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Musiktheater
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Turandot

Dramma lirico in drei Aufzügen
Text von Giuseppe Adami und Renato Simoni nach Carlo Gozzi
Musik von Giacomo Puccini
Vervollständigung des dritten Aktes von Franco Alfano


In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Veranstaltungsdauer: ca. 2h 40' (eine Pause)

Premiere am 18. Juni 2022 an der Staatsoper Unter den Linden, Berlin
(rezensierte Aufführung: 29. Juni 2022)


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Staatsoper Berlin
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Die mühsame Dekonstruktion der Prinzessin Turandot

Von Stefan Schmöe / Fotos von Matthias Baus

Wie viel China darf es sein? Ein "ziemliches Minenfeld" sei der Umgang mit fremden Kulturen auf der Opernbühne, bekundet Regisseur und Bühnenbildner Philipp Stölzl sicher nicht zu Unrecht im Programmheft. Auf szenisches fernöstliches Kolorit muss man daher weitgehend verzichten; ein wenig klingt es in den Farben des abstrakten Bühnenraums nach, kräftiges Rot, blasseres Blau, was eher eine fernöstliche Welt suggeriert denn den deutschen Märchenwald. Und die riesige Marionette (die natürlich an seinen Bregenzer Rigoletto erinnert), zentrales Element der Inszenierung, deren Kopf zunächst ein junges Mädchen nach Art der Manga-Comics zeigt und damit im fernöstlichen Kulturkreis verankert. Turandot bleibt eine Projektion; wenn sie unter der Hülle heraussteigt, ist sie ein glatzköpfiger, weiß geschminkter Zombie mit übergroßem Reifrock, der sie wie ein Käfig einsperrt. Die Marionette lässt derweil die hübsche Maske fallen und zeigt einen Totenkopf, erhält drei Arme, die wie eine Spinne nach den Menschen greift. Calaf ignoriert das bis zuletzt - er flüchtet sich im Finale zu eben der Maske. Yusif Eyvazov singt diesen Calaf mit maskulinem, baritonal eingedunkeltem Tenor und großer Kraft wie sicherer, strahlender Höhe - nur wechselt die Klangfarbe mit jedem Vokal und klingt oft unschön kehlig.

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Ein Mysterium: Die Erscheinung Turandots (1. Akt)

Kein Happy End also. Turandot ist von ihrer männervernichtenden Strategie nicht abzubringen und vergiftet sich; ob ihre letzten Worte mit dem Liebesbekenntnis zu Calaf ernst gemeint sind oder nicht, wird nicht recht klar. Warum küsst Calaf eigentlich diese Frau, wenn er doch auf die ganz anders geartete Maske fixiert ist? Im entscheidenden Moment bleibt Stölzls Konzept allzu unentschlossen und konventionell. Elena Pankratova singt eine hochdramatische, im zweiten Akt ziemlich ungenau intonierende, im dritten zupackende Turandot von eisiger Schärfe. Laut können sie beide, Claf und Turandot. Stimmliche Differenzierung war eher nicht angesagt. Die immerhin gelingt Aida Garifullina als großformatige Sklavin Liú, keineswegs zerbrechlich, sondern stimmlich fast schon überdimensioniert für die Partie, aber mit intensivem Piano nicht nur bei ihrem Selbstmord, mit dem sie der Folter entgehen und Calaf, dessen Namen sie nicht verraten darf, schützen will. Die Regie steht der Figur eher ratlos gegenüber, verpasst ihr eine langhaarige weißblonde Perücke wie einem ABBA-Avatar (Kostüme: Ursula Kudrna). Aber selbst wenn man ihre Aufopferung als krankhaften Zwang abtut - warum wird die Figur, die dramaturgisch wie musikalisch den wichtigen Gegenpol zur Ichbezogenheit Turandots und Kalafs markiert, so abgewertet? Hier geht Stölzl doch allzu sehr auf Distanz zu Puccini und seinen Librettisten Giuseppe Adami und Renato Simoni. Überflüssig ist in diesem Kontext auch Calafs Vater Timur (ziemlich unscharf: René Pape).

