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Hercules

Musical Drama in drei Akten
Libretto
von Thomas Broughton
Musik von Georg Friedrich Händel


in englischer Sprache mit englischen und deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 45' (eine Pause)

Premiere im Badischen Staatstheater am 18. Februar 2022
im Rahmen der 44. Internationalen Händel-Festspiele
(rezensierte Aufführung: 20.02.2022)

 
 
 
Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)

Wahnsinnige Eifersucht 

Von Thomas Molke / Fotos von Falk von Traubenberg

Händels Hercules nimmt wie Semele im Gesamtwerk des Hallenser Komponisten eine Sonderstellung ein. Gemeinhin werden beide Stücke zu den Oratorien gezählt, obwohl sie keinen biblischen, sondern einen mythologischen Inhalt haben. Von der italienischen Oper hatte sich Händel nach dem Misserfolg mit Deidamia 1741 endgültig verabschiedet und fortan Werke in englischer Sprache komponiert, in denen der Chor anders als in der Barockoper eine zentrale Rolle einnimmt. Aber auch wenn beide Werke ursprünglich nicht für eine szenische Umsetzung bestimmt waren, stand für Händel wie auch bei den meisten seiner Oratorien mit biblischem Inhalt die dramatische Entwicklung der Hauptfiguren im Zentrum, so dass es nicht verwundert, dass die Opernhäuser heute auch Händels Oratorien meist szenisch auf den Spielplan stellen. Bei Semele und Hercules wählte Händel selbst die Bezeichnung "Musical Drama", was gewissermaßen einen Mix zwischen Oper und Oratorium andeutete. Nachdem Floris Visser mit dem Ausstatter Gideon Davey vor fünf Jahren Händels Semele bei den Händel-Festspielen in Karlsruhe inszeniert haben (siehe auch unsere Rezension), widmen sie sich nun Händels ein Jahr später uraufgeführtem Hercules.

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Dejanira (Ann Hallenberg, unten rechts in der Mitte) wird angeklagt, ihren Gatten getötet zu haben (in der Mitte unten: Lichas (James Hall) mit Chor und Statisterie, oben: Iole (Lauren Lodge-Campbell) und Hyllus (Moritz Kallenberg)).

Das Libretto von Thomas Broughton basiert auf Sophokles' Tragödie Die Trachinierinnen (Die Frauen von Trachis), Ovids Heroides 9 (einem fiktiven Brief Dejaniras an ihren Gatten Hercules) und Euripides' Hercules-Tragödie und handelt nicht von den Heldentaten des mythologischen Halbgottes, sondern von seinem Ende. Hercules kehrt siegreich aus dem Krieg gegen den König von Oechalia zurück und bringt dessen Tochter Iole als Kriegsbeute mit. Dejanira sieht in der Prinzessin eine Nebenbuhlerin und fürchtet um die Zuneigung ihres Ehemannes, wobei es das Stück offenlässt, ob Dejaniras Eifersucht begründet ist. In ihrer Verzweiflung erinnert sie sich, einst von dem Zentauren Nessus ein mit seinem Blut getränktes Gewand erhalten zu haben, das laut Aussage des sterbenden Nessus denjenigen, der es trägt, in ewige Liebe versetzen soll. Dieses Gewand schickt sie ihrem Mann, der es anlegt und sofort Höllenqualen erleidet, da das Kleidungsstück vergiftet ist und unerträgliche Schmerzen verursacht. Hercules wünscht sich nur noch den Tod und bittet seinen Sohn Hyllus, ihn auf den Berg Oeta zu bringen und dort auf einem Scheiterhaufen zu verbrennen, damit er zu den Göttern aufsteigen kann. Dejanira erkennt ihren Irrtum und verfällt dem Wahnsinn. Hercules hingegen steigt als Adler in den Himmel auf und verkündet, dass sein Sohn Hyllus nun in Trachis mit Iole an seiner Seite herrschen soll.

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Dejanira (Ann Hallenberg) und Hyllus (Moritz Kallenberg) hoffen auf Hercules' Rückkehr.

