Märchenhaft
menschlich
Von Bernd
Stopka / Fotos: Wiener Staatsoper / Michael
Pöhn
Das 150jährige Bestehen der
Wiener Staatsoper am Ring
wurde im Mai 2019 mit einer
Neuproduktion der Frau
ohne Schatten gefeiert,
die ihrerseits vor 100 Jahren
in diesem Haus uraufgeführt
wurde, genauer gesagt am 10.
Oktober 1919. Auf den Tag
genau zum 100. feiert man nun
den Geburtstag dieses
grandiosen Werkes von Hugo von
Hofmannsthal und Richard
Strauss mit der
Wiederaufnahme, die
gleichzeitig auch die 150.
Aufführung dieser Oper an der
Staatsoper ist. Die Jubiläen
nahm Intendant Dominique Meyer
zum Anlass für eine kurze Rede
vor dem Vorhang, während derer
er Christian Thielemann ein
Faksimile der
Uraufführungspartitur
schenkte.
Tomasz
Konieczny (Barak), Nina
Stemme (Färberin)
Thielemann (der in diesem Jahr
60 geworden
ist – um kein
Jubiläum zu
vergessen)
dirigiert gern
aus
Originalpartituren,
so wie auch an
diesem Abend,
und man hört
und spürt die
Inspiration,
die er daraus
zieht. Unter
den ganz
großen Bögen,
die er über
jeden Akt
legt, entsteht
ein
unglaublich
intensiver
musikalischer
Sog, der vor
allem aus
faszinierender
Raffinesse,
feinsten
Details,
zartesten
dynamischen
Abstufungen
und
Entwicklungen
entsteht –
viel mehr im
Pianissimo als
im Forte.
Diesbezüglich
tobt er sich
in den
Zwischenspielen
aus, die er
kontrastierend
gewaltig
aufbäumt, im
ersten
beispielsweise
die
klanglichen
Reminiszenzen
an Elektra
betonend,
die auch im 2.
Akt, durch das
Tanzen der
Färberin auch
szenisch
unterstützt,
erneut
deutlichst
aufflammen.
Das lässt den
Atem stocken,
ihn berauben
können aber
vor allem die
sanften
Momente, wie
die wenigen
aber umso
intensiveren
zwischen Barak
und der
Färberin oder
die Szene der
Kaiserin vor
dem Wasser des
Lebens – die
ärgerlicherweise
durch den
mehrmals (zum
Glück aus eher
geringer Höhe)
krachend
herunterfallenden
Gazevorhang
gestört
wird.
Die
Zusammenarbeit
mit dem
wundervollen
Orchester
erscheint wie
aus einem
Atem, wie aus
einem
Herzschlag –
in der
Gesamtheit
ebenso wie in
den
solistischen
Leistungen.
Ein
Klangteppich
allererster
Güte.
Wunderbar ist
auch, dass die
Oper ohne
Striche
gegeben wird,
(so, wie es
Thielemann
schon an der
Berliner
Staatsoper
durchgesetzt
hatte), und
sich auf diese
Weise als ein
vollkommenes
Ganzes
offenbart. Das
vollständige
Melodram der
Kaiserin ist
ein Erlebnis,
insbesondere
aber bekommt
der
ungestrichene
3. Akt eine
ganz besondere
Intensität.
Und da ist
kein Arm zu
lang (La Roche
in Capriccio),
im Gegenteil –
alles zeigt
und beweist
harmonischste
Proportionen.
Camilla
Nylund
(Kaiserin)
Thielemanns Konzept der feinen
und eher
leisen Töne
kommt auch den
Sängern
zugute, die
ihrerseits die
feinsinnig-zarten
Anteile ihrer
Partien
hervorheben
können. Allen
voran Camilla
Nylund, deren
Kaiserin
zurzeit
konkurrenzlos
sein dürfte.
Die
Kombination
aus
technischer
Perfektion und
intensiver,
aber nicht
überbetonter
Ausdruckskraft
ihres wie aus
Samt und Seide
klingenden
Soprans ist
eine
Offenbarung.
Selten hört
man so feine
Piani, so
klare und doch
warme
Koloraturen
und
Spitzentöne.
Eine Stimme,
in der man
baden möchte.
Mit Spannung
erwartete man
das
Rollendebüt
als Kaiser von
Andreas
Schager, der
jedoch
krankheitsbedingt
absagen
musste. Für
ihn sprang
Stephen Gould
ein, der schon
in der
Premierenserie
gesungen hatte
und zwei Tage
zuvor hier als
Bacchus in der
Ariadne auf
der Bühne
stand, für den
er auch am Tag
nach der Frau
ohne Schatten
angesetzt war.
