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Zaira

Oper in zwei Akten
Libretto von Felice Romani nach der Tragödie Zaïre von Voltaire
Musik von Vincenzo Bellini (Orchestrierung von Herbert Gietzen)

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 40'  (eine Pause)

Premiere im Stadttheater Gießen am 18. Dezember 2021
(rezensierte Aufführung: 08.01.2022)



Stadttheater Gießen
(Homepage)

Liebe ohne Chance

Von Thomas Molke / Fotos: © Rolf K. Wegst

Seit vielen Jahren weckt das Stadttheater Gießen überregionales Interesse und lockt mit Raritäten des 19. Jahrhunderts vor allem Belcanto-Fans aus Nah und Fern nach Hessen. In dieser Spielzeit hat man Vincenzo Bellinis fünfte Oper Zaira auf den Spielplan gestellt. Dass der am 16. Mai 1829 im neuen Theater der Herzogin von Parma uraufgeführten Tragedia lirica kein großer Erfolg beschieden war, führte dazu, dass das Stück schnell in Vergessenheit geriet und erst 1976 in Palermo als "Entdeckung" auf den Spielplan gestellt wurde. Dass das Werk bei der Uraufführung abgelehnt wurde, war aber wahrscheinlich weniger der Musik als vielmehr politischen Umständen anzulasten. Bellini hatte beispielsweise darauf bestanden, ein Libretto von Felice Romani zu vertonen, mit dem er schon in Mailand bei Il pirata und La straniera erfolgreich zusammengearbeitet hatte, was den Unmut des in Parma recht einflussreichen Anwalts und Librettisten Torrigiani hervorrief, der gern ein eigenes Libretto vertont haben wollte. So machte dieser bereits im Vorfeld mächtig Stimmung gegen die neue Oper. Auch der Graf Adam Albert von Neipperg, der zweite Gatte der Herzogin von Parma, auf dessen Betreiben hin das neue Theatergebäude entstand, hatte in Parma zahlreiche politische Gegner, die die von ihm in Auftrag gegebene Oper nutzten, ihre Ablehnung gegen den kürzlich verstorbenen Grafen kundzutun. Bellini, der keine großen Chancen für weitere Aufführungen seiner Oper sah, übernahm große Teile der Partitur in I Capuleti e i Montecchi, was zum einen erklärt, wieso die Musik an vielen Stellen recht bekannt klingt, und zum anderen die musikalische Qualität der Oper belegt.

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Sultan Orosmane (Marcell Bakonyi) liebt die christliche Sklavin Zaira (Naroa Intxausti).

Romanis Libretto geht auf die gleichnamige französische Tragödie Voltaires aus dem Jahr 1732 zurück, die sich im 19. Jahrhundert großer Beliebtheit und Bekanntheit erfreute und von der es mehrere italienische Übersetzungen gab. Die Geschichte spielt in Jerusalem zu Beginn des 13. Jahrhunderts. Die Moslems haben die Stadt von den Kreuzrittern zurückerobert und einen Großteil der christlichen Bevölkerung versklavt, darunter auch Zaira. Der neue Sultan Orosmane hat sich in Zaira verliebt und will sie heiraten, was auf große Ablehnung bei seinen Untergebenen stößt, da sie eine Hochzeit mit einer Christin als nicht standesgemäß betrachten. Der Wesir Corasmino versichert den Höflingen, diese Hochzeit verhindern zu wollen. Kurz vor der Hochzeit erfahren Zaira und Nerestano, der an den französischen Königshof geschickt worden war, um über Lösegeld für die gefangenen Christen zu verhandeln, dass sie die Kinder des letzten christlichen Königs Lusignano sind, der in Jerusalem geherrscht hat und sich jetzt noch in Gefangenschaft befindet. Nerestano und Lusignano ermahnen Zaira an ihre Pflicht als Christin und fordern sie auf, den Sultan nicht zu heiraten. Zaira ist zwischen ihren Gefühlen für Orosmane und ihre Familie hin- und hergerissen. Als Lusignano schließlich stirbt, entschließt sie sich, mit Nerestano und den Christen das Land zu verlassen. Corasmino hat mittlerweile Orosmane eingeredet, dass Nerestano Zairas heimlicher Liebhaber sei, mit dem sie nun fliehen wolle. Rasend vor Eifersucht verhindert Orosmane die Flucht und erdolcht Zaira. Zu spät erfährt er, dass Nerestano Zairas Bruder ist.

