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Man muss sich Prometheus als bipolar gestörten Menschen vorstellen
Von Stefan Schmöe
Bleibende Wirkung war Beethovens Ballett Die Geschöpfe des Prometheus nicht beschieden, auch wenn die Uraufführung 1801 ein leidlicher Erfolg war. Komponiert für den italienischen Ballettmeister Salvatore Viganò (1769-1821), der seinerzeit am Wiener Hoftheater tätig war, wird hier erzählt, wie Prometheus mit dem (den Göttern geraubten) Feuer zwei Statuen zum Leben erweckt, diese aufgrund ihres ungehobelten Wesens gleich wieder zerstören will, sie dann aber auf den Parnass führt und von Apoll erziehen lässt. Wobei sie auch die Tragödie kennen lernen und damit von der Existenz des Todes, was zu einer - vorübergehenden - Eintrübung führt. Nun ja, das ist sicher nicht die Sicht, mit der die Nachwelt den Komponisten selbst zum Titanen stilisierte und sich wohl eine heroischere Musik gewünscht hätte als die sanfte Kultivierung durch das zeitgemäße Ballett. Die Orchesterbehandlung ist delikat, aber das Ballett mit seinen Konventionen, zwischen denen sich Beethoven verliert, war wohl doch nicht das geeignete Medium für ihn.
Aus den vermeintlichen Qualitätsschwankungen aber Stimmungsschwankungen des Komponisten und sogar eine bipolare Störung zu diagnostizieren, scheint indes allzu gewagt. Gleichwohl ist dies der Ansatzpunkt für das Konzept dieses von Nick und Clemens Prokop, die mit ihrer Firma TYE Shows regelmäßig "mediale Konzertinszenierungen" kreieren wie auch hier. Sicher kann man in der Figur des Prometheus den übereuphorischen Rebellen, der den Göttern das Feuer stiehlt und zu den Menschen bringt, ebenso sehen wie den Inbegriff des Gescheiterten, zur Strafe am Kaukasus angekettet, wobei regelmäßig ein Adler seine Leber frisst. Die Extreme und die Spannbreite dazwischen ist also im Mythos angelegt, und die Übertragung auf pathologische Stimmungsschwankungen eine nicht uninteressante Deutung. Alexandre Bloch (Foto © Susanne Diesner) Für Nick und Clemens Prokop war eine Person mit einer bipolaren Störung in ihrem Bekanntenkreis Ausgangspunkt für die Konzeption. Zwischen den Sätzen von Beethovens Musik lassen sie eigens verfasste Texte einsprechen (Stefan Wilkening findet gut den passenden, hinreichend sachlichen Tonfall), die das Thema und seine unterschiedlichen Aspekte in Form von Gedichten einkreisen. Das ist die erste Ebene. Die zweite: Auf einer lamellenartigen Wand erhöht hinter dem Orchester und zwei Vorhängen darüber blenden sie oszillierende Farbmuster ein, vereinzelt auch konkrete Bilder, animierte Frauenfiguren etwa, die vorüberlaufen, oder am Ende ein Messer als unmissverständlichen Hinweis auf die Gefahr der Selbstzerstörung. Natürlich ist die Gefahr groß, mit schicken Bildelementen alles zu dominieren, aber insgesamt gelingt die Balance recht gut.
Da ist nämlich noch das Ballett: Eine Tänzerin (Marjolaine Laurendeau) lässt sich verstehen als die erkrankte Person, aber auch als Prometheus; zwei Tänzer (Michael Foster, Philip Handschin) als die beiden zum Leben erweckten Statuen, aber auch als die gegensätzlichen Pole, die manische Euphorie und die Depression - der direkte Kampf dieser beiden ist die plakativste Szene der Choreographie von Virginia Segarra Vidal, die seit 2011 in der Compagnie des Ballett am Rhein, also dem Hausensemble der Düsseldorf-Duisburger Oper, tanzt. Die sachlich elegante, fast nie überdeutlich ausformulierte Tanzsprache verweist oft auf den vormaligen Düsseldorfer Ballettchef Martin Schläpfer, etwa in einer Szene, in der Marjolaine Laurendeau mit hoher Intensität auf Spitze tanzt, aber eben nicht wie im klassischen Ballett als Ausdruck entschwebender Leichtigkeit, sondern mit der (von Schläpfer mehrfach gezeigten) Intensität und Unbedingtheit, die man hier als manische Euphorie verorten könnte. Philip Handschin, Marjolaine Laurendeau (Foto © Daniel Senzek)
Nur klingt Beethovens Ballett so gar nicht nach einer psychischen Erkrankung, sondern eben doch nach hübscher, nicht allzu gewichtiger Gebrauchsmusik. Alexandre Bloch dirigiert die guten, in den schnellen Noten manchmal etwas ungenauen Düsseldorfer Symphoniker durchaus mit Witz und mit schönem Klang. Das Konzept überfrachtet die Komposition hoffnungslos - und trotzdem geht es gar nicht so schlecht auf. Das Spannungsgefälle zwischen der doch harmlosen Komposition und der dramatischen Krankheit wie auch dem an sich ja dramatischen Prometheus-Stoff wird selbst zum Thema. Kein uninteressanter Beitrag zum Beethoven-Jahr, der pandemiebedingt erst jetzt zur verspäteten Aufführung kommen kann. Fragen bleiben, und das wird ganz direkt musikalisch ausformuliert: Am Beginn und Ende des Konzerts steht jeweils Charles Ives´ kurze, aber ungemein Komposition The unanswered Question - ein rätselhaftes Trompetensignal über geheimnisvollen Pianissimo-Streicherakkorden, beantwortet von Bläserattacken (die zweite Version geriet homogener, selbstverständlicher in der Balance).
Diagnose "bipolare Störung" - auf Prometheus oder gar Beethoven übertragen, ist das wenig überzeugend, als Metapher und Assoziationsraum, in dem Die Geschöpfe des Prometheus gerade durch die Diskrepanz zwischen Musik und Mythos zum Ausgangspunkt eines ganz eigenen Kunstwerks werden, führt das zu einer durchaus berührenden Produktion. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
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