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Ovids Geschichten

Ein experimentell-klassisch-jazziges Musik-Theater
frei nach Ovids Metamorphosen sowie dem Roman Die letzte Welt von Christoph Ransmayr
Musik von Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Benjamin Britten, Wolfram Winkel, Eckhard Kopetzki, Claude Debussy, Casey Cangelosi, Luciano Berio und Keith Jarrett

in deutscher Sprache (ein Lied in französischer Sprache mit Übertiteln)

Aufführungsdauer: ca. 1h 40' (keine Pause)

Premiere im Lutz am 1. November 2020


Logo: Theater Hagen

Theater Hagen
(Homepage)
Genre-übergreifender experimenteller Streifzug durch die antike Mythologie

Von Thomas Molke / Fotos: © Inka Vogel

Die drastisch steigenden Coronazahlen haben dazu geführt, dass auch die Theater in Deutschland für mindestens vier Wochen schließen müssen. Ob sie danach wieder spielen dürfen, hängt von der weiteren Entwicklung der Pandemie ab. Zahlreiche Bühnen haben die Möglichkeit sehr zur Freude des Theaterpublikums bis zum letzten Tag genutzt. Auch Francis Hüsers, Intendant des Theaters Hagen, hat es geschafft, noch einen Tag vor dem erneuten Lockdown im Lutz eine Produktion zur Premiere zu bringen, die eigentlich schon für die letzte Spielzeit angesetzt war, aufgrund der Corona-bedingten Schließung jedoch verschoben werden musste: Ovids Geschichten. Zwar mussten die Besucherzahlen aufgrund der noch schärferen Einschränkungen weiter reduziert werden, so dass im Saal kaum mehr Zuschauer*innen sitzen, als an der Produktion auf der Bühne beteiligt sind. Dafür wurden die Besucher*innen aber auch vom Intendanten und seiner Regie-Assistentin höchstpersönlich zum Sitzplatz begleitet. Hier lebt man für die Kunst.

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Cotta (Philipp Alfons Heitmann, mit Klaus Korte am Saxophon) ist auf der Suche nach seinem Freund Ovid.

Hüsers und Insa Murawski bezeichnen den von ihnen konzipierten Abend als ein "experimentell-klassisch-jazziges Musik-Theater", das einen Bogen von Johann Sebastian Bach bis zu Keith Jarrett spannt. Die erzählten Geschichten basieren auf den Metamorphosen des Publius Ovidius Naso, genannt Ovid, der neben Vergil als größter römischer Dichter der Antike betrachtet werden kann. Im Jahr 8 n. Chr. wurde er von Kaiser Augustus aus bis heute nicht geklärten Gründen nach Tomis ans Schwarzen Meer, dem heutigen Constanţa in Rumänien, verbannt, wo er auch die Metamorphosen verfasste. In insgesamt fünfzehn Büchern schildert er zahlreiche mythologische Erzählungen, die die westliche Kunst und Literatur bis heute als fruchtbare Quelle inspiriert haben. Ein besonderes Denkmal hat ihm Christoph Ransmayr mit dem 1988 erschienenen Roman Die letzte Welt gesetzt. In dieser Erzählung begibt sich der einflussreiche Römer Maximus Cotta, der mit Ovid gut bekannt war, nach Tomis, um dort nach seinem Freund zu suchen Er trifft dabei auf zahlreiche Figuren aus Ovids Metamorphosen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Nymphe Echo, in die er sich verliebt. Hüsers und Murawski wählen aus Ovids Metamorphosen und Ransmayrs Roman insgesamt vier Episoden aus, die sie genre-übergreifend mit verschiedenen Musikstilen untermalen.

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Idylle am See: Narziss (Michael Mayer) und sein Spiegelbild

Den Anfang macht Johann Sebastian Bachs Sonate g-Moll, die in einem Arrangement für Saxophon und Klavier erklingt. In der Mitte der von Tobias-Rene Kersting gestalteten Bühne befindet sich ein Wasserbecken in L-Form. Dort lässt sich zu den Bach-Klängen Michael Mayer als Narziss nieder und betrachtet voller Faszination sein Spiegelbild, in das sich der junge Mann in der mythologischen Geschichte verliebt und das ihm schließlich zum Verhängnis wird. Bei Ovid verwandelt er sich in seiner Verzweiflung über die Unerreichbarkeit des von ihm geliebten Wesens in eine Narzisse, und seine Geschichte hat später in der Psychologie den Begriff "Narzissmus" geprägt. Die Oboistin Fanny Kloevekorn sitzt anfangs noch mit ihm am Becken und lenkt mit seichtem Wellenspiel seinen Blick auf das Wasser. In diese Idylle platzt Cotta (Philipp Alfons Heitmann), der vom Widerhall seiner Stimme fasziniert ist, was bereits als Anspielung auf seine spätere Beziehung zu Echo verstanden werden kann. Echo wird nun zu einem Lied von Wolfgang Amadeus Mozart für Sopran und Klavier eingeführt: "Dans un bois solitaire". Darin erzählt sie, wie sie an einer Quelle auf den schlafenden Amor traf, den sie versehentlich aufweckte und der sie zur Strafe mit dem Liebespfeil verletzte. Dorothea Brandt begeistert in dem Lied mit leuchtendem Sopran und intensivem Spiel. Mayer verwandelt sich an der Quelle vom Narziss in den schlafenden Amor, der Echo in unerwiderte Liebe zu Narziss entbrennen lässt, was schließlich dazu führt, dass die verzweifelte Echo sich in eine Felsspalte zurückzieht und derart abmagert, dass nur noch ihre Stimme übrig bleibt.

