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Die einsame Insel (L'isola disabitata)

Oper in zwei Akten
Text von Pietro Metastasio aus dem Jahre 1753
Musik von Joseph Haydn

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Marilyn Forever

Oper in einem Akt
Libretto von Marilyn Bowering
Musik von Gavin Bryars

in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Theater Hagen am 12. September 2020


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Einsamkeit in der Oper

Von Thomas Molke / Fotos von Klaus Lefebvre (Rechte Theater Hagen)

Oper in Zeiten von Corona hat sich stark verändert. Zwar haben die Theater nach der Sommerpause die Spielzeit wieder aufgenommen, aber vieles ist aufgrund geltender Abstandsregeln auf der Bühne und im Orchestergraben einfach noch nicht möglich. So fällt die Auswahl der Stücke zwangsläufig auf Werke, die nur ein kleines Ensemble benötigen. Ein Leidtragender in dieser Situation ist der Opernchor, der unter diesen Bedingungen noch nicht wieder auf der Bühne stehen darf. Aus diesem Grund hat sich der Hagener Opernchor 40 Minuten vor der Premiere im Innenhof des Theaters versammelt, um unter der Leitung von Wolfgang Müller-Salow ein Zeichen zu setzen, dass es auch dieses wichtige Kollektiv des Theaterbetriebs noch gibt. Unter Einhaltung der Abstandsregeln stimmen die Sängerinnen und Sänger gemeinsam den berühmten Gefangenenchor aus Nabucco an, der vielleicht ganz trefflich die derzeitige Situation beschreibt. Im Anschluss gibt es noch den Zigeunerchor aus Verdis Il trovatore und eine Reprise des Gefangenenchors, bevor sich die Zuschauer in den Saal begeben. Dort folgt dann ein Opern-Doppelabend mit zwei Werken, die in der Entstehung zwar fast 250 Jahre auseinanderliegen, sich aber beide mit dem Thema Einsamkeit und Isolation beschäftigen, was seit der COVID-19-Pandemie eine noch erschreckendere Aktualität hat.

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Szenen einer Ehe: Costanza (Maria Markina) und Gernando (Anton Kuzenok)

Den Anfang macht Joseph Haydns L'isola disabitata, die am 6. Dezember 1779 auf Schloss Esterháza zur Uraufführung gelangte. Das Libretto stammt von Pietro Metastasio und wurde vor und nach Haydn vielfach vertont, unter anderem auch 1831 von Manuel García, dessen Salonoper gewissermaßen zeitgleich beim Mini-Festival Rossini in Wildbad zu erleben ist (siehe auch unsere Rezension). Wenn man einem Brief Metastasios an den Grafen Wratislaw aus dem Jahr 1768 glaubt, soll es sich bei diesem Text um Metastasios Lieblingsstück gehandelt haben. Die Geschichte handelt von Costanza, die mit ihrer jüngeren Schwester Silvia auf einer einsamen Insel lebt, nachdem sie 13 Jahre zuvor dort von ihrem Gatten Gernando zurückgelassen worden ist. Was Costanza nicht weiß, ist, dass Gernando damals von Piraten entführt worden ist. Stattdessen hält sie ihn für einen Verräter, warnt ihre Schwester vor der Treulosigkeit und Gefährlichkeit aller Männer und will ihr grausames Schicksal als Inschrift in einem Stein verewigen. Doch sobald sich Gernando aus der Hand der Piraten befreien kann - was immerhin 13 Jahre dauert -, kehrt er mit seinem treuen Gefährten Enrico auf die Insel zurück, um Costanza zu suchen. Allerdings findet er zunächst nur die begonnene Inschrift und glaubt, dass Costanza gestorben sei. Enrico trifft inzwischen auf Silvia und erfährt von ihr, dass Costanza noch lebt. Gemeinsam wollen die beiden Costanza und Gernando wieder zusammenführen. Diese sind sich allerdings bereits begegnet, und Costanza ist beim Anblick ihres Gatten in Ohnmacht gefallen. Als sie zu sich kommt und ihm Vorhaltungen machen will, erzählt Enrico ihr von der zwischenzeitlichen Entführung und Versklavung. So finden Costanza und Gernando wieder zueinander, und auch aus Enrico und Silvia wird ein glückliches Paar.

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Silvia (Penny Sofroniadou) fühlt sich auf der einsamen Insel wohl.

