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Musiktheater
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gamut inc's robot opera
R.U.R. Rossum's Universal Opera


Musiktheater von Marion Wöhrle und Maciej Śledziecki (gamut inc)
Libretto von Frank Witzel
Bühneninstallation von Nina Rohde


in deutscher Sprache (keine Übertitel)

Aufführungsdauer: ca. 1h (keine Pause)

Uraufführung im Theater im Delphi Berlin am 22. Januar 2022
(rezensierte Aufführung: 5. Februar im Comedia-Theater Köln)


Homepage

Gamut Inc.
(Homepage)

Und der Mensch schuf den Roboter ihm zum Bilde

Von Stefan Schmöe / Fotos © Christoph Voy

Der Begriff "Roboter" geht zurück auf ein Schauspiel von Karel Capek: R.U.R Rossum's Universal Robots, uraufgeführt 1921, erzählt von einem Aufstand von Maschinenwesen, der "Roboter", eine Wortneuschöpfung in Anspielung auf das slawische Wort "robota" (Arbeit). Nachdem diese Roboter heimlich eine Seele eingesetzt bekommen, vernichten sie die Menschheit bis auf ein Exemplar, den Wissenschaftler Alquist, der die verloren gegangene Reproduktionsformel rekonstruieren soll. An diesem Punkt setzt die robot opera von gamut inc an, einem interdisziplinär arbeitenden Ensemble, dessen treibende Kräfte die Computermusikerin und Architektin Marion Wörle und der Komponisten und Gitarrist und Maciej Śledziecki sind. Wobei der Begriff "Oper" bei diesem Projekt die Irre führt, denn es gibt keine wirkliche Handlung; vielmehr erlebt man hier eine Verschmelzung aus szenischer Kantate und einer Installation.

Vergrößerung in neuem Fenster Mensch (vorne) und Roboter

Das Libretto von Frank Witzel (2015 Träger des Deutschen Buchpreises für seinen Roman Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969) erzählt keineswegs Capeks Theaterstück nach, sondern reflektiert die Situation nach der Vernichtung der Menschheit. Der Wissenschaftler Alquist sinniert über das Verhältnis von Mensch und Roboter, der vom Menschen geschaffenen Maschine, in dem sich wiederum das Verhältnis von Gott zum Menschen spiegelt. Schauspieler Patric Schott spricht und spielt diesen Wissenschaftler mit aufreizender Gelassenheit. Ihm gegenüber: Zwei Roboter, Primus und Helena, wobei Helena auch eine Art Zwischenwesen sein könnte. Leider sind die gesungenen Texte kaum zu verstehen, dadurch bleiben manche Unklarheiten - selbst wenn man das Nicht-Verstehen zwischen Mensch und Maschine durch die verschiedenen Kommunikationsebenen (der Mensch spricht, der Roboter singt) als Grundidee nachvollziehen kann, bleibt die fehlende Verständlichkeit für den Zuschauer ein Problem. Helena wird von einem Sopran gesungen (Gina May Walter, zunächst unscheinbar, später mit großer, etwas angestrengter Attitüde), Primus von einem Countertenor (eindringlich und trompetenhaft markant gerade in sehr hoher Lage: Georg A. Bochnow). Als androide Wesen bewegen sich beide zwischen sieben rotierenden Scheiben mit aufgedruckten Mustern, kinematische Kunstobjekte von Nina Rohde. Dazu kommt noch eine in einen dunklen Ganzkörperanzug gehüllte Figur, ein Tänzer, der ganz eindrucksvoll zwischen Mensch und Roboter changiert, ohne klischeehaft abgehackte Bewegungen zu vollführen. Vielmehr wirkt er kraftvoll, aber durch einen unsichtbaren Mechanismus gesteuert (Choreographie und Tanz: Ruben Reniers). Für den Menschen Alquist gibt es einen kleinen Schreibtisch in diesem merkwürdigen Ambiente.