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Arachne (Michael Mayer, rechts hinten) und Pallas Athene (Dorothea Brandt, vorne links) liefern sich einen unerbittlichen Wettkampf (hinten links: Cotta (Philipp Alfons Heitmann) als Beobachter und Heiko Schäfer am Schlagzeug).

Zu einem Oboen-Solo von Benjamin Britten, das von Kloevekorn eindringlich interpretiert wird, verwandelt sich Michael Mayer von Narziss in Arachne, eine Weberin, die ihr Handwerk so gut versteht, dass sie selbst den Vergleich mit der Göttin Pallas Athene nicht scheut. Heitmann und Brandt schildern nun abwechselnd die Auseinandersetzung der Göttin mit der Sterblichen. Musikalisch wird der Wettkampf der beiden von zwei Stücken für Solo-Schlagzeug von Wolfram Winkel und Eckhard Kopetzki untermalt. Selbstbewusst spannt Mayer dabei als Arachne einen roten Faden quer über die Bühne und ist nicht bereit der Göttin nachzugeben. Diese Demütigung kann die Athene nicht auf sich beruhen lassen. Der Saxophonist Klaus Korte tritt auf und durchschneidet den Faden. Brandt und Heitmann hängen Mayer an den Ärmeln des schwarzen Gewands gewissermaßen auf, was Arachnes Verwandlung in eine Spinne beschreibt. Zur Rhapsodie für Saxophon und Klavier von Claude Debussy taucht Mayer nun mit dem Kopf in das schwarze Kostüm ein und vollzieht gewissermaßen die Metamorphose. Dann schält er sich aus dem Gewand heraus und übernimmt die Rolle des Pyramus in der Erzählung von Pyramus und Thisbe, der Vorlage für Shakespeares berühmtes Liebespaar Romeo und Julia. Wieder ist es das Solo-Schlagzeug, das die Erzählung Heitmanns untermalt.

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Echo (Dorothea Brandt) hat ihre Sprache verloren.

Nachdem Brandt und Mayer als Pyramus und Thisbe ihrem Leben ein Ende gesetzt haben, schlüpft Brandt erneut die Rolle der Echo. Nun geht es von den Metamorphosen zu Ransmayrs Die letzte Welt. Cotta wird Teil der mythologischen Welt, indem er sich gewaltsam mit Echo vereinen will. Doch damit zerstört er Echo. Dies wird musikalisch in der "Sequenza III" für Frauenstimme Solo von Luciano Berio deutlich. Brandt artikuliert hier keine vollständigen Sätze mehr, sondern äußert nur noch atonale Wortfetzen. Das ist zwar nicht schön, illustriert die Situation aber sehr deutlich. Cotta ist entsetzt, dass er einen Teil dieser Welt zerstört hat, und nun ist er es, der Echos Rolle einnimmt und sich in der Felsspalte verbirgt. Dadurch wird ein Gleichgewicht wieder hergestellt, und der Abend findet mit "Innocence" von Keith Jarrett zu einem recht harmonischen Ausklang. Mayer wird wieder zu Narziss, der seine Anfangsposition am See einnimmt. Die Geschichte könnte also wieder von vorne beginnen bzw. neu erzählt werden. Das Publikum bedankt sich für den eindrucksvollen Abend.

FAZIT

Wer sich für antike Mythologie interessiert, wird aus diesem Abend viel mitnehmen können. Es bleibt zu hoffen, dass diese Produktion bald wieder am Theater zu erleben sein wird und dann auch etwas mehr Publikum zugelassen ist.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Klavier
Taepyeong Kwak

Inszenierung
Francis Hüsers

Bühne
Tobias-Rene Kersting

Kostüme
Annabell Maria Schmidt

Choreographie
Gilles Welinski

Dramaturgie
Lisa Könnecke


Besetzung

Cotta Maximus
Philipp Alfons Heitmann

Echo / Pallas Athene / Thisbe
Dorothea Brandt

Narziss / Amor / Arachne / Pyramus
Michael Mayer

 

Oboe
Fanny Kloevekorn

Saxophon
Klaus Korte

Schlagzeug
Heiko Schäfer

Jazz-Kontrabass
Antje Haury

 


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Hagen
(Homepage)




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