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Amadigi

Opera seria in drei Akten
Text vermutlich von Nicola Francesco Haym
Musik von Georg Friedrich Händel

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Bockenheimer Depot in Frankfurt am 25. September 2021



Oper Frankfurt
(Homepage)
Liebeswahn im Thermalsanatorium

Von Thomas Molke / Fotos von Barbara Aumüller

Die Geschichten um den hehren Ritter Amadis von Gallien haben lange Zeit den europäischen Büchermarkt beherrscht, bevor eine auch heute noch bekannte Parodie der erfolgreichen Romanserie den Todesstoß versetzte, indem sie den Ritterroman als Gattung ins Lächerliche zog: Miguel de Cervantes' Don Quijote. Erst Ende des 17. Jahrhunderts erlebte Amadis seine Wiedergeburt auf der Opernbühne, als Jean-Baptiste Lully auf persönliche Anregung Ludwigs XIV. die literarische Vorlage von Garcí Rodriguez de Montalvo vertonte. 15 Jahre später wurden in einer Komposition von André Cardinal Destouches aus Amadis ein griechischer Ritter, aus der angebeteten Oriane die Prinzessin Niquée von Theben und aus den bösen Zauberern Arcalus und Arcabonne ein Prinz von Thrakien, der mit Amadis um die Gunst der schönen Niquée buhlt, und eine mächtige Zauberin Melisse, die ebenfalls in den Ritter verliebt ist. Der Librettist Antoine Houdar de la Motte orientierte sich bei dieser Fassung am 9. Buch von Feliciano de Silva, einer Ergänzung der ursprünglich von Montalvo verfassten vier Bücher. Auch Händel, der nach dem durchschlagenden Erfolg mit seiner Oper Rinaldo 1712 zum Starkomponist in London aufgestiegen war, wählte diese Version als Quelle aus. Dabei wandelte er den Ritter wieder in einen gallischen Helden um und ersetzte Niquée durch Oriana. Sein Amadigi wurde 1715 als fünfte Oper für das Londoner Publikum nicht zuletzt wegen der herausragenden theatralischen Bühneneffekte ein riesiger Erfolg. Dass dem Werk heute weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird, mag an der Besetzung mit nur hohen Stimmen und dem etwas fragwürdigen Libretto liegen.

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Amadigi (Brennan Hall) liebt Oriana (Kateryna Kasper).

Die Handlung enthält die für die barocke opera seria typischen Gefühlsverstrickungen und unerwarteten Wendungen. Der gallische Ritter Amadigi wird mit seinem Freund Dardano, einem Prinzen aus Thrakien, im magischen Garten der Zauberin Melissa gefangen gehalten, weil diese sich erhofft, die Liebe des jungen Ritters zu gewinnen. Doch Amadigi ist auf der Suche nach Oriana, die auch von Melissa entführt worden ist. Dardano, der ebenfalls in Oriana verliebt ist, entwickelt sich zu Amadigis Rivalen und vereitelt zunächst die Flucht seines Freundes, indem er den Plan Melissa verrät. Die Zauberin verspricht Dardano im Gegenzug Hilfe bei Oriana und lässt Amadigi zunächst durch ein Trugbild glauben, dass Oriana ihn mit Dardano betrüge. Amadigi ist zwar von Oriana enttäuscht, aber trotzdem nicht bereit, Melissa zu lieben. So verleiht die Zauberin Dardano Amadigis Gestalt, um Amadigi die Geliebte tatsächlich in den Armen eines anderen vorfinden zu lassen. Aber auch dieser Plan misslingt, da Amadigi nur den Nebenbuhler tötet und die Geliebte verschont. Schließlich ruft Melissa Dardanos Geist aus der Hölle, der allerdings mittlerweile geläutert ist und die Zauberin nicht weiter unterstützt. Als sie versucht, Amadigi und Oriana zu töten, kann sie das Schwert nicht gegen die Liebenden erheben und begeht schließlich Selbstmord. In einem Wolkenwagen schwebt Orianas Onkel, der Zauberer Orgando herab, um den Liebenden das Ende der Prüfungen zu verkünden und sie miteinander zu vereinen.

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Dardano (Beth Taylor) ist verzweifelt, da seine Liebe nicht erwidert wird.

Die Frankfurter Erstaufführung im Bockenheimer Depot stellt nicht nur die erste Premiere in der Spielzeit 2021/2022 dar, sondern ist auch die erste Premiere, die seit der Corona-Pandemie wieder vor vollem Haus gespielt werden kann. Das Regie-Team um Andrea Bernard verlegt die Geschichte in eine Art Thermalsanatorium, wobei der Zuschauerraum in das Bühnenbild von Alberto Beltrame in gewisser Weise integriert ist. Wenn man das Bockenheimer Depot betritt, hat man das Gefühl in ein Sanatorium zu kommen. Eine hohe weiße Wand mit einer großen doppelten Schwingtür versperrt die sonst übliche Sicht auf die Rückseite der ansteigenden Reihen des Zuschauerraums. Auf der rechten Seite steht ein Statist, der "heilendes" Wasser in Becher abfüllt. Im Zuschauersaal blickt man dann auf ein riesiges Bassin auf der linken und zwei Duschen auf der rechten Bühnenseite. Die Wände sind weiß gekachelt. Hinter einem durchsichtigen weißen Vorhang sitzt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester unter der Leitung von Roland Böer. Nur die schwarzen Raben, die im Hintergrund auf den hohen Wänden sitzen und bisweilen über die Lautsprecher krähen - zum Leidwesen leider auch bei einer Arie Orianas - stören die klinische Reinheit des Ortes. Statisten in blauen Anzügen stehen als Pfleger auf der Bühne und scheinen, das Publikum zu beobachten. Hierbei handelt es sich wohl um verflossene Liebhaber der Zauberin, die sie, nachdem sie ihrer überdrüssig geworden ist, zu Dienstboten degradiert hat.