Eine
Herausforderung,
die dieser
Ausnahmetenor
offensichtlich
nicht scheut –
man denke an
seine
Engagements
als Tristan
und Tannhäuser
bei den
diesjährigen
Bayreuther
Festspielen.
Dass diese
Belastung
zuweilen
hörbar wird,
ließ sich hier
wie da nicht
leugnen. Mit
seinem
schweren
Heldentenor
bewältigt er
die Partie
jedoch sehr
eindrucksvoll
mit viel
Krafteinsatz
und zuweilen
auch ein
bisschen
Druck. Nina
Stemme ist
eine
fantastische
Färberin mit
gewaltigen
Höhen und
einer satten,
wohlklingenden
Tiefe. Restlos
überzeugend
stellt sie
auch stimmlich
die
Zerrissenheit
der Figur dar,
so dass man
mit dieser
immer wieder
auffahrend
tobenden Furie
Mitleid
bekommt, weil
hinter dieser
Wut eine ganz
zarte,
verletzliche
Seele steckt.
Zu den
zahlreichen
Rollendebüts
bei dieser
Wiederaufnahme
gehört auch
der Barak von
Tomasz
Konieczny, der
den Färber mit
adäquatem
kernigem
Timbre, aber
auch warmen
Tönen singt,
die man von
ihm bisher
nicht so oft
hörte.
Manchmal,
zunehmend im
Laufe des
Abends, klingt
die Stimme
dabei eng oder
gepresst, aber
überwiegend
überzeugt
dieses Debüt
und auch
darstellerisch
ist er ein
wunderbarer
Barak. Mihoko
Fujimuras
Debüt als Amme
gerät weniger
überzeugend,
zwar singt sie
die Partie
ohne Fehl,
bleibt aber
stimmlich und
darstellerisch
blass. Nicht
jedem muss
jede Partie
liegen und
Mihoko
Fujimura hat
viele andere
Partien, in
denen sie
begeistern
kann. Unter
den vielen
kleineren
Partien lässt
Clemens
Unterreiner
als
stimmvoller
Geisterbote
aufhorchen.
Rafael
Fingerlos (Der
Einäugige), Michael
Laurenz (Der
Bucklige),
Marcus Pelz (Der
Einarmige),
Tomasz
Konieczny
(Barak), Nina
Stemme
(Färberin),
Mihoko
Fujimura
(Amme,
dahinter),
Camilla Nylund
(Kaiserin),
Chor
Regisseur Vincent Huguet
erzählt die
Geschichte
zunächst und
vor allem als
Märchen. Die
wallenden
Kostüme der
Kaiserin und
der Amme
wirken
zeitlos,
während die
anderen an die
Entstehungszeit
der Oper
erinnern
(Kostüme:
Clémence
Pernoud). Das
naturalistische
Bühnenbild von
Aurélie
Maestre zeigt
im ersten Bild
einen
asiatisch
angehauchten,
käfigartigen
Pavillon, der
auf
Holzpfählen,
wie über dem
Wasser eines
Sees auf der
Bühne steht
(„Licht überm
See“). Der
Kaiser zieht
nach seinem
Abgang die
Zugangsbrücke
zurück und
hält die
Kaiserin
offensichtlich
gefangen. Die
weiteren
Bühnenbilder
beherrscht
eine rohe
Felswand im
Hintergrund,
die leicht
verändert,
stimmungsvoll
ausgeleuchtet
und mit
Projektionen
variiert
werden kann
(Licht und
Video Bertrand
Couderc).
Düster mit
Mondlicht,
grün von Natur
überwuchert
oder wie durch
einen
Berührungszauber
der Amme in
glühende Lava
verwandelt
(Schluss des
2. Aktes –
Lava statt
Wasser, aber
zumindest
fließt das
auch).
Das ergibt
wunderschöne
Bilder, in
denen die
Handlung
nachvollziehbar
erzählt und
mit
intensiver,
text- und
musikbezogener
(was nicht
selbstverständlich
ist)
Personenregie
die
Vielfältigkeit
der Charaktere
beleuchtet
wird. So ist
die Färberin
keine wilde
Furie, sondern
eine
unglückliche,
unzufriedene
Frau, deren
verletzte
Seele sich
ihrerseits
durch
Verletzungen
anderer Seelen
Luft macht.
Lieblingsopfer
ist ihr Mann,
der ein
einfacher
Färber ist und
seine Frau
einfach nicht
versteht, sie
aber dennoch
liebt. Immer
wieder gibt es
körperliche
Annäherungen
der beiden,
wie
sehnsuchtsvolle
Versuche, die
dann jäh
enden.
