seinem Abgang die Zugangsbrücke zurück und hält die Kaiserin offensichtlich gefangen. Die weiteren Bühnenbilder beherrscht eine rohe Felswand im Hintergrund, die leicht verändert, stimmungsvoll ausgeleuchtet und mit Projektionen variiert werden kann (Licht und Video Bertrand Couderc). Düster mit Mondlicht, grün von Natur überwuchert oder wie durch einen Berührungszauber der Amme in glühende Lava verwandelt (Schluss des 2. Aktes – Lava statt Wasser, aber zumindest fließt das auch).

Das ergibt wunderschöne Bilder, in denen die Handlung nachvollziehbar erzählt und mit intensiver, text- und musikbezogener (was nicht selbstverständlich ist) Personenregie die Vielfältigkeit der Charaktere beleuchtet wird. So ist die Färberin keine wilde Furie, sondern eine unglückliche, unzufriedene Frau, deren verletzte Seele sich ihrerseits durch Verletzungen anderer Seelen Luft macht. Lieblingsopfer ist ihr Mann, der ein einfacher Färber ist und seine Frau einfach nicht versteht, sie aber dennoch liebt. Immer wieder gibt es körperliche Annäherungen der beiden, wie sehnsuchtsvolle Versuche, die dann jäh enden. Unglaublich berührend ist der vorsichtige Gute-Nacht-Kuss, den der vom gemeinsamen Lager vertriebene Barak der Färberin gibt, nachdem er sie besorgt zugedeckt hat – auch musikalisch einer der intensivsten Momente. Geradezu beklemmend wirkt es, wenn Barak der Färberin ein Geschenk gibt, das sie ganz freudig bewegt auspackt und darin - eine Babypuppe findet. Ein Geschenk, dass der Frau keine Freude machen soll, sondern seinen Wunsch an sie manifestiert. Da kann frau schon mal wütend werden…  Dass die Amme später keine Fische brät, sondern diese Puppe auskocht, wirkt dagegen mehr als befremdlich.

Die Amme reicht Barak ein Messer, mit dem er seine Frau erstechen will/soll, ansonsten macht sie das Nötigste. Etwas mehr regieliche Beschäftigung mit dieser ja nun nicht ganz unwichtigen Figur hätte der Inszenierung gutgetan und auch der Kaiser bleibt lediglich die Abziehfigur eines Opern-Kaisers.
Die Menschwerdung der Kaiserin wird hingegen besonders intensiv dargestellt. Als titelgebende Hauptfigur steht ihr das ja auch zu. In den Momenten, in denen sie auf sich selbst gestellt mit sich selbst zurechtkommen und kämpfen muss, steht sie allein vor dem schwarzen Vorhang. Momentweise denkt man an Parsifals Erwachsenwerden durch Mitleid, wenn sie sich um einen verletzten Soldaten kümmert, was der Kaiser beobachtend missversteht („Menschendunst hängt an ihr“). Insbesondere aber und das ganz intensiv, wenn sie sich mit Barak beschäftigt, ihn umarmt, tröstet, küsst, sich an ihn kuschelnd zu ihm legt („Dir – Barak – bin ich mich schuldig!“).  Wie sie mit sich kämpft und doch genau weiß, was sie will und nicht will, dass sie das, was sie bekommen möchte, nicht auf den Seelentrümmern eines anderen aufbauen möchte: In einer Vision sieht sie im 3. Akt Barak und die Färberin als glückliche Eltern mit einem Kind in eben der Holzwiege, die Barak im 1. Akt so traurig leer in den Händen hielt. Kurz darauf sieht sie sich selbst mit dem Kaiser vor der gleichen Wiege. „Jedoch was wird aus ihr?“ – ist die Frage, die sie „nein“ sagen lässt.

Foto folgtStephen Gould (Kaiser), Camilla Nylund (Kaiserin) 

Eine ähnliche Entwicklung macht die Färberin durch, die zu ihrer sanften Seite findet und sich sogar liebevoll um Baraks Brüder kümmert. Barak selbst erscheint als herzensguter, oberflächlich gesehen einfach strukturierter, aber emotional sehr intensiv fühlender, sehnsüchtiger Mann. Doch die Färberin sieht ihn nur genauso eindimensional wie seine Arbeit: er färbt nur Blau, er trägt nur Blau und auch sie muss/kann nur Blau tragen, während die Kaiserin in sattes Rot, die Amme in Schwarz und der Kaiser in dunkles, aber edles Grün gekleidet ist.
Dass der Chor für seine kurzen Einwürfe tatsächlich in effektvollen Gewändern auftritt, hat seinen besonderen Reiz beim Männerchor, bevor der Kaiser zur Versteinerung in den Tempel tritt: Die Männer haben alle aus Stein gemeißelte Gesichter. Der Kaiser ist wohl nicht der erste, dem es so ergeht. Effektvoll reißen sie ihm die Orden von seiner Uniform, in der er auf die Jagd gegangen ist.