Das Regie-Team um Dominik Wilgenbus will berücksichtigen, dass - anders als bei der Uraufführung der Oper - Voltaires Tragödie heute nicht mehr so bekannt ist, und fügt daher Voltaire als Erzähler in Form einer Rahmenhandlung ein. Francesco Rescio führt eine riesige Puppe als Voltaire vor den beiden Akten und zwischen einzelnen Szenen über die Bühne. Die Erläuterungen, die über Band auf Französisch erklingen, so dass sie ebenfalls übertitelt werden müssen, geben aber keine weiteren Erkenntnisse und tragen nicht zum Verständnis des Stückes bei, das auch ohne diesen Regie-Einfall absolut nachvollziehbar bleibt. Stattdessen wird man von diesen Unterbrechungen eher aus dem Ablauf des Stückes herausgerissen, was ein bisschen schade ist, da Wilgenbus den Konflikt der aussichtslosen Liebe im Bühnenbild von Lukas Noll mit einer punktgenauen Personenregie herausarbeitet.

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Zaira (Naroa Intxausti) liebt Orosmane (Marcell Bakonyi, Mitte oben), fühlt sich aber Nerestano (Na'ama Goldman, 2. von rechts) und Lusignano (Kouta Räsänen, rechts) gegenüber verpflichtet.

Noll hat dafür eine Art vierteiligen Setzkasten geschaffen, der die Bühne dominiert. Mit unterschiedlichen asymmetrischen Öffnungen sieht man vier Räume auf zwei Ebenen, die in der Mitte im ersten Akt noch durch eine Treppe verbunden werden. Diese beiden Teile kann man als die beiden Religionen verstehen, die zunächst noch nebeneinander funktionieren. Im zweiten Akt ist die verbindende Treppe zwischen den beiden Teilen verschwunden. Es gibt also keine Verständigung mehr, und auch eine Verbindung zwischen einem Moslem und einer Christin kann nicht funktionieren. Zwei Vorhänge, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden, geben einzelne Teile des Setzkastens frei, in dem sich die Figuren dann relativ isoliert bewegen. Auf den Vorhang werden dann abstrakte Figuren projiziert, die in ihrer Bewegung teilweise an Schlangen erinnern, was unterstreicht, dass hier Intrigen gesponnen werden und die Liebe zwischen dem Sultan und Zaira vergiftet wird. Im zweiten Akt sind die beiden Gebäudeteile nicht nur getrennt, sondern keilen Zaira auch noch gewissermaßen ein, indem sie nach hinten zu einer Art "V" geschlossen werden. So wird gezeigt, dass es für Zaira kein Entrinnen aus diesem Konflikt gibt. Sie wird gewissermaßen von den beiden Religionen zerrieben. Die Schlussszene findet dann auf einer leeren Bühne statt. Hier wird nur mit vereinzelten Schweinwerferkegeln gearbeitet, in die die Hauptfiguren isoliert gestellt werden.

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Lusignano (Kouta Räsänen, Mitte) erkennt in Zaira (Naroa Intxausti) und Nerestano (Na'ama Goldman) seine verschollenen Kinder (ganz rechts: Castiglione (Korneł Maciejowski)).

Musikalisch wird mit einer Fassung für 13 Instrumente gearbeitet, die Generalmusikdirektor Herbert Gietzen erstellt hat. Ob diese Entscheidung aufgrund der Corona-Pandemie getroffen worden ist, ist nicht klar. In den Tutti ist der Klang stellenweise etwas dünn, lässt dafür aber die Solist*innen stimmlich glänzen, was ja auch ein Hauptziel des Belcanto ist. Das schwere Blech hat Gietzen weggelassen, weil dies mit der kleineren Besetzung des restlichen Orchesterapparats zu Balance-Problemen hätte führen können. Für die Begleitfiguren, die im Original meist von Streichinstrumenten ausgeführt werden, verwendet Gietzen neben dem Violoncello und dem Kontrabass noch ein Klavier, ein Harmonium und eine Harfe. Während das Klavier und die Harfe sich sehr natürlich in die Begleitung einfügen, wirkt das Harmonium stellenweise wie ein Fremdkörper, was aber mit Blick auf den religiösen Konflikt, der in dieser Oper verhandelt wird, vielleicht gar nicht so abwegig ist. Martin Spahr, der in der rezensierten Aufführung die musikalische Leitung übernommen hat, führt das Philharmonische Orchester Gießen mit sicherer Hand durch die Partitur.