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Bühneninstallation mit sieben rotierenden Scheiben von Nina Rohde

Ästhetisch wirkt das auf der kleinen Bühne im Kölner Comedia-Theater (die Uraufführung fand einige Tage zuvor im Berliner Theater im Delphi statt) ein wenig bieder und in die Jahre gekommen. Die Texte, die um Individuum und Individualität kreisen, um Fehler und Vollkommenheit, um Denken, Sprache und Sinn, diese Texte sind ganz hübsch, aber mit dem Diskurstheater ist es so eine Sache, wenn Musik ins Spiel kommt (und der Gegenpart nicht verstanden wird). Alquist, der letzte Mensch, bemerkt ganz richtig und mit einer gewissen auf das Stück bezogenen Selbstironie, man müsse sich mit Phrasen trösten - die fliegen dem Zuschauer jedenfalls en masse um die Ohren. Etwa so: "Das Individuum wird befreit, in dem es sich von seiner Individualität befreit." Ein paar Ideen zum Weiterdenken werden dem Publikum also mitgegeben. In den Schattenspielen, die zwischendurch von Mensch und Roboter veranstaltet werden, mag man zudem eine Anspielung Platons Höhlengleichnis erkennen.

Vergrößerung in neuem Fenster Mensch und Kammerchor (letzterer per Videoinstallation zugespielt)

Bleibt als eindrucksvollste Ebene der großartige RIAS-Kammerchor, der seinen Part im Berliner Sendesaal aufgenommen hat und dabei gefilmt wurde - die Bilder in edlem Schwarzweiß werden auf die Bühnenrückwund projiziert. Die ganz konventionell nach Nummern gegliederte Musik ist teilweise elektronisch, was meist auf einen körperlich erfahrbaren tiefen Grundton und einer Schichtung von nicht allzu komplexen Rhythmen hinausläuft; überwiegend aber hört man Chormusik a capella, tonal und in einer Sprödigkeit, die sich auf Paul Hindemith berufen könnte und an Chormusik der 1960er- bis 1980er-Jahre anknüpft, auch weil sie durchweg ein wenig konstruiert klingt. Oft schlicht strophisch gebaut, geben sie einzelnen Szenen einen eigenen Charakter, und das ist so wunderbar klar gesungen, dass man kaum genug davon bekommen kann, zumal man sich schnell einhören kann.

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Nächste Neuschöpfung? Die Kreatur

Und wie fügt sich das alles nun zusammen? Wöhrle und Śledziecki beschreiben ihren Stil mit der schönen Wortkombination "retro-futuristisch", die es ganz gut trifft. Am Puls des Künstliche-Intelligenz-Zeitalters bewegt sich diese Produktion ganz sicher nicht, eher irgendwo zwischen Metropolis und Raumpatrouille Orion, sowohl szenisch wie musikalisch. Es ist nicht ohne Charme, wie hier Zukunftsfantasien und Existenzfragen eher nostalgisch verhandelt werden. Für eine Stunde jedenfalls - länger dauert die Produktion nicht - trägt das.


FAZIT

Eine mit dem RIAS-Kammerchor hochkarätig besetzte Musiktheater-Off-Produktion der freien Szene - das ist ja an sich schon bemerkenswert. Die Musiktheatralische Installation von gamut inc. ist irgendwo zwischen "ganz interessant" und "ganz niedlich" angesiedelt und beeindruckt vor allem durch die per Video zugespielten Chorpassagen.




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Produktionsteam

Musik, Inszenierung, Licht
Marion Wöhrle
Maciej Śledziecki
(gamut inc.)

Bühneninstallation
(Sieben rotierende Scheiben)
Nina Rohde

Kostüme
Clara Franke
Carla Szerbinski

Klangregie
Olivia Diyama
Robert Nacken

Dirigent RIAS-Kammerchor
Ralf Sochaczewski

Audio-Produktion RIAS-Kammerchor
Florian Schmidt

Produktionsleitung RIAS-Kammerchor
Christiane Wünsch

Chordirektor RIAS-Kammerchor
Bernhard Hess

Filme RIAS-Kammerchor
Anne Luft
Anja Simon
Robert Staffl


RIAS-Kammerchor


Solisten

Helena, Forscherin / Roboter (Sopran)
Gina May Walter

Primus, Roboter (Countertenor)
Georg A. Bochow

Alquist, der letzte Mensch (Schauspieler)
Patric Schott

Kreatur (Tänzer)
Ruben Reniers



Weitere
Informationen

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Gamut inc.
(Homepage)



Da capo al Fine

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