Unglaublich
berührend ist
der
vorsichtige
Gute-Nacht-Kuss,
den der vom
gemeinsamen
Lager
vertriebene
Barak der
Färberin gibt,
nachdem er sie
besorgt
zugedeckt hat
– auch
musikalisch
einer der
intensivsten
Momente.
Geradezu
beklemmend
wirkt es, wenn
Barak der
Färberin ein
Geschenk gibt,
das sie ganz
freudig bewegt
auspackt und
darin - eine
Babypuppe
findet. Ein
Geschenk, dass
der Frau keine
Freude machen
soll, sondern
seinen Wunsch
an sie
manifestiert.
Da kann frau
schon mal
wütend
werden…
Dass die Amme
später keine
Fische brät,
sondern diese
Puppe
auskocht,
wirkt dagegen
mehr als
befremdlich.
Die Amme
reicht Barak
ein Messer,
mit dem er
seine Frau
erstechen
will/soll,
ansonsten
macht sie das
Nötigste.
Etwas mehr
regieliche
Beschäftigung
mit dieser ja
nun nicht ganz
unwichtigen
Figur hätte
der
Inszenierung
gutgetan und
auch der
Kaiser bleibt
lediglich die
Abziehfigur
eines
Opern-Kaisers.
Die
Menschwerdung
der Kaiserin
wird hingegen
besonders
intensiv
dargestellt.
Als
titelgebende
Hauptfigur
steht ihr das
ja auch zu. In
den Momenten,
in denen sie
auf sich
selbst
gestellt mit
sich selbst
zurechtkommen
und kämpfen
muss, steht
sie allein vor
dem schwarzen
Vorhang.
Momentweise
denkt man an
Parsifals
Erwachsenwerden
durch Mitleid,
wenn sie sich
um einen
verletzten
Soldaten
kümmert, was
der Kaiser
beobachtend
missversteht
(„Menschendunst
hängt an
ihr“).
Insbesondere
aber und das
ganz intensiv,
wenn sie sich
mit Barak
beschäftigt,
ihn umarmt,
tröstet,
küsst, sich an
ihn kuschelnd
zu ihm legt
(„Dir – Barak
– bin ich mich
schuldig!“).
Wie sie mit
sich kämpft
und doch genau
weiß, was sie
will und nicht
will, dass sie
das, was sie
bekommen
möchte, nicht
auf den
Seelentrümmern
eines anderen
aufbauen
möchte: In
einer Vision
sieht sie im
3. Akt Barak
und die
Färberin als
glückliche
Eltern mit
einem Kind in
eben der
Holzwiege, die
Barak im 1.
Akt so traurig
leer in den
Händen hielt.
Kurz darauf
sieht sie sich
selbst mit dem
Kaiser vor der
gleichen
Wiege. „Jedoch
was wird aus
ihr?“ – ist
die Frage, die
sie „nein“
sagen lässt.
Stephen
Gould
(Kaiser),
Camilla Nylund
(Kaiserin)
Eine
ähnliche
Entwicklung
macht die
Färberin
durch, die zu
ihrer sanften
Seite findet
und sich sogar
liebevoll um
Baraks Brüder
kümmert. Barak
selbst
erscheint als
herzensguter,
oberflächlich
gesehen
einfach
strukturierter,
aber emotional
sehr intensiv
fühlender,
sehnsüchtiger
Mann. Doch die
Färberin sieht
ihn nur
genauso
eindimensional
wie seine
Arbeit: er
färbt nur
Blau, er trägt
nur Blau und
auch sie
muss/kann nur
Blau tragen,
während die
Kaiserin in
sattes Rot,
die Amme in
Schwarz und
der Kaiser in
dunkles, aber
edles Grün
gekleidet ist.
Dass der Chor
für seine
kurzen
Einwürfe
tatsächlich in
effektvollen
Gewändern
auftritt, hat
seinen
besonderen
Reiz beim
Männerchor,
bevor der
Kaiser zur
Versteinerung
in den Tempel
tritt: Die
Männer haben
alle aus Stein
gemeißelte
Gesichter. Der
Kaiser ist
wohl nicht der
erste, dem es
so ergeht.
Effektvoll
reißen sie ihm
die Orden von
seiner
Uniform, in
der er auf die
Jagd gegangen
ist.
An dieser
Stelle findet
sich eine
Brücke zur
problematischen
Seite der
Inszenierung.