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Corasmino (Leonardo Ferrando, links) will verhindern, dass Orosmane (Marcell Bakonyi, rechts) Zaira heiratet.

Gesanglich wird der Abend dem Anspruch des Belcanto in jeder Hinsicht gerecht. Da ist zunächst Naroa Intxausti in der Titelpartie zu nennen. Mit sauberen Höhen und großer Beweglichkeit in den Koloraturen gestaltet sie die innere Zerrissenheit der Zaira absolut glaubwürdig und weiß, auch darstellerisch zu überzeugen. Dass Zairas Geliebter mit einem Bass besetzt ist, zeigt schon in der musikalischen Struktur, wie weit die Liebenden voneinander getrennt sind und dass es für sie kein glückliches Ende geben kann. Marcell Bakonyi gestaltet die Partie des Sultans mit dunkel geführtem Bass, der aber selten hart klingt, sondern stets die Empfindsamkeit des Sultans unterstreicht. Das Duett mit Intxausti zu Beginn des zweiten Aktes kann als ein musikalischer Höhepunkt des Abends bezeichnet werden. Leonardo Ferrando zeigt mit seiner hohen, recht eisern klingenden Stimme, dass ein Tenor nicht immer der schmachtende Liebhaber sein muss, sondern auch als Bösewicht taugt. Mit recht kalt geführten Höhen betont er die Hinterlistigkeit des Corasmino, der um jeden Preis die Verbindung zwischen Zaira und dem Sultan verhindern will. Doch auch auf christlicher Seite gibt es keine Unterstützung für die beiden Liebenden. Na'ama Goldman begeistert als Nerestano mit dunklem Mezzosopran und zeigt sich dabei für Zairas Gefühle absolut taub. Stattdessen sieht Nerestano nur die Interessen der Christen. Gleiches gilt für Kouta Räsänen als Lusignano. Räsänen stattet den ehemaligen König mit autoritärem Bass aus. Unklar bleibt sein Tod, da ihm Nerestano kurz zuvor einen Becher reicht. Will die Inszenierung hier andeuten, dass Nerestano den eigenen Vater vergiftet?

In den kleineren Partien lässt die Regie vor allem Sofia Pavone als Sklavin Fatima noch eine besondere Rolle zukommen. Zu Beginn sieht man sie mit dem Wesir Corasmino, so dass sie von Anfang an die Rolle einer Intrigantin hat, die nur scheinbar ihrer Freundin Zaira zur Seite steht. Mit kleinen Regie-Einfällen gelingt es ihr, den Zweifel in Orosmane an der Treue Zairas zu nähren. Ihr warmer Mezzosopran unterstreicht dabei, dass sie die Zuneigung zu den einzelnen Figuren nur spielt. Josua Bernbeck und Korneł Maciejowski runden als Meledor und Castiglione das Solisten-Ensemble überzeugend ab, so dass es für alle Beteiligten verdienten und großen Applaus gibt.

FAZIT

Die Gießener Aufführung belegt, dass der damalige Misserfolg von Bellinis Zaira nicht der Musik anzulasten ist, und findet eine überzeugende Umsetzung dieser im eigentlichen Konflikt auch heute noch aktuellen Geschichte.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung und Chor
Jan Hoffmann /
*Martin Spahr

Inszenierung
Dominik Wilgenbus

Bühne und Kostüme
Lukas Noll

Licht
Kati Moritz

Dramaturgie
Samuel Christian Zinsli

 

Philharmonisches Orchester Gießen

Opernchor des Stadttheater Gießen

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Zaira, Sklavin des Sultans
Naroa Intxausti

Fatima, Sklavin des Sultans
*Sofia Pavone /
Sora Winkler

Nerestano, französischer Ritter
Na'ama Goldman

Orosmane, Sultan von Jerusalem
Marcell Bakonyi

Lusignano, christlicher Fürst
Kouta Räsänen

Corasmino, Wesir des Sultans
Leonardo Ferrando

Castiglione, französischer Ritter
Korneł Maciejowski

Meledor, Beamter des Sultans
Josua Bernbeck

Voltaire
Francesco Rescio

 


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Stadttheater Gießen
(Homepage)



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