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Irgendwo zwischen Tradition und Moderne
Von Stefan Schmöe / Fotos von Bernhard Weis
Der Antrittsvorstellung zweiter Teil: Auf drei Abende hat Düsseldorf-Duisburgs neuer Ballettchef Demis Volpi seinen Auftakt verteilen müssen, gefüllt mit kleinen Formaten. Die Compagnie arbeitet in sechs voneinander isolierten Gruppen, von denen je zwei einen Abend bestreiten. Keine Pause (obwohl die wenigen Zuschauer, die zugelassen sind, in den Foyers kaum Berührungspunkte haben), aber weil nach den beiden von der ersten Gruppe des Abends getanzten Choreographien die Bühne gereinigt werden muss, das gehört zum Hygienekonzept, gibt es eine Filmeinlage. Daisy Long, ehemalige Tänzerin u.a. am Stuttgarter Ballett, hat einen sehr hübschen Film mit Eindrücken von den Proben gedreht, bei dem Demis Volpi charmant über seine Arbeit spricht und dessen an diesem Abend gezeigter Abschnitt mit einem hinreißenden pas de deux im Rhein endet.
Volpi hat in dieser Episode 2 kurzfristig die Reihenfolge der Choreographien geändert und lässt, anders als in Episode 1, die konventionelleren Stücke im ersten Teil tanzen. Whatever happened to class? zeigt in komprimierter Form eine "class", die typische tägliche Trainingseinheit, zunächst mit Übungen an der Stange, später mit zunehmend komplizierteren Sprüngen. Korrepetitor Aleksandr Ivanov sitzt am Klavier und begleitet mit von ihm selbst komponierter Musik - Tanzmusik im oft wechslenden Taktmaß, ein bisschen zu dick aufgetragen. Demis Volpi und Mario Gallizi, einst Lehrer von Volpi und sogar einmal Tänzer der Deutschen Oper am Rhein, geben mit dieser gemeinsam entworfenen Uraufführung einen Einblick in die Probenarbeit, eigentlich eine hübsche Idee - wenn sie denn wüssten, was da zu erzählen wäre. Kleine Geschichten etwa, oder eine Charakterisierung der Tänzerpersönlichkeiten. Aber das Stück hält viel zu viel Distanz. Paula Alves, So-Yeon Kim-von der Beck, Neshama Nashman, Orazio di Bella, Evan L`Hirondelle absolvieren brav ihr Trainingsprogramm, in der leichteren ersten Hälfte leider nicht mit der Präzision, die die oft synchron ablaufende Choreographie einfordert. Die virtuosere zweite Hälfte mit geschicktem Spannungsaufbau scheint sorgfältiger geprobt. Eine eher unpersönliche Leistungsschau, ganz hübsch zum Zuschauen - aber wenigstens eine kleine Prise Humor und Selbstironie täten dem Stück, das letztendlich dann doch zu wenig erzählt, sicher gut. Awáa: Yoav Bosidan, Daniel Smith Le spectre de la rose (Der Geist der Rose) von Michel Fokine, 1911 für die Balletts Russe choreographiert zu Carl Maria von Webers Aufforderung zum Tanz (Aleksandr Ivanov spielt die Musik ziemlich robust am Klavier), ist so etwas wie ein Klassiker. Eine Debutantin kehrt vom Ball zurück mit einer Rose, schläft im Sessel ein, und im Traum erscheint ihr der "Geist der Rose", tanzt mit ihr und entschwindet. Nijinskys Sprung durch das Fenster ist Tanzlegende. Das hautfarbene und hautenge Kostüm, mit Rosen besetzt, das Katharina Schlipf dem Tänzer Gustavo Cavalho (kraft- und eindrucksvoll, aber im Pathos gewöhnungsbedürftig) verpasst hat, mag dem Original leidlich entsprechen, ist aber in seiner aufgesetzten Erotik ein Griff tief in die Kitschkiste. Thematisch passt das Stück ganz gut in die aktuelle Zeit des Distanzhaltens, denn die beiden Protagonisten kommen sich im Traum kaum nahe: Ein pas de deux mit einchoreographiertem Sicherheitsabstand. Mario Gallizi hat in seiner Fassung von 2001 "nach Michel Fokine" fast alle Berührungen gekappt. So-Yeon Kim-Von der Beck, seit 2009 in der Kompagnie, ist kein ganz junges Mädchen mehr, was den Reiz der Unbefangenheit nimmt, allerdings auch das Klischeehafte ("junges Mädchen träumt von Märchenprinz") abmildert. Schön anzusehen ist das allemal.
Eine zeitgemäße Antwort darauf gibt nach der Film-Pause ein leider sehr kurz geratener Ausschnitt aus Awáa der Kanadierin Aszure Barton, ein Duett für zwei Männer, die sich miteinander ringen sich am Boden wälzen, sich durch den Raum ziehen, überhaupt viel Körperkontakt haben: Yoav Bosidan und Daniel Smith leben in einem Haushalt und brauchen daher keine Abstandsregeln einzuhalten. Irgendwo zwischen Liebesakt und kindlicher Rauferei angesiedelt, ist die spannungsreiche Szene mit einer sehr stark körperlichen, durchaus erdenschweren und kraftvollen Tanzsprache erzählt, die sich wohltuend vom Spitzentanz des ersten Teils abhebt. Look for the Silver Lining: Pedro Maricato, Norma Magalhães, Rubén Cabaleiro Campo, Marié Shimada, Clara Nougué-Cazenave
Den Abschluss bildet mit Look for the Silver Lining eine weitere kleine Uraufführung von Demis Volpi. Auch ohne konkrete Handlung scheint das Stück im herbstlichen Streiflicht kleine Episoden zu erzählen, ohne dass Volpi wirklich konkret würde. Die sechs Tänzerinnen und Tänzer (Rubén Cabaleiro Campo, Norma Magalhães, Pedro Maricato, Clara Nougué-Cazenave, Rose Nougué-Cazenave, Marié Shimada) erscheinen als androgyne Wesen - das war schon in der Episode 1 dieses first date ein bestimmendes Merkmal. Hier scheint dieser Ansatz eher hinderlich, weil er die Individualität der tanzenden Personen eliminiert, obwohl die anekdotische Struktur des Werkes eher eine Individualisierung der Persönlichkeiten fordert. Dennoch bildet die Choreographie zur entspannten Musik von Chat Baker einen starken Abschluss eines Abends, der in etwas mehr als einer Stunde recht kurzweilig andeutet, was die Ära Volpi bringen könnte.
Ein Spagat zwischen, nun ja: nicht ganz klassischem Ballett, aber doch dem Spitzenschuh und moderat modernen Ansätzen. Der ganz große Wurf deutet sich darin nicht an, wohl aber ein paar interessante Ansätze. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) zu unseren Besprechungen von A First Date, Episode 1 A First Date, Episode 3 |
ProduktionsteamWhatever happened to class?
Choreographie
Kostüm
Licht
Klavier Tänzerinnen und TänzerPaula AlvesSo-Yeon Kim-von der Beck Neshama Nashman Orazio di Bella Evan L`Hirondelle - Uraufführung - Le Spectre de la Rose
Choreographie
Kostüm
Licht
Klavier Uraufführung: Awáa (Ausschnitt)
Choreographie
Kostüm
Licht
Einstudierung Tänzerinnen und TänzerYoav BosidanDaniel Smith Uraufführung: Aszure Barton & Artists, Look for the Silver Lining(Uraufführung)
Choreographie
Kostüm
Licht
Choreographische Assistenz - Uraufführung -
Regie
Licht und Kamera
Ton
Schnitt, Postproduktion |
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