An dieser Stelle findet sich eine Brücke zur problematischen Seite der Inszenierung. Die Entscheidung, ein Märchen mit intensiver Ausgestaltung der Personen zu erzählen, hätte für einen spannenden und schönen (ja, auch das darf sein) Opernabend gesorgt. Aber die Regie will auch politisch sein und fügt die Entstehungszeit, den Beginn des Ersten Weltkrieges, ein. Der Kaiser geht nicht zur Jagd, sondern zieht im hohen Rang in den Krieg. In der Folge ist die Erscheinung des Jünglings zunächst ein junger Landser, bevor er sich beim zweiten Auftritt splitterfasernackt mit der Färberin aufs Bett setzt.
Die Kinder, die vom großen Lebensmitteleinkauf profitieren, sind hungernde Kriegskinder, Baraks behinderte Brüder Kriegsverletzte. Besonders schmerzlich stört die Idee, den Beginn des 3. Aktes ins Wasser des Sees, an die Pfähle zu verlegen (der Pavillon bleibt dabei  unsichtbar), wo sich Vertriebene und Verletzte sammeln und diversen Gefühlen freien Lauf lassen, von Küssen und Lieben bis zum Streicheln des Babybauchs einer Hochschwangeren. Dabei geht der ganz intime Moment verloren, den Barak und die Färberin hier erleben. Auch dass der Kaiser im Krieg getötet wurde, mit anderen Gefallenen aufgereiht am Boden liegt und durch die Kaiserin zum Leben wiedererweckt wird, wirft manches Fragezeichen auf. Wären der Krieg und seine Toten verhindert worden, wenn sich alle Menschen so uneigennützig zeigen würden wie die Kaiserin? Eine Utopie, aber ein Gedanke. Doch es erscheint etwas naiv-visionär, dass die Geschichte der Kriegstoten zurückgedreht werden kann, wenn sie am Ende alle wieder aufstehen, sich herzen und küssen, wenn die Felswand auseinanderdriftet, die Rückwand sich hebt und der Kinderchor in Nachthemden mit brennenden Kerzen vom Bühnenhintergrund nach vorn schreitet, während sich die Erwachsenen in den Hintergrund zurückziehen und die neue Generation betrachten.

FAZIT

Dank des genialen Dirigats eine musikalische Sternstunde mit wundervollen Sängerdarstellern und nur kleinen Wölkchen am Gesangshimmel. Die Regie stellt sich ein Bein, indem sie die Entstehungszeit mit einbezieht. Ohne das wäre es ein wunderschön bebildertes Märchen, das mit vielen Feinheiten und spannenden charakterlichen Ausleuchtungen in der Personenregie aufwartet.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung    
Christian Thielemann

Regie   
Vincent Huguet

Bühne    
Aurélie Maestre

Kostüme    
Clémence Pernoud

Chor
Thomas Lang


Licht und Video  
Bertrand Couderc

Dramaturgie    
Louis Geisler


Orchester der Wiener Staatsoper
Bühnenorchester der Wiener Staatsoper

Chor der Wiener Staatsoper 
Opernschule der Wiener Staatsoper

Komparserie der Wiender Staatsoper

Solisten

*Besetzung der rezensierten
Aufführung


Der Kaiser    
*Stephen Gould
Andreas Schager


Die Kaiserin    
Camilla Nylund

Die Amme    
Mihoko Fujimura

Geisterbote    
Clemens Unterreiner

Barak    
T
omasz Konieczny

Sein Weib    
Nina Stemme

Hüter der Schwelle
Maria Nazarova

Stimme eine Jünglings    
Jörg Schneider

Stimme des Falken    
Maria Nazarova

Stimme von oben    
Monika Bohinec

Der Einäugige    
Rafael Fingerlos

Der Einarmige    
Marcus Pelz

Der Bucklige    
Michael Laurenz

1. Dienerin    
Ileana Tonca
2. Dienerin    
Valeriia Savinskaia
3. Dienerin    
Szilvia Vörös

Stimmen der Ungeborenen    
Ileana Tonca
Valeriia Savinskaia
Stephanie Houtzeel
Szilvia Vörös
Bongiwe Nakani


Solostimmen    
Ileana Tonca
Valeriia Savinskaia
Stephanie Houtzeel
Szilvia Vörös
Bongiwe Nakani
Monika Bohinec



Weitere Informationen
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