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Musiktheater
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Fordlandia

Ballett von und mit Lucia Lacarra und Matthew Golding
Choreographien von Anna Hop, Yuri Possokhov, Juanjo Arqués und Christopher Wheeldon
Musik von Frédéric Chopin, Georgi Wassiljewitsch Swiridov, Jóhann Jóhannsson und Arvo Pärt

Aufführungsdauer: ca. 1h (keine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 19. September 2020
(rezensierte Aufführung: 20.09.2020)



Theater Dortmund
(Homepage)

Poetische Bilder zwischen Traum und Wirklichkeit

Von Thomas Molke / Fotos: © Leszek Januszewski

Die Tanztheatersparte hat es in Zeiten von Corona ganz besonders schwer. Wenn alle auf Abstand gehen müssen, stellt das gerade den Tanz, der es gewohnt ist, mit einem ganzen Ensemble relativ eng zusammenzuarbeiten, vor riesige Probleme. Die spanische Tänzerin Lucia Lacarra, die nicht nur in Dortmund als Gaststar in den Produktionen Faust II und Tschaikowsky große Erfolge gefeiert hat, sondern auch international mit zahlreichen Preisen wie beispielsweise dem Nijinsky Award 2002 und dem Premio Nacional de Danza 2005 ausgezeichnet worden ist, hat aus der Not eine Tugend gemacht und gemeinsam mit ihrem Partner Matthew Golding einen Ballettabend kreiert, in dem sie die Erfahrungen der letzten Monate im Tanz verarbeitet. Von der schnellen Ausbreitung der Pandemie überrascht musste Lacarra nämlich den harten Lockdown von März bis Mai 2020 getrennt von Golding verbringen. In dieser Zeit entstand ein reger kreativer Austausch zwischen den beiden und Choreograph*innen auf der ganzen Welt, bei dem als Ergebnis ein Ballettabend entstanden ist, den Lacarra und Golding nun insgesamt achtmal in Dortmund präsentieren, bevor sie mit ihm eine internationale Tournee planen.

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Lucia Lacarra in Fordlandia

Der Titel Fordlandia basiert auf dem nach Henry Ford benannten gleichnamigen Ort südlich von Santarém in Amazonien. Autopionier Ford hielt vor 100 Jahren die Gegend im Urwald von Amazonien für ein geeignetes Gebiet, um dort möglichst kostengünstig Reifen aus Kautschuk herzustellen. Für 8000 Billigarbeitskräfte wurde im Dschungel eine eigene Stadt errichtet, doch die Natur ließ sich den Raubbau nicht gefallen. Eine seltene Pilzart befiel die Pflanzungen, so dass das Projekt scheiterte. Zurück blieb nur eine Geisterstadt, in der heute noch etwa 1000 Nachfahren jener Menschen leben, die einst das große Geschäft gegen die Natur erhofften. Der isländische Komponist Jóhann Jóhannsson schuf 2008 ein Opus unter dem gleichen Titel, in dem er die globale Situation des 21. Jahrhunderts beschreibt und anprangert. Auch auf die aktuelle Corona-Situation ist die Geschichte der Geisterstadt übertragbar. So wie sich einst in Amazonien die Natur ihr Recht zurückerobert hat, ist es nun die Pandemie, die uns Menschen in ihre Schranken weist.

In insgesamt sechs Choreographien, die bruchlos ineinander übergehen, begeben sich Lacarra und Golding auf eine Reise durch ein Labyrinth ihrer persönlichen Empfindungen, wobei der Traum und die Fantasie in Form von Videoprojektionen immer wieder mit dem aktuellen Geschehen auf der Bühne verschmelzen. Alles beginnt mit der Trennung der beiden. Während Golding in einer Videoprojektion auf einem Stuhl im Nirgendwo gezeigt wird, irrt Lacarra im Video durch ein einsames Theater. Zu melancholischen Klängen von Frédéric Chopin scheint Lacarra auf der Suche zu sein. Quasi aus der Projektion landet sie auf der Bühne des Opernhauses und durchwandert den Bühnenraum, bis plötzlich hinter einer Spiegelwand Golding sichtbar wird. Die beiden finden nun in einem zärtlich anmutenden Pas de deux zueinander. Die Choreographie dazu stammt von Anna Hop. Eine poetisch betörende Mischung aus Spitzentanz und modernem Ausdruck führt Lacarra und Golding zusammen, wobei sie in den Projektionen noch weitere Räume des Theaters durchwandern. Mal werden auf der Bühne die Bewegungen aus der Projektion übernommen, mal werden sie kontrastiert.

