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Der Bajazzo (Pagliacci)

Oper in einem Prolog und zwei Akten
Libretto und Musik von Ruggero Leoncavallo
Fassung für reduziertes Orchester von Francis Griffin

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 1h 20' (keine Pause)

Premiere im Aalto-Theater Essen am 3. Juni 2021




Theater Essen
(Homepage)
Düsterer Verismo

Von Thomas Molke / Fotos von Matthias Jung

Einen Tag, nachdem Offenbachs Operetteneinakter Auf Ihr Wohl, Herr Blumenkohl! im Aalto-Theater Premiere gefeiert hat, steht schon die nächste Premiere auf dem Programm. Dabei hatte man kaum noch damit gerechnet, dass die Produktion, die eigentlich schon Ende Januar in den Startlöchern stand, noch vor der Spielzeitpause im Juni zur Aufführung vor Publikum gelangen konnte. Auf das komische Genre folgt nun mit Ruggero Leoncavallos Pagliacci ernster Verismo. Das Werk, das sich mit den Jahren zu einer Art Diptychon mit Pietro Mascagnis Cavalleria rusticana entwickelt hat und dem eigentlich nach der düsteren Cavalleria die Aufgabe zukommt, vor dem tragischen Ende mit dem Spiel im Stil der Commedia dell'arte ein wenig aufzuheitern, steht sicherlich nicht zuletzt wegen der strengen Corona-Regeln jetzt allein auf dem Spielplan. Theaterabende mit Pause sind eben in der momentanen Situation, in der auch noch keine Gastronomie angeboten werden kann, noch nicht umsetzbar.

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Der Bajazzo Canio (Sergey Polyakov) hat seine Frau Nedda (Gabrielle Mouhlen) getötet.

Ob Leoncavallo, der neben der Musik auch das Libretto geschrieben hat, wirklich, wie er behauptet, von einem realen Erlebnis auf einer italienischen Reisebühne zu diesem Stück inspiriert worden ist, lässt sich nicht belegen. Mit der Geschichte um den "Bajazzo" Canio, der von seiner Frau Nedda im realen Leben mit dem Bauern Silvio betrogen wird und sie daraufhin auf der Bühne tötet, weil Wirklichkeit und Spiel miteinander verschwimmen, traf er jedenfalls bei der Uraufführung am 22. Mai 1892 im Mailänder Teatro dal verme genau den Nerv der Zeit. Sehr schnell wurde das Stück weltweit nachgespielt, häufig auch als gekürzte Parodie in Music Halls. Die berühmte Tenor-Arie Canios "Vesti la giubba" wurde in der Aufnahme durch Enrico Caruso die erste Schallplatte, die sich mehr als eine Million Mal verkaufte. Ursprünglich hatte Leoncavallo das Stück als Einakter angelegt und wollte damit an dem Sonzogno-Wettbewerb teilnehmen, aus dem schon Mascagnis Cavalleria als Sieger hervorgegangen war. Durch das eingefügte Intermezzo nach der großen Tenor-Arie wurde das Werk für den Wettbewerb allerdings zu lang, so dass Leoncavallo es in einen Zweiakter umwandelte, der aber trotzdem noch ohne Pause gespielt wird. Verwirrend mag sein, dass der Original-Titel die Pluralform Pagliacci verwendet, während sich im Deutschen der Singular Der Bajazzo durchgesetzt hat, was inhaltlich auf den ersten Blick auch korrekter zu sein scheint. Der Bariton Victor Maurel, der Leoncavallo den Weg in die Pariser Kultur- und Künstlerszene ebnete, konnte Leoncavallo allerdings davon überzeugen, dass der betrogene Ehemann im Stück nicht der einzige "Bajazzo" sei und diese Bezeichnung auch auf die von ihm, Maurel, verkörperte Figur des Tonio zutreffe, und so wurde im Italienischen aus Pagliaccio eben Pagliacci.

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Canio (Sergey Polyakov, links) als Spielball von Tonio (Seth Carico)

Dem Einfluss Maurels ist es auch zu verdanken, dass Leoncavallo dem Stück einen Prolog voranstellte. Maurel hatte sich für seine Rolle eine große Arie erbeten, die Leoncavallo aber dramaturgisch nicht in das Stück einbauen konnte. So schuf er für ihn den Prolog, der dem Stück im Stück noch eine metatheatrale Ebene voranstellt. Seth Carico punktet als Tonio in diesem Prolog mit kräftigem schwarzen Bariton, der den diabolischen Charakter der Figur unterstreicht. Man hat fast den Eindruck, dass Carico den Urtypen des "bösen Baritons" zeichnet. In seinem schwarzen bestickten Anzug wirkt er wie ein Spielleiter, der im ganzen Stück die Fäden zieht. Das Regie-Team um Roland Schwab verzichtet auf eine optische Anlehnung an die Commedia dell'arte beim Spiel im Spiel und wählt einen durchgängig düsteren Ansatz. Schon zu Beginn der Oper scheint der Mord geschehen zu sein. Man sieht Canio blutverschmiert auf einer Videoprojektion vor dem Vorhang und Nedda hängt tot an einer Stange. Wenn sich der Vorhang hebt befinden sich mehrere Neddas als Leichen auf der Bühne. Alle sind mit einem schwarzen Leichensack bedeckt, und nur die knallroten Pumps lassen erahnen, dass es sich in allen Fällen um Nedda handelt. Tonio führt den blutverschmierten Canio an einer Kette über die Bühne. Dabei trägt Canio ein Schild um den Hals mit der Aufschrift: "Theater muss sein", eine Forderung, die man während der Corona-Pandemie gar nicht häufig genug betonen kann, auch wenn sie hier etwas anders gemeint sein dürfte.