Das Regie-Team um Magdalena Fuchsberger liest die Geschichte als "Szenen einer Ehe" und überträgt sie in unsere Gegenwart. Monika Biegler hat einen zweigeteilten Wohnraum entworfen. Auf der linken Seite befindet sich ein graues Sofa mit losen Polstern, auf der rechten Seite ein Esszimmertisch mit vier Stühlen und einem Barschrank. Ein langer grauer Vorhang im Hintergrund scheint eine Fensterfront zu bedecken. In diesem Ambiente leben Costanza und Gernando während der Ouvertüre gewissermaßen aneinander vorbei. Während sie sich auf dem Sofa eingerichtet hat, sitzt er rauchend am Esszimmertisch und scheint über sein Leben zu sinnieren. Auch ein kurzer Moment der Zweisamkeit, in dem Costanza beiden ein Glas Wein einschenkt, führt die beiden nicht wirklich zusammen. So verlässt Gernando das Haus, um "mal eben Zigaretten zu holen" und kehrt die nächsten 13 Jahre nicht zurück. In der Zwischenzeit schleppt Costanza immer mehr graue Polster auf die Bühne und baut sich aus dem Sofa eine Höhle, in der sie sich verkriecht. Nun folgt die eigentliche Opernhandlung. Das Grau der Polster steht dabei für den Stein, in den Costanza im Libretto die Inschrift meißelt.

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Enrico (Insu Hwang) erscheint wie ein Deus ex machina.

Die Rahmenhandlung ist für Haydns Oper zwar nicht zwingend, stört die Geschichte allerdings auch nicht, da eine gewisse Entfremdung in beiden Fällen nachvollziehbar bleibt. Joseph Trafton arbeitet mit dem Philharmonischen Orchester Hagen die musikalische Frische, die in Haydns Partitur steckt, mit Liebe zum Detail heraus und macht nachvollziehbar, wieso diese Vertonung im Zusammenhang mit Metastasios Text auch heute noch als bekannteste und erfolgreichste Fassung gelten dürfte. In der Produktion stellen sich drei neue Ensemble-Mitglieder vor. Penny Sofroniadou begeistert als Silvia mit jugendlichem Sopran und herrlich naivem Spiel. Wenn sie mit ihrem Stofftier über die Bühne springt, nimmt man ihr die Unbeschwertheit ab, mit der Silvia im Gegensatz zu ihrer Schwester die Einsamkeit der Insel genießt. Die beiden auftauchenden Männer wecken dabei ihre Neugier, und sehr schnell verliert sie vor Enrico ihre Scheu vor dem männlichen Geschlecht. Insu Hwang punktet mit kräftigem Bariton und komödiantischem Spiel. Wie ein Deus ex machina  taucht er aus dem Bühnenboden auf und versteht es, mit selbstsicherem Auftreten Silvia zu begeistern. Anton Kuzenok stattet den Gernando mit geschmeidigem Tenor aus. Ihn scheint durchaus das schlechte Gewissen umzutreiben, wenn er nach so langer Zeit wieder in Costanzas Leben auftaucht. Maria Markina kehrt als Gast ans Theater Hagen zurück und gestaltet die Partie der Costanza mit sattem Mezzosopran und leuchtenden Höhen.

Die zweite Oper des Abends, Marilyn Forever, stammt von dem englischen Komponisten Gavin Bryars und wurde am 13. September 2013 in Victoria in Kanada uraufgeführt. In einem Prolog, acht Szenen und einem Epilog wird die Geschichte der Ikone Marilyn Monroe erzählt, eingerahmt in die Nacht vom 4. auf den 5. August 1962, in der Marilyn unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen starb. In Schlaglichtern ziehen in den folgenden Szenen Stationen ihres Lebens vorüber. Es beginnt auf einem Filmset, wo ein Regisseur und die Kollegen auf die notorisch zu spät kommende Marilyn warten. Diese verliert sich allerdings in Erinnerungen an die Zeit, als sie aus dem einstigen Waisenkind Norma Jeane Mortensen die Kunstfigur Marilyn Monroe schuf. Ihre dritte Ehe mit dem Schriftsteller Arthur Miller durchlebt sie ebenso noch einmal wie eine tragische Fehlgeburt. Durch ihren beruflichen Erfolg baut sie sich ein neues Leben auf und erwirbt ein luxuriöses Haus. Von den Männern wird sie aber weiterhin zu einem Sex-Symbol degradiert und missbraucht. So geht sie einsam zugrunde und stirbt.

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Eine Schauspielerin (Angela Davis) schlüpft in die Rolle der Marilyn Monroe.

