Zur OMM-Homepage Zur OMM-Homepage Veranstaltungen & Kritiken
Musiktheater
Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum



Weihnachtsoratorium -
Szenen einer schlaflosen Nacht


Das Weihnachtsoratorium BWV248 von Johann Sebastian Bach
in einer musiktheatralen Fassung von Elisabeth Stöppler, Anna Melcher, Axel Kober und Gerhard Michalski
Sprechtexte von Hannah Dübgen


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 15' (eine Pause)

Premiere am 11. Dezember 2021 im Opernhaus Düsseldorf


Homepage

Rheinoper
(Homepage)
Der Tanz ums goldene Christkind

Von Stefan Schmöe / Fotos von Sandra Then-Friedrich


Einen Originalitätspreis erhält man für diese Frage wohl nicht: Was wäre, wenn das Christkind heute in eine Großstadt unserer Zeit hineingeboren würde? Vermutlich werden sich unzählige Heilig-Abend-Predigten irgendwie damit beschäftigen, und so umweht ein Hauch von Kindergottesdienst diese szenische Version des Bach'schen Weihnachtsoratoriums in der Inszenierung von Elisabeth Stöppler, die eben dieser Frage nachgeht. Man sieht ein junges Paar, die Frau mit starken Wehen, von Tür zu Tür eilen, vergeblich klopfen, bis eine brave deutsche Durchschnittsfamilie öffnet, und zack! wird auf dem Esstisch entbunden. Das Publikum lacht fröhlich, wobei hier wie auch im Verlauf des Abends oft nicht klar ist, ob und wie viel Ironie seitens der (darin ziemlich ungenauen) Regie gewünscht ist. "Jauchzet, frohlocket!" singt die Familie begeistert zu Bach's Musik - der vollständige Chorsatz wird am Ende des ersten Teils nachgereicht. Schließlich wird nicht jeden mal so eben ein Heiland mitten ins Weihnachtsdinner hinein geboren.

Szenenfoto

Huch, wurde uns hier gerade ein Heiland geboren? Es staunen (von links): Die Tochter (Ekaterina Aleksandrova), die Frau/Maria (Sarah Ferede), der Vater (Luke Stoker), die Mutter (Anke Krabbe) und der Sohn (Cornel Frey)

Eine Woche zuvor hat das Musiktheater in Revier im benachbarten Gelsenkirchen ebenfalls das Weihnachtsoratorium szenisch umgesetzt (unsere Rezension), wobei das Werk dort stark gekürzt und um andere Werke ergänzt gegeben wurde. Die Rheinoper hält sich im Wesentlichen an die originale Partitur, hat ein hebräisches Wiegenlied eingefügt (von Sarah Ferede, der Mutter/Maria anrührend gesungen), eine Arie der Klarinette (die erst nach Bachs Zeit den Weg ins Orchester fand) übertragen (was leidlich inhaltlich motiviert ist, weil es einen Musikanten gibt - Bassist Jake Muffet spielt das Instrument allerdings großartig). Hier und da sind Arien um den Wiederholungsteil gekürzt, ein paar Rezitative und zwei Choräle gestrichen, aber alles in allem hört man schon das vertraute Werk. Das Konzept wirkt dadurch weitaus geschlossener als die in die Beliebigkeit auseinanderdriftende Gelsenkirchener Fassung.

Szenenfoto

Weihnachten in der Großstadt

Was nicht bedeutet, dass Elisabeths Stöpplers Version überzeugender wäre, denn nach durchaus spannnendem Beginn verliert sich die Regie schnell in kleinteiligen, kaum noch nachvollziehbaren Episoden. Von der Geburtsszene wechselt das Bild, die Drehbühne macht's möglich, fast filmisch in das Zentrum einer Großstadt, wobei man diese im unansehnlichen Bühnenbild (Annika Haller) aus einem Gittergerüst mit allerlei schuhkartonartigen Räumen schon mit etwas gutem Willen erahnen muss. Menschen laufen mit Geschenken herum; telefonieren, dann schwenkt der Blick in eine Kneipe. Die Barkeeperin (unauffällig solide: Athanasia Zöllner), ein mit schickem Mantel Pelzkragen bekleideter "Dandy" (beeindruckend in seiner Präsenz: Johannes Preißiger), ein Arbeiter (für die klischeehafte Zeichnung der Figur kann er nichts, trumpft aber mit agilem Tenor auf: Andrés Sulbarán) und ein Atheist (stimmlich eher schmalbrüstig, in der Darstellung sehr überzeugend: Thorben Jürgens) machen sich lustig über den vermeintlichen "großen Herrn und starken König", der da irgendwo in der Stadt geboren sein soll. Als Exposition funktioniert das noch ganz gut, und wenn der plötzlich auftauchende "Andere" kurzerhand zum Engel erklärt wird, dann verdankt diese Figur der optisch wie stimmlich charismatischen Erscheinung von Countertenor Terry Wey ihre Wirkung. Die Wohnzimmergeburt des Beginns wird kurzerhand zum Weihnachtswunder erklärt und im biederen Esszimmer eine Krippe nachgestellt. Man fragt sich: Ist das alles noch wahr, oder parodiert Stöppler hier eine religiöse Hysterie?