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Nedda (Gabrielle Mouhlen) träumt von einer gemeinsamen Zukunft mit Silvio (Tobias Greenhalgh).

Canio scheint sich in einer Art Endlosschleife zu befinden. Die toten Neddas erheben sich und verwandeln sich in die Bauern, die ihn und die anderen Schauspieler einladen, etwas trinken zu gehen. Die Geschichte beginnt also erneut. Als Bühnenbild von Piero Vinciguerra fungieren zahlreiche gelb leuchtende Lichterketten, die zunächst über der Drehbühne eine Art Zirkusdach formen. Einzelne Lichterketten liegen auch schon zu Beginn auf dem Boden und zeigen die nicht zu verbergenden Risse in der Welt der Schauspieltruppe. Der Bühnentrompeter (Jan-Henning Drees) trägt eine düstere Maske, die genauso an den personifizierten Tod erinnert wie ein Statist auf dem Hochrad, der beim Stück im Stück im zweiten Akt das Spiel auf der Drehbühne umkreist. Nedda, die sich in dieser Welt sichtlich unwohl fühlt, zieht kurze weiße Flügel über ihr schwarzes Kleid, vielleicht in der Hoffnung, diesem Elend zu entfliehen, was auch in ihrer Arie im ersten Akt zum Ausdruck kommt, wenn sie die Freiheit der Vögel besingt. Gabrielle Mouhlen begeistert hier mit sattem Sopran und kräftiger Mittellage. Doch die Statisten verteilen währenddessen gerupfte weiße Federn auf der Bühne. Ihr Fluchtversuch wird nicht von Erfolg gekrönt sein. Mit Tobias Greenhalgh als Silvio erlebt Mouhlen einen kurzen Moment der Hoffnung, bevor Canio, von Tonio aufgestachelt, zurückkehrt und es schon zur Katastrophe käme, wenn Beppe (Carlos Cardoso mit leichtem Tenor) ihn nicht mit Hinweis auf die bevorstehende Vorstellung zurückhalten würde.

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Nedda (Gabrielle Mouhlen) weist Tonios (Seth Carico) Werben zurück.

Es folgt die berühmte Tenor-Arie "Vesti la giubba", die Sergey Polyakov als Canio mit sauber angesetzten Spitzentönen und kraftvollem Tenor meistert. Überhaupt gelingt es ihm, die Zerrissenheit der Figur glaubhaft und dabei auch äußerst tragisch zu präsentieren. Man hat das Gefühl, dass er von Tonio dabei wie eine Marionette geführt wird und eigentlich Spielball des falschen Freundes ist. In einer Video-Projektion sieht er noch einmal seine erste Begegnung mit Nedda. In Schwabs Inszenierung scheinen sie sich auf einer Party kennengelernt zu haben. Nedda wirkt in der Projektion sehr verführerisch, und Canio erliegt ihrem Charme vollends. Hier ist von seiner brutalen Eifersucht noch nichts zu spüren. Der gesungene Text kurz vor dem Mord erzählt eine etwas andere Geschichte. Danach hat Canio Nedda von der Straße aufgelesen und ihr ein sicheres Zuhause geboten. Das Spiel im Spiel wird teilweise recht makaber angelegt. Das halbe Hähnchen, das der Diener Taddeo (Tonio) für Colombina (Nedda) besorgen sollte, ist eine lange Reihe an Würsten, die er aus seinem Hosenstall zieht, um anzudeuten, dass er selbst die Frau seines Herren begehrt. Wenn Harlekin (Beppe) als Colombinas Geliebter zum Essen kommt, serviert sie ein Bein, das von einer der Leichen zu stammen scheint. Colombina (Nedda) tischt sich gewissermaßen selbst auf. Die folgende Katastrophe greift das Bild vom Anfang wieder auf.

Der Chor, der aufgrund der Corona-Einschränkungen nicht auf der Bühne auftreten kann, erklingt über Lautsprecher aus dem Saal, was in diesem Fall recht passend ist, da der Chor ja die Rolle des Zuschauers einnimmt. Robert Jindra gestaltet mit den Essener Philharmonikern einen eindringlichen Verismo-Klang aus dem Graben, der unter die Haut geht. So gibt es am Ende begeisterten Applaus für alle Beteiligten.

FAZIT

Leoncavallos Der Bajazzo funktioniert in der düsteren Inszenierung von Roland Schwab auch ohne Mascagnis Cavalleria und beschert einen bewegenden Opernabend.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Robert Jindra

Inszenierung
Roland Schwab

Bühne
Piero Vinciguerra

Choreinstudierung
Jens Bingert

Dramaturgie
Christian Schröder

 

Essener Philharmoniker

Bühnentrompeter
Jan-Henning Drees

Chor des Aalto-Theaters

Statisterie des Aalto-Theaters

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Canio
*Sergey Polyakov /
Leonid Shoshyn

Nedda
Gabrielle Mouhlen

Tonio
Seth Carico

Beppe
Carlos Cardoso

Silvio
Tobias Greenhalgh

1. Bauer
Andreas Baronner

2. Bauer
Arman Manukyan

 



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