Die eigentliche Hauptfigur des Stückes ist Dejanira. Deswegen stellt Visser sie auch in das Zentrum seiner Inszenierung. Während der Ouvertüre befindet sie sich in einer Zwangsjacke in einem verschlossenen Raum und ist bereits vom Wahnsinn gezeichnet. An den Wänden sieht man Sternenbilder, unter denen sie scheinbar ihren in den Himmel aufgestiegenen Gatten sucht. Dieser erscheint mit großen Adlerflügeln und führt sie auf der Drehbühne durch ihre Vergangenheit. In einer Art Zeitraffer sieht man die Hochzeit zwischen Dejanira und Hercules und wird Zeuge, wie kurz darauf der Zentaur Nessus versucht, die junge Braut zu vergewaltigen, und daraufhin von Hercules getötet wird. Nessus' Gewand nimmt Dejanira an sich. Von dieser Szene wechselt es zu einer Gerichtsverhandlung, bei der Dejanira angeklagt wird, ihren Gatten getötet zu haben. Dabei ist sie zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt, die passgenau auf die Musik abgestimmt werden. Einzelne Beobachter*innen des Prozesses sind über Dejaniras Tat so erbost, dass sie sie im Gerichtssaal attackieren und Dejanira vom Sicherheitspersonal geschützt werden muss. Von dieser Szene geht es dann im wahrsten Sinne des Wortes rückwärts zum eigentlichen Beginn der Geschichte. Dieser Regie-Einfall geht gut auf, da Hercules selbst erst relativ spät im ersten Akt auftritt.

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Spannungen bei Tisch zwischen Dejanira (Ann Hallenberg, rechts) und Iole (Lauren Lodge-Campbell, Mitte) (rechts: Hercules (Brandon Cedel), vorne: Hyllus (Moritz Kallenberg), im Hintergrund: Lichas (James Hall) und die Amme (Annika Stefanie Netthorn))

Angesiedelt wird die Geschichte irgendwann nach dem Zweiten Weltkrieg, was die Kostüme andeuten. Davey hat die Drehbühne auf zwei Ebenen in drei Teile geteilt. In der oberen Ebene sieht man ein Schlafzimmer, einen Flur mit einer riesigen weißen Treppe, die ins Erdgeschoss hinabführt und einen Balkon mit einem großartigen antiken Fries, der in seiner Ausgestaltung an den Pergamon-Altar erinnert. In der unteren Ebene befinden sich ein Speisezimmer, ein Wohnraum mit weißem Mobiliar und einem grell flimmernden Fernseher und ein großer Saal, der mal für die Gerichtsverhandlung genutzt wird und dann als Besprechungszimmer fungiert, in dem Hercules mit seinen Heerführern politische Entscheidungen trifft. Neben der Drehbühne gibt es auch noch einen drehbaren äußeren Kreisring. Hier werden beispielsweise vier Begleiterinnen der Iole gedemütigt und gezwungen, barfuß über Glasscherben zu laufen. Wenn Hercules das vergiftete Gewand anlegt, sieht man ihn zunächst mit einem Priester auf einer Leinwand in einem Video, während das Geschehen von seinem Diener Lichas berichtet wird. Anschließend wiederholt sich diese Szene auf dem äußeren Kreisring, wobei ein Statist die Szene filmt, so dass man das Gefühl hat, es handle sich nun um die Entstehung des Films, den man kurz zuvor in der Gerichtsverhandlung gesehen hat.

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Scheinbares Happy End: Mitte: Hercules (Brandon Cedel) mit Dejanira (Ann Hallenberg), rechts: Hyllus (Moritz Kallenberg) und Iole (Lauren Lodge-Campbell)

