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Der singende Teufel

Oper in vier Akten
Text und Musik von Franz Schreker


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Bonn am 21. Mai 2023 (rezensierte Aufführung: 24. Mai 2023)


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Theater Bonn
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Dieser Komponist kann es niemandem recht machen

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu

Vorab: einen Teufel in persona, einen singenden zumal, gibt es gar nicht in dieser Oper. Gemeint ist mit der Umschreibung eine riesige Orgel, deren Klang alle Feinde wehrlos machen soll, an deren Vollendung ihr Erbauer aber letztendlich scheitert. Bei der Berliner Uraufführung 1928 hatte Franz Schreker den Zenit seiner Popularität bereits überschritten und sah sich seiner jüdischen Abstammung wegen zunehmend antisemitischer Anfeindungen ausgesetzt. Die Gründe dafür, dass Der singende Teufel auch in der in den 1970er-Jahren einsetzenden kleinen Schreker-Renaissance nicht gespielt worden ist, liegen aber tiefer. Am wenigsten vielleicht in der Musik, die in dieser Produktion vom ausgezeichneten Beethoven-Orchester und dem nicht minder überzeugenden Chor und Extrachor der Bonner Oper (Einstudierung: Marco Medved) und einem sehr guten Solistenensemble auf der Bühne unter der Leitung von GMD Dirk Kaftan mit betörender Klangwirkung ertönt. Gewichtig und scharf in den großen Ausbrüchen, aber überwiegend duftig leicht und transparent. Sicher fehlt Schreker das theatralische Gespür für die Schlüsselszenen, wie es Richard Strauss etwa in der einige Jahre später komponierten Arabella vorführt. Vor allem die inhaltlich zentrale Rolle der Orgel wird musikalisch viel zu schwach eingelöst. Trotzdem packt diese Musik beim Zuhören immer wieder und rechtfertigt den im (lesenswerten) Programmheft an den Anfang gestellten Ausruf des im April im Alter von 64 Jahren verstorbenen Bonner Operndirektor Andreas K. W. Meyer: "Schreker! Spielen! Gefälligst!".

Vergrößerung in neuem Fenster Im Kloster, dessen Wände aus der hochkant gestellten Bestuhlung eines Konzertsaals bestehen: Orgelbauer-Künstler Amandus Herz (vorne links)

Meyer hat in Kiel und an der Deutschen Oper Berlin (gemeinsam mit Intendantin Kirsten Harms) und seit 2013 in Bonn immer wieder vergessene und unbekannte Werke, darunter die Franz Schrekers, zurück auf die Spielpläne gebracht. Die 2021 begonnene Reihe FOKUS '33, zu der auch diese Produktion gehört, setzt sich systematisch mit der Frage auseinander: Warum sind manche Werke und Komponisten nach 1933 vergessen worden und andere (wie die genannte Arabella) eben nicht? Eine musikdramaturgische Großtat, die das Bonner Opernhaus zweifellos zu einer der aufregendsten Bühnen des Musiktheaters überhaupt gemacht hat (wobei natürlich die Rolle von Intendant Bernhard Helmich nicht unterschlagen werden soll). So stellte das Haus Werke wie Rolf Liebermanns Leonore 40/45, Giacomo Meyerbeers Ein Feldlager in Schlesien, Alberto Franchettis Asrael oder von Clemens von Franckensteins Li-Tai-Pe zur Diskussion. Es bleibt zu hoffen, dass die in vieler Hinsicht spektakuläre Reihe über die nächste Spielzeit (mit Schönbergs Moses und Aron) hinaus fortgesetzt wird.

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In der Natur, wie sie nur ein Komponist erschaffen kann: Amandus und Lilian

Im singenden Teufel kreuzen sich nun Meyers Engagement für die Opern Schrekers und die Frage nach der Rolle von Hitlers Machtergreifung auf die Rezeptionsgeschichte des Musiktheaters in Deutschland. Zur Handlung der Oper: In mittelalterlicher Zeit mit blutigen Konflikten zwischen Christen und heidnischen Stämmen soll Orgelbauer Amandus Herz die wundermächtige Orgel eines Klosters fertigstellen, die sein Vater unvollendet hinterließ; gleichzeitig liebt er die Heidin Lilian, die ihn (vergeblich) zum Anführer gegen die Mönche ausrufen möchte. Statt seiner wird Ritter Sinbrand von Fraß zum Anführer bestimmt, der Lilian offenbar vergewaltigt. Herz vollendet schließlich die Orgel, die den Angriff der Heiden tatsächlich abwehrt, worauf die sanften Register der Orgel versagen - was die Mönche zu einem Gemetzel nutzen. Herz verfällt dem Wahnsinn. Um ihn zu heilen, steckt Lilian das Kloster in Brand und zerstört damit die Orgel - und bricht im Wissen um seine Erlösung tot zusammen.