Auf bühnentechnische Effekte wird größtenteils verzichtet. Stattdessen werden die Wahnvorstellungen als Halluzinationen durch verabreichte Medikamente erzeugt. Bernard betrachtet Melissa als herzloses Wesen, da sie ihr Herz herausgeschnitten hat und es in einem Medizinschrank auf der linken Bühnenseite aufbewahrt. Auf den Zauberer Orgando verzichtet die Inszenierung. Melissa ertrinkt am Ende in dem Bassin, in dem auch Amadigi zuvor versucht hat, sich das Leben zu nehmen. Wieso sich Amadigi und Oriana beim lieto fine einen weißen Farbstrich ins Gesicht zeichnen, bevor sie unter einem Schleier ihre Hochzeit feiern, bleibt genauso unklar wie die Szene zwischen Oriana und dem als Amadigi verkleideten Dardano. Die Statisten haben zuvor an Bügel, die von oben herabgelassen worden sind, Kleider aufgehängt, hinter denen Oriana eine Art Versteckspiel betreibt, während Dardano sich ihr in Gestalt Amadigis nähern will. Als Dardano dann vor dem plötzlich auftauchenden Amadigi flieht, wird er von diesem im Off erschossen.

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Amadigi (Brennan Hall) hält Oriana (Kateryna Kasper) für untreu.

Auch wenn szenisch nicht alles nachvollziehbar ist, setzt das Ensemble darstellerisch den Regie-Ansatz überzeugend um und wird stimmlich den Anforderungen der einzelnen Partien gerecht. Da ist zunächst der Countertenor Brennan Hall zu nennen, der auch optisch als Titelheld mit seinem durchtrainierten Oberkörper das Herz mancher Besucherin höher schlagen lassen dürfte. In den Höhen verfügt Hall über einen fülligen Counter mit großer Durchschlagskraft und zeigt sich in den anspruchsvollen Läufen sehr beweglich. Nur in den Tiefen ist seine Stimme bisweilen ein wenig leise. Die unterschiedlichen Gefühlsregungen des Ritters zeichnet Hall eindrucksvoll nach. So überzeugt er mit sehr weichen Tönen, wenn Amadigi in inniger Klage über den Verlust der geliebten Oriana trauert. Ein musikalischer Höhepunkt ist die Arie "Sussurrate, onde vezzose", wenn Amadigi sehnsuchtsvoll darauf wartet, im Wasser der Wahrheit seine Geliebte Oriana wiederzusehen. Mit zarten Bögen imitiert Hall hier das Rauschen des Wassers. Kraftvoll präsentiert er sich dann in der Schlussarie "Sento la gioia", wenn er mit beweglichen Koloraturen den Sieg über die bösen Mächte feiert. Kateryna Kasper steht ihm als Oriana mit warmem Sopran in nichts nach. Berührend verkündet sie mit weich angesetzten Höhen ihre Bereitschaft, für den Geliebten in den Tod zu gehen, und beweist in der Auseinandersetzung mit Melissa mit halsbrecherischen Koloraturen, dass sie der Zauberin durchaus die Stirn bieten kann.

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Melissa (Elizabeth Reiter) will Amadigi (Brennan Hall) zwingen, sie zu lieben.

Elizabeth Reiter begeistert als Zauberin Melissa mit großen dramatischen Ausbrüchen und scharfen Koloraturen, die die Härte der Figur unterstreichen. Hervorzuheben ist ihre Arie "Desterò dall'empia Dite", wenn sie die Mächte der Unterwelt ruft, um Amadigi und Oriana zu quälen. Unter die Haut geht ihre Interpretation der Arie "Vanne lungi dal mio petto", wenn sie versucht, ihre Liebe zu Amadigi aus ihrem Herzen zu vertreiben. Bei ihrem Tod hat man durch Reiters eindrucksvolles Spiel sogar ein wenig Mitleid mit ihr. Beth Taylor rundet mit sattem Mezzo als unglücklich liebender Dardano die Solistenriege wunderbar ab. Schon in der Auftrittsarie punktet Taylor mit beweglichen Koloraturen, wenn Dardano erkennt, dass Amadigi sein Rivale um die Gunst Orianas ist. Im Ohr bleibt auch die Verzweiflungsarie "Pena tiranna", in der Dardano die Hoffnung auf Oriana bereits aufgegeben hat. Das Stück erinnert musikalisch stark an die berühmte Arie "Lascia ch'io pianga" aus Rinaldo. Roland Böer führt mit kleinen Abstrichen das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit sicherer Hand durch die barocke Partitur, so dass es am Ende großen und verdienten Beifall für alle Beteiligten gibt.

FAZIT

Auch wenn Händels Amadigi, was das Libretto betrifft, sicherlich nicht zu Händels besten Werken zählt, enthält die Oper doch zahlreiche musikalische Höhepunkte, die in der Frankfurter Inszenierung gut herausgearbeitet werden.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Roland Böer

Inszenierung
Andrea Bernard

Bühnenbild
Alberto Beltrame

Kostüme
Elena Beccaro

Licht
Jan Hartmann

Dramaturgie
Zsolt Horpácsy

 

Frankfurter Opern- und
Museumsorchester

Statisterie der Oper Frankfurt


Solisten

Amadigi
Brennan Hall

Oriana
Kateryna Kasper

Melissa
Elizabeth Reiter

Dardano
Beth Taylor

 


Weitere Informationen
erhalten Sie von der
Oper Frankfurt
(Homepage)







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