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Lucia Lacarra und Matthew Golding in Snow Storm

Aus dem Opernhaus geht es in einen Wald. Inmitten hoher Bäume scheinen die beiden in der Natur verloren zu sein. Schnee bedeckt den Boden. Yuri Possokhov lässt Lacarra und Golding im Snow Storm zur Musik von Georgi W. Sviridov dem Kampf mit der Natur aufnehmen. Während sie sich in der Projektion suchen, finden sie auf der Bühne zueinander und besiegen gemeinsam den Sturm. Der Schnee schmilzt, und es keimt neue Hoffnung auf. Daran schließt sich der wohl eindrucksvollste Teil des Abends an: Fordlandia in einer Choreographie von Juanjo Arqués an. Wir befinden uns am Meer. Während Golding in der Projektion auf einem Stuhl sitzt und von den Wellen umspielt wird, schreitet Lacarra über einen hohen Felsen. Wieder sind die beiden also voneinander getrennt und müssen den Weg zueinander suchen. Die Videoprojektion wird dann auf die Bühne übertragen, indem Golding Lacarra aus einem weißen Tuch ausrollt, das anschließend wie wogendes Meer die ganze Bühne beherrscht. In diesen Wellen begeistern Lacarra und Golding erneut durch ein poetisches Pas de deux. Das Tuch wallt dabei immer höher, bis die beiden schließlich von den Wogen aufgenommen werden. Die Natur hat also gewonnen.

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Finale in After the Rain: Lucia Lacarra und Matthew Golding

Im Anschluss geht es in den Kosmos. Die Projektion deutet mit kleinen Sternen das Weltall an. Hier sieht man nun Lacarra und Golding als schemenhafte Figuren. Auf der Bühne greifen die beiden die Bewegungen aus der Projektion wieder auf und verleihen ihnen mehr Kontur. Den Abschluss bildet dann ein bezauberndes Pas de deux aus Christopher Wheeldons After the Rain zur Musik von Arvo Pärt. Die Projektion deutet nun die unendliche Weite eines Abendhimmels an. Mit unglaublicher Körperspannung führen Lacarra und Golding vor, wie sie einander in diesem Nichts erneut Halt geben können. Lacarras Bewegungen sind dabei so grazil, dass man meint sie müsste in Goldings Armen zerbrechen. Gemeinsam blicken sie einer ungewissen Zukunft entgegen, wenn der Vorhang fällt. Das Publikum bedankt sich für diese poetischen Bilder mit stehenden Ovationen.

FAZIT

Lucia Lacarra und Matthew Golding begeistern mit wunderbar poetischen Bildern und bezaubernden Kreationen und lassen das Publikum in eine atemberaubende Traumwelt eintauchen.


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Produktionsteam

Konzept und Inszenierung
Matthew Golding

Bühne und Kostüme
Lucia Lacarra

Licht
Florian Franzen

Video
Altin Kaftira

 

Programm

Stillness
Musik von Frédéric Chopin

Close
Musik von Frédéric Chophin

Choreographien
Anna Hop

Snow Storm
Musik von Georgi W. Sviridov

Choreographie
Yuri Possokhov

Fordlandia
Musik von Jóhann Jóhannsson

Pile of Dust
Musik von Jóhann Jóhannsson

Choreographien
Juanjo Arqués

After the Rain
Musik von Arvo Pärt

Choreographie
Christopher Wheeldon

 

Tänzerinnen und Tänzer

Lucia Lacarra
Matthew Golding

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

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