Dem der damaligen Zeit geschuldeten lieto fine traut Visser in seiner Inszenierung nicht und lässt es nur in Dejaniras Wahnvorstellung stattfinden. Mitten in der Gerichtsverhandlung erscheint Hercules mit riesigen Adlerflügeln auf dem Balkon und verkündet, dass er nun in den Himmel aufgestiegen sei. Es kommt zur Hochzeit zwischen Iole und Hyllus, und auch Dejanira und Hercules finden wieder zueinander, während die Amme, eine stumme von Visser eingeführte Rolle, die gerade noch als Gerichtsschreiberin tätig war, sich ihres grauen Kostüms entledigt und zu einer Show-Tänzerin in rotem Glitzerkleid mutiert, die eine atemberaubende Stepp-Nummer aufs Parkett legt. Diese ganze Szene ist so verrückt, dass schnell klar wird, dass sie sich nur in Dejaniras Wahnvorstellung abspielen kann. Während sie noch die Zweisamkeit mit dem wiedergewonnenen Hercules genießt, kommen schon die Wärter, die ihr erneut die Zwangsjacke anlegen und in dem Raum einschließen, der einst ihr Schlafzimmer war. Nun ist man wieder bei dem Bild des Anfangs und sieht Dejanira, wie sie in den Sternbildern auf der Wand ihrer Zelle ihren Gatten sucht, der nun triumphierend mit großen Adlerschwingen in der unteren Ebene der Bühne steht.

Musiziert wird auf Festspiel-Niveau. Lars Ulrik Mortensen leitet die Deutschen Händel-Solisten mit sicherer Hand äußerst filigran durch die Partitur und lotet die unterschiedlichen Farben der Musik sensibel aus. Ann Hallenberg gestaltet die Partie der Dejanira mit großer Intensität und arbeitet glaubhaft heraus, wie diese Frau allmählich von ihrer Eifersucht in den Wahnsinn getrieben wird. Die Koloraturen präsentiert sie mit großer Beweglichkeit und sauber angesetzten dramatischen Ausbrüchen. Ein Höhepunkt ist ihre große Wahnsinnsarie kurz vor Ende der Oper. Brandon Cedel stattet den Hercules mit einem profunden und virilen Bassbariton aus, der dem Helden große Autorität verleiht. Lauren Lodge-Campbell gibt die Königstochter Iole mit einem engelsgleichen lieblichen Sopran, bei dem man Dejaniras Sorgen gut nachvollziehen kann, dass diese Frau Hercules den Kopf verdrehen könnte. Moritz Kallenberg passt stimmlich als Hyllus mit seinem weichen Tenor eigentlich wunderbar zu Iole, auch wenn den beiden in dieser Inszenierung keine gemeinsame Zukunft gegönnt wird. James Hall rundet das Solisten-Ensemble als Diener Lichas mit ausdrucksstarkem Countertenor und sauberer Phrasierung wunderbar ab. Auch der Händel-Festspielchor unter der Leitung von Marius Zachmann weiß zu glänzen. Teilweise ist er als Volk auf der Bühne unter anderem bei der Gerichtsverhandlung eingebunden. Dann singt er auch von den Seiten und erzeugt damit ebenfalls einen bewegenden Klang. Ein Höhepunkt ist die große Chornummer vor der Pause, in der der Chor eindrucksvoll vor den Verderben bringenden Gefahren der Eifersucht warnt und die von Visser mit einer großartigen Personenregie in Szene gesetzt wird. Hervorzuheben ist hier auch die Beleuchtung in leicht giftigem Grün von Malcolm Rippeth. So vergehen die fast vier Stunden, die die Vorstellung dauert, wie im Flug und weisen keine Längen auf.

FAZIT

Floris Visser arbeitet das Potenzial, dass in Händels Musical Drama steckt, wunderbar heraus und macht die Produktion neben der großartigen musikalischen Besetzung auch szenisch zu einem Höhepunkt der Festspiele. Wer dieses Jahr keine Karten mehr bekommt, da die Vorstellungen alle bereits ausverkauft sind, sollte sich frühzeitig um Karten für das nächste Jahr kümmern, wenn das Stück bei den 45. Händel-Festspielen wieder aufgenommen wird.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Lars Ulrik Mortensen

Regie
Floris Visser

Ausstattung
Gideon Davey

Licht
Malcolm Rippeth

Choreographie Stepptanz
Pim Veulings

Chor
Marius Zachmann

Dramaturgie
Klaus Bertisch
Stephan Steinmetz

 

Deutsche Händel-Solisten

Händel-Festspielchor

Statisterie des Staatstheaters Karlsruhe


Solisten

Hercules
Brandon Cedel

Dejanira
Ann Hallenberg

Iole
Lauren Lodge-Campbell

Hyllus
Moritz Kallenberg

Lichas
James Hall

Amme
Annika Stefanie Netthorn

 


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Informationen

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Badischen Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)



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