Vergrößerung in neuem Fenster Sonnenwendfest mit Alardis (links), Lilian und Amandus sowie Chor

Schreker, der das Libretto selbst erstellt hat, konstruiert seine Figuren holzschnittartig als Symbolträger ohne nennenswerte psychologische Entwicklung, was schon an den Namen deutlich wird. Zudem wirken sie mitunter wie unfreiwillige Karikaturen anderer Opernpartien. Lilian als Mittlerin und Grenzgängerin zwischen den Sphären erinnert an Kundry (wie die Bedrohung der Klosterbruderschaft durch heidnische Außenwelt ohnehin an den Parsifal denken lässt), mancher Verzweiflungsausbruch des Orgelbauers Herz scheinen dem Tristan abgelauscht, die heidnische Priesterin Alardis hat ihre Vorbilder etwa in Verdis "Zigeunerinnen" Ulrica (Ein Maskenball) und Azucena (Der Troubadour). Und der Ritter Sinbrand von Fraß ist, der dramatischen Situation zum Trotz, ein gemütlicher Buffo-Bass. Da bieten etwa Bergs 1925 uraufgeführter Wozzeck oder auch Kreneks Sensationserfolg Jonny spielt auf (1927) ungleich spannendere Personenkonstellationen. Und das Spannungsfeld zwischen konservativem Katholizismus und einem (in ähnlicher Form von den Nationalsozialisten befeuerten) heidnisch-germanischem Kult wird bei aller Brisanz doch eher unterkomplex verhandelt und bekommt in seiner gewollten Naivität eine komische Drolligkeit, wenn etwa Priesterin Alardis von der Erscheinung der Göttin Freya auf einem Einhorn berichtet. "Das Einhorn sah ich", singt sie. "Das Einhorn, seltsam!" antwortet der Chor. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

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Sehnsucht nach der Muse: Amandus (links) und Tänzer:innen

Die junge Regisseurin Julia Burbach blendet diese politische Dimension vollständig aus und zeigt das Künstlerdrama, in dem Orgel und Orgelbau zum Sinnbild für den Komponisten werden, der mit seiner Musik ganz im Sinne Wagners die Welt retten möchte, hier aber die Korrumpierbarkeit dieser Musik durch die verschiedenen Interessengruppen erfahren muss. Dafür hat Ausstatter Dirk Hofacker erst einmal grandiose Bilder gefunden. Das Kloster besteht aus einem altertümlich dunklen Saal, dessen Wände surreal aus Konzertbestuhlung bestehen: Der traditionelle Raum für einen Komponisten, aus dem Herz letztendlich nie ausbrechen wird. Der Felsen der Heiden erinnert entfernt an Caspar David Friedrichs zerklüftetes Eismeer, entpuppt sich auf den zweiten Blick als aufgetürmtes und beschriebenes Notenpapier. Hin und wieder senken sich Orgelpfeifen aus aufgerolltem Notenpapier herab, die am Ende kreuz und quer herumliegen. Die natürlich lilienweiße Lilian kann man als Muse des Künstlers deuten, die nicht stirbt, sondern entschwindet - unser Orgelbauer-Komponist muss sich nach etwas mehr als zweieinhalb Stunden selbst zurechtfinden in einer komplizierten Welt. Während die Konfliktparteien in schwarz und weiß sehr übersichtlich gezeichnet sind, sieht das heidnische Sonnenwendfest allzu bunt nach Kindergartenkostümfest aus. Und über die gesamte Spieldauer hin betrachtet, geht dem Konzept nach und nach die Luft aus. Ein feuriges Rad zum Orgelbrand (verbrennen da gerade die Kompositionen des Meisters?) kann nur bedingt Abhilfe schaffen. Eindrucksvoll allerdings agiert eine Gruppe von (ausgezeichneten) Tänzerinnen und Tänzern (Choreographie: Cameron McMillan), die nicht nur eine abstrahierende Distanz zur Handlung schaffen, sondern auch einen Hauch vom Varieté der 1920er-Jahre einbringen. Ein wenig mehr von diesem Zeitgeist hätte der Produktion vielleicht gutgetan.

Mirko Roschkowski singt den unglücklichen, aber eben auch entsetzlich zauderhaften Amandus Herz mit nicht zu schwerem, hellem und höhensicherem Tenor. Mit jugendlich strahlendem Sopran imponiert Anne-Fleur Werner als stimmlich wie optisch attraktive Lilian. Tobias Schabel ist ein solider Pater Kaleidos. Ordentlich singen auch Dschamilja Kaiser (Alardis) und Pavel Kudinov (Ritter Sinbrand), ohne ihren eher farblos gezeichneten Rollen allzu viel Leben einhauchen zu können. Einen starken Eindruck hinterlässt Carl Rumstadt als eloquenter maurischer Pilger (der im letzten Akt den kranken Amandus Herz an das Orgelspiel erinnert).


FAZIT

Es gibt eine ganze Menge faszinierender Musik in diesem dramaturgisch schwächelnden singenden Teufel, den die Regie als großformatig bebilderte Künstlertragödie zeigt, darin aber allzu harmlos bleibt.




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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Dirk Kaftan

Inszenierung
Julia Burbach

Ausstattung
Dirk Hofacker

Licht
Max Karbe

Choreographie
Cameron McMillan

Chor
Marco Medved

Dramaturgie
Andreas K. W. Meyer


Statisterie des
Theater Bonn

Chor und Extrachor des
Theater Bonn

Beethoven Orchester Bonn


Solisten

Amandus Herz
Mirko Roschkowski

Lilian
Anne-Fleur Werner

Pater Kaleidos
Tobias Schabel

Alardis
Dshamilja Kaiser

Ritter Sinbrand von Fraß
Pavel Kudinov

Der maurische Pilger
Carl Rumstadt

Lenzmar
Tae Hwan Yun

Abt
Boris Beletskiy

Erste Alumne
Ava Gesell

Zweite Alumne
Alicia Grünwald

Erster Laienbruder
Wooseok Shim

Zweiter Laienbruder
Hyoungjoo Yun

Ein Heide
Algis Lunskis

Die Vermummten
Jae Hoon Jung
In Hyeok Park
Justo Rodriguez
Christian Specht
Jonghoon You

Tanzensemble
Edit Domoszlai
Kevin Franc
Tyler Galster
Enrique Lopez Flores
Rosalia Panepinto
Kaja Piszczek
Adrian Ros



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Da capo al Fine

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