Szenenfoto

Die Frau/Maria (Sarah Ferede) wird kurzerhand vom Volk zur Heiligen erklärt

Wohl letzteres, denn nach der Pause sind plötzlich vergoldete Babypuppen en vogue - das Christkind wird zum Götzenbild, und spätestens da setzen theologische Bauchschmerzen ein. Natürlich darf und soll Theater kritisch und zugespitzt ironisch sein, darf auch die regelmäßig zu Weihnachten erwachende Religiösität verspotten (was sicher witziger und eleganter ginge); bei einer Auseinandersetzung mit Bach sollte freilich die theologische Dimension eine Rolle spielen - nicht, weil Bach sakrosankt wäre, sondern weil man so dem Anspruch des Weihnachtsoratoriums nicht gerecht wird. Zudem wird die Geschichte, die Elisabeth Stöppler erzählt, immer abstruser. Die Mutter der Familie des Beginns (klangschön, wenn auch eine Spur zu opernhaft: Anke Krabbe) entpuppt sich als Krebskranke im Endstadium, woran die Familie zerbricht. Der Sohn (großartig: Tenor Cornel Frey) darf aber, ein Glück, noch singen. Maria und Joseph wirken zunehmend desorientiert, aber irgendwann ist es wohl nicht nur für die beiden unmöglich, den Volten der Regie zu folgen - man kann im Programmheft die inhaltliche Bedeutung der insgesamt 24 Szenen nachlesen (kann es aber auch lassen).

Szenenfoto

Jedem sein goldenes Christkind: Unübersichtlich wie dieses Bild ist auch die Geschichte. Oben rechts steht "der Andere" (Terry Wey).

Im zweiten Teil steht das Bühnenbild - inzwischen ohne Wände - weitgehend sinnfrei und meist störend herum; nur wenn die ganz wunderbar schlicht aufspielende Solo-Oboistin Gisela Hellrung von oben spielt und damit das konzertierende Instrument Teil der szenischen Aktion wird, erhält das Sinn (das Streichquartett auf der Bühne gewinnt zu wenig Präsenz, und Dragos Manza wird mit seiner Violine allzu sehr in den Hintergrund gestellt). Ein paar eingeschobene Texte der Düsseldorfer Schriftstellerin Hannah Dübgen gibt's auch noch, aber die hat man schnell wieder vergessen. Am Ende stehen Chor, Solisten und Statisten an der Rampe und halten mehr oder weniger sinnvolle Plakate in die Höhe. Menschheit und Regieteam einigen sich auf die Liebe als kleinsten gemeinsamen Nenner der Weihnachtsbotschaft. Na ja. Sagen wir mal so: Noch bescheidener geht es nun wirklich nicht.

Szenenfoto

Und hier die Botschaft. Auf dieses Schlussbild trifft wohl der Ausdruck "plakativ" zu.

In Gelsenkirchen hat Regisseur Michael Schulz immerhin einige starke Bilder gefunden. In Elisabeth Stöpplers Version bleibt die Bildebene sehr schwach, kommt über ein paar parodistische Momente nicht hinaus und wirkt banal wie letztendlich das ganze Konzept. Musikalisch ist die Düsseldorfer Aufführung der Gelsenkirchener allerdings klar überlegen. Zwar läuft auch hier nicht alles rund; der überaus präsente Opernchor (Einstudierung: Gerhard Michalski) hat für diese Art Musik zu viel Vibrato, Sopran und Tenor drängen sich allzu forsch und strahlend in den Vordergrund, und ein paar Wackler gibt es (eher bei den Solisten als beim Chor) auch - aber die kann GMD Axel Kober am Pult der guten Düsseldorfer Sinfoniker schnell und souverän auffangen, hat zudem klare Vorstellungen, wobei der Klang nicht "historisch informiert" ausgelegt, sondern der klassisch-romantischen Tradition verpflichtet ist, allerdings angenehm schlank und beweglich. Vieles ist sehr genau ausgestaltet, und um die gestrichenen Choräle ist es schon schade. Wie schon in Gelsenkirchen scheinen die Publikumsreaktionen gemischt: Frenetischer Jubel (für das Regieteam allerdings ein Stück leiser) bei den einen, Zurückhaltung bei den anderen.


FAZIT

Ein Plädoyer für eine szenische Version des Weihnachtsoratoriums ist auch diese arg angestrengte und sich in Kleinteiligkeit verlierende Düsseldorfer Produktion nicht geworden. Wenn man nicht auf ein "originales" Klangbild fixiert ist, kommt man immerhin musikalisch auf seine Kosten.


Ihre Meinung
Schreiben Sie uns einen Leserbrief
(Veröffentlichung vorbehalten)

Produktionsteam

Musikalische Leitung
Axel Kober

Inszenierung
Elisabeth Stöppler

Bühne
Annika Haller

Kostüme
Su Siegmund

Licht
Volker Weinhart

Chor
Gerhard Michalski

Dramaturgie
Anna Melchers
Carmen Kovacs



Chor der
Deutschen Oper am Rhein

Düsseldorfer Symphoniker


Solisten

Mutter
Anke Krabbe

Vater
Luke Stoker

Tochter
Ekaterina Aleksandrova

Sohn
Cornel Frey

Alleinstehende
Susan Maclean

Barkeeperin
Athanasia Zöhrer

Arbeiter
Andrés Sulbarán

Atheist
Torben Jürgens

Dandy
Johannes Preißinger

Geschäftsfrau
Morenike Fadayomi

Der andere
Terry Wey

Eine Frau (Maria)
Sarah Ferede

Ein Mann (Joseph)
Florian Simson



Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Rheinoper
(Homepage)



Da capo al Fine

Zur OMM-Homepage Musiktheater-Startseite E-Mail Impressum
© 2021 - Online Musik Magazin
http://www.omm.de
E-Mail: oper@omm.de

- Fine -