Die
Entscheidung,
ein Märchen
mit intensiver
Ausgestaltung
der Personen
zu erzählen,
hätte für
einen
spannenden und
schönen (ja,
auch das darf
sein)
Opernabend
gesorgt. Aber
die Regie will
auch politisch
sein und fügt
die
Entstehungszeit,
den Beginn des
Ersten
Weltkrieges,
ein. Der
Kaiser geht
nicht zur
Jagd, sondern
zieht im hohen
Rang in den
Krieg. In der
Folge ist die
Erscheinung
des Jünglings
zunächst ein
junger
Landser, bevor
er sich beim
zweiten
Auftritt
splitterfasernackt
mit der
Färberin aufs
Bett setzt.
Die Kinder,
die vom großen
Lebensmitteleinkauf
profitieren,
sind hungernde
Kriegskinder,
Baraks
behinderte
Brüder
Kriegsverletzte.
Besonders
schmerzlich
stört die
Idee, den
Beginn des 3.
Aktes ins
Wasser des
Sees, an die
Pfähle zu
verlegen (der
Pavillon
bleibt
dabei
unsichtbar),
wo sich
Vertriebene
und Verletzte
sammeln und
diversen
Gefühlen
freien Lauf
lassen, von
Küssen und
Lieben bis zum
Streicheln des
Babybauchs
einer
Hochschwangeren.
Dabei geht der
ganz intime
Moment
verloren, den
Barak und die
Färberin hier
erleben. Auch
dass der
Kaiser im
Krieg getötet
wurde, mit
anderen
Gefallenen
aufgereiht am
Boden liegt
und durch die
Kaiserin zum
Leben
wiedererweckt
wird, wirft
manches
Fragezeichen
auf. Wären der
Krieg und
seine Toten
verhindert
worden, wenn
sich alle
Menschen so
uneigennützig
zeigen würden
wie die
Kaiserin? Eine
Utopie, aber
ein Gedanke.
Doch es
erscheint
etwas
naiv-visionär,
dass die
Geschichte der
Kriegstoten
zurückgedreht
werden kann,
wenn sie am
Ende alle
wieder
aufstehen,
sich herzen
und küssen,
wenn die
Felswand
auseinanderdriftet,
die Rückwand
sich hebt und
der Kinderchor
in Nachthemden
mit brennenden
Kerzen vom
Bühnenhintergrund
nach vorn
schreitet,
während sich
die
Erwachsenen in
den
Hintergrund
zurückziehen
und die neue
Generation
betrachten.
FAZIT
Dank des genialen Dirigats eine
musikalische
Sternstunde
mit
wundervollen
Sängerdarstellern
und nur
kleinen
Wölkchen am
Gesangshimmel.
Die Regie
stellt sich
ein Bein,
indem sie die
Entstehungszeit
mit
einbezieht.
Ohne das wäre
es ein
wunderschön
bebildertes
Märchen, das
mit vielen
Feinheiten und
spannenden
charakterlichen
Ausleuchtungen
in der
Personenregie
aufwartet.
Ihre
Meinung ?
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Christian Thielemann
Regie
Vincent Huguet
Bühne
Aurélie Maestre
Kostüme
Clémence Pernoud
Chor
Thomas Lang
Licht und Video
Bertrand Couderc
Dramaturgie
Louis Geisler
Orchester
der Wiener Staatsoper
Bühnenorchester der Wiener Staatsoper
Chor der Wiener Staatsoper
Opernschule der Wiener Staatsoper
Komparserie der Wiender Staatsoper
Solisten
*Besetzung der rezensierten
Aufführung
Der Kaiser
*Stephen
Gould
Andreas Schager
Die Kaiserin
Camilla
Nylund
Die Amme
Mihoko
Fujimura
Geisterbote
Clemens
Unterreiner
Barak
Tomasz
Konieczny
Sein Weib
Nina Stemme
Hüter der Schwelle
Maria
Nazarova
Stimme eine Jünglings
Jörg Schneider
Stimme des Falken
Maria
Nazarova
Stimme von oben
Monika
Bohinec
Der Einäugige
Rafael
Fingerlos
Der Einarmige
Marcus Pelz
Der Bucklige
Michael
Laurenz
1. Dienerin
Ileana Tonca
2. Dienerin
Valeriia
Savinskaia
3. Dienerin
Szilvia Vörös
Stimmen der Ungeborenen
Ileana Tonca
Valeriia Savinskaia
Stephanie Houtzeel
Szilvia Vörös
Bongiwe Nakani
Solostimmen
Ileana Tonca
Valeriia Savinskaia
Stephanie Houtzeel
Szilvia Vörös
Bongiwe Nakani
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