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Männerfantasie? Calaf (1. Akt)

Zurück zum China-Klischee und damit zu einer anderen Ebene der Inszenierung: Das Volk von Peking als uniforme, roboterartige Masse zu zeichnen, das mag eine politische Dimension haben, dürfte aus chinesischer Perspektive (nicht nur der Machthaber) aber mindestens genauso kritisch gesehen werden wie die (viel harmlosere) Märchenwelt. Die "einfachen Menschen" in blau, die brutalen Aufseher in rot (das erinnert ganz niedlich an die Band Kraftwerk und ihren Roboter-Song) wie aus einem schlechten Science-Fiction-Film, das ist halt das dystopische Opern-Vokabular, mit dem man totalitäre Systeme zeichnet. Der Staatsopernchor (Einstudierung: Martin Wright) ließ sich als indisponiert ansagen (viele Krankheitsfälle), ebenso wie Aida Garifullina, und hier wie da dem Klangeindruck nach unbegründet, denn der Chor und der fabelhaft saubere Kinderchor entwickeln beeindruckende Klangpracht. Kaiser Altoum fungiert als militanter Junta-Offizier (warum tut Siegfried Jerusalem, der im Alter von 82 auf eine glanzvolle Heldentenorkarriere zurückblicken kann, sich die Rolle mit zittriger Stimme an?). Grigory Shkapura (eingesprungen für den erkrankten David Ostrek) singt einen markanten Mandarin. Stölzl verharmlost die Gewalt nicht, mit der in diesem Staat gemordet und gefoltert wird, aber die Kritik an autoritären Regimen geht in der Abstraktion letztendlich unter.

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Die Folterung Liús (unten), darüber die Minister Ping, Pang und Pong; oben Turandot

Puccinis Musik bewegt sich auf sehr unterschiedlichen Stilebenen, am offensichtlichsten bei den komödiantisch gezeichneten Ministern Ping, Pang und Pong (Bernhard Hansky, Andrés Moreno Garcia, Siyabonga Maqungo bleiben recht blass). Das clownesk gezeichnete Trio mit Schirm und Melone zeigt eine Nähe zur Revue der 1920er-Jahre, was im dritten Akt mit einer kurzen Einlage von einem Tänzerinnen-Ensemble, schaufensterpuppenartige Gestalten im Turandot-Weiß, noch unterstrichen wird (Choreographie: Christopher Toelle). Aber diesen Ansatz verfolgt Stölzl nicht weiter, wodurch die Szene eher deplatziert wirkt.

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Entzaubert: Turandot (3. Akt)

Hörbar und sehr viel stringenter erlebbar wird das Nebeneinander verschiedener Stile und die Modernität von Puccinis Musik im Spiel der ausgezeichneten Staatskapelle Berlin unter Leitung des inzwischen 86jährigen Zubin Mehta. Der hebt immer wieder das Schlagwerk hervor, das den spezifischen Klang dieser Oper bestimmt; er kostet die Dissonanzen aus und betont die Nähe zu Bartók und Strawinsky. Die Musik Turandots ist von schneidender Schärfe. Mehta arbeitet auch im Detail sehr genau und erreicht eine faszinierende Farbigkeit. Er scheut die große Geste nicht, und es darf auch richtig laut werden; trotzdem bleibt der Orchesterklang transparent. Schade nur, dass er die Auftritte des Kaisers sehr getragen und mit allzu viel Pathos zelebriert. Gegen Ende verschieben sich die Akzente dann doch zum vordergründigen Breitwandsound.

FAZIT

Einen wirklich zwingenden Regieansatz findet Philipp Stölzl nicht, und so bleiben in erster Linie die großen Bilder mit der riesigen Turandot-Marionette in Erinnerung. Musikalisch durchwachsen mit manchen Glanzlichtern.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Zubin Mehta

Inszenierung, Bühnenbild
Philipp Stölzl

MMitarbeit Regie
Philipp M. Krenn

Mitarbeit Bühnenbild
Franziska Harm

Kostüme
Ursula Kudrna

Licht
Philipp Stölzl
Irene Selka

Choreographie
Christopher Tölle

Chor
Martin Wright

Dramaturgie
Jana Beckmann


Kinderchor der Staatsoper Berlin

Staatsopernchor

Staatskapelle Berlin


Sänger

Turandot
Elena Pankratova

Altoum
Siegfried Jerusalem

Timur
René Pape

Calaf
Yusif Eyvazov

Liú
Aida Garifullina

Ping
Bernhard Hansky

Pang
Andrés Moreno García

Pong
Siyabonga Maqungo

Ein Mandarin
Grigory Shkarupa



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Staatsoper Unter den Linden Berlin
(Homepage)



Da capo al Fine

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