Das Regie-Team um Holger Potocki stellt in seiner Inszenierung nicht Marilyn selbst auf die Bühne sondern eine Schauspielerin, die in einem Film Marilyn Monroe darstellen soll und große Schwierigkeiten hat, sich in diese Rolle hineinzufinden. Die Bühne von Holger Potocki und Bernhard Niechotz ist dabei zweigeteilt. Auf der linken Seite sieht man eine Art Kinosaal mit einer Leinwand im Hintergrund und einigen Kinosesseln. Hier schlüpft Kenneth Mattice in verschiedene Männerrollen vom Regisseur am Filmset, über den begeisterten Fan, Marilyns dritten Ehemann Arthur Miller bis hin zu den zahlreichen Liebhabern und Menschen, die Marilyn für ihre Zwecke missbraucht haben. Auf der rechten Seite sieht man das Filmstudio mit einer Künstlergarderobe, in die sich die Schauspielerin nach einem frustrierenden Drehtag zurückzieht, um weiter ihre Rolle zu studieren. An einer Kleiderstange hängen zahlreiche Roben, die man mit berühmten Fotos der Monroe verbindet. Angela Davis schlüpft auch in das legendäre weiße Kleid, mit dem Marilyn in dem Film Das verflixte 7. Jahr auf dem Lüftungsschacht stand. Dominiert wird der Raum von einer riesigen Green Screen, mit der die Schauspielerin in einzelnen Szenen auf die Leinwand im Kino auf der linken Seite projiziert wird. Die Stimmen, die in Marilyns Kopf nachhallen, werden von vier Chorsolisten im zweiten Rang dargestellt.

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Ein Mann (Kenneth Mattice) bewundert die Kunst-Figur Marilyn Monroe (Angela Davis, rechts und in der Projektion).

Durch beeindruckende Projektionen entsteht eine faszinierende Collage, die das Leben der Monroe vorbeiziehen lässt. Mal sieht man stark gepixelte Originalbilder, die Marilyn teilweise nur erahnen lassen und unterstreichen, dass die Frau hinter der Kunstfigur Marilyn Monroe immer ein Geheimnis bleiben wird, dann sieht man Angela Davis, die mit einer weißblonden Marilyn-Perücke vor eine Kulisse projiziert wird. Das Spiegelbild übernimmt ebenfalls eine wichtige Rolle. So wird Davis in der Projektion häufig vor einem Schminktisch gezeigt. Dabei sieht sie im Spiegelbild entweder die Kunstfigur Marilyn oder blickt als Kunstfigur Marilyn auf die Schauspielerin selbst. Eindrucksvoll sind die Bilder, in denen unter der Perücke ein Totenkopf oder gar kein Gesicht zu sehen ist. So wird am Ende auch nicht Marilyn beerdigt sondern nur ihr blaues Kleid mit der weißblonden Perücke.

Angela Davis gestaltet die Partie der Schauspielerin, die auf der Suche nach Marilyn ist, darstellerisch sehr intensiv und überzeugt zum einen mit großem Sopran und changiert gekonnt zu den jazzigen Partien der Rolle. Kenneth Mattice schlüpft in die unterschiedlichen Männerrollen, die Marilyns Leben beeinflusst haben, mit eindringlichem Spiel und stellt bei aller räumlichen Distanz eine enorme Nähe zu Davis her. Besonders intensiv gelingt es in der Szene als Arthur Miller, wenn er gemeinsam mit Marilyn vor einem pittoresken Strand steht. Dass Marilyn dabei nur in das Bild projiziert ist, macht deutlich, dass ihre Beziehung zu diesem Zeitpunkt bereits am Ende war. Joseph Trafton durchleuchtet mit dem Philharmonischen Orchester die stets tonale und teilweise mit Jazz-Elementen angereicherte Partitur souverän, so dass es am Ende großen Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Auch wenn diese beiden Produktionen auf den ersten Blick nichts gemeinsam haben, führen sie auf unterschiedliche Art und Weise Einsamkeit und Isolation vor und bilden so einen rundum gelungenen und großen Opernabend.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Joseph Trafton

 

Philharmonisches Orchester Hagen

 

Die einsame Insel (L'isola disabitata)

Inszenierung
Magdalena Fuchsberger

Bühne und Kostüme
Monika Biegler

Licht
Martin Gehrke

Dramaturgie
Francis Hüsers

Marilyn Forever

Inszenierung
Holger Potocki

Bühne
Bernhard Niechotz
Holger Potocki

Kostüme
Bernhard Niechotz

Choreographie
Noemi Emanuela Martone

Licht und Video
Hans-Joachim Köster

Dramaturgie
Rebecca Graitl


Solisten

Die einsame Insel (L'isola disabitata)

Costanza
Maria Markina

Silvia
Penny Sofroniadou

Enrico
Insu Hwang

Gernando
Anton Kuzenok

Marilyn Forever

Marilyn
Angela Davis

Men
Kenneth Mattice

Voices
Sebastian Joest
Wolfgang Niggel
Matthew Overmeyer
Bernd Stahlschmidt-Drescher

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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