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Es lebe Carmen, Carmen lebe!Von Joachim Lange / Fotos: © Candy WelzEs ist Oper, wie sie heute so geht: Schon lange geplant, vor Monaten einstudiert, immer wieder verschoben, geltende Regeln eingearbeitet und nun doch! In Weimar hebt sich (hoffentlich so oft wie geplant) der Vorhang für Bizets Dauerbrenner Carmen. Vor regelkonform besetztem Haus. Und mit einer Vertretung am Pult der Staatskapelle - Katharina Müllner hat die Produktion an der Seite von Dominik Beykirch ohnehin mit einstudiert, kriegt nun als Einspringerin ihre Chance und nutzt sie! Für eine Carmen, wie man sie kennt und zugleich so noch nicht gehört und gesehen hat. Und das nicht nur, weil Orchester und Chor conronabedingt musikalisch sensibel abgerüstet sind. Attilio Glaser (Don José, sitzend vorn rechts), Opernchor des DNT Weimar
Natürlich ist alles drin, was den Fans dieser Bestseller-Oper lieb und teuer ist. Die Habanera der Carmen, das Auf in den Kampf des Toreros, die Grüße der Mutter von Micaëla und die schmachtende Eifersucht Don Josés. Das Ensemble ist durchweg vokal auf der Höhe: Sayaka Shigeshima ist eine wohltimbriert dunkel lodernde Carmen, die nicht nur in der Fabrik und in der Schmugglerkneipe die Hosen anhat, sondern auch in den Etagen der Bad Banks Aufstiegschancen hätte. Micaëla wird von Emma Moore mit fast schon zart vokaler Zerbrechlichkeit als Stimme einer idyllischen Gegenwelt verkörpert. Attilio Glaser macht als Don José beim vokalen Auftrumpfen der Leidenschaft eine gewisse Steifheit im Spiel zur Nebensache. Alik Abdukayumov ist ein imponierend rollendeckender Escamillo. Attilio Glaser (Don José) und Emma Moore (Micaela)
Sämtliche der kleineren Rollen sind exzellent besetzt. Ob Ylva Stenberg (Frasquita) oder Heain Youn (Mercédès), ob Jörn Eichler (Remendado), Alexander Günther (Dancaïro), ob Avtandil Kaspeli (Zuniga) oder Uwe Schenker-Primus (Moralès) - es macht Spaß lebendiger Spielfreunde zuzusehen, dem gesungenen Französisch und meistens auch dem gesprochenen Deutsch zuzuhören. Im fliegenden Wechsel als Lillas Pastia, Bergführer, Plakatierer und gern und viel dazwischenredendes Faktotum hat Schauspieler Janus Torp jede Menge zu tun. Der Chor ist von parodierter Folklore bis zur skurril kostümierten und außer Rand und Band geratenden Bohemien-Gesellschaft auch schauspielerisch gefordert. (Dass das Programmheft verrät, dass die für die "Sinti*zee und Rom*nja" der Aufführungsgeschichte stehen, mögen viele als einen Querschläger des Sprachzeitgeistes empfinden - die originelle Stringenz der Inszenierung beschädigt dieser Ehrgeiz zum Glück nicht.) Janus Torp (Lillas Pastia), Sayaka Shigeshima (Carmen), Alik Abdukayumov (Escamillo), Avtandil Kaspeli (Zuniga)
Hier haben Jens Neumann (Regie), Jens Petereit (Chor) und Modjgan Hashemian (Choreografie) ganze (Gemeinschafts-)Arbeit geleistet. Das erste Mal zu hören bekam man, was Sounddesigner Camill Jammal als Geräusch-Musikkulisse für den Stierkampf am Ende entwickelt haben. Da hat sich die Inszenierung, die als Parodie so mancher volkstümelnden Uraltvorgängerin so weit ins selbtsreferenzielle Dekonstruieren vorgearbeitet, dass diese Novität sich ganz selbstverständlich wie ein Alptraum Josés einfügt und mindestens so triftig wirkt wie ein arrangierter Jubel des Volkes vom Straßenrand aus. Zudem wird dafür eine Comic-Sprechblase (wie in der genialen Weimarer Räuber-Inszenierung) als Projektionsfläche eines Bildersturms (Stierkampf, Liebe, Eifersucht, Chaos), in Don Josés Kopf zitiert. Dieser schrittweise Wechsel der Perspektiven auf das Stück mag vor allem am Anfang irritieren. Doch Schauspielfachmann Jan Neumann bleibt in seiner ersten Opernregie bei der Geschichte, erzählt sie aber sozusagen aus der Draufsicht. Wer sich schon mal gefragt hat, wieso hier eigentlich die Inkarnation von weiblichem Selbstbewusstsein und Freiheitsstreben am Ende auf der Strecke bleibt, der bekommt in Weimar eine Antwort, wie sonst nirgends. Ylva Stenberg (Frasquita), Sayaka Shigeshima (Carmen), Heain Youn (Mercédès), Opernchor des DNT Weimar
Der Abend fängt an mit einer dümmlichen Machoanmache der historisch bunt uniformierten Soldaten. Er endet mit Carmens entschiedenem Bis-hier-her-und-nicht-weiter, als Don José mit dem Messer auf sie losgehen will. Für die Bühne (Philip Rubner) und Kostüme (Nini von Selzam) ist das ein Weg von der südspanischen Dorfidylle über die Allerweltskneipe mit Tabledance, Bartresen und Route-66-Blinker zur leergeräumten Bühne mit einem Segment der Berliner Mauer, auf der Spötter den Bruderkuss von Breschnew und Honecker verewigt hatten. Die letzte Begegnung von Carmen und José ist minimalistisch karg, ein nüchternes Resümee in Schwarzweiß, das in einem sich schließenden Zoom verschwindet. Um noch einmal kurz das Rot der Leidenschaft aufleuchten zu lassen. Selbst wenn die selbstbestimmte Frau hier mal nicht im Tod, sondern im Überleben triumphiert, so bleibt es doch Oper als ein Ort der Utopie.
FAZIT Der Schauspielregisseur Jan Neumann hat bei seinem Opernregiedebüt eine ungewöhnliche Carmen inszeniert. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild
Kostüme
Sounddesign
Choreographie
Video
Chor
Dramaturgie
Sänger
Don José
Escamillo
Remendado
Dancaïro
Zuniga
Moralès
Carmen
Micaëla
Frasquita
Mercédès
Lillas Pastia / Bergführer / Plakatierer
Lilly
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